30. August 2012

Jackson Hole 2012: Konklave der Zentralbanker

Den spätsommerlichen Treffen der Zentralbanker im Erholungsort Jackson Hole in den Bergen Wyomings haftet etwas Mystisches an. Die Financial Community aus Investoren, Finanzpolitikern, Spekulanten und Analysten erwartet wegweisende Vorgaben, wenn der Gastgeber des Treffens, der Vorsitzende der US-amerikanischen Federal Reserve (FED), seine Rede hält. Doch bedarf es eines erheblichen Interpretationsaufwands (um nicht zu sagen: Gabe zum Orakel), um die jeweilige Botschaft zu entschlüsseln. So galt die Rede von FED-Chef Ben Bernanke vor zwei Jahren als sanfte Vorbereitung auf die zweite Runde der geldpolitischen Lockerung („quantitative easing“), die dann im November desselben Jahres eingeleitet wurde. Als entscheidender Hinweis diente die Formulierung, dass die FED „bereit ist zu zusätzlichen geldpolitischen Erleichterungen durch unkonventionelle Maßnahmen, wenn sich diese als notwendig erweisen“.

Im letzten Jahr zeichnete sich die Keynote-Rede der neuen Geschäftsführenden Direktorin des IWF, Christine Lagarde, allerdings durch ungewöhnliche Klarheit aus. Ihr Satz, dass die Weltwirtschaft in eine „neue, gefährliche Phase“ eingetreten sei, beherrschte monatelang die internationale wirtschaftspolitische Debatte. Und heute? Die "gefährliche Phase" scheint sich in einen „neuen Normalzustand“ verwandelt zu haben, der durch stark verlangsamtes Wachstum in den USA, eine Double-dip-Rezession in Europa und einen gewissen Abschwung auch in den Schwellenländern gekennzeichnet ist (>>> Die Krise erreicht den Süden) und über dem als Damoklesschwert die immer noch ungelösten Probleme aus der Finanzkrise schweben.

Für dieses Jahr wird allgemein damit gerechnet, dass Bernanke in seiner morgigen Rede die Möglichkeiten für ein QE III, also eine dritte Runde der geldpolitischen Lockerung, ventilieren wird, wobei der Titel seiner Rede („Geldpolitik seit der Krise“) eher unspektakulär gehalten ist. Sein Kollege Mario Draghi von der Europäischen Zentralbank hat wie die meisten seiner Vorstandskollegen die Reise nach Jackson Hole gar nicht erst angetreten, was von den meisten der Auguren so interpretiert wird, dass man seine Hausaufgaben in Frankfurt, nämlich die Ausarbeitung der angekündigten „unkonventionellen“ Maßnahmen gegen die Schuldenkrise in der Eurozone, machen wolle (>>> Eurozone oder Europäische Union. Die „unkonventionellen“ Maßnahmen der EZB). Es wird also eher ruhig bleiben um die Konklave der Zentralbanker in den Bergen. Überraschungen sind jedoch nicht ausgeschlossen.

29. August 2012

Wirtschaftliche Entwicklung der Emerging Economies: Ausgewachsen?

Noch vor einem Jahr waren die Emerging Markets, die Schwellenländer, als Starperformer der Weltwirtschaft in aller Munde. Inzwischen ist die Euphorie teilweise der Ernüchterung gewichen. Denn die Wachstumsraten solcher Länder wie China und Indien, Brasilien und Argentinien, Singapur und Malaysia sind in diesem Jahr deutlich niedriger als im Durchschnitt der letzten Jahre. Natürlich ist dies zunächst einmal ein zyklisch-konjunkturelles Phänomen (>>> Die Krise erreicht den Süden). Mit dem Abschwung in den USA und der erneuten Rezession in Europa gehen externe Sonderbedingungen zu Ende, die der verarbeitenden Industrie der Schwellenländer, allen voran Chinas, besondere Exportbedingungen geboten hatten (kreditgestütztes Konsumniveau in den USA, weltweiter Rohstoffboom).

