30. November 2016

Deutscher G20-Vorsitz: Blasse Agenda

Zwei Tage vor dem Beginn der deutschen G20-Präsidentschaft ist die offizielle Agenda der Bundesregierung geleakt worden. Doch während einem Leak normalerweise etwas Sensationelles anhaftet, ist das jetzt durchgesickerte Dokument vor allem eines: blass. Zwar übernimmt die Bundesregierung von der chinesischen G20-Präsidentschaft die Formel vom „starken, nachhaltigen, ausgewogenen und inklusiven Wachstum“. Doch eine Konkretisierung findet nicht statt.


Vermerkt wird immerhin „eine zunehmende Skepsis gegenüber grenzüberschreitendem Handel und offenen Märkten“. Wer jedoch die wachsenden Ängste gegenüber der Globalisierung angehen will, muss sich um die Lösung von Problemen kümmern: die außer Kontrolle geratenen Finanzmärkt, die Massenarbeitslosigkeit und die zunehmende Einkommens- und Vermögensungleichheit etwa. Doch dazu findet sich in dem deutschen Programmdokument nichts bzw. so gut wie nichts: die Finanzmärkte sollen „weiterentwickelt“ werden. Arbeitslosigkeit soll vor allem mit „Strukturreformen“ bekämpft werden. Zur gesellschaftlichen und ökonomischen Ungleichheit kein Wort. Stattdessen heißt es naiv und lapidar: „Globales Handeln und zunehmende Integration von Volkswirtschaften und Gesellschaften sind vorteilhaft für die Menschen – diese Botschaft muss besser unterlegt und kommuniziert werden.“ Als ob der wachsende Backlash gegen die Globalisierung vor allem ein Kommunikationsproblem und Missverständnis wäre!

Fast genau so blass wie die offizielle Agenda sind übrigens die Forderungen, mit denen die deutsche NGO-Szene die G20-Präsidentschaft bislang begleitet: Die Bundesregierung müsse eine „gerechte Gestaltung der Globalisierung in den Fokus rücken“. Und: Die Bundesregierung müsse sich an der 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung messen lassen, heißt es bei den Dachverbänden Venro und Forum für Umwelt und Entwicklung. Die Bundesregierung könnte da – nicht ganz zu Unrecht – einwenden: Das alles steht ja auch in unserer Agenda für den G20-Gipfel im nächsten Jahr. Es bleibt aber eben folgenlos.

Wie gut, dass es bereits die ersten kritischen Stimmen zur offiziellen G20-Agenda gibt. Eine kommt von Sven Giegold, Mitglied im Europaparlament und Mitherausgeber von W&E:


"Deutschland übernimmt die G20-Präsidentschaft in Zeiten großer Herausforderungen für die internationale Zusammenarbeit. Angesichts von Trumps Ankündigungen drohen verstärkte Abschottung, Protektionismus und politische Renationalisierung. Die deutsche Präsidentschaft muss daher eine aktive Verteidigung multilateraler Zusammenarbeit werden. Das kann jedoch nur gelingen, wenn die Früchte einer offenen Wirtschaft und Gesellschaft fair und breit verteilt werden. Dazu bleibt das Programm der G20 Antworten schuldig.

Das deutsche Programm verknüpft im Sinne unseres Green New Deals die wirtschaftlichen Chancen höherer Investitionen in die soziale und ökologische Modernisierung. Auch die geplanten Initiativen für "Green Finance" sind erfreulich. Jedoch verweigert sich die Bundesregierung weiterhin, international koordiniert gegen makroökonomische Ungleichgewichte vorzugehen. Damit gefährdet der deutsche Vorsitz seine eigene Legitimität, denn offensichtlich will Deutschland seine eigenen Exportüberschüsse vor Kritik bewahren. Ein Vorsitz, der kurzfristige Eigeninteressen verfolgt, riskiert seine Glaubwürdigkeit. Doch die Exportüberschüsse Deutschlands bedeuten neue Verschuldung von Partnerländern. Es offenbart ein gestörtes Verhältnis zu den Grundrechenarten, dass die Bundesregierung hohe Schulden kritisiert, aber gleichzeitig zu den hohen Exportüberschüssen schweigt. Ebenso fehlt jedes Bekenntnis zu Menschenrechten, fairem Handel und sozialen Mindeststandards in der Globalisierung.

