30. Mai 2011

IWF-Spitze: Entscheidend ist die politische Orientierung

Gastkommentar von Gabriele Köhler*)

Die Auswahl des nächsten Geschäftsführenden Direktors des IWF muss transparent von statten gehen. Die meisten Kommentatoren stimmen darin überein, dass das entscheidende Auswahlkriterium die fachliche Qualifikation sein muss. Doch die wirklich wichtige Frage ist viel kontroverser: die politische Orientierung und Konzeption des Geschäftsführenden Direktors.

In dieser Zeit der wieder erstarkenden Austeritätspolitik kommt es darauf an zu diskutieren, wie aus dem IWF eine Institution gemacht werden kann,die – im Einklang mit den Gründungsintuitionen von 1944 – die Ausrottung der Armut, Beschäftigung, menschenwürdige Arbeit und die Regulierung der Finanzflüsse wieder zu ihrem Leitbild macht. Als Ziel legt die IWF-Satzung fest, „die Expansion und das ausgewogene Wachstum des internationalen Handels zu erleichtern und damit zur Förderung und Aufrechterhaltung eines hohen Beschäftigungs- und Realeinkommensniveaus sowie zur Entwicklung der produktiven Ressourcen aller Mitglieder als vorrangiges Ziel der Wirtschaftspolitik beizutragen“ (Artikel I, Punkt 2).

In diesem Sinne ist es lebenswichtig zu diskutieren, wie die „Operationslogik“ des IWF so verändert werden kann, dass er Regierungen – in Nord und Süd – dazu befähigt, ihre Haushalts- und Ausgabenpolitik auf Ausgaben im Bildungs- und Gesundheitssektor, in sozialer Unterstützung, Sozialversicherung und sozialer Sorge umzuorientieren und sicherzustellen, dass diese Dienstleistungen und Transfers von hoher Qualität sind und allen BürgerInnen – und Migranten – garantiert werden. Es ist entscheidend, dass der IWF seine Stabilisierungsmechanismen für Rohstoffpreise nutzt, um auf globaler, regionaler und nationaler Ebene die Nahrungsmittelpreise zu regulieren. Es käme darauf an, dass der IWF die schüchternen Ansätze der Steuerverwaltung und –gerechtigkeit vertieft und diese zu tiefgreifenden Reformen im Sinne einer progressiven Besteuerung weiter entwickelt, um die Länder in die Lage zu versetzen, eine hohe Qualität sozialer Leistungen für alle – wie seit den 1940er Jahre versprochen – sicherzustellen und auch innovative Ideen wie die soziale Grundsicherung („social protection floor“) umzusetzen. Damit dies möglich wird, muss auch das Konzept der nachhaltigen Verschuldung neu definiert werden, und zwar in qualitativer Hinsicht statt in rein quantitativer Fixierung auf künstliche Verschuldungsgrenzen.

Die Wahl eines neuen Geschäftsführenden Direktors beim IWF ist eine gute Gelegenheit, eine solche politische Neuorientierung voranzutreiben: Viele Schwellenländer, z.B. Brasilien, Mexiko, Südafrika oder Indien, verfolgen eine progressive sozio-ökonomische Politik und zeigen, wie staatliche Defizite sinnvoll und nachhaltig eingesetzt werden können, wenn die Ausgaben für soziale Güter und Dienstleistungen verwendet werden und das Leben von Millionen Menschen in diesen Ländern verändern. Sie haben demonstriert, wie soziale Ausgaben, wie Sozialhilfe, die Subventionierung von Nahrungsmittelpreisen, Schulspeisungen oder Beschäftigungsprogramme, nach der Krise auch wirtschaftliches Wachstum erleichtern können. Sie könnten diese Erfahrungen mit Süd und Nord teilen.

So könnte ein neuer Geschäftsführender Direktor aus dem Süden den politischen Fortschritt fördern, vorausgesetzt er oder sie steht für diesen neuen, sozial orientierten Diskurs und kann die Mitglieder des IWF in diese Richtung lenken. Ein Geschäftsführender Direktor aus dem Norden oder dem Osten, der einen politischen Ansatz menschlicher Entwicklung vertritt, wäre gleichermaßen gut, solange er oder sie den Interessen des globalen Südens verpflichtet ist und die Mitgliedsstaaten in die Richtung progressiver politischer Entscheidungen führen würde.

*) Gabriele Köhler ist Visiting Fellow am Institute of Development Studies (IDS) in Sussex, Großbritannien.

