30. Januar 2013

Nachtrag Davos: Konzerne und Menschenrechte

Über 10.000 Menschen haben innerhalb einer Woche den Schweizer Bundesrat aufgefordert, endlich konkrete Schritte zu unternehmen, damit Schweizer Konzerne weltweit die Menschenrechte und Umweltstandards einhalten müssen. Die Koalition „Recht ohne Grenzen“ hatte anlässlich des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos zur Aktion „Ziehen Sie den Bundesrat zur Verantwortung“ aufgerufen.

In nur sieben Tagen haben jetzt über 10.000 Personen Wirtschaftsminister Schneider-Ammann und Außenminister Burkhalter per Mail dazu aufgerufen, sich für ein Gesetz einzusetzen, das Konzerne mit Sitz in der Schweiz verpflichtet, Menschenrechte und Umweltschutz zu respektieren, und zwar weltweit. Im letzten Sommer hatte „Recht ohne Grenzen“ eine Petition mit den gleichen Forderungen einge­reicht, die von über 135.000 Personen unterzeichnet worden war. Doch während in anderen Ländern darüber diskutiert wird, wie freiwillige Maßnahmen mit gesetzlichen Vorschriften kombiniert werden können, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße durch Konzerne wirksam zu verhindern, setzt der Schweizer Bundesrat noch immer allein auf die Selbstverantwortung der Firmen.

Dabei hat der Bundesrat am 23. Januar in der Botschaft zum Bundesgesetz über Söldnerfirmen gezeigt, dass er durchaus bereit ist, gesetzliche Vorschriften zu erlassen, wenn er die Reputation der Schweiz gefährdet sieht. Darin verbietet er es Sicherheitsfirmen mit Sitz in der Schweiz, Tätigkeiten auszuüben, die schwere Menschenrechtsverletzungen begünstigen. Es ist höchste Zeit, dass er auch für andere Schweizer Unternehmen, die ebenfalls oft in menschenrechtlich und ökologisch sensiblen Bereichen tätig sind, verbindliche Regeln erlässt.

28. Januar 2013

Davos zwischen Krisenrufen und Selbstzufriedenheit

Erst hieß es in der alljährlichen Risikostudie des Weltwirtschaftsforums (WEF), die größten Risikofaktoren in der Welt von heute seien die wachsende Ungleichheit und die fiskalischen Ungleichgewichte. Dann war plötzlich von „guter Stimmung“ in Davos die Rede. Es sei das erste WEF ohne Krisenrufe seit 2008 – so der Chefökonom der Financial Times, Martin Wolf, zum Auftakt des Panels über die weltwirtschaftlichen Aussichten. Doch dann wieder: Die Aussicht, dass die Krise vorbei ist, sei „ein sehr großer Irrtum“. Die derzeitige Konjunkturerholung sei „sehr zaghaft und fragil“, so die Chefin des IWF, Christine Lagarde. 2013 sei ein Make-or-Break-Jahr für die Entwicklung der Weltwirtschaft.

Am seinem letzten Tag zeigte das WEF, dass seine TeilnehmerInnen mindestens genauso unsicher sind wie die weltwirtschaftliche Entwicklung selbst. Die Frage kam auf, wie groß die Gefahr sei, dass der „Modus der Erleichterung“ (Wolf) erneut der Selbstgefälligkeit und Selbstzufriedenheit weicht. In der Tat hat sich angesichts einer revidierten IWF-Prognose von durchschnittlichen 3,5% für die Weltwirtschaft in 2013 wenig an der grundlegenden Situation geändert. Die globale Ökonomie ist nach wie vor eine Ökonomie der zwei Geschwindigkeiten mit einer Rezession in Europa und schwachem Wachstum in den USA auf der einen Seite und relativ kräftigen Zuwachsraten in den Schwellen- und Entwicklungsländern auf der anderen (auch wenn die Rückkehr letzterer zu dem außerordentlich hohen Wachstum der letzten zehn Jahre eher unwahrscheinlich ist).