Ein Offenbarungseid für Finanzminister Schäuble ist, dass die Finanztransaktionssteuer trotz anderer Ankündigungen mit keinem Wort erwähnt wird. Die Steuer muss jetzt in Europa kommen, oder sie wird scheitern. Das wäre Wasser auf die Mühlen all derjenigen, die meinen, die Politik habe sich der Finanzbranche unterworfen. Erfreulich ist dagegen die Ankündigung, die Arbeit gegen Steuerdumping fortzusetzen und gegen Geldwäsche zu verschärfen."

23. November 2016

G20: Herausforderung Handel

Seit ihrer Gründung auf Gipfelebene im Jahre 2008 ruft die G20 in ihren Kommuniqués regelmäßig dazu auf, keine neuen Handels- und Investitionsschranken zu errichten. Ebenso regelmäßig erfolgt das Gelöbnis, die Doha-Entwicklungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) nunmehr bald zum Abschluss zu bringen. Dennoch bleibt die Anzahl der handelsbeschränkenden Maßnahmen „beängstigend hoch angesichts der anhaltenden globalen wirtschaftlichen Unsicherheit und der Korrektur der WTO-Handelsprognose nach unten, beim Güterhandel in 2016 von 2,8% auf nunmehr 1,7%“, so der neueste Bericht von WTO, OECD und UNCTAD über Handels- und Investitionsmaßnahmen der G20. Und in der Doha-Runde blockieren die wichtigsten Industrieländer unter Führung der USA nicht nur jeden Fortschritt, sondern würden die Runde am liebsten ganz einstellen.


Dies liest sich so, als sei der um sich greifende Protektionismus die Hauptursache für den rückläufigen Welthandel. Sollte der designierte US-Präsident Trump seine Wahlkampfankündigungen wahr machen, so geht die Erzählung aktuell weiter, könnte dies nicht nur zu einer Verschärfung des Protektionismus-Problems innerhalb der G20 führen, sondern auch der Doha-Runde endgültig den Garaus machen, von der Beerdigung des Transpazifischen Partnerschaftsabkommens (TPPA) und der TTIP-Verhandlungen einmal ganz abgesehen. Allerdings hat der Trend zum Protektionismus schon länger eingesetzt. Seit 2008 zählten die erwähnten internationalen Organisationen 1671 handelsbeschränkende Maßnahmen, von denen bis Mitte Oktober 2016 lediglich 408 wieder zurückgenommen worden waren. Auch hat sich seither das Verhältnis zwischen Handel und Produktion im Vergleich zu den Jahrzehnten vor der großen Finanzkrise deutlich umgekehrt: Seit 2010 ist der Welthandel um kaum 2% pro Jahr gewachsen, während die globale Produktion von Waren und Dienstleistungen um durchschnittlich 3% wuchs. Bis dahin war es genau andersherum: Die Expansion des Welthandels übertraf das Wachstum des globalen Outputs zumeist um das Doppelte.

Dennoch ist die Verlangsamung des Welthandels eine Folge der Verlangsamung des Output-Wachstums und nicht umgekehrt. Dies ist besonders offensichtlich im Falle der realen Investitionsausgaben, auch der grenzüberschreitenden Direktinvestitionen, die seit der Finanzkrise besonders stark gefallen sind. Verantwortlich ist hier insbesondere das ungebrochene Primat für Finanzinvestitionen (>>> Transformation in struktureller Abhängigkeit). Paradoxerweise stellt der zitierte Bericht über Handels- und Investitionsmaßnahmen für den Investitionsbereich eine Fortsetzung des Trends zur Liberalisierung fest: Sechs G20 Mitglieder führten Investitionserleichterungen ein; drei G20 griffen zu „regulatorischen oder restriktiven Maßnahmen“, wobei nicht ganz klar ist, warum Regulierungsbestimmungen automatisch als Investitionshindernisse gewertet werden.

