26. September 2013

Unscheinbarer MDG-Gipfel in New York

Geräuschloser Fortschritt oder doch nur Geräuschlosigkeit? Recht geräuschlos ist jedenfalls das „Special Event“ unter dem Dach der UN-Vollversammlung über die Bühne gegangen, das als Auftakt zu Verhandlungen über eine Weltagenda für die Zeit nach 2015 angekündigt worden war (>>> Gesucht: Eine Vision für die Zeit nach 2015). Geräuschlos – gemessen an dem Hype, den vor allem die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) im Vorfeld erzeugt hatten. Am Vorabend des „MDG-Gipfels“ fand auch das Eröffnungstreffen des neuen Hochrangigen Politischen Forums für Nachhaltige Entwicklung (HLPF: „High level political forum“) statt, das im letzten Jahr auf dem Rio+20-Gipfel beschlossen worden war.

Jetzt haben wir also nach Rio+20 ein weiteres Outcome-Dokument, das noch dünner ist als das vom letzten Jahr. Es bekräftigt auf knapp drei Seiten den Willen, die Millennium-Entwicklungsziele bis zum Jahr 2015 doch noch zu erreichen; es fehlt freilich jede finanzielle Verpflichtung der reichen Länder des Nordens, wie Oxfam International zu Recht moniert hat. Und es enthält eine sog. Road-Map, wonach im nächsten September auf der 69. UN-Vollversammlung die Verhandlungen über eine Post-2015-Entwicklungsagenda beginnen sollen – eine Agenda, die dann 2015 auf der 70. UN-Vollversammlung beschlossen werden soll. Und wir haben ein neues Gremium, das erwähnte Hochrangige Politische Forum, das an die Stelle der glücklosen und schwachen UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD) treten und die neue Agenda mit erarbeiten und hernach ihre Umsetzung kontrollieren soll.

Die Wohlmeinenden argumentieren jetzt, dass es gut sei, eine Road-Map zu haben und nur eine Agenda mit universeller Gültigkeit anzustreben, nach der sich dann auch die Industrieländer richten müssten (>>> DIE-Kolumne und VENRO-Presseerklärung von heute). Doch sie übersehen, dass die gesamte Post-MDG-Debatte von einer hochgradigen Doppelmoral geprägt ist. Oder glaubt jemand im Ernst, das ein David Cameron, der als einer der Ko-Vorsitzenden einer „hochrangigen Expertenkommission“ (>>> W&E 06/2013)  hochtrabende Floskeln über Transformation und inklusive Entwicklung unterschrieb, im eigenen Land darauf verzichten würde, eine Deregulierungs- und Sozialabbau-Agenda durchzusetzen, die an Brachialität noch die von Magret Thatcher übertrifft?

Auch mit dem neuen HLPF sind Hoffnungen verbunden. So soll es eine „more virbrant and robust platform, with high-level political visibility” für nachhaltige Entwicklung werden, wie sich der Sprecher der Gruppe der 77 und Chinas auf der Eröffnungsveranstaltung wünschte. Doch auch die Kommission für Nachhaltige Entwicklung galt vielen 1992 als das vielleicht wichtigste Ergebnis des Erdgipfels von Rio. Und sie wurde auf der Woge eines poltischen Aufbruchs ins Leben gerufen. Dass der neuen prozeduralen Errungenschaft 20 Jahre später ihre Beerdigung vorausging, sollte daran erinnern, dass die Gründung einer weiteren Kommission noch längst kein Garant für Fortschritt ist, und auch daran, dass dieser noch nie im Gewand der Geräuschlosigkeit daher kam.

18. September 2013

Vorwand Globalisierung: Perversion der Begriffe

Demonstration in Irland
In der Überschrift signalisiert König Willem-Alexander der Niederlande noch eine "Reform" des Sozialstaats. Im Text des Artikels selbst wird daraus die Ankündigung des "Endes des holländischen Wohlfahrtsstaates". Die Regierung in Amsterdam liefert derzeit ein bezeichnendes Beispiel dafür, wie die Globalisierung als Vorwand genutzt wird, um nicht nur sozialstaatliche Errungenschaften zu schleifen, sondern dabei gleichzeitig die Bedeutung angestammter Begrifflichkeiten auf den Kopf zu stellen. Vorbei sind die Zeiten, als mit "Reformen" wie selbstverständlich positive Verbesserungen assoziiert wurden. Heute ist das Gegenteil der Fall. Doch das gewendete Reformgerede ist keine Ausnahme.

