20. Dezember 2010

Sao-Paulo-Runde überholt Doha-Runde

Während die Doha-Runde innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) nach wie vor vor sich hindümpelt, hat die vor sechs Jahren auf der XI. UN-Konferenz für Handel und Entwicklung in Sao Paulo angestoßene Verhandlungsrunde der Entwicklungsländer im Rahmen des Globalen Systems der Handelspräferenzen (GSTP) jetzt einen Durchbruch erzielt. Die Vertreter der GSTP-Parteien – ausschließlich Entwicklungsländer – kamen im brasilianischen Foz do Iguaçu überein, die gegenseitigen Zolltarife bei mehr als 70 Exportprodukten und 20% zu reduzieren.

Derzeit gehören dem GSTP 43 Vertragsparteien an, von denen 22 an der sechsjährigen Sao-Paulo-Runde teilnahmen. Zwar unterzeichneten das Sao-Paulo-Protokoll zunächst nur acht Länder, darunter die Mercosur-Gruppe in Südamerika. Doch da mit weiteren Unterzeichnern gerechnet wird, dürfte das Abkommen dem Süd-Süd-Handel einen weiteren Schub geben. Schon heute ist dieser Handelsaustausch innerhalb des Südens eine der größten Wachstumsquellen sowohl für die Entwicklungsländer als auch für den Welthandel insgesamt.

Das GSTP wurde 1989 ins Leben gerufen und bietet einen Rahmen für präferentielle Konzessionen im Handel zwischen Entwicklungsländern. UNCTAD unterstützt diesen Prozess im Rahmen eines technischen Kooperationsabkommens und berät die Länder bei den Verhandlungen. Mit den Ergebnissen der Sao-Paulo-Runde wird die Anzahl der erfassten Zolllinien auf 47.000 erhöht. Der Durchbruch letzte Woche in Foz do Iguaçu ist besonders signifikant, weil es den Industrieländern und dem WTO-Sekretariat bis heute nicht gelingt, die festgefahrene Doha-Entwicklungsrunde wieder in Gang zu bringen. Das Signal des GSTP ist eindeutig: Jede weitere Konzessionsverweigerung des Nordens in Handelsfragen dürfte weitere Fortschritte im Bereich der Süd-Süd-Integration zur Folge haben.

15. Dezember 2010

Finanztransaktionssteuer im AWZ: Letzte Gefechte


Wenig Neues an Argumenten haben die Gegner einer Finanztransaktionssteuer (FTT) zur Finanzierung des weltweiten Kampfes gegen Armut, Klimawandel und die Weltwirtschaftskrise in ihrem Köcher. Das zeigte sich in einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AWZ) zur künftigen Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit heute Morgen in Berlin. Dabei warben Jörg Alt von der Kampagne „Steuer gegen Armut“ und Peter Wahl von Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung (WEED) für dieses innovative Instrument zur Besteuerung der internationalen Finanzmärkte. Es ist aus ihrer Sicht in der Lage, große Summen an Steuereinnahmen zu generieren und die Finanzmarktstabilität zu erhöhen. Die Zahl der Unterstützer für die Finanztransaktionssteuer sei infolge der weltweiten Finanzkrise gewachsen, betonte Peter Wahl in seiner Stellungnahme. Es sei Zeit, diese Dynamik zu nutzen und eine „Koalition der Willigen“ zu schmieden. Die Politik solle sich jetzt darauf konzentrieren, die FTT in der Eurozone einzuführen. Die Bundesregierung solle dabei zusammen mit Frankreich eine führende Rolle übernehmen.

Unterstützung erhielten Alt und Wahl von den Abgeordneten Thilo Hoppe (Bündnis 90/Die Grünen), Sascha Raabe (SPD) und Axel Troost (Die Linke), deren Fraktionen die Einführung der Finanztransaktionssteuer schon länger fordern. Johannes Selle (CDU) äußerte ebenfalls „Sympathie“ für die Steuer, wies aber auch darauf hin, dass es widersprüchliche Aussagen über deren Wirksamkeit gebe. Auch müssten Fragen der Machbarkeit geklärt werden, etwa wie man die Bürokratie gering halten und Transparenz gewährleisten könne. Strikt gegen die Finanztransaktionssteuer wandte sich erwartungsgemäß Peter Nunnenkamp vom Kieler Institut für Weltwirtsschaft. Die beiden Ziele – Mittelaufbringung und Verhaltenslenkung – ließen sich „kaum in Einklang bringen“, wie die Erfahrung mit der Tabaksteuer gezeigt habe. In dem Maße, in dem das Lenkungsziel ernst genommen werde, entfielen die Steuereinnahmen und umgekehrt, sagte Nunnenkamp, der sich anstelle der Erhebung von Spezialsteuern für die Erhöhung bestehender Steuern aussprach.

Dem widersprach Sascha Raabe: Er könne es sich nicht vorstellen, dass an den internationalen Märkten plötzlich weniger gehandelt werde, nur weil es die Steuer gebe. Der Linken-Abgeordnete Troost machte klar, es sei aus seiner Sicht ein „sehr vernünftiges Ergebnis“, wenn mit einem Steuersatz von 0,05% ein zusätzlicher fiskalischer Ertrag von 27 Mrd. € aufgebracht und zudem hochspekulative Finanzgeschäfte zurückgedrängt werden könnten. – Der Vergleich mit der Tabaksteuer klingt schon ein wenig wie das letzte argumentativen Gefecht der FTT-Gegner, haben sich doch die meisten technischen Einwände gegen die Steuer inzwischen erledigt, wie in der WEED-Stellungnahme nochmals gezeigt wird. Und dass die Umsätze der Tabakindustrie in Deutschland in den letzten Jahren zurückgegangen sind, liegt ja auch nicht an ständig steigenden Tabaksteuern, sondern an den weitgehenden Rauchverboten im öffentlichen Raum. Aber Verbote besonders gefährlicher Spekulationsinstrumente können ja auch im Falle FTT die Regulierungswirkung ergänzen und verstärken. So herum wird schon eher ein Schuh daraus.

13. Dezember 2010

An meine Freunde in und aus den PIGS-Ländern

Liebe Freundinnen und Freunde,

bitte lest dieses wunderbare dreiteilige Essay des spanischen Diplomaten Luis Francisco Martínes Montes: Wie er eines Morgens als eines der PIGS auf einem Bauernhof aufwacht und beginnt, über all die unfairen Reden nachzudenken, die in bestimmten Ländern, darunter mein eigenes, über die wirtschaftlichen Entwicklungen in Portugal, Irland/Italien, Griechenland und Spanien gehalten werden. Diese wirklich zeitige Intervention in einer Zeit zunehmender Spannungen in Europa ist beißender Humor und harte Munition gegen die neue Überheblichkeit derjenigen, die angeblich so gut mit Geld umgehen können.

Doch lässt der Beitrag offen, wer am Ende die wirklichen PIGS sein werden:
“With regard to their own futures, it could well happen that, at the end of the current crisis, PIGS will look at APEs (“Anglo-protestant economies”) and APEs will look at PIGS — and no one will be able to distinguish who is who.”

Die Geschichte findet sich >>> hier, >>> hier und >>> hier.

Beste Wünsche und herzliche Grüße
Rainer

12. Dezember 2010

Berlin-Paris: FTT als Entwicklungssteuer?


Laut Spiegel-Online wäre Finanzminister Schäuble bereit, die Einnahmen au seiner Finanztransaktionssteuer für die Erhöhung der Entwicklungshilfe zu nutzen. Wenn sich dies bestätigen sollte, wäre dies eine politische Kehrtwende Berlins, denn bislang ist für jene 2 Mrd. €, die im Entwurf des Bundeshaushalts für 2012 als Einkommen aus der Finanztransaktionssteuer eingestellt sind, kein besonderer Verwendungszweck vorgesehen. Nach dem Spiegel-Online-Artikel schließt sich Schäuble damit der französischen Position an.

Schäubles Einlassung erfolgte im Kontext einer Diskussion über eine engere Zusammenarbeit zwischen dem deutschen und dem französischen Finanzministerium. Unter dem Eindruck der Eurokrise soll Schäuble sogar eine Fusionierung der beiden Ministerien favorisieren. Als erster Schritt dahin ist jetzt die gemeinsame Vorbereitung der Ecofin-Treffen und der Sitzungen der Eurogruppe durch französische und deutsche Beamte geplant.

Vor dem deutsch-französischen Arbeitstreffen in Freiburg hatten letzte Woche französische und deutsche NGOs in einem Brief an Sarkozy und Merkel die Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe vorgeschlagen, um eine Strategie für die Umsetzung der Finanztransaktionssteuer in Europa zu entwickeln. – Parallel dazu hat die die Klimakonferenz in Cancún auf die Errichtung eines Klimaschutzfonds geeinigt, aus dem beträchtliche Investitionen gegen den Klimawandel in Entwicklungsländern finanziert werden sollen – „alles in allem ein interessantes Zusammentreffen von Entwicklungen“, meinte Peter Wahl von WEED in einer sonntäglichen Depesche. „Es gibt viel Schwung in dem Prozess, den die Zivilgesellschaft nutzen sollte.“

Anfang dieser Woche trifft überdies eine Delegation des Internationalen Gewerkschaftsbundes (ITUC) mit Sarkozy zusammen, um Einfluss auf die G20-Agenda im nächsten Jahr unter französischer Präsidentschaft zu nehmen. Den internationalen Gewerkschaften geht es um Arbeitsplätze, Finanzmarktreformen, die Armutsbekämpfung und den Klimawandel. Doch „eine Finanztransaktionssteuer zur Reduzierung der Spekulation und zur Generierung von Einnahmen für Beschäftigungswachstum, Klimapolitik und Zurückdrängung der Armut spielt in unseren Vorschlägen eine zentrale Rolle“, erklärte ITUC-Generalsekretärin Shara Burrow vor dem Treffen.