28. Mai 2011

Deauville-Gipfel: Partnerschaften allenthalben

Auf der offiziellen Website der französischen G8/G20-Präsidentschaft gibt es einen Button mit dem Titel „Partnerships“. Wer diesen anklickt, erfährt, dass eine Reihe prominenter Konzerne als „offizielle“ Partner und Sponsoren der französischen Präsidentschaft firmieren. Dazu gehören der Reifenhersteller Michelin, das Schreibgeräteunternehmen BIC, der Luxusartikelproduzent Hermés und die französische Großbank Société Générale. Was die Unternehmen im Einzelnen zum Gelingen der französischen G8/G20-Präsidentschaft beitragen, erfährt man nicht. Dafür weiß man jetzt, dass der ganze Deauville-Gipfel eine einzige Partnerschaftsveranstaltung war.

Als „Partnerschaft von Deauville“ firmiert das Milliardenprogramm für den Arabischen Frühling, speziell für Ägypten und Tunesien, das die G8 auf dem Gipfel verkündet haben. Dabei werden allerdings einfach Gelder unter einem neuen Label zusammengefasst, die ohnehin in der Pipeline waren und dort wahrscheinlich auch noch einige Zeit bleiben werden, bis sich die Lage in Nordafrika stabilisiert hat.

In einer für den Gipfel vorbereiteten Studie hatte der IWF den finanziellen Hilfebedarf für die Länder Nordafrikas und den Nahen Osten in den Jahren 2011-13 auf über 160 Mrd. Dollar beziffert. Rund 20 Mrd. Dollar für Ägypten und Tunesien sollen jetzt von multilateralen Einrichtungen aufgebracht werden, 1 Mrd. beispielsweise zusätzlich von der EU im Rahmen ihrer Nachbarschaftshilfe. Desweiteren soll die Europäische Investitionsbank (EIB) stärker in der Region einsteigen. Als neuer Akteur in der Region wird künftig die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) auftreten, deren Mandatserweiterung die G8 absegneten. Dazu kommen IWF und Weltbank.

Während schon die publizitätsträchtig verkündeten Finanzmittel nicht unbedingt neu sind – das Partnerschaftsetikett ist es auch nicht. Bereits die EU hatte sich vor Wochen so etwas ausgedacht (>>> Noch eine neue Partnerschaft für die Südflanke) und bringt dies jetzt in die „Deauville-Partnerschaft“ ein. Und so partnerschaftlich wie alles klingt, ist es auch nicht: Mit den Finanzmitteln werden ziemlich einseitige Bedingungen verknüpft sein, beileibe nicht nur demokratiepolitischer Natur, sondern auch wie gehabt wirtschaftspolitische Konditionen der Marke IWF und Weltbank. Kommissionspräsident Barroso jedenfalls hat daran in Deauville keinen Zweifel gelassen.

27. Mai 2011

Deauville: Der Gipfel der Beliebigkeit

Angesichts fehlender konkreter Beschlüsse in der Deklaration des G8-Gipfels in Deauville warnte heute Oxfam davor, dass die G8 noch mehr an Glaubwürdigkeit verlieren könnten. „Alles ist relativ hier in Deauville, wo Ja Nein bedeuten kann, obligatorisch freiwillig und 19 Mrd. mal eben zu 1,27 Mrd. werden, und wo gebrochene Versprechen es wert sind, gefeiert zu werden“, sagte Jörn Kalinski von Oxfam Deutschland. „Dies ist der Gipfel der Beliebigkeit.“ Die G8 haben immer noch nicht wirklich die offizielle OECD-Einschätzung akzeptiert, wonach sie ihre Entwicklungshilfeversprechen von 50 Mrd. Dollar um enorme 19 Mrd. verfehlt haben. Vielmehr stellen sie einfach zwei Zahlen zur Auswahl, die korrekten 19 Mrd. und die geschönten 1,27 Mrd., so als hätten sie ihre Versprechen fast erfüllt. – Wie es Euch gefällt!