Es können aber auch grundlegendere, strukturelle Argumente geltend gemacht werden, die die Abkühlung in den aufstrebenden Ökonomien des Südens erklären können. Eines davon hat kürzlich der Harvard-Ökonom Dani Rodrik dargelegt. Rodrik argumentiert, dass die jüngste starke Wachstumsphase in den Schwellenländern eher die Ausnahme als die Regel war. Sie beruhte auf einem bewährten Muster, das wesentlich durch die Entwicklung der verarbeitenden Industrie getrieben wurde, wo es relativ leicht sei, ausländische Produktionstechnologie und Produkte zu kopieren. Mit dem stärkeren Gewicht hochproduktiver Dienstleistungen, die komplexe Qualifikationen und eine anspruchsvollere institutionelle Infrastruktur erforderten, werde der Eintritt in den Globalisierungsprozess wesentlich schwerer, zumal auch die Ausbildungs- und Kapitalintensität in der verarbeitenden Industrie zunehme. Hinzu kommt, dass mit wachsender Produktivität auch in den Schwellenländern die Löhne wachsen, so dass auch deren Lohnkostenvorteil tendenziell schwindet.

Ein ähnliches Argument entwickelt der Financial-Times-Journalist Peter Marsh in seinem neuen Buch The New Industrial Revolution: Consumers, Globalization and the End of Mass Production. Nach Marsh nehmen die Möglichkeiten der Teilhabe neuer Länder am Prozess der verarbeitenden Industrie – im Zuge einer Neuen Industriellen Revolution – vor allem aus technologischen Gründen ab. Dies führt möglicherweise dazu, dass die alten Industrieländer Anteile, die in den letzten Jahren an die Schwellenländer verloren gingen, wieder zurückgewinnen können. Marsh nennt hier u.a. hochtechnologische Formen der Automatisierung und die wachsende Nachfrage nach maßgeschneiderten Produkten, die vor allem auch Marktnähe erforderten.

Nun ist die Spekulation um die Rückverlagerung von Industrien in die alten Zentren so alt wie die Debatten um die Globalisierung und den Übergang zu einer Neuen Internationalen Arbeitsteilung zwischen Nord und Süd selbst. Ob die aktuelle Abkühlung des Wirtschaftswachstums in den Schwellenländern bereits Anzeichen dafür ist, dass solche strukturellen Faktoren zu greifen beginnen, lässt sich schwer vorhersagen. Aber selbst wenn die Emerging Economies künftig etwas moderater wachsen sollten oder sich der zyklische Charakter wirtschaftlicher Entwicklung dort stärker als bisher akzentuieren sollte (wofür einiges spricht) – „ausgewachsen“ im Sinne anhaltender stagnativer Tendenzen sind diese Länder noch lange nicht.

24. August 2012

Nach 19 Jahren: Russland neues WTO-Mitglied

Als letzte große Ökonomie ist in dieser Woche Russland der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten. Weltbank-Ökonomen prognostizieren verheißungsvoll, dass die WTO-Mitgliedschaft dem Land pro Jahr ein Plus von 49 Mrd. Dollar (etwa 3% des russischen BIP) bringen wird. Doch erst mal wird sich Russland, das sage und schreibe 19 Jahre lang über die Beitrittsbedingungen verhandelt hat, neue Konkurrenz aus dem Ausland gefallen lassen müssen. Seine Importzölle müssen von durchschnittlich 11,5% auf 7% gesenkt werden, während umgekehrt den russischen Exporten, hauptsächlich Gas und andere Rohstoffe, kaum Handelsbarrieren entgegen stehen. Allein die russische Stahlindustrie sieht sich ausländischen Zöllen gegenüber, die das Land aber nur 1,5-2 Mrd. Dollar pro Jahr kosten.

Hinzu kommt, dass mit dem WTO-Beitritt noch keineswegs jene Handelsbarrieren beseitigt werden, die auf Seiten der USA seit den Tagen des Kalten Krieges bis heute fortbestehen („Jackson Vanik accord“). Diese halten US-Unternehmen davon ab, den Russen den Status eines normalen Handelspartners einzuräumen. Experten gehen daher davon aus, dass die Bedeutung des russischen WTO-Beitritts ökonomisch kaum ins Gewicht fällt.

