29. März 2011

Niebels Bad Governance: GIZ – und Schluss!

Es war noch nie einfach, das öffentliche Bewusstsein für die Notwendigkeit einer starken und an den Interessen der Empfänger ausgerichteten Entwicklungspolitik zu mobilisieren. Doch wie unvergleichlich schwieriger ist dies geworden, seit an der Spitze des zuständigen Ministeriums ein Minister agiert, der in dem Ruf steht, das Ministerium gleich ganz abschaffen zu wollen und auch seit seinem Amtsantritt wenig getan hat, um diesen Ruf effektvoll zu korrigieren! Da hilft es wenig, wenn Minister Niebel landauf landab die Zusammenlegung der Organisationen der Technischen Zusammenarbeit (GTZ, Inwent und DED) zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) als die Paradereform von Schwarz-Gelb anpreist.

Wohl ist grundsätzlich gegen die Zentralisierung der TZ nichts einzuwenden. Aber das Glas der strukturellen Unübersichtlichkeit in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist damit bestenfalls halbvoll. Immer noch stehen die Entwicklungsländer „einer Trias aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), der GIZ und der KfW Bankengruppe gegenüber“, wenn sie deutsche EZ-Mittel bekommen wollen, beklagt jetzt eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag.

Die Antworten der Bundesregierung auf die Fragen der Grünen Entwicklungspolitiker lesen sich so, als sei mit der Schaffung der GIZ die eigentliche strategische Reformaufgabe der deutschen Entwicklungspolitik, die Aufhebung der künstlichen Trennung zwischen Technischer und Finanzieller Zusammenarbeit, auf den St.-Nimmerleinstag verschoben. „Die rechtliche und organisatorische Zusammenlegung von Technischer und Finanzieller Zusammenarbeit wird zurzeit nicht angestrebt“, heißt es kurz und bündig mit Verweis auf die „Anforderungen des Kreditwesengesetzes“.

Eher vage und ausweichend sind auch die Antworten des BMZ auf die anderen Fragen: „Inwieweit wird sich die GIZ in Zukunft verstärkt im Rahmen einer zivil-militärischen Zusammenarbeit, wie etwa in Afghanistan oder in Kolumbien engagieren?“, wollen die Fragesteller wissen. Antwort: „Die GIZ unterstützt die Bundesregierung bei der Erreichung ihrer entwicklungspolitischen Ziele. Das Engagement der GIZ (…) richtet sich an den jeweiligen regionalen und thematischen Prioritäten der Bundesregierung aus.“

Das letzte Glied in der Kette von Niebels Bad Governance kam letzte Woche hinzu: Ab Mitte 2011 streicht das BMZ dem deutschen Zweig der UN-Millenniumkampagne die Finanzmittel. Die Begründung: Die Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) seien in der deutschen Öffentlichkeit gut verankert – nicht zuletzt dank der Arbeit der Millenniumkampagne. Zynischer geht’s nimmer.

24. März 2011

EU-Gipfel: Gläubigerschutz statt Opferschutz

Der Krisenmechanismus, den die EU auf ihren Gipfel heute und morgen beschließen will, setzt auf die Refinanzierung der Krise statt auf einen nachhaltigen Entschuldungsmechanismus. Bei dem aktuellen Treffen des Europäischen Rates soll ein Maßnahmenpaket zur Bewältigung der europäischen Schuldenkrise beschlossen werden. Doch Entschuldungsorganisationen beklagen das Fehlen eines Staateninsolvenzverfahrens, das im Falle einer Staatspleite einen geregelten Ausweg aus der Überschuldung bietet.