In Deauville wurde indes eine weitere Partnerschaft verkündet, die Deauville-Partnerschaft der G8 mit Nordafrika und dem Nahen Osten, um den Arabischen Frühling zu unterstützen. Sie soll sicherzustellen, dass die revolutionären Veränderungen für die armen und marginalisierten Bevölkerungsschichten in Ägypten und Tunesien konkrete, spürbare Erfolge bringen. Aber immer noch demonstrieren in Ägypten Tausende gegen anhaltende Menschenrechtsverletzungen. Doch müsse jede Partnerschaft auf der gegenseitigen Anerkennung der fundamentalen Menschenrechte und politischen Freiheiten beruhen. „Und wer garantiert angesichts der nicht eingehaltenen alten Versprechen, dass sich die neuen Versprechen nicht als leere Worte erweisen“, fragt Oxfam. Es sei zudem äußerst wichtig, dass eine wie auch immer geartete finanzielle Unterstützung für den Arabischen Frühling nicht zu weiteren Schulden der Empfängerländer führt.

Unterdessen hat Attac Deutschland das endgültige Aus für die G8 gefordert. Ihre Zusagen habe die G8 niemals eingehalten. In der Tat hat beispielsweise Deutschland das verbindliche Zwischenziel klar verfehlt, im Jahr 2010 eine Quote von 0,51% des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen.

26. Mai 2011

G8: Alte und neue Versprechen

Ein milliardenschweres Hilfspaket für die neuen Demokratien in Nordafrika wollen die G8 auf ihrem Gipfel in Deauville, der heute begonnen hat, auf den Weg bringen. Das Thema steht ganz oben auf ihrer Agenda. Allein die von Tunesien in den nächsten fünf Jahren benötigte Finanzhilfe wird auf 5 Mrd. Dollar pro Jahr geschätzt. Die USA sollen IWF und Weltbank damit beauftragt haben, dem Gipfel einen Plan zur Stabilisierung und Modernisierung der Ökonomien in Ägypten und Tunesien zu präsentieren. Die EU will ihr Budget der sog. Nachbarschaftshilfe für die südlichen Mittelmeeranrainer (5,7 Mrd. € für 2011-13) um 1,24 Mrd. € aufstocken. Die Osteuropa-Bank EBRD hat bereits beschlossen, ihr Engagement in die nordafrikanische Region auszudehnen.

Grundsätzlich begrüßen auch kritische Beobachter – heute etwa Joseph Stiglitz in der Financial Times – das neue Engagement. Aber es ist auch zu bedenken (darauf wies Oxfam zum Gipfelauftakt hin), dass sich auch die neuen Versprechen als hohl erweisen könnten, geradeso wie die alten, die beispielsweise vor sechs Jahren in Gleaneagles gemacht wurden. Damals hatten die G8 sich verpflichtet, ihre Entwicklungshilfe bis 2010 um 50 Mrd. Dollar aufzustocken, diese Summe bis heute aber um rund 19 Mrd. Dollar verfehlt (nach OECD-Berechnungen). Der zum Gipfel erschienene Deauville Accountability Report versucht dies zwar zu beschönigen, indem er die Entwicklungshilfe-Zahlungen der G8 in nicht-inflationsbereinigter Form darstellt. Die Lücke aber bleibt.

Entwicklungsorganisationen wie Oxfom fordern von der G8 daher einen Aktionsplan, wie das 19-Mrd.-Loch zu schließen sei. Nicht unwahrscheinlich ist jedoch auch ihre Befürchtung, dass es zu keinen Beschlüssen in dieser Richtung kommt. Auf den politischen Gewichtsverlust der G8 würde damit ein Handlungsverlust folgen. Aus einer aktiven G8 würde gleichsam eine Think-Tank-G8. Wer weiß, wozu diese dann noch gebraucht würde…

Oxfam-Aktion am Vorabend des G8-Gipfels



Wie weiland Marie-Antoinette: Sollen sie doch Kuchen essen, wenn sie kein Brot haben!

G8-Gipfel in Deauville: Laufende Dokumentation

Welch' ein Unterschied zu Genua 2001 oder Gleneagles 2005! Mit deutlich reduzierter öffentlicher Aufmerksamkeit findet am 26./27. Mai in Deauville/Frankreich der diesjährige G8-Gipfel statt. Angesichts des Aufstiegs der G20 ist das Gewicht der Gruppe der 8 gesunken. Dennoch hält der Klub der Reichen an diesem Format fest. Und W&E dokumentiert Hintergründe und Ergebnisse in laufender Akualisierung >>> hier.

20. Mai 2011

Warum der nächste IWF-Chef kein Europäer sein sollte...