9. Dezember 2010

Deutsche Solidaritätsverweigerung

Vor gut zwei Jahren retteten die Regierungen mit großem Aufwand an Steuergeldern die Finanzmärkte. Doch heute – gut zwei Jahre später – sind dieselben Märkte bereits wieder dabei, die Regierungen einzuschüchtern, zumindest einige in Europa. Ein paar Ratingagenturen stufen nach Belieben die Bonität bestimmter Länder immer weiter herab und verteuern so die Finanzierung von deren Schulden – Schulden, die zu einem erheblichen Teil wie in Irland erst durch die Rettung der privaten Banken entstanden waren. Die europäische Schuldenkrise ist weitgehend das Wettkonzert von privaten Spekulanten auf den Bankrott von Staaten, allen voran der sog. PIIGS: Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien, wie die Wackelkandidaten an den Finanzmärkten zynisch genannt werden.

Dabei könnte der ganze Spuk mit einem Schlag beendet werden, würden sich die Europäer dazu durchringen, den Vorschlag des Luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker und des italienischen Finanzministers Giulio Tremonti zur Ausgabe gemeinsamer Euroanleihen umzusetzen. Für den Financial-Times-Kolumnisten Wolfgang Münchau ist dies „die erste konstruktive Idee seit dem Ausbruch der Finanzkrise der Eurozone vor einem Jahr“. Der Vorschlag selbst ist zwar älter und wurde von links bereits als Instrument gegen die Griechenlandkrise ins Gespräch gebracht. Dass er jetzt erneut auf die Tagesordnung kommt, zeigt, dass er von einer potentiell sehr breiten europaweiten Allianz getragen werden könnte.

Der Vorschlag setzt an der Logik der europäischen Schuldenkrise an, die im Kern eine politische ist. Seine Umsetzung würde nicht nur demonstrieren, dass die Mitglieder der Eurozone entschlossen sind, die „Unumkehrbarkeit des Euro“ (Juncker/Tremonti) zu sichern. Er wäre auch ein glaubwürdiger weiterer Integrationsschritt, hin zum Aufbau eines Mechanismus der politischen Koordination, des solidarischen Ausgleichs und zu ersten Ansätzen einer europäischen Haushaltsunion. Die deutsche Weigerung, auf ihn einzugehen, ist deshalb wie die deutsche Verzögerungstaktik bei der Griechenlandhilfe keineswegs nur ideologischen Glaubenssätzen geschuldet.

Es geht gar nicht mehr um die ideologischen Schlachten von gestern, denn der Neoliberalismus ist längst an der Realität der Finanzkrisen zerschellt. Es ist schlicht deutsche Solidaritätsverweigerung, was Berlin da praktiziert. Und die Frage ist schlicht und einfach, wie lange sich die europäischen „Partner“ das noch gefallen lassen. Die vornehme Zurückhaltung, mit der Juncker die deutsche Abwehrhaltung als „ein bisschen simpel“ und „uneuropäisch“ kritisiert hat, könnte sich deshalb schnell als bloßer Vorgeschmack auf kommende europäische Gewitter erweisen.

3. Dezember 2010

Ein anderer Blick auf den Seoul Consensus

Der G-20-Gipfel von Seoul war bezeichnend für das wachsende politische Gewicht der Schwellenländer. Nicht nur der Austragungsort des Gipfels lag in einem Schwellenland, diese dominierten die Veranstaltung auch in vielfältiger Weise. In zwei entscheidenden Bereichen – Makroökonomie und globale Entwicklung – setzten die Schwellenländer ihren Standpunkt durch. Überdies wurde auf dem Gipfel ein ausgezeichneter Vorschlag präsentiert, die beiden Agenden – Makroökonomie und Entwicklung – miteinander zu verbinden, schreibt Jeffrey D. Sachs, der UN-Beauftragte für die Millenniumsziele, in einem Kommentar.

Und weiter:

Die neue G-20-Entwicklungsagenda bietet eine ausgezeichnete Möglichkeit, Bedenken hinsichtlich globaler Ungleichgewichte mit der Notwendigkeit einer beschleunigten Entwicklung in den ärmeren Ländern zu verknüpfen. Die USA drängen China, Deutschland, Japan und andere Länder, ihren Konsum zu steigern, um die Nachfrage zu erhöhen. Aber es gibt eine bessere Möglichkeit, die hohe Sparquote zu nutzen. Anstatt die Haushalte zu höherem Konsum zu drängen, sollten die G-20 ihre Anstrengungen erhöhen, um diese Ersparnisse in die ärmsten Länder zu leiten, damit dort dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur getätigt werden können.

Indiens Premierminister Manmohan Singh fand dafür eine perfekte Formulierung. Er merkte an, dass Subsahara-Afrika heute in der Lage ist, mehr Kapitalzuflüsse zum Bau von Infrastruktur aufzunehmen. Er empfahl, die Überschüsse der G-20 in diese und andere arme Länder zu leiten, um derartige Investitionen zu finanzieren. „Mit anderen Worten“, so Singh, „wir müssen Ungleichgewichte der einen Art nutzen, um Ungleichgewichte der anderen Art zu beseitigen“.

Durch die Kanalisierung der Ersparnisse Chinas, Deutschlands, Japans und anderer Überschuss-Länder in Infrastruktur-Investitionen in armen Ländern, würden die Ökonomien dieser Welt wahrhaft harmonisch funktionieren. Der G-20-Gipfel in Seoul könnte diesen bedeutenden Prozess in Gang gebracht haben.

Den vollständigen Kommentar lesen Sie >>> hier.

29. November 2010

Nachgelesen: Stiftung fordert Ministerium für globale Fragen

Ein Ministerium für globale Fragen forderte in der letzten Woche auf dem Entwicklungspolitischen Forum in Berlin die Ko-Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, Barbara Unmüßig. Das neue Haus soll – über die traditionelle Entwicklungspolitik im engeren Sinne hinaus – die diversen entwicklungsrelevanten Politikbereiche bündeln, die heute vielfach noch in anderen Ressorts angesiedelt sind: von der Klimapolitik bis zur Krisenbekämpfung und –prävention, von der Handels- bis zur Agrarpolitik und natürlich die immer noch im Auswärtigen Amt angesiedelte humanitäre und Katastrophenhilfe.

In ihrer programmatischen Rede verlangte Unmüßig nicht nur andere Ressortzuschnitte, die den Sektoralismus und das „Silodenken“ überwinden. Letztlich gehe es um mehr Entwicklungsdenken im gesamten Regierungshandeln. Zu dem vorgestellten entwicklungspolitischen Reformkatalog gehören u.a. das auch von der Stiglitz-Kommission im letzten Jahr ins Gespräch gebrachte Internationale Panel für systemische Risiken, das nach dem Muster des IPCC in der Klimapolitik wissenschaftlich abgestützte Vorschläge für eine Verbesserung globaler und regionaler Governance-Strukturen und eine stärkere Europäisierung der Entwicklungspolitik. Reizvoll an der europäischen Ebene sei nicht nur das im Maastricht-Vertrag verankerte Kohärenzgebot (der „kategorische Imperativ der Entwicklungspolitik“), sondern auch dass dieses von einem Berichterstatter für Kohärenzpolitik regelmäßig auf seine Umsetzung kontrolliert werden soll und dass es einen (zwar schwachen, aber immerhin) Folgeabschätzungsmechanismus gebe. Allerdings fehlt auch auf EU-Ebene ein Beschwerdemechanismus für Betroffene, wie ihn die Weltschaft mit dem Inspection Panel geschaffen habe.

Immerhin lässt sich so schon heute von der europäischen Ebene auch für die deutsche Entwicklungspolitik einiges lernen. Unmüßig forderte in diesem Zusammenhang u.a. einen Folgeabschätzungsmechanismus für die deutsche Entwicklungspolitik und unterstützte die im letzten „Peer Review“ der OECD enthaltenen Forderung nach einem „Rahmenwerk für Politikkohärenz“ in Deutschland. – Dies alles sind anspruchsvolle Schritte, die natürlich auch Machtveränderungen auf der Regierungsebene voraussetzen, ohne die aber eine radikale Trendumkehr in der deutschen Entwicklungspolitik kaum zu haben sein wird.

25. November 2010

DAC-Vorsitzender warnt vor westlicher Überheblichkeit

Das Motto des Entwicklungspolitischen Forums der Heinrich-Böll-Stiftung („Weiterdenken!“) in dieser Woche, schien dem Vorsitzenden des Entwicklungshilfe-Ausschusses (DAC) der OECD, Eckhard Deutscher, nicht weit genug zu gehen. „Wir müssen weiterdenken. Wir müssen gegen den Strich denken, wir müssen querdenken“, rief er den über 300 TeilnehmerInnen in Berlin zu. Die zentrale Herausforderung für die Entwicklungspolitik sieht Deutscher im Aufstieg eines „neuen Kapitalismus“ im Süden des Globus. Dieser sei die Alternative zur „alten Selbstherrlichkeit des Westens“, warnte er. Wenn es der traditionellen Entwicklungspolitik nicht gelänge, mit ihren Lebenslügen Schluss zu machen, „stehen wir bald ziemlich alleine da“.