Für Jürgen Kaiser vom Entschuldungsbündnis erlassjahr.de hat Deutschland seine Chance für eine grundlegende Änderung des Schuldenmanagements im Euroraum nicht genutzt. Die angekündigte Schaffung eines geregelten Verfahrens zur Bewältigung von Staatsschuldenkrisen sei zu einem schwachen Anhängsel der Rettungsfinanzierung verkümmert: Erst nachdem kostenintensive Rettungskredite geflossen sind, sollen die sogenannten Collective Action Clauses (CACs) greifen. Diese bedeuten jedoch nur, dass die Mehrheit der Gläubiger die Minderheit zu Umschuldungsmaßnahmen zwingen kann. Das dringend benötigte transparente und berechenbare Verfahren für den Fall einer Staateninsolvenz ist dies definitiv nicht.

Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) soll 2013 als Nachfolger des provisorischen Euro-Rettungsschirms (ESFS) in Kraft treten. Die ursprünglich geforderte Beteiligung des privaten Sektors an den Kosten einer Schuldenkrise wurde weitgehend durch die Schaffung von Krisenfinanzierungsmechanismen verdrängt. Somit scheint die von führenden Wirtschaftsexperten und vielen Politikern geforderte Schaffung einer Insolvenzordnung für Pleitestaaten wieder in weite Ferne gerückt. „Warum sollten wir die Strategien, die bereits in der Vergangenheit versagt haben, wiederholen? Faule Kredite mit gutem öffentlichen Geld zu retten versuchen bedeutet in den meisten Fällen eine faktische Insolvenzverschleppung. Ein Schuldenschnitt, an dem auch die Gläubiger beteiligt sind, hätte dagegen eine immense präventive Wirkung“, sagt Kaiser.

Für das globalisierungskritische Netzwerk Attac ist der ESM ohnehin nicht mehr als ein „Diktat, mit dem die deutsche Regierung ihre Politik der Wettbewerbsfähigkeit rücksichtslos ganz Europa aufdrückt“. Die diskutierten Maßnahmen - von der Verschärfung der Sanktionen ausschließlich gegen Defizitländer bis zur koordinierten Anhebung des Renteneintrittsalters – haben in der Tat nicht das Potential, die Krise zu überwinden. Vielmehr führen sie zur weiteren Spaltung und Polarisierung in Europa. Am Ende könnten alle – Defizit- und Überschussländer – vor einem einzigen Scherbenhaufen stehen.

23. März 2011

Luxemburg für Finanztransaktionssteuer

Jetzt unterstützt also auch Luxemburg die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT) in der Eurozone. Bei einer Konferenz der Sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament Ende letzter Woche sprach sich der Luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker „dezidiert“ für die Einführung der Steuer aus. „Wenn es auf der G20-Ebene nicht klappt, dann auf der Ebene der EU oder der Eurozone“, sagte Juncker, der die Diskussion über die FTT für „keine zeitweise Modeerscheinung“ mehr hält: „Ich glaube, dass die Europäer voranmarschieren müssen.“

Damit korrigierte Juncker frühere Äußerungen seiner Regierung. Noch vor kurzem hatte Finanzminister Luc Frieden, der sich immer mehr zum obersten Wachhund des Finanzplatzes entwickelt, gesagt, eine FTT nur in der Eurozone sei „nicht zu vertreten“ und dafür wettbewerbspolitische Gründe (z.B. gegenüber dem Finanzplatz London) ins Feld geführt. Junckers Äußerungen markieren so gesehen einen wichtigen und begrüßenswerten Kurswechsel. Sie sind ein weiterer Baustein in der Front der Befürworter, zu der jetzt Österreich, Frankreich, Deutschland, Portugal, Spanien, Griechenland und die Slowakei und eben Luxemburg gehören – ein kleines Land zwar, aber in diesem Zusammenhang von hoher symbolischer Bedeutung.

Das Rennen ist aber noch keineswegs gelaufen. Die Aussicht auf zusätzliche zweistellige Milliarden-Einnahmen pro Jahr hat in jüngster Zeit vor allem die Finanzminister begehrlich werden lassen. Ob die später dem Ursprungsanliegen der FTT, nämlich zusätzliche Mittel für Entwicklungs- und Umweltzwecke zu mobilisieren, gerecht werden oder einfach ihre Haushaltlöcher stopfen, lässt sich derzeit nicht sagen, ist aber wohl die größte Gefahr, auf die man sich in diesem Zusammenhang einstellen muss.

