22. Mai 2008

Entschädigung: Durchbruch in den USA für Opfer der Apartheid

Konzerne können nicht länger sicher sein, im Fall der Unterstützung diktatorischer Regime, die schwere Menschenrechtsverletzungen begehen, straflos auszugehen. Das Oberste US-Gericht hat jetzt entschieden, die Klagen zugunsten der Opfer des südafrikanischen Apartheid-Regimes im Umfang von über 400 Mrd. US-Dollar zuzulassen. Die Klagen der Apartheidopfer-Organisation Khulumani (im Foto Mitglieder bei einer Demonstration) und weiterer Kläger richten sich unter anderem gegen die beiden Großbanken UBS und Credit Suisse sowie zahlreiche internationale Konzerne, darunter Nestlé, Holcim, Novartis und Ems Chemie. Die Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im Südlichen Afrika (KEESA) mit Sitz in Basel die Entscheidung des US-Gerichts begrüßt.

Am 12. Oktober 2007 hatte das US-Appellationsgericht die Abweisung der Apartheidklagen durch die erste Instanz aufgehoben. Dies stellte einen wichtigen Erfolg für die Apartheidopfer dar. Gegen diesen Entscheid legten die betroffenen Konzerne - direkt oder indirekt unterstützt durch die Regierungen der USA und Südafrikas, aber auch den Schweizer Bundesrat - beim Obersten US-Gericht Berufung ein. Dieses hat den Rekurs nun abgewiesen. Damit bleibt der Entscheid des Appellationsgerichts rechtsgültig. Dies ist ein Durchbruch für die Tausenden von Apartheidopfern, die seit Jahren für Gerechtigkeit kämpfen. Die erste Instanz in den USA muss nun die Klagen materiell prüfen.

Die Konzerne und die Schweizer Regierung sind bis heute nicht bereit, die Verantwortung für ihr Engagement in Südafrika während der Apartheid zu übernehmen. Sie sind auch nicht bereit, die Konsequenzen aus den Ergebnissen des Nationalfonds-Berichts zu den Beziehungen Schweiz-Südafrika zu ziehen, der die intensive politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Staaten während der Apartheid klar belegt hat. Die KEESA fordert die Konzerne und den Bundesrat jetzt auf, das Kapitel Apartheid schonungslos aufzuarbeiten und das Recht der Apartheidopfer auf Wiedergutmachung anzuerkennen.

19. Mai 2008

Minenhund des Protektionismus?

Wer wie kürzlich Lawrence Summers (>>> Summers Sinneswandel) argumentiert, die Globalisierung müsse besser reguliert werden, und mehr darüber nachdenken will, wie Standards international angehoben werden können, statt einen „race to the bottom“ zu veranstalten, gerät immer noch schnell in das Kreuzfeuer der südlichen Eliten und ihrer intellektuellen Fürsprecher. Von einer solchen Position aus haben jetzt Devesh Kapur (Center for the Advanced Study of India), Pretap Mehta (Center for Policy Research, Neu Delhi) und Arvid Subramanian (Peterson Institute for International Economics) Summers scharf angegriffen. Er mache sich zum Minenhund der Protektionisten, suche bei nationalistischen Argumenten Zuflucht und stoßen sich an der Globalisierung überhaupt nur deshalb, weil jetzt erstmals Amerikaner ihre Nachteile zu spüren bekommen. „Nachdem man den Entwicklungsländern erst die bitteren Pillen des intellektuellen Eigentumsschutzes und der Kapitalmobilität als notwendigen Preis für eine bessere Zukunft verabreicht hatte, wird ihnen jetzt erzählt, diese Medikamente hätten Probleme verursacht und diese bedürften jetzt weiterer – diesmal protektionistischer – Medizin.“ (>>> Is Larry Summers the canary in the mine?)

Auch wenn diese Polemik den Kern der Argumentation von Summers gar nicht trifft und dieser zu Recht einwendet, es helfe nicht weiter, die Herausforderungen der Globalisierung für die Gestaltung progressiver Wirtschaftspolitik im Norden zu ignorieren, haben Kapur, Mahta und Subramanian in einem Punkt Recht. So schreiben sie: „Was eine gerechte Globalisierung ausmacht, kann nicht unilateral vom Standpunkt der Gewinne und Verluste in den USA bestimmt werden.“ Das Problem ist nur: Nimmt man die Debatte um Handel und Sozialstandards, so besteht die Position der südlichen Eliten bis heute darin, sich einem internationalen Prozess zu verweigern, in dem Kriterien für „gerechte Globalisierung“ definiert werden könnten.