In der von seinem liberalen Premierminister Mark Rutte geschriebenen Parlamentsrede führte Willem Alexander aus: "Aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen wie der Globalisierung und einer alternden Bevölkerung passen unsere Arbeitsmärkte und öffentlichen Dienstleistungen nicht mehr zu den Forderungen der Zeit." Warum eigentlich nicht? Und wessen Forderungen sind hier "die Forderungen der Zeit"? Doch hören wir weiter: "Der klassische Wohlfahrtsstaat entwickelt sich weiter in eine 'partizipatorische Gesellschaft'", so der König, um anzuschließen, dass das eine Gesellschaft ist, in der von den Bürgern erwartet wird, für sich selbst zu sorgen oder zivilgesellschaftliche Lödsungen für Probleme wie das Wohlergehen der Pensionäre zu schaffen.

So ist das also gemeint: die partizipatorische Gesellschaft als Konstrukt, in der schließlich jeder seines Glückes Schmied ist; und wo sich der Staat zurückzieht, sollen dann "zivilgesellschaftliche Lösungen" in die Bresche springen; Partizipation als Sozialdarwinismus und Zivilgesellschaft als Lückenbüßer für Staatsversagen! Die Amsterdamer Regierung - bekannt als neoliberaler Hardliner gegenüber Südeuropa - steht unter Berufung auf Brüsseler Vorgaben (oder "die Globalisierung") jetzt selbst vor eine neuen Runde von Kürzungen - im Gesundheitswesen, bei den Renten und der Arbeitslosenunterstützung. Doch in der Rede für den König präsentiert Rutte Austerität nicht als vorrübergehendes "Gürtel-enger-schnallen", sondern als systematischen und dauerhaften Umbau der Gesellschaft im Sinne der Beseitigung eines einstmals egalitären und vorbildlichen sozialen Modells. Die Kürzung der bislang recht großzügigen Entwicklungshilfe der Niederlande steht übrigens auch auf diesem perversen Programm...

>>> Und noch ein Hinweis: They Have Made A Desert, and Called it Reform (Paul Krugman über Wolfgang Schäubles FT-Artikel)

11. September 2013

Finanzmarktreform: Wie voll oder leer ist das Glas?

Auch in der Woche nach dem G20-Gipfel in St. Petersburg geht die Diskussion darüber weiter, wie groß die Gefahr der Rückkehr von Finanzkrisen ist. Unsere eigene Auswertung des Gipfels gelangt zu dem Schluss, dass die Welt zu einem endlosen Zyklus von Spekulationsblasen, Finanzkrisen und Währungszusammenbrüchen verdammt bleiben wird, wenn nicht einige grundlegende Probleme, z.B. eine neues internationales Währungssystem angegangen wird. "Daran haben auch die G20 und der St. Petersburg-Gipfel bis heute nicht geändert":

>>> Rainer Falk: Die unvollendete Mission eines Klubs: G20-Gipfel in Zeiten des Übergangs (W&E 08-09/2013)

Anders sieht es naturgemäß der neue Gouverneur der Bank of England und derzeitige Vorsitzende des Rats für Finanzstabilität (FSB), der für die G20 Vorschläge zur Finanzmarktreform erarbeitet. Geht es nach Mark Carney, dann sind die G20 und der FSB auf dem richtigen Weg und verfügen über einen Plan, den unvollendeten Job zu Ende zu bringen:

>>> Mark Carney: A plan to finish fixing the global financial system

Doch auch innerhalb des Finanzestablishments gibt es kritische Stimmen. Der ehemalige Chef der obersten britischen Finanzregulierungsbehörde, Adair Turner, sagt, die Hauptlehre aus der globalen Finanzkrise sei noch gar nicht gezogen, geschweigedenn die Konsequenzen daraus:

>>> Adair Turner: The failure of free-market finance

Eine traurige Bilanz, dass die Reform der internationalen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank auch fünf Jahre nach dem Ausbruch der Finanzkrise noch immer nicht wirklich vorangekommen sind, zieht Ngaire Woods von der University of Oxford:

>>> Ngaire Woods: Global institutions after the crisis

6. September 2013

Beendet: Der G20-Gipfel von St. Petersburg




Von den Steuervermeidungsstrategien der TNCs bis zur Volatilität auf den Emerging Markets, von Finanzderivaten bis zur Regulierung der Schattenbanken - es gab genug Themen für den Gipfel der Gruppe der 20 (wichtigsten Industrie- und Schwellenländer), der am 5./6. September in St. Petersburg stattfand. Doch das alles überragende Thema war nicht ökonomischer, sondern politisch-strategischer Natur: Die Syrienkrise und die Rivalität zwischen Russland und den USA bzw. zwischen Putin und Obama drängte die eigentlichen Gipfelthemen in den Hintergrund - jedenfalls in der medialen Aufmerksamkeit. Dennoch gab es für W&E genug zu dokumentieren, zu analysieren und zu kommentieren.