Zwar wächst auch der parlamentarische Druck. Während zwei Drittel der Europaabgeordneten für die FTT sind, unterstützen inzwischen 306 von 622 Bundestagsabgeordneten den Aufruf zu einem fraktionsübergreifenden entwicklungspolitischen Konsens zur Erreichung des 0,7%-Ziels – noch sechs weitere Unterzeichner, und die Mehrheit ist erreicht. Um dies bis 2015 zu schaffen, müsste der entsprechende Etat ab sofort jedes Jahr um 1,2 Mrd. € aufgestockt werden. Doch der aktuelle Haushaltsentwurf des deutschen Finanzministers Schäuble sieht gerade mal ein Zehntel dieser Summe vor. Alle Welt ist sich einig, dass die Aufstockung des Entwicklungsetats nicht ohne innovative Finanzierungsinstrumente wie die FTT zu schaffen sein wird. Doch es gibt keinen Automatismus, dass es so kommt.

18. März 2011

Zukunftspaket für Energie ohne Katastrophen à la Japan

Die Umwelt- und Entwicklungsorganisationen Brot für die Welt, Germanwatch, Greenpeace, Oxfam und WWF fordern von der Bundesregierung in einer gemeinsamen Erklärung sechs Eckpfeiler für eine zukunftsfähige Energieversorgung ohne klimaschädliche und hochriskante Energietechnologien. Die Katastrophe von Fukushima erfordert jetzt den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomtechnologie in Deutschland und Europa. Das bedeutet, die Weichen in der Energiepolitik neu zu stellen. Die sechs zentralen Eckpfeiler für eine klima- und energiesichere Zukunft sind:

1. Ausstieg aus der Atomenergie. Es müssen zehn der 17 deutschen Kernreaktoren sofort und dauerhaft vom Netz genommen werden. Vier weitere Kernkraftwerke sollten bis 2013 vom Netz gehen. Die restlichen drei sollten wenige Jahre später auslaufen. Angesichts der gegenwärtigen Überkapazitäten des laufenden Ausbaus der erneuerbaren Energien, der heute existierenden Kaltreserve, der derzeit in Bau befindlichen Kraftwerkskapazitäten und einem Spitzenlastmanagement droht weder heute noch künftig eine Stromlücke.

2. Keine neuen Kohlekraftwerke. Der Neubau von Kohlekraftwerken muss ausgeschlossen werden. Neue klimaschädliche Kohlekraftwerke mit langer Lebensdauer würden hohe CO2-Emissionen für Jahrzehnte zementieren. Dies ist nicht vereinbar mit den mittel- und langfristigen Erfordernissen zur Emissionsminderung.

3. Beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien. Die erneuerbaren Energien müssen schneller als bisher ausgebaut werden. Dazu sind ein robustes Fördersystem und umfassende Maßnahmen zur Schaffung der notwendigen Infrastruktur, wie neue Stromtrassen, intelligente Netze und Speicher notwendig. Der gesamte Ausbau muss strikten Nachhaltigkeitskriterien genügen.

4. Ein ehrgeiziges deutsches Effizienzziel. Deutschland muss sich das verbindliche Ziel setzen, die Energieeffizienz um mindestens 3 Prozent pro Jahr zu steigern. Zudem müssen umfassende Mittel für Energiesparmaßnahmen bereitgestellt und entsprechende ordnungsrechtliche Maßnahmen – insbesondere im Gebäude- und Verkehrsbereich - ergriffen werden. Für Energieeffizienz müssen jährlich mindestens 5 Mrd. € bereitgestellt werden.