Gefahrenmomente lauern an allen Ecken und Enden. So könnte der Haushaltsstreit in den USA schnell zu einem Double-Dip führen, wenn über die Begrenzung der Schulden nach oben auch dort der Übergang in eine Art „Perma-Austerität“ (Wolfgang Münchau) erzwungen wird. Ob die Reform der Finanzmärkte über die bisherigen zaghaften Versuche hinaus doch noch in ernsthafte Bahnen kommt, entscheidet sich in den nächsten zwei Jahren. Und der derzeitige Höhenflug an den Börsen ist so ziemlich ohne Bedeutung für diejenigen, die von der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit oder noch weiter steigenden Jugendarbeitslosigkeit betroffen sind. Der Chef der OECD, Angel Gurría, sieht deshalb wenig Grund für eine grundsätzliche Erleichterung. Immerhin: Jetzt wo viele „Davos People“ das Gefühl haben, der Kelch der Hinrichtung sei noch einmal an ihnen vorbei gegangen, hätten sie die Chance nutzen können, solche Probleme zu bearbeiten, die lange Zeit vernachlässigt wurden – von Klimaschutz bis soziale Gerechtigkeit. Diese Chance hat Davos auch in diesem Jahr verpasst.

25. Januar 2013

Millennium-Entwicklungsziele: Dröge Debatte in Davos

Einen Einblick in das dürftige Niveau der Debatte unter maßgeblichen Akteuren um die Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) nach 2015 gab ein Panel in Davos, an dem neben UN-Generalsekretär Ban Ki-moon u.a. der britische Premier David Comeron, Bill Gates, Helene D. Gayle von Care USA, Königin Rania Al Abdullah von Jordanien und Unilever-Chef Paul Polman teilnahmen. Geht es nach Bill Gates, werden über das bislang geltende Set von MDGs keine weiteren Ziele benötigt; notwendig sei lediglich die Anpassung der Targets. Alle Panellisten priesen die MDGs als großen Erfolg („die größte Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen in der Geschichte“), was vor allem auf ihre Einfachheit und Überprüfbarkeit zurückzuführen sei.

Völlig alles beim Alten lassen wollten zwar nicht alle. So plädierte Gayle dafür, ein Ziel zur Bekämpfung des Klimawandels in den MDG-Katalog aufzunehmen, da dieser die Armen am meisten betreffe. Polman meinte, dass die Verwirklichung der MDGs kaum denkbar sei, wenn der Aspekt der Ernährungssicherheit nicht an gemessen berücksichtigt werde. Und Königin Rania steuerte die bemerkenswerte Erkenntnis bei, dass gleiche Bildungschancen eine Schlüsselrolle für die Überwindung der Armut hätten. Etwas unsicherer war sich das Panel da schon, ob auch Governance-Kriterien als Voraussetzung für Entwicklungserfolge aufgenommen werden sollten: Möglicherweise zu politisch, meinten die Meisten.

Das alles wäre nicht weiter berichtenswert, gehörten nicht drei der Panellisten (Cameron, Rania und Polman) zugleich dem von Ban Ki-moon einberufenen High-Level-Panel an, das Vorschläge zu den Post-2015-Entwicklungszielen ausarbeiten soll. Das zeigt recht deutlich, dass das, was derzeit in NGO-Kreisen angedacht wird, ziemlich weit jenseits der offiziellen Post-2015-Debatte angesiedelt ist: Weder wird darüber nachgedacht, wie etwa die Themen Handel und Investitionen entwicklungsverträglich neu gedacht werden könnten (wie Gabriele Köhler in der neuen Ausgabe von W&E fordert). Noch geht es realiter auch nur ansatzweise darum, in der Definition globaler Nachhaltigkeitsziele die Differenz zwischen Nord und Süd aufzuheben (was W&E-Mitherausgeber Jens Martens in einen soeben erschienenen Report entwickelt). Wenn sich daran nichts ändert, könnte am Ende ein anderer Mitherausgeber von W&E, Bernd Hamm, Recht behalten, der kürzlich schrieb: „Vielleicht schaffen sie (die NGOs) es, ein Komma in der Neuformulierung der MDGs zu ändern, das wäre ja schon was…“

24. Januar 2013

Video: Joseph Stiglitz in Davos

Einige sagen, der WEF-Gründer Klaus Schwab sei so verschlagen, dass er immer dann, wenn ihm die Kritiker zu gefährlich werden, diese nach Davos einlädt. Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz ist dieses Jahr zum wiederholten Male dabei; diesmal mit seiner Kritik an der wachsenden Ungleichheit in den USA und in anderen Industrieländern.