Als „Zeichen des Vertrauens“ in seine Organisation hat WTO-Generaldirektor Pascal Lamy den Beitritt Russlands gepriesen. Eher andersherum lautet allerdings das Thema des diesjährigen WTO-Symposiums, das im September unter der Frage stattfindet: „Ist der Multilateralismus in der Krise?“ Angesichts der Tatsache, dass es jetzt schon seit über zehn Jahren keine nennenswerten Liberalisierungsfortschritte im Rahmen des WTO-Multilateralismus mehr gibt, eine allzu berechtigte Frage. Und es ist zweifelhaft, ob ein paar Nachzügler (neben Russland ist diese Woche noch Vanatu beigetreten) dieser Art des Multilateralismus neues Leben einhauchen können.

23. August 2012

Deutschland profitiert von Griechenland-Krise

Die Woge des Griechenland-Bashings, die derzeit über uns hinweg schwappt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Wirklichkeit Deutschland ist, das den Nutzen des aktuellen Krisenmanagements einheimst und nicht Griechenland. Das hat gestern Suleika Reiners vom World Future Council in Hamburg in einem Leserbrief an die Financial Times klargestellt. Bislang hat es keinerlei Geschenke Deutschlands an Athen gegeben, sondern lediglich Garantien und einen Kredit von 15,2 Mrd. €.

Bis jetzt hat Deutschland aus dem Griechenland-Geschäft nur Gewinn gezogen, so Reiners. Bis Ende 2011 wurden beispielsweise 380 Mio. € Zinsen aus dem Kredit an Griechenland einkassiert. Auch aus dem Anstieg der Exporte im Gefolge des fallenden Euros hat Deutschland Nutzen gezogen. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) bei der Böckler-Stiftung schätzt die diesbezüglichen Extragewinne auf rund 50 Mrd. €.

Schließlich spart Deutschland eine Menge Geld durch die niedrigen Zinsen auf seine eigenen Kredite, d.h. die Ausgabe von Staatsanleihen zu Null- oder sogar Negativzinsen. Nach Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft belaufen sich diese Einsparungen inzwischen auf 68 Mrd. €. „Es ist somit nicht Deutschland, das für Griechenland zahlt. Es ist Griechenland, das Deutschland nutzt“, so Reiners. Die Frage ist nur, weshalb sich das Märchen von den deutschen Zahlmeistern in der Griechenland-Krise so hartnäckig hält. Aber den Deutschen hat ja die einschlägige Sammlung der Gebrüder schon immer gut gefallen.

>>> Zum Thema auch: Europäische Union oder Eurozone?

17. August 2012

NGO lobt Niebel

Als erste NGO hat FIAN Deutschland die Forderung von Entwicklungsminister Dirk Niebel nach einem Verkaufsstopp für den E10-Biosprit begrüßt. Ein solcher Stopp wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, sagte FIAN-Agrarreferent Roman Herre am Donnerstag in Köln: „Im Konflikt ‚Tank oder Teller‘ darf es nur eine Entscheidung geben: nämlich die Verbesserung der Ernährungssicherheit der Armen und Hungernden.“ Niebel fordert den Verkaufsstopp angesichts der gerade wieder ansteigenden Lebensmittelpreise. Der Anbau von Zuckerrohr, Jatropha, Soja und anderen Pflanzen zur Energiegewinnung schadet seit Jahren der Ernährungssicherheit vor allem des Globalen Südens: Denn Agrarflächen, auf denen Pflanzen zur Lebensmittelgewinnung wachsen könnten, werden zunehmend zum Anbau von Biomasse zur Energiegewinnung okkupiert.

Gegenwind erhält Niebel vom Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB). Deren Geschäftsführer Elmar Baumann redet die Verhältnisse schön und erklärte, dass „von der deutschen Getreideernte (…) im vergangenen Jahr“ nur „etwa 4% in die Bioethanolproduktion“ geflossen seien. „Das ist die klassische Augenwischerei eines Lobbyisten“, sagt Herre: „Der für deutsche Agrarflächen weitaus relevantere Biodiesel-Sektor wird verschwiegen und ein bedeutender Teil der Agrartreibstoffe wird schließlich importiert, auch aus Ländern in denen gehungert wird.“

FIAN ermutigt Niebel, an seinem Kurs festzuhalten. Eines ist für Herre aber klar: „Eine Abschaffung der Beimischungsquote, also des E10, wäre nur ein erster, aber wichtiger Schritt um der menschenrechtliche Verantwortung Deutschlands für das Recht auf Nahrung nachzukommen.“ Weitere Maßnahmen wie etwa der Verzicht auf Agrartreibstoffe in der Luftfahrt müssten folgen.