5. Europa als Vorbild beim Klimaschutz. Nur mit einem klaren politischen Rahmen und klaren Zielen kann Europa eine nachhaltige, zukunftsfähige und risikofreie Energieversorgung realisieren. Hierzu gehört an erster Stelle ein angemessenes Ziel bei der Reduktion von klimaschädlichen Treibhausgasen. Die Bundesregierung muss jetzt ohne Wenn und Aber ein EU-Klimaziel von mindestens 30% heimischen Reduktionen bis 2020 und 95% Reduktionen bis 2050 gegenüber 1990 unterstützen. Dieses Ziel muss noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Diese Festlegung wäre auch im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.

6. Europa mit ehrgeizigem Effizienzziel. Das europäische Ziel, den Energieverbrauch durch Effizienzsteigerungen um 20% bis 2020 zu senken, muss jetzt als verbindliches Ziel festgeschrieben werden. Der im März 2011 vorgestellte Effizienzplan des EU-Energiekommissars Oettinger ist noch deutlich zu schwach. Er enthält keine verbindlichen Vorgaben und Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz. Diesen Effizienzplan gilt es jetzt grundsätzlich zu überarbeiten.

Reaktorkatastrophe in Japan: Lehren auch für Hermes

In der auf die Atomkatastrophe in Japan folgende Ausstiegsdebatte in Deutschland muss es auch um Konsequenzen für das staatliche System der Hermesbürgschaften gehen. Darauf wies jetzt die Umwelt-NGO „urgewald“ hin. Denn staatliche Garantien sind in vielen Fällen die Voraussetzung, damit Atomkraftwerke überhaupt gebaut werden. So wurden drei Reaktoren des Unglücks-AKWs Fukushima mit Hilfe des amerikanischen Hermespendants Export-Import Bank realisiert. In Deutschland werden Hermesbürgschaften Firmen gewährt, um sie bei Exporten in sog. “schwierige Märkte" in Entwicklungs- und Schwellenländern gegen das Risiko abzusichern, dass der Käufer ihrer Waren nicht zahlen kann. Für solche Ausfälle kommt der Bundeshaushalt und damit der deutsche Steuerzahler auf.

Seit Regierungsantritt der schwarz-gelben Koalition werden auch in Deutschland wieder Atomexporte ins Ausland mit staatlichen Garantien abgesichert. Die seit 2001 gültigen Hermesleitlinien schlossen den Export von Nukleartechnologie aus. Kaum jedoch war die neue Regierung an der Macht, schaffte sie die Hermesleitlinien ab und gab eine Bürgschaft über 1,3 Mrd. € an Areva/Siemens für den Bau des brasilianischen Atomkraftwerks Angra 3 (s. Foto). Brasilianische Umweltschützer wehren sich seit Jahren gegen den Bau dieses AKW, da es in einer potenziellen Erdbebenzone liegt, ein veralteter Reaktortyp gebaut werden soll, der einzige Evakuierungsweg häufig durch Erdrutsche blockiert wird, die Atomaufsicht nicht unabhängig ist und immer wieder hohe brasilianische Politiker laut über die Vorteile einer eigenen Atombombe nachdenken.

Nach Angra gab es weitere Bürgschaftsanträge: Laut Auskunft der Bundesregierung lagen im März 2010 Anträge für Zulieferungen zu den russischen Atomkraftwerken Leningradskaja und Novovoronezhkaja vor, die jedoch bis Juli zurückgezogen wurden. Darüber hinaus gab es Anträge für Zulieferungen für das geplante Atomkraftwerk Changjiang nahe der Stadt Haiwei auf der Insel Hainan und in Taishan in der Guandong Provinz, wie die Bundesregierung im März und November 2010 mitteilte. In Changjiang wird ein chinesischer Druckwasserreaktor gebaut, ein CNP 600, den die China National Nuclear Corporation (CNNC) entwickelt hat. In Taishan sollen zwei Areva EPR (Europäische Druckwasserreaktoren) entstehen.