... begründet Ulrich Volz vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) auf Zeit-Online. Der neue IWF-Chef müsse die Unabhängigkeit der Organisation stärken. Und weiter:

Nach dem Rücktritt von Dominique Strauss-Kahn muss das Exekutivdirektorium des Internationalen Währungsfonds (IWF) zum vierten Mal seit 2000 einen neuen Geschäftsführenden Direktor wählen. Überdies muss sich der IWF nach einem Ersatz für John Lipsky umsehen, den ersten stellvertretenden Direktor und die Nummer zwei des Fonds: Lipsky hatte zwei Tage vor Strauss-Kahns Verhaftung bekannt gegeben, dass er keine zweite Amtszeit anstrebe, wenn die jetzige am 31. August endet.

Traditionell ist die Ernennung eines Kandidaten für den IWF-Chefposten eine europäische Angelegenheit: Nach informeller Absprache stand bisher immer ein Europäer an der Spitze des IWF, während die US-Regierung den Weltbank-Präsidenten und den ersten stellvertretenden Direktor des IWF bestimmte. Dieses Auswahlverfahren, das Nationalität und Fondsanteile über Qualifikation stellt, war den anderen Mitgliedsländern schon lange ein Dorn im Auge. Zudem hat es die weit verbreitete Überzeugung genährt, IWF und Weltbank hätten oft eher die Interessen ihrer größten Anteilseigner im Sinn als die aller Mitgliedsländer.

Doch die bisherige Postenaufteilung dürfte sich nicht mehr so einfach fortführen lassen. Auf dem Londoner Gipfel im April 2009 bestätigten die Regierungschefs der G20-Staaten die zentrale Rolle des IWF im internationalen Finanzsystem und vereinbarten eine Verdreifachung seiner Reserven auf 750 Milliarden Dollar. Sie erklärten auch, dass die Führungskräfte der internationalen Finanzinstitutionen, also auch des IWF, in Zukunft in einem offenen, transparenten und leistungsbasierten Auswahlverfahren auszuwählen seien. Dieses Versprechen wird nun auf die Probe gestellt...

>>> Zum vollständigen Kommentar geht's >>> hier.

19. Mai 2011

Nach dem DSK-Rücktritt: NGOs fordern fairen Auswahlprozess

Nach dem Rücktritt von Dominique Strauss-Kahn vom Amt des Geschäftsführenden Direktors beim IWF fordert eine Koalition von NGOs, darunter das Third World Network, Oxfam und das Bretton Woods Project, einen offenen und qualifikationsorientierten Auswahlprozess für den nächsten IWF-Chef. Mit der vorzeitigen Amtsaufgabe steht zugleich das bisherige anachronistische Wahlverfahren zur Disposition, das auf einem „Gentlemen’s agreement“ zwischen den USA und Europa beruhte und gewährleistete, dass die Europäer stets den IWF-Chef und die USA den Präsidenten der Weltbank stellen.

„Der nächste Geschäftsführende Direktor des IWF muss in einem offenen, transparenten und inklusiven Prozess gewählt werden, in dem die Auswahl auf den Verdiensten und nicht auf der Nationalität beruht und der die IWF-Führung für jemanden von außerhalb Europas öffnet,“ sagte Bhukima Muchhala vom Third World Network. Mit ihrer Kampagne wollen die NGOs dafür sorgen, dass die bislang in dieser Frage üblichen Deals hinter verschlossenen Türen aufhören, Abstimmungen öffentlich stattfinden und gewährleistet wird, das der neue Direktor von einer Mehrheit der 187 Mitgliedsländer des Fonds (und nicht nur der Stimmanteile) getragen wird. Nur so könne der IWF-Chef Legitimität und Autorität gewinnen, meint Sarah Wynn-Williams von Oxfam. Für Jesse Griffiths vom Bretton Woods Project ist wichtig, dass der IWF-Chef unabhängig von den mächtigsten Anteileignern des Fonds und im Interesse der Länder mittleren und niedrigen Einkommens agiert, die immer noch am stärksten von den Operationen des IWF betroffen sind. Auch sollte er sich „verpflichten, für die Verringerung der globalen Ungleichheit und Armut zu arbeiten“.

Schon im Jahre 2009 hat der IWF beschossen, „einen offenen, qualifikationsbasierten und transparenten Prozess zur Auswahl des IWF-Managements einzurichten“. Dies bestätigte der G20-Gipfel in Pittsburgh mit der Formulierung, dass „die Leiter und die höchste Führung aller internationalen Institutionen in einem offenen, transparenten und qualifikationsbasierten Prozess bestimmt werden sollten“. Dennoch wurden seither zwei stellvertretende IWF-Direktoren ohne einen solchen Prozess und durch G7-Kandidaten besetzt: Im Oktober 2010 wurde der Japaner Naoyuki Shinohara ernannt und im Februar 2011 die britisch-ägyptische Mitarbeiterin des UK Department for International Development (die Strauss-Kahn Anfang der Woche in Brüssel vertrat). – Es wird Zeit, dass mit derartigen Praktiken jetzt Schluss gemacht wird.