Neben dem Rückgang des Wachstums generell (Stichwort: säkulare Stagnation) ist das langsamere Wachstum insbesondere eine Folge der wirtschaftlichen Entschleunigung in China und des Umstands, dass der Ausbau der Wertschöpfungsketten (die durch den Komponentenhandel ein starker Faktor des schnellen Welthandelswachstums waren) allmählich an Grenzen stößt. Beides – China und die internationale Arbeitsteilung im Rahmen von Lieferketten – sind bezeichnenderweise die Lieblingszielscheiben der Trump‘schen Handelspropaganda. Dass jedoch durch neue Strafzölle gegen China und Mexiko Arbeitsplätze in die USA zurückkommen würden, kann schon jetzt in den Bereich der Legenden verwiesen werden.

Aus all dem ist der Schluss zu ziehen: Weder führt mehr Protektionismus zu mehr Produktion im Inland, noch ziehen weniger restriktive Bedingungen im Investitionsbereich zwangsläufig höhere Investitionen nach sich. Für die G20 auf Gipfelebene mit Trump am Tisch dürfte das Handelsthema in der Zukunft dennoch zu einer größeren Herausforderung als bisher werden. Dies umso mehr, wenn von anderer Seite mit Vorstellungen zu einer Reform der Welthandelsordnung nach den Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung (>>> Die G20 und die Zukunft des Welthandelssystems) Ernst gemacht werden sollte. Schließlich will Trump die Wirtschaft nicht nur mit mehr Protektionismus, sondern auch mit weniger Umweltschutz ankurbeln. Ein Zusammenprall zweier Welten wäre dann wohl unausweichlich.

16. November 2016

Was wird unter Trump aus dem Paris-Abkommen, der 2030-Agenda, der Weltordnung?

"Wenn er auch nur einen Teil dessen wahr macht, was er angekündigt hat, wird ein politisches Erdbeben die Koordinaten für die Umsetzung der im September 2015 verabschiedeten Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 sowie des Pariser Klimaabkommens radikal verändern. Die Weltordnung steht an einem Wendepunkt. Nun müssen die Anstrengungen, globale Kooperation zu organisieren, noch einmal massiv ausgebaut werden“, schreibt Dirk Messner (s. Foto) in einem Blog-Eintrag. Die EU müsse ihr internationales Profil stärken und brauche ein 100-Tage- Programm, um ihre wichtigsten Anliegen zu globaler Entwicklung nach der Wahl von Trump darzulegen; die deutsche G 20-Präsidentschaft könne dazu beitragen, Klimaschutz und die Agenda 2030 zu stärken; auf diesen Grundlagen müsse der transatlantische Dialog mit der US-Regierung, aber auch zwischen den Gesellschaften, nach vorn entwickelt werden. Sein Beitrag:

Setzt Trump um, was er versprochen hat? Zwischen Bangen und Hoffen

Noch vor wenigen Tagen undenkbar, nach der US-Wahl wahrscheinlich: Die USA ziehen sich aus dem Klimaschutz zurück, bereiten den Wiedereinstieg in die fossilen Energieträger vor, verweigern eine Beteiligung am Green-Climate-Fonds, der Entwicklungsländer mit 100 Milliarden US-Dollar jährlich beim Einstieg in eine klimaverträgliche Gesellschaft unterstützen soll. Im Kernteam des gewählten Präsidenten bereiten Klimaskeptiker eine Neuordnung der US-Umweltbehörde vor. Wenn der weltweit zweitgrößte Emittent seine Treibhausgase nicht reduziert, wird es sehr schwer, die Erwärmung des Planeten unter zwei Grad überhaupt noch zu halten.