Zwischen Oktober 2009 und August 2010 wurden laut Bundesregierung insgesamt 11 Bürgschaften für Lieferungen für Atomanlagen in China, Frankreich, Japan, Südkorea, Litauen, Russland und Slowenien vergeben. Der Gesamtwert dieser Lieferungen liegt bei 24 Mio. €. Im Februar 2011 berichtete die Bundesregierung zudem von einem Antrag über 26,1 Mio. € für Zulieferungen an ein AKW in China und über eine Rückversicherung für Zulieferungen an ein AKW in Südafrika in Höhe von 11 Mio. €. Zudem nennt sie Voranfragen im Rahmen von Projekten in Großbritannien, Finnland und Vietnam. Vietnam hat im vergangenen Oktober einen Vertrag mit Russland zum Bau von zwei Atomreaktoren unterzeichnet.

Wenn also Lehren aus der Katastrophe in Japan gezogen werden, muss es auch heißen: Schluss mit der staatlichen Unterstützung für Atomexporte, argumentiert urgewald. “Denn wenn schon ein so hoch industrialisiertes Land wie Japan die Gefahren der Atomkraftnutzung nicht beherrschen kann, darf nicht mit Hilfe von Hermesbürgschaften die Verbreitung dieser Technologie in Ländern gefördert werden, in denen die Rahmenbedingungen, Sicherheitsstandards und Aufsicht viel schlechter sind.“

17. März 2011

Umdenken für Rio+20

Gastblog von Roberto Bissio*)

Umweltschützer, Ökonomen, Feministen und soziale Aktivisten aus aller Welt rufen nun – nach vielen Jahren der Kritik an Regierungen – nach einem gestärkten Staat als einzigem Weg, unseren Planeten zu retten, der durch eine ganze Serie von Krisen (Klima-, Wasser- Nahrungsmittel- und Finanzkrise) bedroht ist. Kürzlich formulierten 16 Mitglieder der Reflection Group on global development perspectives einen Aufruf zum „Umdenken“ (>>> Change the mindset to save the planet) in ökologischen und ökonomischen Fragen.

Dieser Aufruf richtet sich primär an die Verhandlungspartner, die den UN-Gipfel für Nachhaltige Entwicklung 2012 in Rio de Janeiro vorbereiten, 20 Jahre nach dem „Erdgipfel“, auf dem das Konzept der Nachhaltigen Entwicklung verabschiedet und der Grundstein für Konventionen über Klimawandel, Desertifikation und Entwaldung gelegt wurde. Das geforderte Umdenken beginnt mit „Wiederherstellung öffentlicher Rechte gegenüber Unternehmensprivilegien“.

Die Unterzeichner stellen fest, dass “nach 30 Jahren gestärkter Macht der Investoren und großer Konzerne durch Deregulation, Liberalisierung des Handels und des Finanzsektors, Steuerkürzungen und -befreiungen und einer Schwächung des Staates – und nach einem marktbedingten Finanzkollaps – die Grundsätze und Werte der Rio-Deklaration und der UN-Millenniumsdeklaration, verabschiedet durch die Staats- und Regierungschefs, bedroht sind und dringend einer Bekräftigung bedürfen“. Diese Grundsätze schließen Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Diversität, Respekt vor der Natur und der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung reicher sowie armer Staaten ein. „Unternehmensinteressen wirken nicht zugunsten dieser Grundsätze und Werte.“

Der zweite Punkt des Statements fordert, „Verteilungsgerechtigkeit ernst zu nehmen“, nachdem die Politik der letzten 30 Jahre – also seit der konservativen Revolution von Reagan und Thatcher – „den Graben zwischen Arm und Reich vergrößert hat und sich Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten verschärft haben, nicht zuletzt beim Zugang zu Ressourcen“.

Das Statement betont, dass „ungezügelte Marktkräfte den Starken begünstigt und dadurch die ökonomische Kluft verbreitert haben. Deshalb wird ein Staat benötigt, der das gestörte Gleichgewicht wieder in Einklang bringt, Diskriminierung eliminiert und nachhaltige Existenzgrundlagen garantiert, ebenso wie menschenwürdige Arbeit sowie soziale Inklusion. Generationengerechtigkeit erfordert Einschränkungen und Verantwortung der jetzigen Generation. Es ist deshalb dringend notwendig, fairere Pro-Kopf-Rechte an den globalen Allgemeingütern und der Emission von Treibhausgasen festzulegen, um im vollen Umfang der historischen Verantwortung Rechnung zu tragen.“ Die mehr entwickelten Länder haben diese letzten zwei Prinzipien nicht akzeptiert und damit den Verhandlungsprozess über den Klimawandel blockiert.