Eine dieser Lebenslügen sieht Deutscher in dem Glauben, es gäbe Möglichkeiten zur Renationalisierung der Globalpolitik. Das von der deutschen Entwicklungspolitik praktizierte „Anteilssystem“ (zwei Drittel der Ausgaben für bilaterale Leistungen, aber höchstens ein Drittel für multilaterale Organisationen) müsse deshalb schleunigst aufgegeben werden, forderte Deutscher. Überhaupt hätten die Europäer den größten Reformbedarf in der internationalen Zusammenarbeit. Warum beispielsweise gebe es bis heute keine Europäische Entwicklungsbank, wie sie seit langem gefordert wird?

Die Glaubwürdigkeit der westlichen Position in der Entwicklungspolitik werde heute nicht nur durch die enorme Süd-Süd-Dynamik der letzten Jahre herausgefordert. Sie hänge auch daran, ob die eigenen Zusagen gegenüber dem Süden eingehalten werden. Das alte Ziel, 0,7% des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen, müsse deshalb unbedingt realisiert werden. Niemand im Süden nehme uns sonst mehr ernst. Eindringlich warnte Deutscher auch davor, sich jetzt klammheimlich aus den Millennium-Entwicklungszielen „hinauszustehlen“. Der DAC-Vorsitzende plädierte in diesem Zusammenhang nicht zuletzt dafür, die neuen Anforderungen der Finanzierung von Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel strikt von der „alten“ Entwicklungsfinanzierung zu trennen (solange es noch so viel Armut auf der Welt gibt).

Deutscher spießte noch andere Missstände auf, die die „entwicklungspolitische Gemeinde“ kennzeichnen: die verquaste Ingroup-Sprache etwa, aber auch die hochgradige Ritualisierung der Arbeit in den multilateralen Institutionen und – nicht zuletzt – die blasse Visionslosigkeit in den Führungsetagen – nicht zuletzt auch im deutschen BMZ. Alles in allem ein überzeugendes Plädoyer dafür, die Finger in die eigenen Wunden zu legen statt auf andere zu zeigen, „die Chinesen“, „die Inder“ oder wen auch immer, die es wagen, die Monopolansprüche der alten Welt in Frage zu stellen.

16. November 2010

Zehn Jahre Weltstaudammkommission

Eine Globalisierungsbaustelle der besonderen Art feiert Geburtstag: Vor zehn Jahren, am 16.11.2010, stellte Nelson Mandela in London die Ergebnisse der zweijährigen Arbeit der Weltstaudammkommission (WCD) vor. Die Kommission war gebildet worden, nachdem die Proteste gegen die negativen Folgen von Großstaudämmen immer mehr zunahmen und auch die Weltbank wegen ihrer Finanzierung von Dämmen in die Schusslinie geriet. Initiatoren waren u. a. die Weltbank und IUCN („The World Conservation Union“. Der Auftrag der Kommission bestand darin, die Wirksamkeit von Großstaudämmen im Entwicklungsprozess zu prüfen und Alternativen für die Nutzung von Wasserressourcen und zur Energiegewinnung zu begutachten sowie international annehmbare Kriterien für Planung, Bau und Betrieb von Staudämmen zu entwickeln.

In ihrem Schlussbericht (>>> Dams and Development: A New Framework for Decision-Making) benannte die WCD sieben strategische Prioritäten für den Bau von Staudämmen:
* die Gewinnung von Akzeptanz,
* eine umfassende Analyse von Alternativen,
* die Altlasten existierender Dämme zu beheben,
* Flüsse und Lebensgrundlagen zu erhalten,
* Ansprüche anzuerkennen und den Nutzen zu teilen,
* die Einhaltung von Abmachungen und
* Flüsse für Frieden, Entwicklung und Sicherheit zu teilen.

„Das Vorgehen der Kommission war bahnbrechend, da sich erstmalig Befürworter und Kritiker dieser Technologie zusammensetzten und gemeinsam Empfehlungen erstellten, wie künftig die negativen Folgen für die Projektbetroffenen vermieden können“, sagt Heffa Schücking von der NGO urgewald. Die Kommission stellte fest, dass 40 bis 80 Millionen Menschen weltweit für Großstaudämme vertrieben und zwangsumgesiedelt wurden. Sie forderte neue partizipative Verfahren und Mitspracherechte für Flußanrainer bei Entscheidungen über Talsperren, um sicher zu stellen, dass nur solche Projekte in Angriff genommen werden, die verträgliche Lösungen für Mensch und Umwelt anbieten.

Doch auch dieser Fortschritt muss immer wieder verteidigt werden. „Die Wasserkraftindustrie versucht zur Zeit verstärkt, die Standards der WCD zu unterlaufen und ein eigenes unverbindliches Protokoll als Alternative zu etablieren“, so Schücking. „Wir fordern die Bundesregierung auf, das Protokoll nicht zu unterstützen und staatliche Unterstützung wie die Vergabe von Hermesbürgschaften an die Einhaltung der WCD-Empfehlungen zu knüpfen und sich dafür auch international einzusetzen.“ Bei der Vergabe einer Hermesbürgschaft für den Ilisu-Staudamm in der Türkei hatte die Bundesregierung auf die Einhaltung von Weltbankstandards gedrängt, die Empfehlungen der WCD aber weitgehend ignoriert. Im Juli 2009 zog sie die Bürgschaften zurück, da die türkische Seite zahlreiche Auflagen nicht erfüllt hatte. „Wären die WCD-Empfehlungen als Maßstab für das Projekt herangezogen worden, wäre die Bürgschaft gar nicht erst erteilt worden, da die türkische Regierung effektive Mitspracherechte für die lokale Bevölkerung stets abgelehnt hat“, meint Heike Drillisch von „GegenStrömung“, die das Ilisu-Projekt seit über zwölf Jahren verfolgt.

Der WCD-Bericht findet sich >>> hier, eine deutsche Zusammenfassung >>> hier.

13. November 2010

Video-Film: Unter Freunden

12. November 2010

G20-Gipfel verfehlt globalen Deal über Ungleichgewichte

Auf eine Vertagung des Streits über globale Ungleichgewichte und Wechselkurse in das nächste Jahr einigten sich die Vertreter der 20 wichtigsten Ökonomien in Seoul. Das geht aus den Abschlussdokumenten des Gipfels hervor (>>> G20-Gipfel in Seoul: Unsere aktuelle Dokumentation). Statt einer konkreten Übereinkunft wollen die G20 jetzt erst einmal Kriterien („indicative guidelines“) entwickeln, um Länder mit exzessiven externen Ungleichgewichten, also Länder mit untragbaren Leistungsbilanzüberschüssen und –defiziten zu identifizieren. Der IWF soll dafür bis Mitte 2011 eine Vorlage machen. Welche Konturen diese indikativen Leitlinien haben und wie sie in die Praxis umgesetzt werden sollen, wusste freilich keiner der TeilnehmerInnen der Gipfelrunde zu sagen. Immerhin bleibt das Thema so auf der Tagesordnung, und die jetzt folgende französische G20-Präsidentschaft hat somit viel Raum, um mit Ideen und Vorschlägen für ein neues globales Währungssystem zu glänzen.

Etwas konkreter wurde die G20 in Bezug auf drei andere Themen. Die Dokumente segnen die neuen Kapital- und Liquiditätsstandards des Baseler Bankenausschusses (>>> Regulierungslücken allenthalben) und die kürzlich vom IWF-Vorstand beschlossene Stimmrechts- und Governancereform (>>> Durchbruch oder Reförmchen?) ab und proklamieren einen neuen entwicklungspolitischen „Seoul Consensus“ (>>> Seoul Consensus statt Washington Consensus). Der Consensus stellt Wachstum und Infrastrukturinvestitionen als Schlüssel zu mehr Entwicklungserfolgen in den Mittelpunkt.

Unter NGOs ist der Consensus nach wie vor umstritten. Jörn Kalinski von Oxfam Deutschland zeigte sich "sehr zufrieden, dass die G20 das Thema Entwicklung nachdrücklich auf die Agenda gesetzt haben“, bemängelte aber, dass die G20 mit ihrem Aktionsplan „auf halben Weg stehengeblieben“ seien. Peter Wahl von WEED bezeichnete den Seoul Consensus als „PR-Manöver“, mit dem „alte Rezepte der Privatsektorförderung als Innovation verkauft (werden), während z.B. von der Verpflichtung von Gleneagles, die Entwicklungshilfe für Afrika bis 2010 auf 50 Mrd. Dollar zu verdoppeln, nichts mehr zu hören ist“.

Insgesamt produzierte der Gipfel mal wieder Unmengen an Papier, durch die man/frau sich erst einmal durcharbeiten muss – eine schöne Aufgabe für das Wochenende. Ungeachtet dessen kann aber schon jetzt festgehalten werden: „Vielleicht der einzige große Gewinner des Treffens war der IWF“, bemerkte heute Morgen die New Yok Times treffend. „Die G20-Führer ratifizierten die Veränderungen in der IWF-Governance…, stockten mehrere Kreditprogramme des IWF auf… und ermächtigten den Fonds, bei der Bearbeitung der Ungleichgewichte zu helfen.“

11. November 2010

Seoul Consensus statt Washington Consensus

Der heute beginnende G20-Gipfel in Seoul ist der erste, der nicht in einem der alten G7-Länder stattfindet. Und er wird – so wollen es die Gastgeber – den Aufgabenbereich der Gruppe für Fragen der internationalen Entwicklungspolitik öffnen. „Ist das wünschenswert?“, so kann man fragen. Und die Antwort wird lauten: „Das hängt davon ab…“ Die Dokumente, die bislang vorliegen, ein Development Issue Paper der koreanischen Präsidentschaft und ein an die Öffentlichkeit gelangter Kommuniqué-Entwurf vom 3. November, lassen offensichtlich höchst gegensätzliche Bewertungen zu.