* Eine detaillierte menschenrechtliche Bewertung der EU-Agrartreibstoffpolitik findet sich >>> hier.

15. August 2012

Spekulation: Verzagte Banken?

Einige Banken in Europa beginnen vor dem Hintergrund wachsender öffentlicher Kritik mit dem Rückzug aus der Spekulation mit Rohstoffen und Lebensmitteln, während in den USA gerade eine neue Spekulationswelle mit Lebensmitteln beginnt (>>> Vor einer neuen Nahrungsmittel-Krise … und am Beginn einer neuen Spekulationswelle?). Die Commerzbank hat alle Agrarprodukte aus ihrem Rohstoff-Fonds ComStage ETF genommen und beabsichtigt auch keine neuen börsennotierten Anlageprodukte auf Basis von Grundnahrungsmitteln mehr aufzulegen. Die Entscheidung ist aus vorsorglichen Gründen erfolgt, erklärte die Commerzbank. Auch die DekaBank der Sparkassen und die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) sowie die Österreichische Volkbanken AG und die Raiffeisen Centrobank hatten angekündigt, künftig auf die Spekulation mit Agrarrohstoffen zu verzichten.

Beim Commerzbank-Fonds wurde die Umbildung zum 30. Juli 2012 bereits vollzogen. Andere Banken sind bislang über vage Absichtserklärungen nicht hinaus gekommen – allen voran die Deutsche Bank als größtes Investmenthaus in Europa. Denn während ihre Gremien angeblich seit Monaten das Geschäftsfeld Nahrungsmittelspekulation überprüfen, treiben ihre Produkte weiterhin Menschen in Armut und Hunger. Unter der neuen Spitze Jain/Fitschen scheint der Überprüfung jede Ernsthaftigkeit verloren gegangen zu sein. Deshalb ist es irreführend, wie die Financial Times bereits von einem der „seltenen Siege“ von Kampagnen zu sprechen. Korrekter wäre die Rede von einem Teilerfolg.

Nach der Veröffentlichung des foodwatch-Reports „Die Hungermacher“ im Oktober 2011 (>>> Deutsche Bank& Co verschärfen den Hunger) hatte der damalige Vorstandschef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, eine schnelle Prüfung zugesagt. Die angekündigten Termine für die Vorlage eines Berichts über die Auswirkungen spekulativer Rohstoff-Anlagen sowie die Entscheidung über mögliche Konsequenzen wurden jedoch immer wieder vertagt – zuletzt hatte Ackermann den Bericht für Ende 2012 in Aussicht gestellt. Seine Nachfolger Anshu Jain und Jürgen Fitschen bestätigten diesen Zeitplan bislang nicht; eine foodwatch-Anfrage direkt nach ihrem Amtsantritt ließen die Manager unbeantwortet.

Die Deutsche Bank ist der größte Aufleger von Rohstoff-ETFs und vergleichbaren Produkten, mit denen auf Getreide, Mais, Soja und andere Nahrungsmittel gewettet wird. Ihr Gesamtwert wird auf mindestens 1 Mrd. Dollar geschätzt, den große institutionelle Investoren wie Pensionsfonds, aber auch zahlreiche Kleinanleger halten.

10. August 2012

Debatte neu belebt: Ethanol contra Lebensmittel

Der Generaldirektor der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO), José Graziano da Silva, hat die USA aufgefordert, ihre offiziell unterstützte Produktion von Agrartreibstoffen herunterzufahren, um einer erneut drohenden Lebensmittelpreiskrise zuvorzukommen. Da die USA nahezu die Hälfte der globalen Getreideexporte stellen, sind die potentiellen Auswirkungen auf die Weltagrarmärkte beträchtlich. Die im Mittleren Westen der USA herrschende extreme Dürre mit den höchsten Temperaturen seit Beginn der Aufzeichnungen hat die Preise für Mais, Sojabohnen und Weizen seit Juni d.J. bereits um 30 bis 50% nach oben getrieben.