Die dritte und letzte Forderung in diesem kurzen Statement ist ein Aufruf zu Umweltschutz, der dringend notwendig ist, „nach mehr als 60 Jahren globaler Erwärmung, Verlust an Biodiversität, Desertifikation, Raubbau an Meeren und Wäldern, einer sich zuspitzenden Wasserkrise und vielen anderen ökologischen Katastrophen.“ Dieser Prozess startete in den 1950ern, als die Baby-Boomer-Generation einen Massenkonsum der nicht erneuerbaren Ressourcen des Planeten auslöste. Die durch diesen zügellosen Konsum der Reichen losgetretene Umweltkrise „trifft die Armen mehr als die Wohlhabenden.“

Die Unterzeichner kleben nicht an malthusianischen Ideen über die Erschöpfung der Ressourcen, sondern unterstützen stattdessen „wissensintensive Lösungen, einschließlich verfügbarer Technologien, die natürliche Systeme wieder herstellen und den Druck auf das Klima und die Umwelt erheblich reduzieren und gleichzeitig menschliches Wohlergehen verbessern“. Sie argumentieren, dass eine „Grüne Ökonomie“ möglich ist, drängen aber darauf, dass diese in „ein holistisches Konzept der Nachhaltigkeit“ integriert werden muss. Sie kommen zu dem Schluss, dass wir „einen Wandel der Lebensstile“ brauchen.

Um dies zu erreichen, “muss der Rio-Gipfel 2012 den Staat als unabdingbaren und den gesetzlichen Rahmen setzenden Akteur wieder in seine Rechte einsetzen, der Gleichheits- und Menschenrechtsstandards durchsetzt und langfristiges ökologisches Denken auf der Basis demokratischer Legitimation fördert“.

*) Roberto Bissio ist Koordinator von Socialwatch und Direktor des Third World Institute, Uruguay.

>>> Lesen Sie auch: Globale Umweltgovernance und Rio+20: Groß denken - klein beigeben? (von Barbara Unmüßig)

11. März 2011

UN-Report entkräftet gängige Vorurteile: Mit Bio gegen Welthunger

Biolandwirtschaft sei wirtschaftlich nicht tragfähig, ein Luxuszweig der Nahrungsmittelindustrie, nur durch Subventionierungen finanziell lohnenswert und erst recht nicht dazu geeignet, Menschen in globalem Ausmaß zu ernähren – so die gängigen Urteile. Das Gegenteil ist der Fall, stellt nun ein neuer Report von Olivier De Schutter (s. Photo), UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, fest: Ökologische Landwirtschaft kann die Lebensmittelproduktion – gerade in Entwicklungsländern – in fünf bis zehn Jahren sogar verdoppeln und so einen bemerkenswerten Beitrag zur Lösung des Hungerproblems leisten.

Die Anzahl der unter chronischem Hunger leidenden Menschen wird Ende des Jahres die tragische Rekordmarke von einer Milliarde erreichen, hat soeben Weltbankpräsident Zoellick festgestellt. Ursächlich dafür sind ständig weiter steigende Nahrungsmittelpreise, die u.a. durch Spekulation, schlechte Ernten, Exportbegrenzungen, extrem niedrige Vorratsmengen sowie eine rapide zunehmende Nachfrage für die Herstellung von Agrosprit verursacht werden.