Die Übereinkunft soll „Seoul Consensus for shared growth“ genannt werden – in Absetzung vom überkommenen Washington Consensus, der die Entwicklungspolitik seit den 1980er Jahren bestimmt hat. Doch Nancy Alexander vom Washingtoner Büro der Heinrich-Böll-Stiftung sieht in dem Development Issue Paper, von wenigen Ausnahmen abgesehen, gerade einen Rückfall in diesen Washington Consensus. Chang Ha-joon, mit seinem Buch „Kicking away the ladder“ einer der führenden Kritiker der WTO-Doha-Runde, sieht im Gegenteil eher einen Fortschritt in die richtige Richtung, da das „One-size-fits-all“-Modell des Washington Consensus zurückgewiesen werde. Die meisten NGOs kritisieren vor allem die Wachstumslastigkeit des neuen Ansatzes.

In der Tat wird in den kursierenden Entwürfen der Fokus der internationalen Entwicklungspolitik von der Finanzhilfe auf Investitionen, Handel und Infrastruktur verschoben. Der neue Consensus soll auf acht „Säulen“ beruhen, um Wachstum im Süden zu beschleunigen, darunter die Förderung der Infrastruktur, die Sicherung privater Investitionen, finanzielle Inklusion, soziale Sicherung, Good Governance und Ernährungssicherheit. Dies ist etwas anderes als der Dreiklang von Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung (Entstaatlichung), auf dem der Washington Consensus beruhte. Selbst wenn stark auf die Generierung zusätzlichen Wachstums abgehoben wird, lässt sich bestreiten, dass es im Süden lediglich mit Umverteilung gehen wird. Die Frage lautet auch hier: Welches Wachstum? Darauf gibt der Seoul Consensus wohl keine Antwort. Aber sein Ausgangspunkt lautet ja auch: „Es gibt keine alleinige Formel für Entwicklungserfolg.“

So lässt sich die eingangs gestellte Frage vielleicht wie folgt beantworten:
* Sollte der Seoul Consensus dazu dienen, die G20 von ihren Hausaufgaben, die in erster Linie in der Reform des internationalen Währungs- und Finanzsystems bestehen, abzulenken, dann brauchen wir ihn nicht.
* Wenn er vorrangig dazu dienen sollte, die alten Industrieländer aus ihren internationalen Verpflichtungen (0,7%-Ziel etc.) zu entlassen, dann ist er ebenfalls überflüssig.
* Sollte der Seoul Consensus jedoch dazu führen, das bisherige Definitionsmonopol von OECD, Weltbank und IWF zu durchlöchern und aus den Wachstums- und Entwicklungserfolgen der Schwellenländer konzeptionelle Konsequenzen zu ziehen, dann ist er höchst willkommen.

10. November 2010

G20: Wachstum vs. Armutsbekämpfung?

Chinas Weitsicht und Keynes Weisheit: Der G20 ins Stammbuch!

Als „golden opportunity“ für eine Reform des internationalen Währungssystems sieht der preisgekrönte Keynes-Biograph Robert Skidelsky die Situation am Vorabend des G20-Gipfels (>>> A golden opportunity for monetary reform). In seinen Kommentaren wies der emeritierte Professor der Warwick University und Mitglied des britischen Oberhauses in der letzten Zeit mehrfach darauf hin, dass es grob zwei Strategien gebe, um die aktuellen Leistungsungleichgewichte zu bekämpfen, die Schwächung des chinesischen Anreizes zur Bildung von Devisenreserven und die Lösung des Beschäftigungsprobleme innerhalb der Defizit- und Überschussländer. Skidelsky im Wortlaut:

Im April 2009 schlug Zhou Xiaochuan, Gouverneur der Chinesischen Volksbank, die Schaffung einer „übernationalen Reservewährung“ vor, um die „inhärenten Risiken“ einer kreditbasierten nationalen Reservewährung zu beseitigen. Diese neue Währung, die aus den Sonderziehungsrechten (SZR) entwickelt werden sollte, würde im Laufe der Zeit die nationalen Reservewährungen ersetzen.
Ein „Substitutionskonto“ beim IWF würde es den Ländern ermöglichen, ihre bestehenden Reserven in SZRs umzutauschen. Das Prinzip dahinter ist, dass eine kollektive Versicherung billiger und somit weniger deflationär wäre als eine Selbstversicherung. Chinas geringerer Appetit auf Reserven würde sich in einer Aufwertung seiner Währung und einer Verringerung seines Handelsüberschusses niederschlagen.
Dieser weitsichtige chinesische Vorschlag hat das Reißbrett nie verlassen. Stattdessen haben die USA intensiven Druck auf China ausgeübt, den Renminbi neu zu bewerten. Das Ergebnis ist ein Wortgefecht, das leicht zu etwas Schlimmerem werden könnte.
Die USA werfen China vor, seine Währung zu tief zu bewerten, während China die lockere US-Geldpolitik dafür verantwortlich macht, die Schwellenmärkte mit US-Dollar zu überschwemmen. Das US-Repräsentantenhaus hat einen Gesetzentwurf verabschiedet, der zuließe, dass Zölle auf Importe aus Ländern wie China erhoben werden, die ihre Währungen zu ihrem Vorteil manipulieren.
Unterdessen hat die Abwertung des Dollars in Erwartung einer weiteren quantitativen Lockerung dazu geführt, dass die ostasiatischen Banken ihren Dollar-Kauf verstärkt und Beschränkungen für Kapitalzuflüsse eingeführt haben, um eine Aufwertung ihrer Währungen zu verhindern. Während die asiatischen Länder versuchen, das Kapital draußen zu halten, bewegt sich der Westen in Richtung Protektionismus.
Wir können aus den Erfahrungen der 1930er Jahre lernen. Bei Flut werden alle Boote angehoben; bei Ebbe entbrennt ein hobbesscher Krieg – jeder gegen jeden.
Dies führt uns zurück zu der vorzeitigen Zurücknahme der Konjunkturmaßnahmen. Da die Gesamtnachfrage in Europa und den USA geschwächt ist, wenden sich die Regierungen selbstverständlich den Exportmärkten zu, um die Arbeitslosigkeit im eigenen Land zu verringern. Doch können nicht alle Länder gleichzeitig Handelsüberschüsse erwirtschaften. Der Versuch, dies zu erreichen, muss zwangsläufig zu einer konkurrierenden Währungsabwertung und zu Protektionismus führen.
Schon Keynes bemerkte weise: „Wenn die Nationen lernen könnten, durch ihre Innenpolitik Vollbeschäftigung herbeizuführen … gäbe es keinen dringlichen Grund mehr, warum ein Land einem anderen Waren aufzwingen oder die Angebote seines Nachbarn zurückweisen müsste.“ Der zwischenstaatliche Handel „wäre nicht mehr das, was er derzeit ist, nämlich ein verzweifeltes Hilfsmittel, um die Beschäftigung im Inland aufrechtzuerhalten, indem ausländischen Märkten der Kauf von Waren aufgezwungen und die eigenen Käufe eingeschränkt werden.“ Stattdessen führte er zu „einem freiwilligen und ungehinderten Austausch von Waren und Dienstleistungen, unter beiderseitig vorteilhaften Bedingungen.“
Mit anderen Worten: Der heutige Aufruhr über Währungen und Handel ist ein direktes Resultat unseres Versagens, unsere Beschäftigungsprobleme zu lösen.

Den G20 sei’s ins Stammbuch geschrieben!

9. November 2010

Endlich! Das Währungssystem kommt ins Bild

Endlich! Kurz vor dem G20-Gipfel in dieser Woche ist die Debatte um ein neues Weltwährungssystem voll entbrannt. Nachdem der Geithner-Plan den Weg zurück in die Zukunft (>>> Ein Ausflug nach Bretton Woods) geöffnet hatte, sagt jetzt auch Obama: „Wir können nicht weitermachen in einer Situation, in der einige Länder massive Überschüsse einfahren und andere massive Defizite einstecken.“ Unerwartete Unterstützung erhielt Obama vom indischen Premierminister Singh, der sagte, die Welt „braucht eine neue Balance zwischen Defizit- und Überschussländern“. Mit Indien plädiert erstmals ein großes Schwellenland aus dem G20-Kreis für einen Ausgleich zwischen Defizit- und Überschuss-Ökonomien in der Weltwirtschaft.

Den Coup der Woche landete allerdings Weltbank-Präsident Bob Zoellick, der in einem Gastkommentar in der Financial Times anregte, über ein neues Währungssystem nachzudenken, an dem „wahrscheinlich der Dollar, der Euro, der Yen und das britische Pfund beteiligt sein (müssen) sowie ein Renminbi, der sich auf eine Internationalisierung hin bewegt und dann auf eine offene Kapitalbilanz“. Er fügte hinzu, man sollte auch in Betracht ziehen, „Gold als einen internationalen Bezugspunkt zu Inflation, Deflation und künftigem Währungswert zu nutzen“. Immerhin nutzten die Märkte heute schon Gold „als alternative Form von Geldanlagen“.

Die letzte Bemerkung kann man getrost vergessen. Denn eine Rückkehr zum Goldstandard – in welcher Form auch immer – wäre unter den heutigen Bedingungen vor allem eine Steilvorlage für Spekulanten. Und tatsächlich hat ja Zoellicks Einlassung am nächsten Tag den Goldspekulanten einen Preissprung beschert. Doch den ersten Teil von Zoellicks Einlassungen hat man in dieser Form bislang nur von Sprechern des chinesischen Zentralbanksystems gehört oder von der Stiglitz-Kommission, die im letzten Jahr den Übergang zu einem neuen Reservesystem forderte. Es ist nicht ohne Ironie, dass jetzt der aus dem Stall der US-Republikaner stammende Weltbank-Präsident, der es gerade noch rechtzeitig vor dem Abgang der Bush-Administration geschafft hat, einen lukrativen Posten zu ergattern, die Notwendigkeit einräumt, den Dollar als Leitwährung durch ein multilaterales System abzulösen. Das sagt mehr als alles andere, wie dringlich die Diskussion um ein neues internationales Währungssystem geworden ist.