Im Gleichklang mit Stimmen wie Kapur u.a. warnt heute auch der britische Außenminister David Miliband die Präsidentschaftskandidaten der US-Demokraten vor einem protektionistischen Umschwung in den USA. Da ist sie wieder, die „unheilige Allianz“ zwischen den westlichen Freihandelsaposteln und den neuen Exportoligarchien im Süden. Weder die einen noch die anderen haben ein Interesse daran, die Weltwirtschaft so zu gestalten, dass sie für wirklich alle von Vorteil ist. Dazu reicht es in der Tat nicht aus, immer nur zu konstatieren, Protektion bzw. Schutz sei schlecht und Globalisierung unvermeidbar.

18. Mai 2008

Traurige Figur: Die Eurogruppe im IWF

Eine „traurige Figur“ mache bislang die Eurogruppe im Internationalen Währungsfonds (IWF), sagte deren Vorsitzender, der Luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker dieser Tage in einem Interview mit der Börsen-Zeitung. Es war nicht das erste Mal, dass Juncker einen gemeinsamen Sitz für die Euro-Länder im Fonds forderte. Doch ist es etwas erstaunlich, dass diese Forderung ausgerechnet jetzt wieder kommt, nachdem der IWF gerade eine neue Quotenformel beschlossen hat, die auch für die Sitzverteilung im Fonds von Bedeutung ist. In diesem Zusammenhang vermisste man mehr als schmerzlich die Bereitschaft der Europäer, auf einzelne nationale Sitze zu verzichten. Dies wäre aber die Voraussetzung, wenn Euro-Europa wirklich mit einer Stimme sprechen will. Einige kleinere europäische Länder, darunter Luxemburg, haben immerhin auf ein paar Stimmanteile verzichtet, die ihnen auch nach der neuen Quotenformel zugestanden hätten. Aber das Problem sind die Großen, die ihre nationalen Prioritäten den europäischen Zielen nicht unterordnen wollen.

Wohl vor diesem Hintergrund ist zu sehen, das der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, anlässlich des 10. Jahrestags des Euro in Brüssel sagte, wichtiger als die Sitzfrage sei die Stärkung der inhaltlichen Einheit der Eurogruppe, z.B. bei der makroökonomischen Politikkoordination, oder generell die Verbesserung der Kommunikation der gemeinsamen Positionen der Eurogruppe gegenüber der restlichen Welt. – Gerade bei den zentralen Fragen der IWF-Politik, etwa der Strukturanpassungspolitik und der IWF-Konditionalität, sind gemeinsame Positionen der Euro-Europäer in der Tat kaum erkennbar. Und wenn dann etwa noch die europaskeptischen Briten gemeinsame europäische Interessen mittragen sollen, sieht es noch düsterer aus.

14. Mai 2008

Good-by Turkish Monetary Fund

Nachdem die meisten Großschuldner des Internationalen Währungsfonds (IWF) ihre Schulden aus der Zeit der letzten großen Finanzkrise, der Asienkrise und ihrer Fortsetzung in Lateinamerika, vorzeitig zurückgezahlt hatten, machte in Washington das Bonmot die Runde, aus dem Fonds sei nunmehr ein „Turkish Monetary Fund“ geworden, da die Türkei als einziger Großschuldner übrig geblieben war. Doch diese Zeiten sind jetzt auch vorbei, nachdem das 10 Mrd. Dollar schwere Kreditabkommen mit der Türkei am vergangenen Wochenende ausgelaufen ist und so schnell nicht ersetzt werden wird.

„Fest im Griff“, so ein Policy Paper des Netzwerk Schulden und Entwicklung (Eurodad) in Brüssel, hat der IWF zwar noch eine Vielzahl kleinerer und ärmerer Länder, vor allem in Afrika. Doch deren Kredite sind zu klein, um aus ihren Zinsen und Gebühren jene Heerscharen von „Experten“ zu finanzieren, mit deren Hilfe der Fonds bislang tief in das Mikromanagement der Entwicklungsländer hineinregiert hat. Nur konsequent unterzieht der neue Geschäftsführende Direktor, Dominique Strauss-Kahn, jetzt den IWF selbst einer kleinen Rosskur der Strukturanpassung. Beschlossen wurde dieser Tage die Entlassung von 591 (von insgesamt 2.900) Fonds-Mitarbeitern. Das bringt nicht nur finanzielle Entlastung; die Leute werden schlicht nicht mehr gebraucht, wenn Strauss-Kahn sein Versprechen wahr macht und die Kreditkonditionen des IWF einer radikalen Überprüfung unterzieht.

