20. September 2016

Zentralbanken: Die Grenzen der Geldpolitik sind erreicht

Dunkle Wolken über der FED
Die Grenzen der Geldpolitik sind erreicht. Jetzt muss eine expansive Fiskalpolitik die Führung übernehmen. Das ist die Quintessenz einer Stellungnahme, die das Sekretariat der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) vor dem Treffen des Lenkungsausschusses der US-Zentralbank FED abgegeben hat. Das sog. Open Market Committee der FED (FOMC) tagt heute und morgen in Washington. Wie der Direktor der UNCTAD-Abteilung für Globalisierung und Entwicklungsstrategien, Richard Kozul-Wright, sagte, ist die unkonventionelle Geldpolitik der Zentralbanken, darunter massive Anleihekäufe und negative Zinsen, nicht nur dabei gescheitert, reale Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen anzuschieben; sie hat auch die finanzielle Spekulation und Blasenbildung sowie die Einkommensungleichheit befördert.


Doch auch eine Erhöhung der Zinssätze sei unter den derzeitigen schwachen Konjunkturbedingungen kein geeigneter Weg zurück zur ‚Normalität‘. „Das einzige, was so erreicht werden wird, ist eine Verschärfung der jetzt schon negativen Kapitalflüsse aus den Schwellen- und Entwicklungsländern, begleitet von einer unvermeidbaren Aufwertung des Dollars. Auch die Investitionen in die Verarbeitende Industrie der USA wird dies nicht beflügeln. Vielmehr wird es wahrscheinlich zu einer weiteren Verzerrung von Anlagepreisen kommen und Schwellen- und Entwicklungsländer beim Management ihrer Schuldenlasten nur noch verwundbarer machen.“

Wie der in dieser Woche erscheinende neue Trade & Development Report der UNCTAD hervorheben wird, kommt es vor allem auf die Fiskalpolitik und auf stabile Wechselkurse an, wenn nachhaltige und expansive wirtschaftliche Bedingungen geschaffen werden sollen. Dies gelte für Industrie- und Entwicklungsländer gleichermaßen. Nur so könne die aggregierte Nachfrage gestärkt, ein hohes Investitionsniveau, z.B. in kohlenstoffarme Infrastrukturprojekte, gesichert, die Ungleichheit reduziert und ein Umfeld geschaffen werden, in dem die wirtschaftliche Diversifizierung der Entwicklungsländer gelingen kann. – Ein solcher Politikwechsel wäre in der Tat zielführender als die andauernde Überlastung der Geldpolitik mit der Ankurbelung der Konjunktur und der Stabilisierung einer instabilen Weltwirtschaft. Auf die Dauer ist beides, wie sich inzwischen gezeigt hat, ohne Aussicht auf Erfolg.

19. September 2016

Migration: Wessen Krise?

Gastblog von Gabriele Köhler*)


Man redet und schreibt in deutschen Medien, nicht nur wegen des heutigen Fluchtgipfels der Vereinten Nationen, viel über die Flüchtlingskrise. Und in der Tat ist es eine Herausforderung, wenn Jobcenter und Behörden, kleinere Kommunen, oder Arztpraxen jetzt mehr Menschen zu betreuen haben als vor zwei Jahren. In der Tat ist es ein Problem, mit Vorstellungen konfrontiert zu werden, nach denen Frauen nicht gleichberechtigt wären, oder die homophob oder antisemitisch sind. In der Tat können sich Menschen, die ökonomisch und sozial prekär leben, weil ihre Jobs oder ihre Rentenansprüche nicht gesichert sind oder sie mit dem Hartz-IV-Minimum auskommen müssen, verunsichert fühlen, wenn jetzt eine neue Gruppe von Menschen in unsicheren Umständen in ihre Umgebung zieht.  Diese nachvollziehbaren Ängste, Vorbehalte, Sorgen müssen offen, mit Empathie, aber unemotional aufgegriffen werden, und mit Fakten diskutiert werden.

Für diese vielschichtigen Herausforderungen und neuen Aufgaben braucht es Engagement und vielerlei neue Stellen. Sozialausgaben in Bund und in Ländern müssen großzügig aufgestockt werden, was nun sehr zögerlich geschieht. Für ein Land wie Deutschland, das einen Haushaltsüberschuss hat, ist das ökonomisch objektiv überhaupt kein Problem, wenn man es nur subjektiv will, zu Solidarität bereit ist und es schafft, vom fiskalischen Austeritätswahn abzurücken. Auch sozial ist die Aufnahme von Menschen auf der Flucht keine Krise, insofern als es in Deutschland viele gut ausgebildete Expertinnen und Experten in Bildungs- und Ausbildungsberufen, im Gesundheitswesen, in der Therapie, in den Medien gibt, und zugleich eine lange und bewundernswerte Tradition des Ehrenamts.  Die Flüchtingskrise wird von daher völlig zu Unrecht als eine Krise für Deutschland stilisiert.