Merkels Krisengericht

Wieder einmal brillant kommentiert Martin Wolf, der Chefökonom der Financial Times die Rede der Bundeskanzlerin von heute Nachmittag. Im FT-Blog aus Davos schreibt er:

„Heute auf dem Weltwirtschaftsforum wiederholte Frau Merkel viele bekannte Punkte. Doch einer der interessantesten für mich war die Bemerkung, dass Krisen willkommen sind, weil sie die Politiker zwingen, die notwendigen Veränderungen vorzunehmen. Es wäre sehr schlecht, wenn der Druck für Reformen nachlassen würde.
Frau Merkel erzählt den Kindern, ihren Spinat zu essen. Er mag schlecht schmecken. Aber er wird ihnen gut tun. Jahre der Plackerei liegen vor uns. Frau Merkel wird sicherstellen, dass es eine Plackerei sein wird, weil sie sich sicher ist, dass dies der einzige Weg ist, die Leistung langfristig zu verbessern.
Ich denke über die neue Version der Währungsunion nicht als Föderation, sondern als Disziplinierungsunion. Das ist es, was Deutschland will. Und da Deutschland das Gläubigerland ist, wird Deutschland das bekommen, was Deutschland will.“

 

Lagarde: Noch eine Personifizierung des Resilient Dynamism

Zunächst noch ein Nachtrag zu unserem Post von gestern: Neben dem Shell-Konzern ist heute auch Goldman Sachs mit dem Schmähpreis Public Eye Award ausgezeichnet worden. Ob Hypotheken-, Banken- oder Europleite, fast an jeder größeren Krise verdiene Goldman Sachs kräftig mit. Dabei schrecke die US-Bank auch nicht vor Geschäften zurück, die ganze Staaten in den Ruin stürzen, erklärte die Jury am Donnerstag. So habe Goldman Sachs zwischen 1998 und 2009 mit Buchungstricks die Hälfte von Griechenlands Staatsschulden gegen horrende Honorare versteckt. Die Finanzkonstrukte hätten Griechenland schließlich in den Ruin und die EU in eine Finanzkrise getrieben. An der Krise habe Goldman bereits mindestens 600 Mio. Dollar verdient, und Griechenland schulde der Bank weiterhin 400 Mio. Dollar jährlich bis 2037. Das seien insgesamt mehr als zehn Milliarden Dollar auf Kosten der europäischen Steuerzahler. Goldman Sachs sei die Geldmaschinerie schlechthin mit einem undurchsichtigen, weltweit einzigartigen Netz an Verbündeten in höchsten Positionen wie dem Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi.

Noch ein Vertreter der „resistenten Dynamik“ gefällig, diesmal vielleicht eine Vertreterin? Voilà: In den Augen von WEF-Begründer Klaus Schwab verkörpert die Geschäftsführende Direktorin des IWF, Christine Lagarde, die Eigenschaften „resistent“ und „dynamisch“ auf geradezu ideale Weise. Weshalb sie auch für gestern Abend zu einer Sonderbotschaft an die WEF-Teilnehmer geladen war.

Sicher – Lagarde redet nicht wie ihre Kollegen aus der Privatwirtschaft dem „regulatorischen Rückzug“ das Wort, sondern insistiert darauf, dass der „Job“ der Reform der Finanzmärkte zu Ende gebracht werden muss und dass das eine Priorität für den IWF sein müsse. Den überwiegend männlichen Davos People redet sie auch schon mal ins Gewissen, dass Wachstum inklusiv sein und mit neuen Arbeitsplätzen einhergehen müsse, dass es an „gender inclusion“ allenthalben noch mangele und dass der in Davos kaum diskutierte Klimawandel in ihrer Sicht „die bei weitem größte ökonomische Herausforderung des 21. Jahrhunderts“ sei. Doch dem Anspruch, eine „New Global Economy for a New Generation“ zu entwerfen, wird ihre Rede mit den drei Punkten (größere Offenheit, mehr Inklusion und mehr Verantwortung bzw. Rechenschaftspflicht) bei weitem nicht gerecht.