* Als Grundlagenpapier für die Kampagne ist folgendes, bereits bei der Frühjahrstagung vorgestelltes Papier verfügbar: Heading for the right choice? A professional approach to selecting the IMF boss. http://www.brettonwoodsproject.org/imfboss
* Laufende Infos zur Auseinandersetzung um den neuen IWF-Chef gibt es auf einer neuen Website: www.imfboss.org

17. Mai 2011

DSK-Nachfolge: Alter Hochmut aus Europa

Wie gestern Morgen vorhergesehen, ist die Debatte um die Nachfolge von Dominique Strauss-Kahn im Amt des Geschäftsführenden Direktors des IWF voll entbrannt, noch ehe die Verhandlungen um dessen Anklagepunkte so richtig begonnen haben. Ein besonderes Kuriosum dabei ist, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Europa-Kolumnist der Financial Times Wolfgang Münchau ausnahmsweise einmal einer Meinung sind: Da der IWF derzeit so außerordentlich stark in Europa engagiert ist, müsse auch der nächste Chef des Fonds wieder ein Europäer werden.

Das „Argument“ hat „Geschmäckle“ und bezeugt, dass die Europäer immer noch nicht bereit sind, ihren alten Hochmut abzulegen. Mit derselben Logik hätten die Lateinamerikaner in der 1980er Jahren verlangen können, einer der ihren müsse an die Spitze des IWF, weil der Fonds in der damaligen Schuldenkrise dort wieder Tritt gefasst hatte, nachdem er in Europa nicht mehr gebraucht wurde. Mit derselben Logik auch hätte man erwarten können, dass die IWF-Leitung Ende der 1990er Jahre von einem Asiaten hätte übernommen werden müssen, weil die Asienkrise dem Fonds ein weiteres Schwerpunktbetätigungsfeld bescherte. Doch stattdessen überwachte der Franzose Michel Camdessus die Unterzeichnung der wohl schmachvollsten Beistandsabkommen, die der Fonds je unterschreiben lies (s. Foto).

Die naheliegenden Vergleiche verdeutlichen, dass die Europäer (oder jedenfalls viele von ihnen) noch immer nicht bereit sind, mit ehemaligen Kolonialregionen auf gleicher Augenhöhe umzugehen: Während sie selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen, die Verhältnisse in anderen Weltregionen zu richten, sollen für vergleichbare Aufgaben in Europa nur die eigenen Leute in Frage kommen. Da kann man nur hoffen, dass die neuen ökonomischen Machtverhältnisse dem alten Hochmut einen Strich durch die Rechnung machen.

16. Mai 2011

Der Fall DSK: Welche Konsequenzen beim IWF?

Wie immer der Fall Dominique Strauss-Kahn ausgehen mag – politisch ist der Geschäftsführende IWF-Direktor – der zuletzt immer stärker mit dem Gedanken spielte, französischer Präsidentschaftskandidat zu werden – schon jetzt abgestürzt. Offiziell endet seine Amtszeit zwar erst Ende nächsten Jahres, doch könnte, wie die Financial Times keine 24 Stunden nach der Verhaftung DSKs schreibt, „der Vorstand des IWF zu dem Schluss kommen, dass es im besten Interesse des Fonds läge, ihn von seinen Pflichten zu entbinden, solange das juristische Verfahren läuft“. Eine solche Entwicklung würde zweifellos eines beschleunigen und befeuern: die Auseinandersetzung um die Auswahl des höchsten Funktionärs der Institution, die nicht zuletzt dank Strauss-Kahn zum großen Gewinner der Finanzkrise geworden ist.