Es handelt sich aber natürlich sehr wohl um eine Krise – nämlich für diejenigen Menschen, die keine andere Lösung für sich und ihre Familie sehen, als ihr Heimatland zu verlassen. Das ist, weil sie dort Krieg und bewaffnetem Konflikt, Verfolgung, Folter, Ausgrenzung, ausgeliefert  sind, oder weil Armut und die Folgen des Klimawandels direkt oder indirekt ihre Einkommensmöglichkeiten ausgehebelt haben.

Wir wissen es aus den Medien: 65 Millionen Menschen sind derzeit aus solchen Gründen auf der Flucht. Etwa 40 Millionen Menschen sind Binnenflüchtlinge im eigenen Land. 20 Millionen Menschen sind in Anrainerländer oder auch weiter weg geflohen. Etwa die Hälfte sind Kinder, von denen viele noch dazu ohne Eltern oder Verwandte zurechtkommen müssen. Keine und keiner flieht nur so aus Spaß oder Abenteuerlust.

Es handelt sich auch um eine Krise für arme Länder: Fast 90% der Flüchtlinge leben in einkommensschwachen Ländern. Fünf arme Ländern beherbergen große Flüchtlingsgruppen, und das zum Teil seit Jahrzehnten: Pakistan, der Libanon, Iran, Äthiopien, und Jordanien. In Nepal, einem der ärmsten Länder der Welt, leben seit 20 Jahren Flüchtlinge aus Bhutan; Dadaab, eines der größten Flüchtlingslager der Welt, ist in Kenya. In der Türkei leben derzeit 2.5 Millionen Flüchtlinge. Die Solidarität, die der UN-Generalsekretärskandidat und frühere Flüchtlingshochkommissar Antonio Guterres  seit Jahren anmahnt, muss bei den Flüchtenden sein.

Zum ersten Mal in ihrer Geschichte trifft sich die UN-Generalversammlung  nun zu einem  Gipfel zur Lage von Flüchtenden und Migrantinnen und Migranten. Karl-Heinz Meyer-Braun von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen hat zu Recht gewarnt: Es  besteht die Gefahr, dass die Weltgemeinschaft die Lösung der Flüchtlingskrise einfach auf diese – auch nur – eintägige Konferenz in New York abwälzt, um dann den Vereinten Nationen den schwarzen Peter zuzuschieben, wenn weiterhin zu wenig geschieht.

Es besteht aber – vielleicht wider besseres Wissen – immer noch die Hoffnung, dass UN-Mitgliedsländer wachgerüttelt werden und sich ihrer Versprechen erinnern. Dazu gehören das  Recht auf Asyl, das seit der Menschenrechtserklärung von 1948  verpflichtend ist, die Genfer Flüchtlingskonvention, aber auch neuere Vereinbarungen, wie die Kinderrechtskonvention, die ILO-Empfehlung zur universellen sozialen Grundsicherung (R202 von 2012) und die Nachhaltigkeitsagenda, die genau  vor einem Jahr versprach, “to empower refugees and migrants” (Präambel, Para 23).

*) Gabriele Köhler ist DGVN-Vorstandsmitgleid und Mitglied im UNICEF Komitee Deutschland. Ihr Kommentar erschien zuerst auf der Website der DGVN.

15. September 2016

Verbot der Fusion Bayer-Monsanto gefordert

Bayer und Monsanto, die beiden Saatgut- und Chemie-Giganten, haben eine bindende Fusionsvereinbarung unterzeichnet und würden damit zur weltweiten Nummer 1 im Saatgut- und Agrarchemiegeschäft aufsteigen. Das ist eine schlechte Nachricht für Bauern und Bäuerinnen weltweit, sagen Vertreter der entwicklungspolitischen Organisationen Misereor, FIAN Deutschland, INKOTA und Brot für die Welt. Die Kartellbehörden werden aufgefordert, die Hochzeit der beiden Giganten zu verhindern.