Damit nicht genug. Zwar verspricht der neue Präsident, sich um die abstiegsbedrohten Mittelschichten und die sozialen Ränder der Gesellschaft zu kümmern – was dringend notwendig wäre – , doch wenn dies durch Protektionismus und Investitionen in die Infrastruktur zustande käme, die ressourcen- und treibhausgasintensive Wachstumsmuster für die nächsten Dekaden zementierten, führte dieser Weg in eine absehbare Sackgasse. Was man bisher über das Wirtschafts-, Sozial- und Umweltprogramm der kommenden US-Regierung weiß, liest sich nicht gerade wie eine Umsetzungsstrategie der universellen Agenda 2030. Zudem basieren die globalen Nachhaltigkeitsziele auf der Grundidee globaler Kooperation und internationalen Interessensausgleichs – der neue US-Präsident propagiert demgegenüber „Our country – first“. Wichtig wird auch sein, wie sich die USA nun gegenüber internationalen Organisationen positionieren: UN-Entwicklungs- und Umweltorganisationen, die Weltbank, regionale Entwicklungsbanken haben sich die Umsetzung der Pariser Klimabeschlüsse und der Agenda 2030 auf ihre Fahnen geschrieben. Schwächen die USA nun die wichtigsten Säulen der Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den Vereinigten Staaten selbst aufgebaut wurden?

 * Den vollen Wortlaut des Beitrags finden Sie im Blog des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), dessen Direktor Messner ist >>> hier.

14. November 2016

Trump und G20: Debt20, T20, P20 etc. pp.

Der nächste G20-Gipfel, der am 7./8. Juli 2017 in Hamburg stattfinden soll, wirft seine Schatten voraus. Rechtzeitig vor der am 1. Dezember beginnenden deutschen G20-Präsidentschaft hat in der letzten Woche das Entschuldungsbündnis erlassjahr.de seine Forderungen im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) übergeben. Vor allem geht es erlassjahr im Rahmen der Kampagne „Debt20“ darum, dass die Bundesregierung ihre G20-Präsidentschaft dazu nutzt, ein faires Verfahren für die Lösung von Schuldenkrisen auf den Weg zu bringen. Unterstützt wird die Kampagne von 185 Organisationen, darunter Eine-Welt-Landesnetzwerke, Diözesen, Landeskirchen, Weltläden und Kirchengemeinden. Sie alle fordern die Bundesregierung auf, die drohenden neuen Schuldenkrisen auf die Agenda des G20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg zu setzen (>>> www.erlassjahr.de).


Weniger bescheiden treten Teile des ultralinken Spektrums und die interventionistischen Linke (iL) auf. Sie wollen den Gipfel vor allem durch Straßenproteste „stören“, die zugleich zur größten Anti-Trump-Demonstration in Deutschland werden sollen. Ein entsprechendes Bündnis soll am 3./4. Dezember auf einer Aktionskonferenz in Hamburg geschmiedet werden (>>> www.g20hamburg.org). Ob die geplanten Störmanöver die versammelten Staats- und Regierungschefs allzu stark beeindrucken werden, sei dahin gestellt. Die Fokussierung auf den neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump könnte dem Protest – sagen wir P20 – jedoch unerwarteten Auftrieb geben. Im Unterschied zu der sperrigen offiziellen Agenda der deutschen Präsidentschaft (für einen ersten Analyseversuch siehe: Possible Priorities of the 2017 German G20 Presidency), bestärkt das Auftreten Trumps auf dem Hamburger Gipfel diejenigen, denen es angesichts der Heterogenität der G20 bislang eher schwer fiel, ein klares Feindbild zu konstruieren – nach dem Motto „Das Erscheinen von Donald Trump auf dem G-20-Gipfel wird für viele ein enormer Antrieb für die Mobilisierung gegen den Gipfel der G20 sein… Die Stunde der sozialen Bewegungen und des linken Gegenschlags ist gekommen,“ so eine Presseerklärung der iL, die zuletzt beim G8-Gipfel in Heiligendamm größer in Erscheinung getreten war.

