29. Januar 2009

Almosen für die Weltbank oder Investitionsprogramm für die Armen?

Die deutsche Entwicklungsministerin, Heidemarie Wieczoreck-Zeul ist eine diskursgewandte Frau. In dem Globalen Pakt für das 21. Jahrhundert, den sie heute in ihrer Regierungserklärung zur Entwicklungspolitik forderte, fehlte kaum ein Element, das derzeit die Krisendebatte bestimmt. Von einem globalen Investitionsprogramm für die Ärmsten der Welt, über einen Grünen New Deal, „globale Regeln, die dem ungezügelten Kapitalismus ein Ende setzen“, bis hin zu einem UN-Sicherheitsrat für wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung reicht das 8-Punkte-Programm, das die Ministerin aufgelistet hat. Dazu gehören auch die „Musts“ der HWZ: die Frauenförderung, die Erfüllung der Entwicklungshilfe-Verpflichtungen, der Abschluss der Doha-Runde im Rahmen der WTO und die Einbeziehung der Zivilgesellschaft.

Die deutschen NGOs, so ihr Dachverband VENRO, haben dennoch von Almosen gesprochen, mit denen die Entwicklungsländer abgespeist werden, obwohl sie von der Finanzkrise und ihren Konsequenzen am meisten betroffen sind. Dies deshalb, weil die Summe, die im Rahmen des gerade verabschiedeten zweiten Konjunkturpakets über die Weltbank in Infrastrukturmaßnahmen fließt, gerade mal 100 Mio. von 50 Mrd. € ausmacht. Dieser Einwand berührt aber nur einen Teil des Problems: So richtig es ist, Investitions- und Konjunkturprogramme auch global zu denken und dafür zu sorgen, dass die Tendenz zur Erhöhung der Entwicklungshilfe weitergeht und nicht umgekehrt wird – so verhängnisvoll wäre es, wenn dies lediglich dazu führte, neues Geld in die Kassen der Weltbank zu spülen.

Gerade hier ist die Ministerin immer noch auf einem Auge blind: Als Forum für das Globale Investitionsprogramm betrachtet sie im Wesentlichen die Frühjahrstagung von IWF und Weltbank im nächsten April. Sie preist die Anstrengungen der IBRD, der IDA und der IFC, mehr Geld zu mobilisieren. Doch was hat die Bundesregierung eigentlich im Gepäck für den G20-Gipfel Anfang April und den UN-Weltfinanzgipfel, der wahrscheinlich im Juni in New York stattfindet. Immerhin will Wieczoreck-Zeul auch letzterem zum Erfolg verhelfen. Doch bei allen Bemühungen um eine Neue Internationale Finanzarchitektur wird es von entscheidender Bedeutung sein sicherzustellen, dass diese nicht neue Benachteiligungen für die Entwicklungswelt mit sich bringen. So gesehen wird auch auf dem UN-Gipfel Geld erneut eine zentrale Rolle spielen. Die Ministerin sollte das bedenken und ihr Pulver nicht vorzeitig schon bei der Weltbank verschießen.

26. Januar 2009

Putzmuntere Rating-Agenturen

Man reibt sich verwundert die Augen: In der letzten Woche hat die Rating-Agentur Standard & Poor’s die Bonitätsgrade von Griechenland, Spanien und Portugal heruntergesetzt und Irland damit gedroht, mit dem Land dasselbe zu tun. Wie bitte? S&P und andere Rating-Agenturen sind offensichtlich wie eh und je dabei, ihre Risikoanalysen zu produzieren und zu verbreiten. Dieselben Agenturen, die uns jahrelang erzählt haben, wir müssten uns wegen der explodierenden Verschuldung von Banken und Konzernen keine Sorgen machen, und dieselben Agenturen, die noch die verrücktesten Finanzinnovationen mit dem Bonitätsstempel versehen haben.

Aufgrund der positiven Bewertung durch die Rating-Agenturen verbilligten sich die Kredite, mit der die Finanzindustrie bis zur jüngsten Krise das Kasino am Laufen hielt. Die Entwicklung endete bekanntlich in einem Fiasko. Heute führt die Herabstufung der Bonitätsgrade für die erwähnten europäischen Länder dazu, dass sich deren Kreditkosten verteuern. Ihre Verschuldung sei zu schnell gestiegen, heißt es. Doch die Verschuldung der USA und Großbritanniens im Zuge der jüngsten Finanzkrise stieg nicht minder schnell. Hier aber hören wir keine Warnungen der Agenturen.