Gleichzeitig hat das IWF-Führungsgremium beschlossen, gut 400 Tonnen Gold aus seinen Vorräten (rund 20% seiner Bestände) auf den Markt zu werfen, um daraus eine zusätzliche Eigentumsquelle auf den Finanzmärkten zu generieren. Ob das klappt, ist freilich angesichts des aktuellen „Turmoils“ alles andere als sicher. Jedenfalls braucht der IWF dann eine andere Art von Experten, die ihn beizeiten warnen, sich aus allzu riskanten Investitionen und Engagements zurückzuziehen. Berücksichtigt man, dass der Fonds auch die jüngste Subprime-Krise wieder verschlafen hat (wie vordem die Asienkrise), dann fällt es schwer, den Glauben an den IWF aufrecht zu erhalten.

7. Mai 2008

Summers Sinneswandel: Gesunde Globalisierung?

Einst war er bei Umweltschützern und NGOs wegen seines Plädoyers für den Export von mehr Umweltverschmutzung in die „unterverschmutzte“ Dritte Welt verpönt (>>> W&E 02/1992). Seit kurzem tritt Lawrence Summers (s. Photo), ehemals Chefökonom der Weltbank, dann US-Staatssekretär und Finanzminister und heute Harvard-Professor, für die Entwicklung einer Strategie der „gesunden Globalisierung“ ein. Nach innen soll diese die Reduzierung sozialer Ungleichheit und Unsicherheit umfassen, nach außen soll sie die „Interessen der arbeitenden Menschen in allen Ländern“ in den Mittelpunkt stellen.

Unter anderem denkt Summers an die Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit in Steuerfragen, um den „race to the bottom“ bei der Unternehmensbesteuerung zu stoppen und umzukehren. Desweiteren müsse der Fokus auf eine neue internationale Wirtschaftsdiplomatie gelegt werden, um einen schädlichen Regulierungswettbewerb zu verhindern. „Finanzielle Regulierung“, so Summers, „ist nur ein Beispiel dafür, wie das Allheilmittel der ‚internationalen Konkurrenzfähigkeit‘ dazu herhalten musste, Regulierungen abzubauen. Es hat nicht genug ernsthafte Überlegungen gegeben, wie die Alternative aussehen müsste – als globale Kooperation, um Standards anzuheben.“

Nichts dergleichen wäre Summers in seiner Weltbank-Zeit und später als Mitglied der Clinton-Regierung über die Lippen gekommen.

2. Mai 2008

Couragierter Frenchman: Ernährungssicherheit vs. Agrarliberalismus

Der französische Landwirtschaftsminister Michel Barnier (s. Photo) ist wegen seiner Bemerkung, die Gemeinsame Agrarpolitik (CAP) der EU könne in gewisser Hinsicht als Modell für Ernährungssicherheit in Afrika dienen, ins Schussfeld der Marktliberalen geraten (>>> Barnier’s barriers). In einem Leserbrief an die Financial Times schießt Barnier heute zurück:

„Zu behaupten, dass die Zukunft der armen Länder der Welt in ihrer Fähigkeit liegt, in die reicheren Teile der Welt zu exportieren, steht in doppeltem Gegensatz zur Wirklichkeit. Erstens weil die am wenigsten entwickelten Länder bereits freien Marktzugang zu den größten Märkten – denen der Europäischen Union und ihren 450 Millionen Konsumenten – genießen. Zweitens weil es gerade die Wahl einer exportorientierten Landwirtschaft war, die die Subsistenzlandwirtschaft und die lokale Produktion in den ärmsten Ländern der Welt ruiniert hat.
Sie behaupten, ich wollte den Entwicklungsländern den Zugang zu den Weltmärkten nehmen. Was ich sage ist, dass Ernährungssicherheit weder durch Protektionismus noch durch Handel allein erreicht werden kann. Die Antwort auf die globale Knappheit muss in der weltweiten Steigerung der Produktionskapazität liegen und nicht nur dort, wo es am profitabelsten ist. In diesem Zusammenhang werden die Verlierer der Doha-Runde unvermeidlich die Hungrigen und Armen der Welt sein, woran wir kürzlich durch Ihre eigene Zeitung (FT vom 3.4.2008) und durch Ökonomen der Weltbank und der Carnegie Endowment erinnert wurden.
Und es gibt keinen Anlass für die Europäische Union, rot zu werden für das, was wir auf den Tisch gelegt haben: eine durchschnittliche Reduzierung der Importzölle um über die Hälfte im Agrarbereich und die Beendigung aller Exportsubventionen. Unter Verweis auf den Begriff Gemeinschaftspräferenz zu behaupten, wir wollten die Zölle anheben, ist vollkommen inkorrekt.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, was denn die Vorschläge unserer Haupthandelspartner sind. Angesichts der Krise ergreifen die großen Agrarexporteure wie Brasilien und Argentinien Maßnahmen, um ihre Exporte zu begrenzen, während die USA, die derzeit ihre Agrarpolitik konsolidieren, ihre indirekten Exporthilfen – ungeachtet der langfristigen Schädigung der Entwicklungsländer – fortführen werden.
Ich habe niemals ‚Nahrungsmittelautarkie‘ vorgeschlagen. Wofür ich aber plädiere, ist eine Wende zu mehr Agrarpolitik und –regulierung innerhalb homogener regionaler Blöcke. Den armen Bauern, die in der Konkurrenz heute schon nicht mithalten zu können, dadurch helfen zu wollen, dass man sie freier Konkurrenz aussetzt, macht überhaupt keinen Sinn. In der Praxis läuft das auf die Verweigerung eines Minimums an Ernährungssicherheit in Afrika hinaus und würde die einzig wirkliche Lösung entmutigen: die langfristige Schaffung eines günstigen Klimas für landwirtschaftliche Investitionen – der einzige Weg, um die Armut zu verringern und den Hunger auszurotten.
In dieser Hinsicht kann die CAP ein Modell sein.“