Der am 8. März vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen vorgestellte Bericht „Agroecology and the Right to Food“ bietet zwar keine Patentlösungen, die all diese Probleme aus der Welt schaffen, aber er verdeutlicht eindringlich, dass ein Wandel hin zu ökologischer Landwirtschaft den Teufelskreis aus Hunger und Armut unterbrechen und außerdem die fatale Abhängigkeit der Ärmsten vom Nahrungsmittel-Weltmarkt verringern kann.

>>> Lesen Sie den ausführlichen Artikel in der nächsten Woche in W&E 03-04/2011.

3. März 2011

Entwicklungshilfe: Britischer Ausverkauf

Als „good news“ firmiert in der entwicklungspolitischen Community derzeit der Umstand, dass Großbritannien auch unter konservativ-liberaler Regierung an der Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe auf 0,7% festhalten will, und zwar schon bis 2013. In absoluten Zahlen läuft das auf eine Steigerung der Hilfe auf 11 Mrd. Pfund pro Jahr hinaus. Was allerdings weniger bekannt ist: Auch die britische Regierung krempelt die Entwicklungszusammenarbeit im Sinne eines konservativ-liberalen Mainstreamings um, das der deutschen BMZ-Spitze unter Niebel in keiner Weise nachsteht – im Gegenteil.

In dieser Woche hat London eine „Review“ seines EZ-Etats bekannt gegeben, der sich derzeit auf 8,4 Mrd. Pfund beläuft, eine Generalüberholung sozusagen, die die gleichen Merkmale trägt wie das Roll back, das gegenwärtig im BMZ (>>> Niebels bad Governance) abläuft. Im Kern geht es um zwei operative Eingriffe: Geht es nach dem jetzigen Sekretär der britischen Regierung für internationale Zusammenarbeit, Andrew Mitchell, dann liegt die Zukunft der EZ in einer „Partnerschaft mit der Wirtschaft“. Dies werde nicht nur über die Handlungsprioritäten entscheiden und „Innovationen im Gesundheitsweisen und in der Ernährungssicherheit“ vorantreiben, sondern auch das globale Armutsproblem lösen. „Auf welchem Planet lebt Mitchell eigentlich“, fragte da der ehemalige Direktor bei der Ford Foundation Michael Edwards (>>> Don’t sell British aid to business).

Mitchell sieht – ganz wie Niebel – in der „Partnerschaft mit der Wirtschaft“ ein neues Paradigma der Entwicklungspolitik, nach dem Motto „privater Sektor – öffentlicher Vorteil“. Nicht zu Unrecht vermutet Edwards jedoch, am Ende werde es eher heißen: „Privater Vorteil – öffentliche Subventionierung“ – gerade so wie das BMZ derzeit gemeinsam mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag eine Tournee veranstaltet, die den deutschen Unternehmen Tipps gibt, wie sie Aufträge aus der deutschen EZ an Land ziehen können.

Der zweite chirurgische Eingriff der Briten betrifft die länderweise Umverteilung des EZ-Kuchens. Insgesamt soll die Zahl der Empfängerländer um 16 gekürzt werden. Leer ausgehen werden in Zukunft Länder wie Burundi und Niger, die zu den ärmsten der Welt gehören. Aufsteigen soll stattdessen Pakistan, das künftig den größten Batzen der britischen EZ bekommen soll. An die siebte Stelle der Empfängerländer rückt Afghanistan. Kein Wunder, dass für das World Development Movement da die „securitisation of aid“, die Unterordnung der EZ unter militärische Sicherheitsanliegen, zu einer „ernsten Sorge“ wird.

Wo London in Zukunft auch anders verfahren will, ist schließlich die Finanzierung multilateraler Organisationen: Wahrscheinlich werden UNICEF, der Globale Fonds (dem Niebel jetzt erst mal die Mittel gesperrt hat – welche Ironie!) und das Welternährungsprogramm künftig mehr Mittel erhalten, während die Beiträge für die ILO und UN-Habitat gekürzt werden sollen – wegen „mangelnder Leistungsfähigkeit (‚performance‘)“: Hört, hört – was Leistungsfähigkeit ist, bestimmen wie eh und je die Geber!