Zur G20-Lifedoku von W&E geht’s >>> hier.

BRICS-Building in St. Petersburg



BRICS-Führer in St. Petersburg

Wie auch immer die Formulierungen im G20-Kommuniqué zu den Spillover-Effekten der Beendigung der lockeren Geldpolitik und zur Eindämmung der neuen Volatilität in den Schwellenländern ausfallen mögen, den wohl wichtigeren Beschluss hat eine Gruppe von Emerging Markets, die BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), selbst gefasst. Am Rande des G20-Gipfels in St. Petersburg trafen sich die Führer der BRICS. Und das im Anschluss daran veröffentlichte Statement enthält durchaus bemerkenswerte Elemente. So fordern sie von den USA, dass die angekündigte Normalisierung der Geldpolitik sorgfältig kalibriert verlaufen und klar kommuniziert werden müsse. Darüber hinaus beschweren sie sich, dass die Realisierung der Beschlüsse früherer G20-Gipfel zur Quotenreform im IWF wegen der Blockade der Industrieländer immer noch auf sich warten lässt.

Am wichtigsten freilich ist die Übereinkunft der BRICS, einen eigenen Fonds von Währungsreserven, das sog. Contingent Reserve Arrangement (CRA), zu schaffen, um spekulative Attacken auf BRICS-Mitglieder künftig besser abwehren zu können. Der eigene Währungspool soll anfangs insgesamt 100 Mrd. US-Dollar umfassen, wovon China 41, Brasilien, Indien und Russland jeweils 18 und Südafrika 5 Mrd. Dollar einzahlen werden. Indem die Einzahlungen differenziert nach der ungefähren Wirtschaftsstärke der einelnen BRIC-Länder erfolgen, vermeiden sie Fehler, die bei der gemeinsamen BRICS-Entwicklungsbank, der sog. New Development Bank (NDB), zum Streit um die jeweilige Beteiligung am Grundkapital geführt hatten.

Das von der südafrikanischen BRICS-Präsidentschaft herausgegebene Statement unterstreicht, dass inzwischen in Bezug auf viele Schlüsselaspekte und operationale Details des CRA Konsens erzielt werden konnte und dass das Projekt bis zum nächsten Gipfel 2014 in Brasilien unter Dach und Fach sein soll. Dies ist zwar zu spät zur Bekämpfung der aktuellen Währungsunruhen. Auch bestreiten diverse Analysten, dass die 100 Mrd. Dollar ausreichend sein werden, um wirklich massiven spekulativen Attacken zu begegnen. Dennoch machen die BRICS ihrem Namen alle Ehre: Unter „brick“ versteht man im Englischen auch „Baustein“. Und die BRICS-Strategie scheint genau darin zu bestehen, Baustein für Baustein zusammenzutragen, die für die Untermauerung der eigenen Interessen wichtig sind.

G20 wollen Neuregelung des internationalen Steuerregimes



Die G20-Staats- und Regierungschefs haben sich gestern auf eine zügige Umsetzung des OECD-Steuer-Aktionsplans geeinigt und damit auch ein energisches Vorgehen gegen die Steuervermeidung von Unternehmen beschlossen (>>> Tax Annex). Es ist zu erwarten, dass dies heute in der Abschlussdeklaration formal bestätigt wird. Die Staats- und Regierungschefs haben sich ebenso auf einen automatischen Informationsaustausch geeinigt, wie er seit langem gefordert wird, um allen Steuerbehörden – einschließlich derer in Entwicklungsländern – die Informationen zur Verfügung zu stellen, die sie benötigen, um wirklich alle den Staaten zustehenden Steuern einzunehmen.