Zwar ist mittlerweile auch in G20-Dokumenten nachzulesen, dass der nächste Geschäftsführende Direktor des IWF ausschließlich aufgrund seiner Qualifikation, Erfahrung und Verdienste bestimmt werden sollte. Doch noch haben die Europäer nicht auf ihr fragwürdiges Privileg verzichtet, den Spitzenposten aus ihren eigenen Reihen zu besetzen (genauso wenig wie die USA auf das das „Recht“ zur Bestimmung des Weltbank-Präsidenten). Dabei wäre es jetzt höchste Zeit, einmal einer anderen Weltregion das Recht auf die Nominierung ihres Kandidaten zuzugestehen. Stattdessen werden bereits wieder fleißig Europäer als Nachfolger von DSK gehandelt: Gordon Brown zum Beispiel, obwohl den die konservative Regierung in London gar nicht will; oder die französische Finanzministerin Christine Lagarde, die zwar das Zeug für den Job hätte, aber eben auch aus Europa kommt.

Es ist keineswegs so, dass es den Entwicklungs- und Schwellenländern an Kandidaten für den IWF-Direktor mangeln würde, die auch für die Industrieländer akzeptabel wären. Genannt wird beispielsweise Kemal Dervis, der ehemalige türkische Finanzminister und Administrator des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP); oder Trevor Manuel, der ehemalige Finanzminister Südafrikas und Vorsitzende des Wirtschafts- und Finanzausschusses (IMFC) beim IWF; oder auch Montek Singh Ahluwalia, der Stellvetretende Vorsitzende der indischen Planungskommission und ehemalige Leiter der Unabhängigen Evaluierungskommission beim IWF. Zwar stünde nicht jeder dieser Namen unbedingt für einen Politikwechsel beim IWF oder zumindest für die Weiterführung der von Strauss-Kahn angestoßenen Reforminitiativen. Aber der so oft geforderten höheren Legitimität des Fonds wäre es schon dienlich, wenn der Einfluss des Südens auch in der obersten Etage des Fonds deutlich gestärkt würde. Dies ist die vielleicht wichtigste Weichenstellung, die der zum amtierenden Geschäftsführer ernannte John Lipsky (DSKs bisheriger Stellvertreter) jetzt einleiten könnte.

12. Mai 2011

Verschärfte Tonart in der Eurozone oder Kehrtwende im Krisenmanagement?

In einem Teil der Finanzpresse verschärft sich die Tonart im Umgang mit den Krisenländern an der Peripherie der Eurozone. Am Dienstag forderte die Financial Times in einem Editorial, Athen müsse stärker an die Kandare gelegt werden (>>> Athens must be put under the gun). Schon in der letzten Woche hatte dasselbe Blatt in seiner „Lex Column“ verlauten lassen, das jüngste Portugal-Paket von EU und IWF enthalte „zu viel Zucker, zu wenig Peitsche“. Dem Land werde zu viel Geld bewilligt und dafür „zu wenig Bedingungen“ abverlangt. Portugal habe das letzte Jahrzehnt mit gerade mal 1,1% Wachstum pro Jahr vertrödelt – gerade mal so viel wie Deutschland und Italien auch, während Irland immerhin 5% aufzuweisen habe.

Was bringt der Hinweis auf die unterschiedliche Wachstumsperformance der letzten zehn Jahre? Eigentlich gar nichts. Jedenfalls taugt er nicht für die anschließend empfohlene Therapie: „Eine Dosis der Medizin des Washington Consensus ist genau das, was Portugal braucht“, schreiben die anonymen Lex-Kommentatoren. Dabei erleben wir gerade am Beispiel Griechenlands, wie die mit diesem Namen verbundene Therapie des Radikalsparens oder der internen Abwertung so gründlich scheitert, das Forderungen nach einem radikalen Schuldenschnitt oder sogar nach einem Austritt aus der Eurozone immer lauter werden (>>> Vom Rettungsschirm zum Hilfemechanismus? Die verfehlte Krisenpolitik in der Eurozone).

Gerade gestern hat der Chefökonom derselben Financial Times, Martin Wolf, vorgerechnet, dass Griechenland nie und nimmer seine Schulden wird zurückzahlen können und unweigerlich auf den „Default“ zusteuert; die Alternative bestünde zwischen dauerhaften finanziellen Subventionen der EU für Griechenland oder einer geordneten Schuldenreduktion, bei der auch die Banken zur Kasse gebeten werden. Man muss nicht so weit gehen wie Mark Weisbrot vom Center for Economic and Policy Research (CEPR), der den Griechen offen empfiehlt, dem Euro Lebewohl zu sagen (>>> It is time for Greece to say goodbye to the euro). Doch es ist höchste Zeit, das Steuer in der Eurozone herumzureißen und die verfehlte Krisenpolitik zu beenden. Die Kredite und die damit verbundene bittere Medizin nur zeitlich zu strecken, wird nicht ausreichen. Neue Regeln für das internationale Kreditgeschäft müssen her. Die UNCTAD hat dafür soeben einen praktikablen Vorschlag vorgelegt (>>> Neue Regeln für das internationale Kreditgeschäft. Ein Projekt der UNCTAD).