5. November 2010

Ungleichgewichte: Zurück in die Zukunft?

Der Chefkommentator der Financial Times, Martin Wolf, hat in seiner Kolumne in dieser Woche zwei Grafiken vorgestellt, die illustrieren, welche Länder die Konsequenzen des Geithner-Plans (>>> Ein Spaziergang nach Bretton Woods) am meisten treffen würden (s. Grafik). Der Plan sieht die Begrenzung der Leistungsbilanzdefizite und Überschüsse auf 4% des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts vor und knüpft damit unmittelbar an die Vorstellungen von John Maynard Keynes auf der historischen Konferenz von Bretton Woods (1944) an. Er scheiterte damals an die USA, die sich als (damals noch) Überschussland keinen Anpassungsregeln unterwerfen wollten. Heute sind die USA im Lager der Defizitländer.


Die Grafik zeigt sehr anschaulich, dass die Länder mit „exzessiven Defiziten“ (über -4%) Spanien, die Türkei und Südafrika sind, die USA aber nicht in diese Kategorie fallen. Unter die Länder mit „exzessiven Überschüssen“ (mehr als +5%) fallen China, Russland, Deutschland und Saudi-Arabien. Hochgradig von Rohstoffexporten abhängige Länder wie Russland und Saudi-Arabien, würden nach Geithners Überlegungen aus der Anpassungspflicht herausfallen, so dass die größte Anpassungslast China und Deutschland zu tragen hätten. Interessant dabei ist, dass das relative Gewicht des Überschusses bei Deutschland noch einmal erheblich größer ist als bei China. In absoluten Zahlen gemessen ist der chinesische Überschuss jedoch größer als der deutsche, während die USA mit ihrem Defizit den Vogel abschießen.

Da der Geithner-Plan die Leistungsbilanzdefizite in den Mittelpunkt stellt, müssten Anpassungsmaßnahmen nicht notwendigerweise an den Wechselkursen ansetzen. Das „Rebalancing“ könnte auch bei der Stärkung der Binnennachfrage (im Falle der Überschussländer) oder bei ihrer Drosselung bzw. der Stärkung der Exporte (im Falle der Defizitländer) ansetzen. In Bezug auf die Stärkung der internen Nachfrage hat China in den letzten Jahren wesentlich mehr getan als Deutschland, wo man auf einen neuen Exportboom nach der Krise spekuliert hat. Da nimmt es nicht Wunder, dass sich der deutsche Wirtschaftsminister Brüderle mit orthodoxen Argumenten an die Spitze der Neinsager gesetzt hat. Ob die Chinesen dem folgen, wird man mit Sicherheit erst beim G20-Gipfel in der nächsten Woche wissen, wenngleich neueste Meldungen dies befürchten lassen. Die Lage wird sicher nicht einfacher durch die jetzt eingeleitete neue Runde der geldpolitischen Lockerung in der USA (QE2). Vor allem in den Schwellenländern verstärkt dies die Opposition gegenüber den USA, da zu Recht eine neue Welle billigen und heißen Geldes befürchtet wird, das mittels der Zinsdifferenzen schnelle Gewinne machen will („carry trade“).

Zwischen Hoffen und Bangen: Ein koreanischer Blick zum Gipfel

Hochmut kommt vor dem Fall. Die Hauptursache für die aktuelle globale Krise war intellektueller Hochmut in Form des blinden Glaubens, die Märkte würden ihre eigenen Probleme und Widersprüche immer selbst lösen. Dreißig Jahre nach der Reagan-Thatcher-Revolution hat das ideologische Pendel begonnen, in die andere Richtung auszuschlagen, schreibt der ehemalige Außenminister Südkoreas, Yoon Young-kwan, der heute Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Seoul ist. Und weiter:

Jedes Mal, wenn sich in den letzten hundert Jahren die Ansichten über die Beziehungen zwischen Staat und Markt in diesem Maße verschoben haben, folgte darauf ein großer politisch-ökonomischer Umbruch. Zum Beispiel markierte der Erste Weltkrieg das Ende des Laisser-faire-Liberalismus des neunzehnten Jahrhunderts und läutete eine Phase der staatszentrierten Wirtschaftssysteme ein. Die Große Depression und der Zweite Weltkrieg eröffneten die neue Ära des Bretton-Woods-Systems mit einer ausgeglicheneren Beziehung zwischen Staat und Markt.

Auf ähnliche Weise beendete die globale Finanzkrise 2008 drei Jahrzehnte Neoliberalismus, die von freiem Handel und der Globalisierung der Finanzmärkte gekennzeichnet waren. Wir wissen noch nicht, wie das vor uns liegende Zeitalter wird; wir können nur sicher sein, dass sich die Weltwirtschaft mitten in einer großen Übergangsphase befindet und dass die alten Verfahrensweisen nicht mehr funktionieren werden.

Die Hauptsorge in dieser Zeit der großen Unsicherheit ist, ob der Übergang zu einem neuen Paradigma bewältigt werden kann, ohne die internationale politisch-ökonomische Ordnung weiter zu destabilisieren...

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29. Oktober 2010

Ein Ausflug nach Bretton Woods

Kurz vor dem Finanzministertreffen der G20 am vergangenen Wochenende unternahm Timothy Geithner einen Ausflug nach Bretton Woods – bildlich gesprochen, versteht sich. In einem Brief an seine „fellow finance ministers“ schrieb er: Die G20-Länder sollten in den nächsten Jahren Schritte zur Reduzierung ihrer externen Defizite „unter einen bestimmten Anteil ihres BIP“ unternehmen. Für die Defizitländer bedeute das, die nationalen Ersparnisse zu steigern und ihre Exportperformance zu verbessern. Umgekehrt müssten die Länder mit anhaltenden Überschüssen ihr Binnenwachstum und auf diese Weise die globale Nachfrage stärken. Die Defizitländer müssten ihre Währungen abwerten, die Überschussländer aufwerten, um so den Abbau der globalen Ungleichgewichte zu unterstützen.

Wie hoch die Defizite, gemessen am BIP sein dürften, geht aus dem Brief nicht hervor. Doch allgemein geht man davon aus, dass sie auf Dauer nicht über 4% liegen dürfen. Das Kommuniqué des Finanzministertreffens formulierte zwar nur vage, das man „zu mehr marktorientierten Wechselkurssystemen, die die zugrunde liegenden Fundamentaldaten reflektieren,“ kommen müsse. Und natürlich erwiesen sich wieder einmal die Deutschen als die schärfsten Widersacher eines besseren Wechselkursmanagements. Denn bei einer Obergrenze für Leistungsbilanzüberschüsse von 4% läge Deutschland mit seinen derzeitigen Rekordüberschüssen weit über der internationalen Norm. Die Kanzlerin lehnt daher Vorschläge strikt ab, Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen durch direkte Vorgaben, etwa „quantitative Leistungsbilanzziele“, zu bekämpfen, sagte sie vorgestern vor dem Bundestag.

Warum nur? In der EU plädiert man ja mühelos auch für „quantitative Ziele“ – jene berühmten 3% Haushaltsdefizit, wobei niemand rational erklären kann, warum das in dieser Form notwendig ist. Was freilich nur wenigen aufgefallen ist: Geithners Vorschlag – und deshalb darf man das Ausflug nach Bretton Woods nennen – ist im Grunde genommen ein Rückgriff auf die Idee, die Keynes auf der Konferenz von Bretton Woods im Jahre 1944 hatte. Dort forderte er einen Mechanismus, der es gestattet, Defizit- und Überschussländer gleichermaßen für das weltwirtschaftliche Gleichgewicht zur Verantwortung zu ziehen. Der IWF hat das zwar in seinen Statuten stehen, aber wegen der Übermacht der Überschussländer nie umsetzen können. Wenn jetzt die USA, die klassische Vormacht im Fonds, mit dieser Idee kommen, wird man damit rechnen dürfen, dass sie so schnell nicht wieder vom Verhandlungstisch verschwindet. Und das ist gut so, auch wenn es jetzt erst einmal vordergründig gegen die Chinesen geht.