Ansonsten dürfte die unerwartete Wahl Trumps den größten Teil der G20-Vorbereitungen kalt erwischt haben. Am anderen Ende der Begleitprozesse zur deutschen G20-Präsidentschaft laden das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) und das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) für den 1./2. Dezember zu einer Kick-Off-Konferenz des deutschen T20-Prozesses unter dem Titel „Cohesion in Diversity: Accompanying the German G20 Presidency“ nach Berlin ein. Unter dem T20-Label („Think Tank 20“) versammeln sich seit dem Mexikanischen G20-Präsidentschaft mehr oder weniger etablierte wissenschaftliche Institute aus den G20-Ländern (>>> P20 Germany). Das Programm für die Berliner Kick-Off-Konferenz ist zwar recht anspruchsvoll, führt allerdings unter den RednerInnen und Discussants aus den USA bislang nur Vertreter von Instituten auf, die weitestgehend zum Braintrust der Demokraten gehören.

3. November 2016

Norden kommt mit aufgebauschten Klimahilfe-Zahlen nach Marrakesch

Eine im Vorfeld der UN-Klimakonferenz (COP 22), die nächste Woche in Marrakesch beginnt, veröffentlichte Oxfam-Studie (>>> Climate Finance Shadow Report 2016) zeigt, dass das Volumen der vom Norden tatsächlich geleisteter Klimahilfen für die ärmsten Länder deutlich geringer ausfällt, als es die Zahlen der Geldgeber erscheinen lassen. Die finanzielle Unterstützung für die armen Länder wird ein Schwerpunkt der Konferenz sein. Erst im Oktober hatten die reichen Geberländer einen Fahrplan vorgelegt, wie sie ihr Versprechen erfüllen wollen, die Klimafinanzierung bis 2020 auf ein Niveau von 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr anzuheben. Nach Berechnung der Geberländer erreicht die Unterstützung aus öffentlichen Mitteln inzwischen knapp 41 Mrd. US-Dollar pro Jahr. Oxfam dagegen schätzt, dass der hinter den Zahlen der Geberländer steckende tatsächliche Wert der Unterstützung unterm Strich eher bei 11 bis 21 Mrd. US-Dollar pro Jahr liegt, davon 4 bis 8 Mrd. US-Dollar pro Jahr für die Anpassung an den Klimawandel.


Zwei grundlegende Faktoren führen dazu, dass Oxfam die tatsächliche Unterstützung für arme Länder deutlich geringer einschätzt als von den Geberländern berichtet: Zum einen rechnen die meisten Geberländer Mittel für Projekte der Entwicklungszusammenarbeit, bei denen der Klimaschutz nur eines von mehreren Zielen ist, großzügig auf ihr Klimakonto an. Zum anderen führen die Geberländer auch Kredite, Garantien oder Exportkreditversicherungen in ihren Rechenschaftsberichten auf. Die  in den armen Ländern unterm Strich ankommende Unterstützung ist weitaus geringer als der Nennwert solcher Instrumente, weil beispielsweise öffentliche Kredite zurückgezahlt werden müssen und die eigentliche Unterstützung nur in einer etwaigen Zinsvergünstigung gegenüber einem privatwirtschaftlichen Darlehen liegt.

Die COP22 wird gleichzeitig die erste Vertragsstaatenkonferenz des Pariser Abkommens (CMA 1) sein, das morgen in Kraft tritt. Die Ausarbeitung des Regelwerks des Abkommens wird nicht auf der COP22 abgeschlossen werden, sondern einige Jahre beanspruchen. Dabei geht es beispielsweise um die Regeln für Art und Umfang künftiger nationaler Selbstverpflichtungen zum Klimaschutz, für die Berichterstattung der nationalen Anstrengungen oder etwa zur Frage, wie genau die im Abkommen vorgesehene regelmäßige Überprüfung der Umsetzungsfortschritte durchgeführt werden soll. Oxfam weist darauf hin, dass ein Grundproblem bislang ungelöst ist: Ohne eine deutliche Verschärfung der nationalen Klimaschutzanstrengungen wird das Ziel des Abkommens, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2° Celsius und möglichst auf maximal 1,5° Celsius zu begrenzen, bald nicht mehr zu erreichen sein.