Den Versuch, mit schönen Worten handfeste Interessen zu verbrämen, machte der britische Premierminister David Cameron demgegenüber heute Morgen erst gar nicht. Die Agenda der britischen G8-Präsidentschaft in diesem Jahr („trade, tax, transparency“) verkaufte er in Davos als eine „absolute Pro-Business-Agenda“ und sich selbst gleich mit als den „wirtschaftsfreundlichsten Führer“ der Welt. Nicht alle Punkte des Briten kann man von vorneherein als falsch zurückweisen. Aber wenn man genauer hinhört, wird man aus dem Thema Handel die alte Freihandelsagenda heraushören, aus dem Thema Steuervermeidung ein Plädoyer für die neoliberale Flat-Tax-Politik (für die von den Unternehmen im Gegenzug die Entrichtung der niedrigen Steuern verlangt werden könne) und hinter dem Stichwort Transparency den Versuch erkennen, den Ländern des Südens die Prinzipien der Westminster-Demokratie aufzudrängen.

23. Januar 2013

Weltwirtschaftsforum in Davos: Die Banker sind back

Erstmals seit 2008 wird Lloyd Blankfein, der Chief Executive von Goldman Sachs, wieder einen Auftritt auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos haben, dessen diesjährige Ausgabe heute begonnen hat. Und mit ihm sind auch andere Spitzenbanker wieder dabei, die die Öffentlichkeit seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise gerne gemieden hatten. Es scheint, als seien sie die Spezies, auf die das Motto des Treffens „Resilient Dynamism“ vor allem gemünzt ist. Resistent und dynamisch präsentieren sie sich in den Schweizer Bergen, z.B. beim Auftaktforum heute Morgen unter dem Thema „The Global Financial Context“.

Das Selbstbewusstsein der Bankenführer war so unübersehbar, dass da der Stellvertretende Geschäftsführende Direktor des IWF, Min Zhu aus China, geradezu als einsamer Rufer in der Wüste wirkte, als er sagte, in Sachen Finanzmarktreform sei noch ein weiter Weg zu gehen und es sei ein großer Fehler, würde man die begonnenen regulatorischen Veränderungen zurückdrehen wollen. Die anderen Teilnehmer sahen das anders und redeten unter verschiedenen Vorwänden dem „regulatory retreat“ – dem regulatorischen Rückzug – das Wort. Axel Weber, ehemals Präsident der Bundesbank, jetzt Vorstandsvorsitzender der Schweizer UBS-Bank, meinte, es müsse einheitliche globale Regulierungsstandards geben – wohl wissend, wie schwer diese zu erreichen sind. Andrey L. Kostin von der russischen VTB-Bank brachte den Backlash auf den Punkt und sagte, es gehe um „bessere“, nicht unbedingt um „mehr“ Regulierung. Und Jamie Dimon von JPMorgen Chase sowie der Chef von Elliott Capital Management, Paul Singer, schoben sich gegenseitig die Schuld zu, wer nun intransparenter („opaque“) sei, die Banken oder die Hedgefonds.

Dass Singer in Davos auftauchte, ist besonders bemerkenswert, nicht nur weil diese Art von Schattenbank-Akteuren gemeinhin das Licht scheut wie der Teufel das Weihwasser, sondern auch, weil er schon im nächsten Monat auf ein Urteil der US-Justiz zugunsten der von ihm vertretenen Geierfonds gegen Argentinien hofft (>>> Argentinien unter Geiern). Dass die „Davos People“ auch angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre und aller schön klingenden Reuebekundungen der letzten Zeit dieselben geblieben sind, wurde schlaglichtartig deutlich, als die Moderatorin des Eröffnungspanels spontan in das über 600-köpfige Publikum fragte, wer ebenfalls für den „regulatorischen Rückzug“ sei: Da waren es schätzungsweise 90%, die ihre Hand hoben.