26. Oktober 2010

Deutsche Rohstoffstrategie im Kreuzfeuer der Kritik

Auf dem Rohstoffkongress des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) hat Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle am 26. Oktober eine neue Rohstoffstrategie der Bundesregierung vorgestellt (>>> Wortlaut). Sie soll die Versorgung deutscher Unternehmen mit mineralischen und nicht-energetischen Rohstoffen für strategische Zukunftstechnologien sichern. Deutsche Umwelt-, Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen üben allerdings deutliche Kritik an der Strategie. Sie haben Anforderungen an eine zukunftsfähige Rohstoffstrategie vorgelegt, die den Positionen der Bundesregierung teilweise diametral entgegenstehen. In dem umfänglichen Papier heißt es:

„Bisher wurde die Entwicklung der deutschen Rohstoffstrategie vom federführenden Bundeswirtschaftsministerium als ausschließliche Angelegenheit von Politik und Wirtschaft angesehen. Die Zivilgesellschaft wurde nicht beteiligt, der Prozess der Ausarbeitung der deutschen Rohstoffstrategie verlief intransparent. Deutsche Rohstoffpolitik ist aber zu wichtig, als dass sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit formuliert werden darf. Erforderlich sind stattdessen transparente Entscheidungsprozesse, die soziale, menschenrechtliche und ökologische Interessen effektiv und gleichberechtigt berücksichtigen, bevor wichtige politische Entscheidungen getroffen werden.“

Einzelne NGO-SprecherInnen konkretisieren:

* Elisabeth Strohscheidt, Misereor: „Nach Aussagen der Bundesregierung dient die Rohstoffstrategie primär der Absicherung der Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft und der Verbesserung des Marktzugangs zu Rohstoffquellen im Ausland. Die berechtigten Interessen der Menschen in den Abbauländern kommen in der Rohstoffstrategie dagegen nur am Rande zur Sprache. Soziale, ökologische und menschenrechtliche Aspekte müssen aber einen integralen Bestandteil deutscher Rohstoffpolitik bilden. Die Rohstoffversorgung der deutschen Wirtschaft darf nicht auf Kosten der Menschen und der Natur in den Abbauländern erfolgen.“

* Jens Martens, Global Policy Forum Europe: „Eine faire und ökologisch tragfähige Rohstoffstrategie muss die Senkung des Ressourcenverbrauchs, die Achtung und Schutz der Menschenrechte, die Einhaltung der internationalen Umwelt- und Sozialstandards, die zivile Konfliktprävention sowie die Eindämmung der Rohstoffspekulation zum Ziel haben. Eine Rohstoffstrategie, die diese Aspekte nicht effektiv berücksichtigt, läuft Gefahr, zur Verschärfung gewaltsamer Konflikte, zur Verletzung der Menschenrechte und zur Zerstörung der Umwelt beizutragen.“

* Barbara Unmüßig, Heinrich-Böll-Stiftung: „Die neue Rohstoffstrategie der Bundesregierung steht in krassem Widerspruch zu ihren Zielen etwa in der Klima- oder Entwicklungspolitik. Während auf der einen Seite für eine klimapolitische Trendwende gestritten und Armut bekämpft wird, verfolgt die Bundesregierung mit der Rohstoffstrategie eine Industriepolitik, die den fossilen Pfad forciert. Es fehlen Regulierungsansätze im Rohstoffsektor, die Entwicklungschancen rohstoffreicher Länder fördern. Stattdessen liegt nun eine inkohärente Strategie vor, die Menschenrechte, ökologische und soziale Kriterien missachtet.“

Auch internationale Rohstoffexperten und langjährige Projektpartner der Stiftung kritisieren das neue Konzept:
* Silas Kpanan Ayoung Siakor, Sustainable Development Institute Liberia und Gewinner des Goldman Environmental Awards 2006: „Es besteht die Gefahr, dass Deutschland im Zuge der Unterstützung deutscher Unternehmen bei der Sicherung ihres Rohstoffbedarfs schlechte Regierungsführung und die Verletzung von Menschenrechten ignoriert.“

* Samuel Nguiffo, Center for Environment and Development Kamerun und Träger des Goldman Environment Award 1999: „Deutschland setzt seine internationale Vorreiterrolle beim Klimaschutz und bei grünen Technologien aufs Spiel, wenn deutsche Unternehmen mit Investitionen im Bergbausektor Waldschutz gefährden.“

25. Oktober 2010

IWF-Reform: Durchbruch oder Reförmchen?

Nein, da mögen sie noch so lobpreisen, das ist kein Durchbruch, schon gar kein historischer, worauf sich die Finanzminister und Notenbankchefs der G20 am Wochenende in Südkorea geeinigt haben. Wohl wollen die Europäer jetzt auf zwei Sitze im Exekutivausschuss verzichten und die Stimmanteile (Quoten) werden um 6% zugunsten der großen Schwellenländer wie China, Brasilien und Indien umgeschichtet. China rückt damit noch vor Deutschland auf den Platz des drittstärksten Mitgliedslandes im IWF vor.

Doch die Veränderung macht fast keinen formellen Unterschied zu den bisherigen Governance-Gepflogenheiten im Fonds, wo Beschlüsse in der Regel per Konsens gefasst werden. Und wenn es einmal Streit gibt, verfügen die USA und auch die Europäer (wenn sie einig handeln) nach wie vor über eine Sperrminorität, da wichtige Entscheidungen 85% der Stimmen verlangen. Hinzu kommt, dass die G20 sich bis 2012 Zeit gegeben haben, um die Details der neuen Entscheidungslage auszuarbeiten. So sagten die Europäer zwar zu, auf zwei Sitze zu verzichten, aber welches Land genau seinen Sitz aufgibt und wie dies geschehen soll, ist nach wie vor offen. In zwei Jahren kann freilich noch viel geschehen.

Die G20-Beschlüsse werden auch nicht die alte Debatte um die Legitimität des Fonds beenden, wie IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn in Südkorea behauptete. Denn die Legitimitätsfrage hängt ja nicht nur an den Entscheidungsstrukturen des Fonds, sondern mindestens ebenso sehr an der inhaltlichen Ausgestaltung seiner Politik, vor allem an der Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz der Bedingungen, die mit seinen Krediten verknüpft sind. In einem neuen Papier (>>> The IMF and Economic Recovery) fördern jetzt Mark Weisbrot und Juan Montecino vom Center for Economic Policy Research (CEPR) in Washington erneut heillose Widersprüche zwischen den Deklamationen des Fonds und seiner praktischen Politik zutage. So konstatiert er in seinem neuen World Economic Outlook klar und deutlich eine Verlangsamung des Aufschwungs, die Zerbrechlichkeit der aktuellen Konjunktur und zahlreiche „Down-side“-Risiken der aktuellen Wirtschaftsentwicklung. Von daher sollte man vom IWF ein klares Plädoyer für die Fortsetzung der Konjunkturstimulierung in schwachen Ökonomien erwarten. Das Gegenteil ist aber der Fall, wie die Autoren zeigen: Zumeist unterstützt der IWF weiterhin eine prozyklische Politik, plädiert für fiskalische „Konsolidierung“ und spricht sich auch gegen eine aktive Rolle der Zentralbanken bei der Finanzierung der Konjunkturpolitik aus.

20. Oktober 2010

G20: Kollision statt Kooperation?

Am kommenden Freitag und Samstag treffen sich die G20-Finanzminister und Zentralbankchefs in Gyeongju/Südkorea, um den Gipfel Mitte November in Seoul vorzubereiten. Auf das Treffen fallen derzeit viele Schatten: der drohende Währungs- und Handelskrieg, der nachlassende Schwung der Bemühungen um eine Reform des internationalen Finanzsystems, der Streit über fortgesetzte Stimuli oder haushaltpolitische Konsolidierung. Zuletzt haben jetzt auch noch der brasilianische Finanzminister Guido Mantega und Brasiliens Zentralbankgouverneur Henrique Meirelles ihre Teilnahme in Gyeongju abgesagt. Mantega hatte vor einigen Wochen als erster offen ausgesprochen, dass wir uns „mitten in einem Währungskrieg“ befinden.

Die beiden Brasilianer dürften nicht viel verpassen, wenn sie am Wochenende fehlen. Denn knapp zwei Wochen nach dem Aufbrechen der Widersprüche auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank (>>> Im Schatten des drohenden Währungskriegs) gibt es fast keine Hoffnung auf Verhandlungsfortschritte bei den Streitthemen „Rebalancing“ der Weltwirtschaft, Reform des IWF oder der Verabschiedung neuer Kapitalstandards für die Banken („Basel III“). Vor allem die Schwellenländer greifen derzeit angesichts fehlender multilateraler Lösungen zu diversen Formen bilateraler Kapitalverkehrskontrollen, um sich gegen die sich aufbauenden neuen Spekulationsblasen und den Aufwärtsdruck auf ihre Währungen zu schützen. Der Dauerstreit zwischen den USA und China um den Wechselkurs Yuan-Dollar scheint ohnehin so festgefahren wie noch nie.

So baut sich zwei Jahre nach der Gründung der G20 auf Gipfelebene eine neue, von Interessengegensätzen und mangelnder Kooperationsbereitschaft gekennzeichnete Konstellation auf. Der neue Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (>>> W&E 10/2010) analysiert diese „Kollision der Ökonomien“ im Vorfeld des G20-Gipfels. Dabei gäbe es auch ohne den drohenden Währungs- und Handelskrieg beileibe genug unerledigte Aufgaben, derer sich die G20 annehmen müssten …

18. Oktober 2010

Die G20 macht Entwicklungspolitik

Die G20 hat kürzlich eine Arbeitsgruppe zur Entwicklungspolitik eingerichtet und wird auf dem November-Gipfel in Seoul eine umfassende Entwicklungsagenda verabschieden. Man mag sich darüber wundern, dass sich die G-20, die doch zur Bewältigung der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise auf der Ebene der Staatschefs eingerichtet wurde, jetzt mit Fragen beschäftigen will, die mit der Krise nicht unmittelbar zu tun haben, schreiben Peter Wolff und Thomas Fues vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Und weiter:

Sollte es sich etwa um eine Ausweichreaktion handeln, weil man in den zwei Jahren seit dem Höhepunkt der Krise das Ziel, das globale Finanzsystem zu reformieren, nicht erreicht hat? Zwar hat die G-20 in den ersten Monaten nach dem Lehman-Kollaps im September 2008 durch koordinierte Politiken eine weltwirtschaftliche Kernschmelze vermieden und so dazu beigetragen, dass wir seit 2010 wieder weltwirtschaftliches Wachstum haben, das vor allem durch die Schwellenländer angetrieben wird. Die Fortschritte bei den selbst gesetzten Aufgaben zur Neugestaltung der Weltwirtschaft sind jedoch nicht berauschend. Die vor einer Woche abgeschlossene Jahrestagung von IWF und Weltbank hat deutlich gemacht, wie gering die Bereitschaft der führenden Wirtschaftsnationen ist, zu einem Ausgleich der weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte beizutragen und wie stark sich die jeweiligen Wirtschaftspolitiken wieder an kurzsichtigen nationalen Interessen orientieren...