10. Mai 2011

LDC-IV: Trauerspiel in drei Akten


„Diese Länder erregen nicht die Aufmerksamkeit der Welt, es sei denn sie sind in einen Konflikt verwickelt oder sie werden durch Naturkatastrophen verwüstet.“ Die Rede ist von jenen 48 am wenigsten entwickelten Ländern der Welt (LDCs), über die seit gestern eine IV. UN-Konferenz (LDC-IV) stattfindet, die wie die drei Vorgängerkonferenzen (1981 und 1990 in Paris und 2000 in Brüssel) das Schicksal dieser Ländergruppe in der Weltwirtschaft verbessern soll. Und in der Tat nahm bislang kaum ein Medium von der Tagung in Istanbul Notiz, keine deutsches zumal, weder die FAZ noch die taz, weder die Süddeutsche Zeitung noch die Frankfurter Rundschau.

Doch die arrivierten Massenmedien sind nur die eine Seite des LDC-IV-Trauerspiels. Die zweite Seite ist die Politik, vor allem die der Industrieländer im Vorbereitungsprozess der Konferenz. Diese nahmen dort von vorneherein eine „minimalistische“ Position ein, die das jetzt vorliegende Outcome-Dokument bis zur Belanglosigkeit verstümmelte, um es vorsichtig auszudrücken. Man könnte auch, wie der ehemalige Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen, Anwarul K. Cowdhury, in einem Kommentar, von einer 4-D-Strategie der westlichen „Entwicklungspartner“ sprechen, die im Abstreiten („deny“), Verwässern („dilute“), Verzögern („delay“) und Spalten („divide“) bestand.

Im Trauerspiel um die ärmsten Länder gibt es aber noch eine dritte Seite, und für die sind Teile der UN-Bürokratie verantwortlich, vor allem um den Generalsekretär Ban Ki-moon herum. Erst wurde der Vorbereitungsprozess von UNCTAD (die über ausgewiesene Kompetenz in LDC-Fragen verfügt) in Genf weg ins UN-Hauptquartier nach New York geholt. Dann berief Ban Ki-moon, der die Verbesserung des Schicksals der „bottom billion“ einst zum Schwerpunkt seiner zweiten Amtszeit machen wollte, eine Kommission aus „Eminent Persons“, denen jedes Verständnis und Engagement für die LDCs abging. Entsprechend substanzlos war denn auch ihr Bericht, der im März zwar das Licht der Welt erblickte, aber jegliche Impulse für den Vorbereitungsprozess vermissen ließ.

Auch wenn es interessante Einzelinitiativen im Vorbereitungsprozess gab – etwa den neuen LDC-Report von UNCTAD mit der Forderung nach einer Neuen Internationalen Entwicklungsarchitektur oder einen NGO-Report, der danach fragt, wie die LDCs aus ihrer untergeordneten und peripheren Rolle in der Weltwirtschaft entkommen können – nach diesem Vorspiel ist die Konferenz in Istanbul kaum noch zu retten. Umso wichtiger, wenigstens die neuen Ideen an ihrem Rande wahrzunehmen: >>> W&E-Dossier LDC-IV in Istanbul.

6. Mai 2011

DEVETAX 2020: Finanzämter für die Dritte Welt

Ein ungewöhnlicher, aber dennoch sehr vernünftiger Vorschlag kommt aus einer unvermuteten Ecke des Europäischen Parlaments. "220 Finanzämter bis 2020" – mit dieser Forderung hat der CSU-Europaabgeordnete Martin Kastler (s. Foto) in dieser Woche seine Kollegen im EP-Entwicklungsausschuss überrascht. Hintergrund ist ein von ihm als Entwicklungspolitischer Sprecher der CSU vorgeschlagenes EU-Programm DEVETAX 2020 zur Weiterentwicklung der Budgethilfe und zur Stärkung des öffentlichen Finanzmanagements in den Ländern der AKP-Gruppe. Jahr für Jahr gingen dort Milliardenbeträge eigenen Steueraufkommens durch fehlende Finanzinfrastruktur und Korruption verloren. Das will Kastler ändern und fordert ein konzentriertes Engagement der EU.