So weit, so gut. Was unser couragierter Frenchman allerdings geflissentlich nicht erwähnt, ist, dass es auch die angesprochenen Konzessionen der EU im Agrarbereich in der Doha-Runde nicht zum Nulltarif geben wird. Vielmehr fordert die EU im Gegenzug weitreichende Liberalisierungen in der verarbeitenden Industrie und im Dienstleistungsbereich von den armen Ländern. Und hier ließe sich angesichts der Position der Afrikaner auf der Stufenleiter der internationalen Arbeitsteilung sicher ebenso oder ähnlich argumentieren wie im Agrarsektor.

>>> Barnier im FT-Interview

1. Mai 2008

Beinahe-Stillstand auf UNCTAD XII

Ohne signifikante Fortschritte ging am letzten Wochenende die XII. UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD XII) in Accra/Ghana zu Ende. Während die weltweite Nahrungsmittelkrise die Reden beherrschte, ging im Verhandlungsausschuss („Committee of the Whole“) der Konflikt um das Policy-Space-Konzept weiter, mit dem die Entwicklungsländer auf eine Erweiterung ihrer politischen Handlungsspielräume gegenüber internationalen Abkommen pochen. Der schließlich im Konsens angenommene „Accra Accord“ bekräftigt im Grunde nur die Formulierungen, die schon vor vier Jahren in Sao Paulo gefunden worden waren:

„Es ist für die Entwicklungsländer besonders wichtig“, heißt es dort, „dass alle Länder die Notwendigkeit einer angemessenen Balance zwischen dem nationalen policy space und internationalen Bestimmungen und Verpflichtungen in Rechnung stellen.“ Desweiteren findet sich der Passus: „Auch die (bilateralen) FTAs (Freihandelsabkommen) führen neue Regeln zur Investitionsliberalisierung und öffentlichen Auftragsvergabe ein, die die Fähigkeit der Regierungen verringern, im Sinne von Entwicklung und öffentlichem Wohlergehen zu regulieren.“

Der vielleicht konkreteste Punkt im Accra-Accord sieht vor, dass UNCTAD ihre Arbeit zum Thema Rohstoffe verstärkt – ein Thema, das traditionell im Mittelpunkt der Verhandlungen um Rohstoffabkommen stand, dann aber mit der neoliberalen Wende seit 1980 mehr und mehr an den Rand gedrängt wurde. Der Accra-Accord legt jetzt die Gründung einer besonderen Rohstoffabteilung beim UNCTAD-Sekretariat in Genf fest. NGOs wie ActionAid International sind allerdings skeptisch und verweisen darauf, dass bereits die Sao-Paulo-Deklaration die Bildung einer internationalen Task Force zum Thema Rohstoffe vorsah, dann aber wegen Finanzmangels niemals ins Leben gerufen wurde.

Als klare Niederlage des Südens muss gewertet werden, dass es in Accra nicht gelungen ist, eine zusätzliche UNCTAD-Kommission zu gründen, die sich nach den Vorstellungen der Gruppe der 77 mit den Herausforderungen der Globalisierung für die Entwicklungsländer beschäftigen und diese entsprechend beraten sollte.