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8. Oktober 2010

Regulierungslücken allenthalben

Während die Jahrestagung von IWF und Weltbank in Washington mit einer neuen Runde der Rhetorik über Währungs- und Handelskriege begonnen hat (s. Video), werden auch jene Stimmen nicht weniger, die vor einer nachlassenden internationalen Kooperationsbereitschaft und vor der Illusion warnen, mit den bisherigen Schritten zur Regulierung des Finanzsektors sei eine Wiederholung der Finanzkrise ausgeschlossen. Die Dood-Frank-Gesetze in den USA, die neuen europaweiten Aufsichtsbehörden und die Basel-III-Übereinkunft seien doch alles nur „Maßnahmen des kleinsten gemeinsamen Nenners“, meinte der Finanzmagnat George Soros in einem Interview.

Mit einer deutlichen Kritik an der Unzulänglichkeit von Basel III wartete in Washington der Vorsitzende der chinesischen Kommission zur Bankenregulierung, Liu Mingkang, auf. Vor allem mangelt es Liu zufolge an wirklich grenzüberschreitenden Anstrengungen. Offen sei bislang beispielsweise, wie im Falle des Scheiterns von grenzüberschreitend tätigen Finanzinstituten mit systemischer Bedeutung gehandelt werden solle. Die jetzigen Regelungen enthielten inhärente Anreize für die nationalen Behörden, die eigenen Banken gegenüber ausländischen zu bevorzugen. Eine Harmonisierung der nationalen Regulierungsansätze untereinander sei wahrscheinlich eine „mission impossible“. Liu forderte deshalb ein internationales Abkommen, in dem Regeln für den Informationsaustausch, die Gleichbehandlung von in- und ausländischen Finanzunternehmen und den Einlagenschutz festgelegt werden.

Eine umfassendere Kritik an den Begrenzungen von Basel III lieferte pünktlich zum Auftakt der Jahrestagung die UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (UN-DESA) in ihrem jüngsten Monatsbriefing:

„Trotz ihrer Signifikanz schließen die Maßnahmen keinerlei Schutz gegen andere Bedrohungen der der internationalen Finanzstabilität ein, da sie keine Regulierungen vorsehen, um exzessivem Risikoverhalten im System der „Schattenbanken“ (Investment-Banken, Hedge-Fonds usw.) entgegenzutreten, noch beinhalten sie Vorkehrungen, um die Risiken zu mindern, die von systemisch wichtigen Finanzinstitutionen (‚too big to fail‘) ausgehen.“

7. Oktober 2010

Im Schatten des drohenden Währungskriegs

Der weltwirtschaftliche Aufschwung bleibt hochgradig zerbrechlich und in seinem regionalen Verlauf extrem ungleich. Und: Die Achillesferse der Erholung ist die nach wie vor nicht behobene Instabilität des Finanzsektors mit unbereinigten Bilanzen, fehlenden Regulierungen und der Drohung neuer Schuldenkrisen. So etwa lauten die Botschaften des neuen World Economic Outlooks und des Global Financial Stability Reports, die der Internationale Währungsfonds wie in den letzten Jahren am Vorabend der IWF/Weltbank-Jahrestagung veröffentlicht hat. Angeführt wird die weltwirtschaftliche Erholung von den Schwellenländern in Asien, während die Länder der Eurozone (mit der Ausnahme Deutschlands) das Schlusslicht bilden (s. im Einzelnen die Tabelle; bitte anklicken, um zu vergrößern).


Zugleich moniert der Fonds, dass die Länder zu wenig tun, um die globalen Ungleichgewichte zu korrigieren, so dass Staaten mit hohen Defiziten, allen voran den USA, solche mit gewaltigen Überschüssen, wie China, Deutschland und Japan, gegenüber stehen. In dieser Frage ist der IWF (wie auch die Europäer) in letzter Zeit immer deutlicher auf die Linie der offenen Kritik an der chinesischen Währungspolitik übergegangen und verlangt eine deutliche Aufwertung des chinesischen Yuan gegenüber dem Dollar. Die Chinesen freilich blockieren mit ihrer Intervention in die Währungsmärkte nur einen Aufwertungstrend, gegen den sich auch andere Schwellenländer, von Südkorea über Brasilien bis Thailand heftig zur Wehr setzen (>>> Zeit für koordinierte Kapitalverkehrskontrollen), weil er ihre Exporte beeinträchtigt. Ob es klug ist, so gegen China zu Felde zu ziehen und sich die in den USA verbreitete Sichtweise zu eigen zu machen, an den eigenen wirtschaftlichen Übeln seien primär die anderen Schuld, steht allerdings auf einen anderen Blatt.

Jedenfalls scheinen die neuen Währungsturbulenzen zu dem überragenden Thema der Jahrestagung der Bretton-Woods-Zwillinge an diesem Wochenende (und auch des G20-Gipfels in Seoul im nächsten Monat) zu werden. Inzwischen warnt auch der IWF vor einem neuen Währungskrieg. Doch während die Erkenntnis um sich greift, dass es ein ernsthaftes Risiko eines „Wettlaufs zum Abgrund“ gibt, der vor allem den Welthandel – bislang der Hauptfaktor der globalen Erholung – treffen würde, gibt es im Mainstream kaum ernsthafte Vorstellungen darüber, was dagegen zu tun sei. Der IWF, der die Währungspolitik ja in seinem Namen führt, ist tatsächlich äußerst begrenzt in seinen diesbezüglichen Möglichkeiten. Ein vor der Krise ausgerufenes multilaterales Surveillance-System, um die Ungleichgewichte zurückzuführen („rebalancing“), ist kaum über das Deklarationsstadium hinauszukommen.

Zwar rief in dieser Woche auch das internationale Bankeninstitut IIF zu einer neuen globalen Währungsübereinkunft auf. Fakt ist aber, dass es in Abwesenheit eines internationalen und kooperativen Wechselkursmechanismus‘ gar keine Alternative zum unilateralen Agieren der einzelnen Länder gibt. In dieser Rechnung ist auch ein neuer Handelskrieg eingeschlossen, wie er durch ein neues Gesetz des US-Repräsentantenhauses (gegen die chinesische „Währungsmanipulation“) jetzt vorbereitet wurde. Auch wenn dies noch keine ausgemachte Sache ist – „wir sollten uns auf harte Zeiten vorbereiten“, schreibt der Chef des Genfer South Centres, Martin Khor (>>> USA-China: Am Rande eines Handelskriegs?).



30. September 2010

IWF-Reform: Jetzt sind die Europäer gefordert

Die Jahrestagung von IWF und Weltbank (8./9.10.) steht vor der Tür, und wie immer ist dies die Zeit, in der die Diskussion um die Reform der Bretton-Woods-Zwillinge stärker wird. Im Mittelpunkt des Interesses steht diesmal vor allem die künftige Besetzung des IWF-Vorstands („Board“). Schon am 1. November läuft die aktuelle Amtszeit der derzeit 24 Mitglieder aus. Und wenn es bis dahin nicht gelingt, eine neue Führung nach neuen Modalitäten, die vor allem das neue Gewicht der Schwellenländer in der Weltwirtschaft berücksichtigen, ins Amt zu bringen, wird dies den Legitimationsverlust des Fonds weiter beschleunigen.

Neben der Umschichtung von 5% der Stimmrechte von den Industrie- auf die Schwellen- und Entwicklungsländer geht es vor allem um die künftige Wahl des Vorstands, in dem die Europäer bislang acht, zuweilen sogar neun Sitze inne haben. Einige dieser Sitze sind permanent (so die der USA, Japans, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands); andere rotieren. Aufgrund des Übergewichts der Europäer kommt es zu so kuriosen Verhältnissen, dass beispielsweise ein Land wie die Türkei vom belgischen Exekutivdirektor mit vertreten wird. Eine bessere Vertretung der Schwellenländer im Board ist praktisch nur möglich, wenn die Europäer auf Sitze verzichten.

In einem Offenen Brief an die IWF-Gouverneure haben 13 unabhängige Experten aus Think Tanks und Kampaigner jetzt gefordert, das System der permanenten Sitze sollte zugunsten von Wahlen ganz aufgegeben werden, und die Europäer sollten vor allem an asiatische Länder Sitze abgeben. Auch die bisherige Supermehrheit von 85% bei wichtigen Entscheidungen sollte reduziert werden. In der Konsequenz verlören dann die USA mit ihrem 17%igen Stimmanteil ihre Vetomacht. Es ist aber erstens fraglich, ob die Europäer dies locken kann und zweitens, ob die USA zu einem solchen Schritt überhaupt bereit wären. Die Europäer hätten wahrscheinlich auch bei einem reduzierten Superquorum noch eine Vetomacht, allerdings nur wenn sie sich dazu durchringen könnten, im IWF endlich mal mit einer gemeinsamen Stimme zu agieren. Dass sie dazu bislang nicht in der Lage sind, ist ihr größtes Problem, größer noch als der Druck, gegenüber den Newcomern Fairness walten zu lassen.

27. September 2010

Gipfelnachlese: Was macht man mit einer Tüte heißer Luft?