Das Beispiel zeigt: Die Rating-Agenturen liegen nicht nur systematisch falsch mit ihren sog. Expertisen, sie messen – wie übrigens auch der Internationale Währungsfonds (IWF) – mit zweierlei Maß; die Schwergewichte unter den Finanzmächten bleiben ungeschoren, die Schwächeren werden gescholten – mit dem Ergebnis, dass die Steuerzahler der betreffenden Länder mehr Zinsleistungen an die Märkte erbringen müssen. Schädlich für die Allgemeinheit ist im Endeffekt beides. Fragt sich, ob der Schaden durch mehr Kontrolle der Agenturen wesentlich zurückgedrängt oder ganz vermieden werden kann. Oder ob es besser wäre, sie gleich ganz zu verbieten. Letzteres ist wahrscheinlich unrealistisch. Das zeigt sich schon daran, wie gering der öffentliche Widerspruch gegen die erwähnten Verdikte gegen die südlichen Mitgliedsländer der EU ausgefallen ist.

15. Januar 2009

Pariser Erklärung: Von unten gegen die Krise

Mehr als 150 Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften, Kleinbauern-, globalisierungskritischen und Umweltbewegungen, Nord-Süd-Gruppen, Migrantenorganisationen, religiösen, Frauen-, Studenten-, Schüler- und Jugendgruppen und Organisationen, die sich für die Ärmsten und Mittellosen einsetzen, kamen am 10./11. Januar 2009 aus ganz Europa in Paris zusammen, um die gegenwärtigen Krisen zu analysieren, gemeinsame Strategien zu entwickeln und Forderungen und Alternativen zu diskutieren. Vertreten waren u.a. Attac, Friends of the Earth Europe, Oxfam, Verdi und die italienische Gewerkschaft CGIL. Sie verabschiedeten eine „Pariser Erklärung“, in der es u.a. heißt:

„Während die Finanz- und Wirtschaftskrise sich verschärft, verlieren Millionen Frauen und Männer ihre Arbeit, ihre Häuser und ihre Lebensgrundlagen. Weitere zig Millionen Menschen werden sich bald jenen 1,4 Milliarden anschließen müssen, die schon jetzt in extremer Armut leben. Durch die Krisen verschlechtert sich die soziale, ökologische, kulturelle und politische Situation der Mehrzahl der Menschen auf diesem Planeten.
Trotz des offensichtlichen und vorhersehbaren Scheiterns des gegenwärtigen Wirtschaftsmodells, versuchen die Regierungschefs das System, das uns in die Krise geführt hat, zu reparieren und aufrecht zu erhalten. Die Regierungen haben kaum gezögert, als es darum ging, Bankern, Groß-Aktionären und Managern mit hunderten von Milliarden aus den Staatskassen auszuhelfen. Topbanker und Firmenchefs - dieselben Akteure, die für die Krise verantwortlich sind, werden nun mit ihrer Lösung betraut. Die Betroffenen – Arbeiter, Arbeitslose, Arme – erhalten indes keinerlei Unterstützung in ihrem täglichen Kampf um ihr Auskommen und sollen nun auch noch zusätzlich zur
Finanzierung der Rettungspakete zur Kasse gebeten werden.
Die Vorhaben der Regierungen zur Bewältigung der heraufziehenden Wirtschaftskrise ignorieren ihre anderen Dimensionen – die sich verschärfende globale Ungerechtigkeit, die Nahrungs-, Klima- und Energiekrise – und so die
Notwendigkeit, unser Wirtschaftssystem grundlegend so zu transformieren, dass es uns erlaubt, die Grundbedürfnisse aller Menschen zu befriedigen, die Menschenrechte uneingeschränkt durchzusetzen und die ökologischen Grundlagen des Lebens auf diesem Planeten wiederherzustellen und zu erhalten.

Zeit für die Wende!
Wir können ein System schaffen, das funktioniert, das Mensch und Natur dient; ein System, das den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird und das auf den Prinzipien der Gemeinwohlorientierung, globaler Fairness und Gerechtigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit und demokratischer Kontrolle aufbaut.
Als ein erster Schritt müssen Sofortmaßnahmen eingeleitet werden, die den unmittelbar Betroffenen der Krise helfen und zugleich den ökologischen Umbau der Wirtschaft vorantreiben.“

Die TeilnehmerInnen riefen dazu auf, an der für den 28. März in London geplanten Großdemonstration im Vorfeld des G20-Gipfels teilzunehmen: „20 Regierungen dürfen nicht allein über die Zukunft des globalen Finanzsystems und der Weltwirtschaft entscheiden.“ Darüber hinaus soll ein weltweiter Aktionstag unmittelbar vor dem G20-Treffen stattfinden, an dem „unverantwortliche Praktiken der Finanzwirtschaft“ angeprangert werden. Das Pariser Treffen verstand sich als ersten Schritt im Rahmen einer langfristigen Vernetzung europäischer sozialer Bewegungen und Organisationen. Ein Folgetreffen ist für den 18./19. April in Frankfurt/Main geplant.