Graziano da Silva weist in einem Financial-Times-Artikel von heute zusätzlich darauf hin, dass in den USA trotz der beträchtlichen Ernteschäden rund 40% ihrer Maisproduktion in die Herstellung von Ethanol gehen und damit als Nahrungsmittel nicht mehr zur Verfügung stehen. „Eine sofortige, zeitlich befristete Aussetzung des Ethanolmandats (des US-Kongresses; RF) würde den Märkten Luft verschaffen und könnte einen höheren Anteil der Ernte für Nahrungs- und Futtermittel bereitstellen.“

Graziano da Silvas Intervention ist willkommen, da sie eine Debatte neu belebt, die schon anlässlich der Preissprünge 2008/09 und 2011 geführt wurde, aber ohne dass sich Wesentliches änderte. Sie dürfte nicht zuletzt die Agrarlobby in den USA weiter spalten, wo die Anbauer von Getreide von steigenden Nahrungsmittelpreisen profitieren, während Viehzüchter höhere Input-Kosten hinnehmen müssen, was mit Blick auf die kommenden Präsidentschaftswahlen nicht ganz unwichtig ist. Autofans weisen jedoch darauf hin, dass sich die Benzinpreise durch den höheren Ethanolanteil verbilligt haben.

Graziano da Silva hat allerdings ein Glaubwürdigkeitsproblem, da er als Brasilianer mehrfach – zuletzt bei seinem Amtsantritt am 1.1.2012 – die These von der „guten“ und der „schlechten“ Ethanolproduktion vertreten hat. Diese behauptet, dass die Herstellung von Ethanol aus Zuckerrohr in Brasilien nicht auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion gehe. Das stimmt jedoch nur teilweise: Auch die Zuckerrohrexpansion hat ihre Probleme; sie verdrängt die Viehwirtschaft weiter in den Norden – und damit in den Regenwald – und verstärkt die Monokulturisierung (>>>Agrartreibstoffe: Keine bedingungslose Kampfansage).

9. August 2012

Europaweit koordinierte Vermoegensabgabe

Im Vorfeld des Aktionstags „Umfairteilen – Reichtum besteuern“ am 29. September hat das globalisierungskritische Netzwerk Attac hat ein Konzept für eine europaweit koordinierte Vermögensabgabe vorgelegt. Damit soll eine Alternative zur zerstörerischen Krisenpolitik der Bundesregierung und der Europäischen Union aufgezeigt werden. Die Krise lasse sich nur überwinden, wenn die großen Privatvermögen umfassend beteiligt werden, heißt es darin. Der Fiskalpakt und der „Rettungsschirm“ ESM dagegen wälzten die Kosten weiter nach unten ab und verschärften die Krise.

Das Attac-Konzept sieht eine einmalige, europaweit erhobene Abgabe vor, die das Vermögen des reichsten 1% der Gesellschaft mit durchschnittlich 50% belastet. Die Abgabe soll sowohl auf Geld- als auch auf Sachvermögen erhoben werden und progressiv gestaffelt sein: Ein einfacher Millionär müsste 20% seines Vermögens abgeben, Mehrfach-Milliardäre würden mit bis zu 80% belastet. Damit geht Attac noch über die Reichensteuer der neuen französischen Regierung unter Präsident Hollande hinaus, die einen Höchstsetz von 75% auf Einkommen von über 1 Mio. € vorsieht.

Etwa 4 Billionen € würde die Vermögensabgabe nach Attac europaweit bringen. Die Einnahmen sollen zu einem größtmöglichen Teil in den öffentlichen Sektor umverteilt werden, statt nur in den Schuldenabbau zu fließen. Das Konzept zieht somit auch auf die Schrumpfung der Finanzmärkte, denen Kapital entzogen werden soll. Wichtig sei zudem, dass Abgabe europaweit koordiniert eingeführt wird. Denn die Krise habe einen europäischen Charakter und sei nicht im nationalen Alleingang zu überwinden. Über die einmalige Vermögensabgabe hinaus fordert Attac dringend dauerhafte Umverteilungsmechanismen, die eine permanente Rückverteilung von oben nach unten und von privat zu öffentlich gewährleiten, erklären Sprecher des Netzwerks. Instrumente dafür seien etwa eine Vermögenssteuer, die stärkere Besteuerung hoher Einkommen und Gewinne sowie ein entschiedener Kampf gegen Steuerflucht und -hinterziehung.