22. Januar 2013

EU-Finanzminister beschliessen Finanztransaktionssteuer


Die Finanztransaktionssteuer (FTS) wird zunächst in elf europäischen Ländern im Rahmen der sog. Verstärkten Zusammenarbeit eingeführt. Das haben heute die EU-Finanzminister bei ihrem Treffen in Brüssel beschlossen. Das dies von der Kampagne Steuer gegen Armut als „entscheidender Durchbruch“ und als „großer Erfolg für die Zivilgesellschaft, die sich seit Jahren für diese Steuer eingesetzt hat“, gewertet wird, verwundert nicht. Das die Steuer jetzt trotz heftigen Widerstands der Bankenlobby kommt, schon eher. Wenn es beim bisherigen Entwurf der EU-Kommission bleibt, werden vor allem hochspekulative Geschäftsmodelle wie der Hochfrequenzhandel deutliche Einschränkungen hinnehmen müssen.

Die Entscheidung fällt auf 50. Jahrestag des Elysee-Vertrages. Das ist natürlich Zufall. Aber es zeigt sich, dass der EU-Raum, dieses „Laboratorium der Global Governance“ (Nuscheler) doch noch nicht ganz abzuschreiben ist, wenn Frankreich und Deutschland – und zwar Regierungen wie Zivilgesellschaft beider Länder – an einem Strang ziehen, wie dies bei der FTS der Fall war.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ist daher aufgefordert, sich im Geiste der deutsch-französischen Freundschaft François Hollande anzuschließen, der sich bereits verpflichtet hat, einen Teil der Einnahmen aus der FTS für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Denn schon ein Teil der Steuereinnahmen kann erheblich zur Bekämpfung von weltweiter Armut und zum Schutz von Klima und Umwelt beitragen. Das wäre gleichbedeutend mit mehr Bildung und besserer Gesundheitsfürsorge für die Menschen in armen Ländern und den Ausbau erneuerbarer Energien hierzulande und anderswo.

21. Januar 2013

Agrarinvestitionen: Handauflegen reicht nicht

Einen verbindlichen Rechtsrahmen für internationale Investitionen in Agrarland hat der Präsident des Umweltbundesamts Jochen Flasbarth letzte Woche auf einer internationalen Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung, von Oxfam Deutschland, glopolis (Tschechien) und Misereor in Berlin gefordert. Der im letzten Jahr beschlossene Kodex von FAO und Weltbank zum Landgrabbing sei gut und schön. Doch freiwillige Leitlinien und „Handauflegen“ reichen nicht, um nachhaltige Investitionen in die Landwirtschaft zu gewährleisten.

Die Konferenz mit dem Titel „Agriculture in Transition. Strategien für ökologische und faire Investitionen in der Landwirtschaft“ fand vor dem Hintergrund der Trendwende statt, im Zuge derer nach Jahrzehnten der Vernachlässigung wieder verstärkt internationales Geld in den Agrarsektor des Südens fließt (>>> W&E-Hintergrund: Wettlaufum Land). Die Frage ist jedoch: Um welche Art von Investitionen geht es hier und in wessen Interesse finden sie statt. Die Berliner Konferenz bestätigte, dass der entscheidende Interessengegensatz, wenn es um internationale Agrarinvestitionen geht, zwischen dem Agrobusiness und Kleinbauern bzw. landlosen Landarbeitern verläuft. Angesichts der Neube- und Wiederaufwertung des Agrarsektors in der internationalen entwicklungspolitischen Debatte stelle sich die Frage, ob es sich lediglich darum handelt, dass dem Agrarsektor ein neuer Wert beigemessen werde, oder aber darum, immer mehr ländliche, bislang kapitalistisch unerschlossene Räume „in Wert“ zu setzen.

Wie phantasievoll immer wieder neue Verwertungswege erschlossen werden, wurde an zahlreichen Beispielen deutlich – etwa daran, welche Blüten inzwischen der Zertifikate-Handel treibt. Kompensations- und Freikaufinstrument erstrecken sich längst nicht mehr auf den Handel mit CO2-Zertifikaten wie in der EU, sondern beispielsweise auch generell auf den Handel mit sog. Ökosystemfunktionen, etwa in Form von Waldschutzzertifikaten in Brasilien und anderswo.