Auf die Idee dieses Programms gekommen war Kastler in seiner Rolle als Schattenberichterstatter zum Grünbuch Budgethilfe der Europäischen Kommission, die dort für eine Fortführung und einen weiteren Ausbau der milliardenschweren, bedingungslosen Direktzahlungen an Regierungen und Regimes der Entwicklungsländer plädiert. Kastler - und mit ihm viele seiner Kollegen im Europäischen Parlament - sehen das kritisch: "Die Budgethilfe ist kein Erfolgskonzept. In den vergangenen Jahren haben wir viel Geld überwiesen, haben Missbrauch toleriert - ohne große, nachweisbare Erfolge in der Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Selbstständigkeit der Staaten", sagt Kastler - der selbst ein Freund der Projekthilfe ist: "Diese Arbeit erfolgt vor Ort und mit den Menschen - das ist ihr Erfolgskonzept."

Die Budgethilfe ganz abschaffen will er deshalb aber nicht. Folgender innovativer Weg schwebt ihm vor: DEVETAX 2020, so Kastler, könne ein Programm innerhalb der bestehenden Budgethilfe sein, das - zweckgebunden - den Staaten helfe, ein tragfähiges öffentliches Finanzmanagement aufzubauen. "Dabei sind die 220 neuen, vernetzten und leistungsfähig ausgestalteten Finanzämter bis 2020 nur ein Ziel von vielen." Weiter gehe es darum, entsprechendes Personal vor Ort zu schulen, die parlamentarische Kontrolle durch funktionierende und unabhängige Rechnungshöfe zu stärken sowie die Finanzreformen in die Fläche, also auch in ländliche Regionen zu tragen. Die Entwicklungszusammenarbeit kennt dafür den Sammelbegriff des "capacity development".

5. Mai 2011

UNCTAD-Report kritisiert Auslandsinvestitionen in LDCs

In einem neuen Bericht über ausländische Direktinvestitionen (FDI) in den 48 am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) kritisiert die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) deren begrenzte Effekte auf die Beschäftigungsentwicklung und den Lebensstandard. Obwohl die FDI in den letzten Jahren auch in den LDCs stark angestiegen sind, werde eine neue Strategie gebraucht, um sowohl mehr Arbeitsplätze zu schaffen als auch die produktiven Kapazitäten dieser Länder insgesamt zu erhöhen. Der Report trägt den Titel Foreign Direct Investment in Least Developed Countries: Lessons Learned from the Decade 2001–2010 and the Way Forward und kommt passend zur IV. UN-Konferenz über LDCs (LDC-IV), die nächste Woche in Istanbul stattfindet, heraus.

FDI-Flüsse in LDCs 2001-2010 (in Mrd. Dollar)
Quelle: UNCTAD

FDI in der LDC-Gruppe erreichten 2010 schätzungsweise 24 Mrd. US-Dollar, und ihr Anteil an den weltweiten FDI-Flüssen hat sich in den letzten zehn Jahren auf 2% verdoppelt, wobei die meisten FDI auf die Rohstoffausbeutung entfiel. Doch gerade dieser Sektor ist relativ wenig jobintensiv, weist wenig Links zu lokalen Firmen auf und hat kaum positive Rückwirkungen (in Form von Know-How- und Technologie-Verbreitung) für die Gesamtökonomie. Die Mehrheit der LDCs verbleibt somit weltwirtschaftlich in einer marginalisierten Rolle.

Unter den Empfehlungen der Studie befindet sich die Schaffung eines „LDC-Infrastruktur-Entwicklungsfonds“, der ihre Fähigkeit zur Anziehung von Investitionen höherer Verarbeitungsstufe verbessern würde (etwa durch bessere Elektrizitätsversorgung, Verkehrswege oder Internetverbindungen). Darüber hinaus fordert die Studie ein Hilfsprogramm zur Erhöhung der produktiven Kapazitäten, das Maßnahmen der technischen und allgemeinen Ausbildung und der Förderung von Unternehmensinitiativen innerhalb von LDCs umfassen soll.

Es bleibt freilich abzuwarten, ob sich die LDC-Konferenz in Istanbul auf derlei Initiativen einigen kann. Denn bislang sind vor allem die Industrieländer extrem zögerlich bei neuen Zusagen. Die besondere Lage der LDCs in der Armen Welt schützt diese offenbar nicht davor, wie andere Länder weitgehend leer auszugehen, wenn es um zusätzliche Initiativen der Armutsbekämpfung geht.