Attac gehört mit Verdi und dem Paritätischen Gesamtverband zu den Initiatoren des Bündnisses "Umfairteilen – Reichtumbesteuern". Das Bündnis, der Aktionstag und das Umverteilungskonzept passen gut in eine Zeit, in der selbst der Mainstream wahrzunehmen beginnt, wie der „Backlash gegen die Reichen“ zum neuen globalen Trend wird. Ein grundlegender Wechsel könnte der nunmehr 30 Jahre dauernden Ära niedriger Steuern und wachsender Ungleichheit schon bald ein Ende setzen, kommentierte vorgestern selbst die Financial Times.

8. August 2012

UN-Entwicklungsagenda: Ban Ki-moons Agenda-Setter

Erwartungsgemäß hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, zum Beginn dieses Monats eine Hochrangige Kommission ins Leben gerufen, die bis zur zweiten Hälfte des nächsten Jahres „eine überzeugende, aber praktikable Vision“ für eine Post-2015-Entwicklungsagenda vorlegen soll (>>> Zeit für eine neue Entwicklungsagenda). Die UN-Vollversammlung soll dann darüber beraten, was an die Stelle der auslaufenden Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) treten soll. Dass die Kommission jedoch wirklich überzeugende Vorschläge und Ideen für eine neue Entwicklungsagenda produzieren wird, lässt sich schon wegen ihrer Zusammensetzung bezweifeln.

Als Vorsitzende des Gremiums firmieren der konservative britische Premierminister David Cameron, die liberianische Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf und mit Susilo Bambang Yudhoyono aus Indonesien der Präsident eines wichtigen Schwellenlandes. Auch die meisten anderen 23 Kommissionsmitglieder entstammen dem arrivierten Politikestablishment ihrer Länder, sei es als Minister (so Maria Angela Holguin, die Außenministerin Kolumbiens, Patricia Espinosa, die Außenministerin Mexikos, Ngozi Okonjo-Iweala, die Finanzministerin Nigeria, die bereits als Kandidatin für die Führung der Weltbank im Gespräch war, Sung-Hwan Kim, der Außenminister Südkoreas, Gunilla Carlson, die schwedische Entwicklungsministerin und Emilia Pires, die Finanzministerin Ost-Timors, oder der amtierende EU-Kommissar Andris Piebalgs), sei es als hohe politische Berater (etwa Fulbert Gero Amoussouga aus Benin, Elvira Nabiullina aus Russland oder John Podesta aus den USA).

Auch sind mit Horst Köhler (Deutschland) und Naoto Kan (Japan) ein ehemaliger Bundespräsident und ein Ex-Premierminister mit von der Partie. Unglücklicher hätte die Auswahl wohl kaum sein können, fällt doch in Kans Amtszeit die Nuklearkatastrophe von Fukushima, weswegen er letztlich zurücktrat. Köhlers Rücktritt hatte weniger spektakuläre Begleitumstände. Aber seine Wahl zum Geschäftsführenden Direktor des IWF war die vielleicht fragwürdigste Personalentscheidung der Schröder/Fischer-Regierung. Seine „Reform“ des IWF erwies sich bestenfalls als Streamlining der IWF-Konditionalität ohne inhaltliche Veränderungen. Seine Afrikapolitik – im Wesentlichen ein elitärer Dialog mit afrikanischen Unternehmern und Regierenden – wird bis heute völlig überschätzt.

Einige Namen unter den Kommissionsmitgliedern fallen etwas aus dem Rahmen, so Yingfan Wang aus China, der bislang schon Mitglied der MDG-Gruppe Bans war, Gisela Alonso aus Kuba, die die Kubanische Umweltagentur leitet, Jean-Michel Severino, der reformfreudige ehemalige Direktor der Französischen Entwicklungsagentur, Königin Rania von Jordanien oder Garcia Machel, die Frau von Nelson Mandela. Letztere fungieren beide fast schon als obligatorische Ingredienzen solcherlei Kommissionen, da sich ihre ubiquitären Charity-Aktivitäten auf jeden Fall gut machen.

Ins Auge sticht der hohe Frauenanteil der Kommission. Ob dies jedoch beim Agenda-Setting für eine neue Entwicklungsagenda hilfreich sein wird, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlicher dürfte sein, dass die zahlreichen Regierungsfunktionen der Kommissionsmitglieder und die Regierungsnähe der Kommission insgesamt dazu führen werden, dass am Ende ein Minimalkonsens antizipiert wird, der in der Generalversammlung auf wenig Widerspruch stoßen wird.