Für Oxfam-Sprecher Jörn Kalinski ist die Einigung der G20 auf ein faireres globales Steuersystem ein entscheidender Schritt, nach dem es kein Zurück mehr gibt. „Jetzt ist es wichtig, dass der Job sauber zu Ende geführt wird, damit sowohl reiche als auch arme Länder nicht um das Geld gebracht werden, das ihnen rechtmäßig zusteht.“ Das G20-Statement sei erfreulich klar in der Aussage, dass auch die Entwicklungsländer von dieser Vereinbarung profitieren müssen. Zugleich moniert Kalinski, dass weder gesagt werde, wann und wie dies geschehen soll, noch dass die ärmsten Länder künftig in den Verhandlungsprozess einbezogen werden. Aber gerade die ärmsten Länder dürfen von den Verhandlungen über neue globale Steuerregeln nicht ausgeschlossen werden, denn sie sind von Steuerflucht und Steuervermeidung proportional am stärksten betroffen.

Außerdem kommt es nun auf Schnelligkeit an. „Zeit ist hier im wahrsten Sinne des Wortes Geld und kann Leben retten“, so Kalinski. „In Subsahara-Afrika belaufen sich die Steuerausfälle durch Steuervermeidung auf die Hälfte dessen, was die Regierungen dort für die öffentlichen Gesundheitssysteme ausgeben. Für die vielen Frauen, die beispielsweise Gefahr laufen, während der Schwangerschaft oder bei der Geburt ihrer Kinder zu sterben, sind Versprechen nicht genug.“

5. September 2013

Neue Kehrtwende des IWF vor dem G20-Gipfel


In einer „Surveillance-Note“ für die Staats- und Regierungschefs der G20 spricht der IWF von einer „gewandelten internationalen Wachstumsdynamik“. Dies ist das verklausulierte Eingeständnis dafür, dass sich Thesen, die noch im Juli dieses Jahres vom Fonds vertreten wurden, über den Sommer als falsch erwiesen haben. Das gilt für die Behauptung einer globalen Konjunktur der „drei Geschwindigkeiten“ ebenso wie die Anrufung der Emerging Markets bzw. der Schwellenländer als dynamischer „Motor“ der Weltwirtschaft. Jetzt heißt es auf einmal, der wirtschaftliche Schwung sei vielmehr für die „fortgeschrittenen Länder“, vor allem die USA, zu prognostizieren, während sich das Wachstum in den wichtigsten Schwellenländern verlangsamt hat. Ein ähnliches Bild der vertauschten Rollen in der Weltkonjunktur zeichnete kürzlich die OECD.

Die erneute Kehrtwende des Fonds ist nicht verwunderlich, blickt man auf die zahlreichen Irrtümer, die in letzter Zeit eingeräumt werden mussten, von der bis zuletzt geleugneten drohenden globalen Finanzkrise über die Unterschätzung der negativen Folgen der Austeritätspolitik in den europäischen Krisenländern bis zur Behauptung eines direkten Zusammenhangs zwischen steigender Staatsverschuldung und nachlassendem Wachstum. Der Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung hat in seinen letzten Vierteljahresberichten zur Weltwirtschaft nicht nur diese Irrtümer aufgespießt, sondern übrigens auch darauf hingewiesen, auf welch wackligen Beinen die These von der dreigeschwindigen Weltkonjunktur und den Schwellenländern als globaler Konjunkturmotor steht. Verwunderlich ist nur das zunehmende Tempo, mit dem der IWF öffentlich Irrtümer einräumen muss, während das prognostizierte Wachstum stets hinter den Erwartungen zurück bleibt.

So findet denn der heute beginnende G20-Gipfel in St. Petersburg vor einem veränderten Panorama statt. Die zu erwartenden Ergebnisse nehmen sich jetzt schon bescheiden aus: Herauskommen könnte ein gewisser Fortschritt im Kampf gegen Steueroasen, wo man sich wahrscheinlich auf das Prinzip des automatischen Informationsaustausches einigen wird. Auch eine neue Initiative zur besseren Regulierung der Märkte für Finanzderivate soll es geben, ebenso wie Vorschläge des Rates für Finanzstabilität (FSB) zur Unterwerfung der Schattenbanken unter neue globale Regeln. Dem Vernehmen nach soll es jedoch dauern, bis aus den Initiativen und Vorschlägen verbindliche und umsetzbare Regeln werden, im Falle der Schattenbanken bis mindestens 2015. Und dabei ist noch gar nicht ausgemacht, ob aus den Vorsätzen globaler Regeln nicht am Ende doch nur nationale oder regionale Regelungen werden, da sich die Interessengegensätze auch im G20-Kreis als stärker als die Gemeinsamkeiten erweisen werden.