Doch ist die Entwicklung nicht nur durch die diversen Negativtrends gekennzeichnet. Eine Gegentendenz repräsentiert der bei der FAO angesiedelte Ausschuss für Welternährungssicherheit (CFS) mit seiner vorbildlichen Offenheit gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen (>>> www.cms4cfs.org). Oder auch die große Aufmerksamkeit, die der kurz vor der Berliner Tagung veröffentlichte Fleischatlas erzielte, von der großen Demonstration gegen die großindustrielle Agrarproduktion unter dem Motto „Wir haben es satt“ gar nicht zu reden.

● Beiträge und Dokumente von der Konferenz finden sich >>> hier.

9. Januar 2013

Britische G8-Praesidentschaft: Veritable Schmalspuragenda


Mit dem neuen Jahr hat auch die britische G8-Präsidentschaft begonnen, und der britische Premierminister David Cameron hat in einem Brief an seine G8-Kollegen wortgewaltig „kühne Schritte“ gefordert. Dazu sieht die britische G8-Agenda für 2013 folgende drei Handlungsfelder vor: Handel, Steuern und Kampf gegen die Korruption. Wohlwollend betrachtet ist diese Agenda höchst selektiv, gemessen an den globalen Ansprüchen der G8 in der Vergangenheit ist es jedoch eine veritable Schmalspuragenda.

Nehmen wir den ersten Punkt, die Handelspolitik. Hier schwebt der britischen Regierung vor allem der Beginn von Verhandlungen über ein Handelsabkommen zwischen der EU und den USA vor, wie es schon lange unter dem Stichwort „Transatlantische Handelspartnerschaft“ diskutiert wird. Die Konzentration der G8 auf die transatlantischen Handelsbeziehungen ist realistisch, denn nur hier ist ihr Format geeignet etwas zu bewegen – auf allen anderen Ebenen, von der WTO bis zu bilateralen Handelsabkommen, sind die G8 auf die Kooperation anderer angewiesen. Nur: Die Aufnahme von Handelsverhandlungen zwischen den USA und der EU ist in diesem Jahr ohnehin vorgesehen, auch ohne den Anstoß der G8. Und: Wie bei den jüngsten Handelsverhandlungen üblich, beginnen diese meist mit enthusiastischen Fanfaren, um dann rasch in technischen Details zu versanden. Wenn es überhaupt zu einem Abschluss kommt, dann jenseits der Frist einer G8-Präsidentschaft.

Gegen die beiden anderen Kernpunkte der Briten lässt sich für sich genommen kaum etwas sagen: So etwa will Cameron Fortschritte beim internationalen Informationsaustausch in Steuerfragen und im Kampf gegen Steueroasen, um „aggressive Steuervermeidungsstrategien“ (Cameron) transnational agierender Konzerne zu unterbinden. In den Entwicklungsländern fordert der britische Regierungschef mehr Transparenz in Bezug auf die Konzernaktivitäten im Rohstoffsektor – nicht zuletzt um die dortigen Regierungen in die Lage zu versetzen, um Rohstoffkonzerne besser zu besteuern. Natürlich ist auch dies zu begrüßen, und wenn es während der britischen G8-Präsidentschaft nur zu weiteren Beitritten von G8-Ländern zur Extractive Industries Transparecy Initiative (EITI) käme. Doch gemessen an den Erfordernissen einer umfassenden entwicklungspolitischen Agenda ist dies wenig.

Der G8-Gipfel findet am 17./18. Juni in Lough Erne in Nordirland statt (ein Tagungsort, der für sich genommen einen Kommentar wert wäre) und seit dem legendären Gleneagles-Gipfel von 2005 erstmals wieder unter britischer Gastgeberschaft. Um sich von den vorausgehenden Labour-Regierungen abzugrenzen, bezichtigt die konservative Regierung diese der Scheckbuchdiplomatie. Sie selbst hält aber am Ziel fest, in diesem Jahr 0,7% des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungsfinanzierung zur Verfügung zu stellen. In ihren Augen ist dies jedoch nur ein erster Schritt, um die internationale Agenda weiterzubewegen – in Richtung Wachstum. Selbst wenn man einmal diese fatale Verengung von Entwicklung akzeptieren würde – auch dazu ist mehr notwendig, als die britische Schmalspuragenda zu bieten hat.