14. Januar 2009

2009: Window of Opportunity

Von Barbara Unmüßig und Rainer Falk

Willkommen im Jahr 2009! Während die globale Finanzkrise überall die Realwirtschaft erfasst hat und allenthalben Konjunkturpakete aufgelegt werden, wächst der Veränderungsdruck auf den „Baustellen der Globalisierung“. 2009 ist damit nicht nur ein tristes Rezessionsjahr, sondern repräsentiert auch ein „Window of opportunity“. Vieles ist oder könnte in Bewegung geraten. Doch besonders bemerkenswerte Veränderungen zeigen sich auf zwei Ebenen:

Auf der institutionellen Ebene ist die G20 quasi über Nacht zur zentralen Plattform des internationalen Krisenmanagements und für die Bemühungen um ein „neues Bretton Woods“ avanciert. Am 2. April in London wird sie bereits zum zweiten Mal zu einem Finanzgipfel zusammenkommen. Aber die große Mehrheit der Entwicklungsländer fühlt sich durch dieses Gremium nicht vertreten und will die UNO als Plattform stärken. Die UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung in Doha beschloss deshalb Ende letzten Jahres einen UN-Gipfel zur Weltfinanzkrise, dessen Modalitäten noch vor April von der Vollversammlung geklärt werden sollen. Das könnte langfristig auch den Stellenwert anderer Treffen relativieren, die in diesem Jahr stattfinden – sei es das ohnehin anachronistische G8-Treffen in La Maddalena/Italien im Juli oder die halbjährlichen Zusammenkünfte von IWF und Weltbank im Frühjahr und Herbst.

Das große Thema in der Debatte um Global Governance bleibt: Wie können Repräsentativität und demokratische Teilhabe aller mit Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit Hand in Hand gehen? Die Frage ist weitgehend ungelöst, wie sich gerade auch in der Welthandelsorganisation (WTO) zeigt. Deren Gremien befassen sich damit seit langem, ohne eine befriedigende Antwort gefunden zu haben. Die Entscheidungsebenen wechseln hin und her – mal ist es der (um Berichtspflichten gegenüber den diversen Ländergruppen reformierte) Green Room, mal sind es „Mini-Ministerials“, mal das Ministertreffen aller Mitgliedsländer. Letzteres ist das höchste Entscheidungsgremium und soll satzungsmäßig alle zwei Jahre stattfinden, hat aber seit Hongkong Ende 2005 nicht mehr getagt. Es wäre also mehr als überfällig im Jahr 2009, ungeachtet wie die Verhandlungen in der Doha-Runde weitergehen.

Auf der Ebene der politisch-ökonomischen Diskurse sind die vielleicht deutlichsten Veränderungen zu verzeichnen. Das zeigte sich Anfang dieses Jahres sogleich wieder auf einem Kolloquium, zu dem der französische Staatspräsident Sarkozy unter dem Motto „Neue Welt – neuer Kapitalismus“ nach Paris geladen hatte. Für einen wortgewaltigen Globalisierungskritiker wie Walden Bello wäre es das gefundene Fressen gewesen, um seine These von einer „Neuen Globalen Sozialdemokratie“ zu untermauern, wobei dieses neue „Projekt“ sein Personal eigenartigerweise gar nicht mehr ausschließlich, ja nicht einmal hauptsächlich aus der eigentlichen Sozialdemokratie rekrutiert, sondern eher quer zu den traditionellen Parteien (was natürlich auch die Verteilung derartiger Etiketten fragwürdig macht). Bemerkenswert ist, dass zwei konservative Regierungschefs – die deutsche Kanzlerin Merkel und der französische Präsident Sarkozy – unisono die Einrichtung eines Weltwirtschaftlichen Sicherheitsrates fordern. Es sind ohnehin die Europäer, die derzeit massiv versuchen, die Agenda einer Neuen Internationalen Finanzarchitektur zu prägen, wobei die Impulse dazu abwechselnd aus Paris, Berlin und London kommen.

Dass sich in den neuen Diskursen oft eine tiefe Kluft zwischen der Radikalität der Forderungen und dem, was real auf den Weg gebracht wird, offenbart, ist nicht verwunderlich. Es sollte Anlass sein, genauer hinzuschauen – eine Aufgabe, der wir gerade auch mit diesem Blog im neuen Jahr wieder gerecht werden wollen.

Anmerkung: Dieser Beitrag greift auf unseren gemeinsamen Artikel im W&E-Hintergrund Januar 2009 (s. Abb.) zurück. Siehe auch >>> Globale Ausblicke 2009: Finanzkrise und Klimakrise