„Dass nicht einmal ein Jahr nach seiner Verabschiedung das Abkommen in Kraft tritt, ist ein Erfolg der internationalen Klimadiplomatie“, so der Klimaexperte von Oxfam Deutschland, Jan Kowalzig. „Dieser Erfolg könnte sich aber in heiße Luft auflösen: Die zum Abkommen eingereichten Klimaschutzziele der Länder werden zu einer globalen Erwärmung um rund 3° Celsius führen – mit verheerenden Folgen weltweit, insbesondere aber in den ärmsten Ländern. Die Bundesregierung liefert hier derzeit eine besonders peinliche Vorstellung. Nicht nur haben einige Ministerien den Klimaschutzplan 2050 so verwässert und blockiert, dass die deutsche Delegation nun mit leeren Händen nach Marrakesch reisen muss. Auch dürfte das kurzfristige Ziel verfehlt werden, die klimaschädlichen Treibhausgase um 40 Prozent bis 2020 abzusenken, weil einigen Minister der Mumm fehlt, in die Zukunft zu schauen und die nötigen Weichenstellungen vorzunehmen.“


* Download des „Climate Finance Shadow Report 2016“ >>> hier.
 

1. November 2016

CETA-Unterzeichnung: Vorschnelle Freude?

Haben sich die CETA-Kritiker zu früh gefreut, als es in der letzten Woche vorübergehend so aussah, als würde das Abkommen am Widerstand der Wallonie scheitern? Ja und nein. Die Unterzeichnung am letzten Sonntag soll sicherlich den Eindruck wiederhergestellter Normalität vermitteln – so als ob es normal sei, dass ein kanadischer Premierminister und zwei Spitzenfunktionäre der EU, Juncker und Tusk, ein Abkommen unterschreiben, das tief in die Wirtschafts- und Sozialpolitik der betroffenen Bevölkerungen eingreift. Andererseits ist das Abkommen längst noch nicht in sicheren Tüchern. Selbst wenn das Europaparlament demnächst zustimmt und CETA, vor allem die handelspolitischen Bestimmungen im engeren Sinne, vorläufig in Kraft treten – um endgültige Gültigkeit zu erlangen, muss es noch von 28 EU-Staaten ratifiziert werden; über regionale und nationale Parlamente müssen gefragt werden und zustimmen.


Die Auseinandersetzungen um CETA gehen auch deshalb weiter, weil noch vor zwei wichtigen Gerichten, dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof, Verfahren anhängig sind. Im Mittelpunkt dabei steht die Frage, ob die nach wie vor vorgesehene Paralleljustiz für private Investoren überhaupt mit deutschem und europäischem Verfassungsrecht vereinbar ist. Zwar sollen diese Gerichte bzw. Schiedsstellen jetzt öffentlichen Charakter haben und keine Privatveranstaltungen der Konzerne mehr sein; und die Richter sollen von Kanada und den EU-Staaten bezahlt werden. Doch es bleibt das Faktum, dass die neuen Gremien außerhalb des bestehenden nationalen und internationalen Rechtssystems existieren werden.

Unklar ist auch, ob die CETA-Standards die Globalisierung der nächsten Jahre bestimmen werden, wie Kommissionspräsident Juncker nach der Unterzeichnung vollmundig meinte. Sollte das CETA-Abkommen wirklich so „progressiv“ sein und auf die sozialen und ökologischen Belange der Menschen Rücksicht nehmen, wie Juncker, Gabriel und Schulz unisono meinen, dann könnte es auch genau andersherum kommen: Dann wäre CETA womöglich das erste und letzte Handelsabkommen der neuen Generation und der Sargnagel für TTIP, TPPA und all die anderen Verträge, an die die Protagonisten nun wirklich ganz andere Interessen knüpfen als den Schutz sozialer und umweltpolitischer Errungenschaften. Der Kampf um eine faire Handelspolitik geht also weiter.