Viel mehr als ein feuchter Händedruck ist der Gipfel in New York über die Umsetzung der Millenniumentwicklungsziele nicht gewesen – wenngleich ein recht teurer, da aus vielen Ländern gleich mehrere Regierungsmitglieder unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen angereist waren, schreibt Markus Loewe vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Und das verabschiedete Abschlussdokument ist nicht viel mehr als eine Tüte heißer Luft, enthält es doch nichts als unverbindliche Versprechungen, eine oberflächliche Bilanz und eine lange und dadurch beinahe schon beliebige Liste mit Vorschlägen, wie die Millenniumsziele bis 2015 noch erreicht werden können. Und weiter:

Ein Gipfel, der nichts Neues brachte
Besonders bedauerlich ist, dass es den Vereinten Nationen (VN) nicht gelungen ist, den Millenniumszielen, die bislang noch relativ unverbindlich formuliert waren, messbare Vorgaben für 2015 zuzuordnen. So hätte man zum Beispiel Ziel 1b („produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit“) zumindest durch den Anteil der Erwerbstätigen, die bis 2015 Zugang zu sozialen Sicherungssystemen haben sollen, konkretisieren können.

Zugegebenermaßen sollte das dürftige Ergebnis nicht zu sehr überraschen: bereits die Vorlage für das Abschlussdokument von VN-Generalsekretät Ban Ki-moon war farblos, unambitioniert und unsystematisch. In nichts erinnert sie an die kraftvollen Worte und Inhalte, die die Millenniumserklärung prägen, die vor zehn Jahren unter Bans Vorgänger, dem Ghanaer Kofi Annan, von den VN beschlossen wurde. Die einzige konkrete Forderung, die Ban Ki-moons Vorlage noch enthielt – derzufolge die reichen Länder 0,7 % ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe hätten ausgeben sollen – wurde im Verhandlungsprozess vor dem Gipfel von den Geberländern (darunter Deutschland) auch noch kassiert...

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23. September 2010

Der MDG-Gipfel: Recycling von Texten und Dollars

Das also hat er gebracht, der MDG-Gipfel zehn Jahre nach Verkündung der Ziele in New York: eine einmütig beschlossene Abschlussresolution, über die monatelang gefeilscht worden war, eine neue Finanzierungsinitiative zur Verbesserung der Gesundheit von Müttern und Kindern und einen Reigen warmer Worte mit einem Neuigkeitswert von Null bis Garnichts.

Das Outcome-Dokument besteht in der Tat zu über 90% aus Formulierungen, die bereits auf früheren UN-Treffen schon einmal beschlossen worden waren und die jetzt nur noch einmal bekräftigt wurden. Mit der Lupe waren in dieser Woche wohlmeinende Beobachter aus der NGO-Szene unterwegs, um wenigstens ein bisschen Neues und Positives darin zu entdecken. Sie wurden fündig: erstmals ist im MDG-Kontext von einem allgemeinen Recht auf Zugang zu sozialer Grundsicherung die Rede. Doch als überwältigender Eindruck bleibt: Trotz anderer Verlautbarungen enthält die Abschlussresolution weder ein konkretes Aktionsprogramm noch neue konkrete Zusagen der Geberländer. Beides hätte es aber gebraucht, wenn der Gipfel seinem Anspruch, der Umsetzung der MDGs einen Push zu geben, hätte gerecht werden wollen.

Die auf Drängen von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zustande gekommene Multistakeholder-Initiative zur Kinder- und Müttersterblichkeit – in der Tat ein besonders trübes Kapitel der MDG-Politik wird dieses Manko (wohlwollend betrachtet) höchstens teilweise wettmachen können. Auch hier glaubt niemand so recht daran, dass es sich bei den 40 Mrd. US-Dollar, die in den nächsten Jahren zusammenkommen sollen, wirklich um „fresh money“ handelt und nicht um recycelte, umetikettierte Beträge handelt. Hinzu kommt: Die 40 Mrd. machen gerade einmal ein Drittel der 169 Mrd. Dollar aus, die nach UN-Schätzungen in diesem Bereich nötig wären.

Was von der Rhetorik der Staats- und Regierungschefs bleiben, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt schwer sagen. Obama nutzte die Gelegenheit im Wesentlichen, um eine gewisse Neukonzipierung der US-Entwicklungspolitik vorzustellen. Merkel muss man zu Gute halten, dass ihre „Wirksamkeitsorientierung“ einem neuen entwicklungspolitischen Zeitgeist entspricht (der aber auch nur alte Weisheiten recycelt). Am meisten hören dürften wir in den restlichen Monaten dieses Jahres und im nächsten Jahr von Sarkozys Plädoyer für eine Finanztransaktionssteuer. Will er sich nicht vollends unglaubwürdig machen, wird er in der Tat seine G20- und G8-Präsidentschaft dazu nutzen müssen, Ergebnisse zu liefern. In diesem Sinne wünsche auch ich mir einmal „Ergebnisorientierung“, ergebnisorientierte G-Politik nämlich.

22. September 2010

Lesetipps

> Jeffrey Sachs: China has left the west on the sidelines in Africa

> Große Worte - leere Hände. Bundeskanzlerin enttäuscht in New York (VENRO)

> David Sogge: MDGs for the Rich?

Finanzierung der MDGs: Innovative Optionen

(New York) Am Rande des MDG-Gipfels wurden nochmals die verschiedenen Optionen zur Finanzierung der MDGs jenseits der traditionellen Entwicklungshilfe vorgestellt. Hochrangige Vertreter der sog. Leading Group, darunter die jordanische Königin Rania Al Abdullah und der französische Außenminister Kouschner, verwiesen auf die möglichen Mechanismen, etwa eine internationale Entwicklungsabgabe auf Währungstransaktionen, eine internationale Solidaritätssteuer oder die umfassende Finanztransaktionssteuer (FTT).

Es gibt inzwischen konkrete Beispiele, wie über innovative Finanzierungsmechanismen Gesundheitsinitiativen in Entwicklungsländern gefördert werden. Dazu gehört die Flugticket-Angabe, die UNITAID in die Lage versetzte, seit 2007 1,5 Mrd. US-Dollar für Medikamente aufzubringen (>>> Flugticket-Abgabe: Dreister Ideenklau).

Auf einem Panel wurde der Bericht eines Expertenausschusses der Leading Group vorgestellt: Globalizing Solidarity: The Case for Financial Levies. Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass eine globale Finanztransaktionssteuer der geeignetste Mechanismus zur Finanzierung globaler öffentlicher Güter wäre. Das Panel wies auch auf neue Sektoren hin, in denen innovativ aufgebrachte Finanzmitteln dringend notwendig wären, etwa im Bildungssektor. Und die Leading Group bekommt immer noch neue Mitglieder. Wie Kouchner ankündigte, werden sich demnächst die Bill und Melinda Gates-Stiftung und die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) anschließen. Ob der Zulauf allerdings ausreicht, um den MDG-Gipfel insgesamt zu einer klaren Aussagen zur FTT zu bringen, wie es NGOs und Gewerkschaften fordern, steht auf einem anderen Blatt.

21. September 2010

Merkels Ergebnisorientierung

(New York) Die Franzosen, die Japaner und die derzeitige belgische EU-Präsidentschaft warben am zweiten Tag dieses Gipfels noch einmal intensiv für innovative Finanzierungsmechanismen und insbesondere die Finanztransaktionssteuer. Die Deutschen warben für eine erneute Mitgliedschaft Berlins im UN-Sicherheitsrat – und für mehr „Ergebnisorientierung“ und „Eigenverantwortung“ in der Entwicklungspolitik. Letzteres stand im Zentrum der Rede, mit der sich die Kanzlerin kurz vor ihrem Heimflug in der UN-Vollversammlung präsentierte.

Dass sich „Eigenverantwortung“ in Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe stets auf die Verantwortung der Empfängerländer bezieht, sich selbst aus dem Schlamassel von Unterentwicklung, Hunger und Armut herauszuhelfen, haben wir inzwischen verstanden. Dass die Armen nunmehr auch dafür verantwortlich sind, dass die großzügig gewährte Entwicklungshilfe handfeste und in der (westlichen) Öffentlichkeit vorzeigbare Ergebnisse bringt, das ist neu. Waren denn die Geber in über 50 Jahren so hilflos, dass sie nicht sicherstellen, dass ihre Hilfe für bestimmte Dinge und Projekte verwendet wird? Schrieben sie nicht bislang schon die Verwendung von Finanzmitteln bis ins Detail vor? Abgesehen einmal davon, dass rund die Hälfte der EZ-Mittel ohnehin für die sog. Technische Zusammenarbeit, also für die mehr oder weniger hohe Bezahlung der sog. ExpertInnen aus den (nördlichen) Geberländern, verwendet wurde und wird.

Sicher gab und gibt es so etwas wie Zweckentfremdung von EZ-Mitteln. Sicher gibt es (oft genug importierte) Korruption. Aber waren denn die Heerscharen von besser oder schlechter bezahlten „Entwicklungshelfern“ und „Experten“ so einfältig, naiv, schlecht vorbereitet oder sonst was, dass ihnen das Heft fast immer aus der Hand glitt? Sicherlich nicht. Die Rationalität des neuesten entwicklungspolitischen Catch Words „Ergebnisorientierung“ liegt woanders. Geradezu krampfhaft sucht die Schar der ideologischen Klopffechter nach neuen Legitimationssträngen, um begründen zu können, dass in den Zeiten der Krise und der fiskalischen Konsolidierung die Versprechen neuer und zusätzlicher Finanzmittel nicht aufrecht erhalten und eingehalten werden können bzw. sollen. Die neuen Worthülsen sind immerhin so praktisch, dass die Kanzlerin die vermeintlich harten ökonomischen Zwänge auf einem MDG-Gipfel gar nicht mehr erwähnen muss und weiterhin so tun kann, als stünde Deutschland zu seinen internationalen Verpflichtungen.