Kaum ein Markt ist jetzt schon so konzentriert wie der globale Agrarmarkt. Von Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung haben in den letzten Jahrzehnten jedoch nur die großen Akteure des weltweiten Agribusiness profitiert. Bereits heute kontrollieren die „Großen Sechs“ – Monsanto, Syngenta, Bayer, DuPont, Dow und BASF – 75% des globalen Agrarchemiemarktes und über 60% des Saatgutmarktes. Mit der Bayer-Monsanto-Fusion rollt nun eine weitere Markt- und damit Machtkonzentrationswelle auf uns zu. Neben Monsanto-Bayer planen auch DuPont und Dow sowie ChemChina und Syngenta Zusammenschlüsse, um ihre Vormacht bei Pestiziden und Saatgut für die Zukunft zu sichern.

Die Folgen der Fusionen wären fatal: Drei Saatgutkonzerne kontrollierten dann größtenteils das weltweite Saatgut und damit die Lebensgrundlagen für die Ernährung der Menschheit. Bauern und Bäuerinnen geraten dadurch in noch stärkere Abhängigkeitsverhältnisse. Die Preise für Saatgut würden steigen, und die Wahlfreiheit bei Saatgut und Pestiziden würde noch stärker eingeschränkt. „Insbesondere Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in den armen Regionen der Welt wären davon massiv betroffen“, so Sarah Schneider, Referentin für Landwirtschaft und Ernährung bei Misereor. „Unsere internationalen Partnerorganisationen haben sofort nach  den ersten  Übernahmegerüchten angekündigt, in ihren Ländern alle juristischen Mittel auszuschöpfen, um einen neuen Mega-Konzern Bayer-Monsanto zu verhindern“, so Stig Tanzmann, Agrarexperte von Brot für die Welt. 

Mit Saatgut von Bayer und Monsanto lässt sich keine zukunftsfähige Landwirtschaft betreiben. Beide Konzerne produzieren genmanipuliertes Saatgut und die korrespondierenden Pestizide, die sie im „Kombi-Pack“ verkaufen. Stattdessen brauche es politische Rahmenbedingungen, die es Bauern und Bäuerinnen ermöglichen, frei und unabhängig über ihr Saatgut zu bestimmen. „Wir dürfen die Welternährung nicht in die Hände eines Agro-Oligopols legen und damit das Menschenrecht auf Nahrung in Gefahr bringen“, erklärten die NGOs.

7. September 2016

Gipfelnachlese: Schuldenkrisen wieder Thema

Das Entschuldungsbündnis erlassjahr.de hat begrüßt, dass auf dem G20-Gipfel am 3./4. September erstmals seit 2008 die neuen globalen Schuldenkrisen thematisiert wurden. Im Kommuniqué des Gipfels von Hangzhou versichern die Staats- und Regierungschefs, dass sie sich für die Verbesserung von Umschuldungsverfahren einsetzen wollen. Sie verweisen dazu auf die Einführung von „Collective Action Clauses“ in Anleiheverträgen (dfie im Falle von Umschuldungen auch die Minderheit der Gläubiger zur Übernahme der Schuldenerleichterungen verpflichten) und die Unterstützung des Pariser Clubs.


erlassjahr.de fordert nun, dass die Bundesregierung die Initiative der chinesischen Regierung fortsetzt und das Thema auf die Agenda des G20-Gipfels 2017 in Hamburg setzt. „Die chinesische Regierung hat den Anfang gemacht und die Notwendigkeit für geordnete Lösungen von Staateninsolvenz angesprochen“, so Jürgen Kaiser, politischer Koordinator von erlassjahr.de. Die vorsichtigen Formulierungen auf dem Gipfel in China könnten aber nur der Anfang sein. Es komme jetzt darauf an, dass Deutschland 2017 diesen Impuls aufnimmt und die Möglichkeit effizienter und rechtsstaatlicher Entschuldungsverfahren schafft.

Laut erlassjahr.de sind derzeit 108 Entwicklungs- und Schwellenländer überschuldungsgefährdet. Mit der Kampagne „Debt20: Entwicklung braucht Entschuldung – jetzt!“ fordert erlassjahr.de die G20 auf, die sich aufbauenden Schuldenkrisen im Globalen Süden als Gefahr für das Erreichen der vereinbarten globalen Entwicklungsziele anzuerkennen. Zusammen mit den Stimmen von 20 Menschen aus kritisch verschuldeten Staaten soll die Forderung Anfang November an die Bundesregierung übergeben werden. Im Gipfeljahr 2017 plant erlassjahr.de Aktionen rund um den G20-Gipfel in Hamburg und das G20-Finanzministertreffen in Baden-Baden. Die Kampagne „Debt20“ wird bereits von rund 150 Organisationen, darunter Diözesen und Landeskirchen, entwicklungspolitische Netzwerke, Eine-Welt-Gruppen und Kirchengemeinden, unterstützt.

6. September 2016

Gipfelergebnisse: Neue Akzente im G20-Kommunique

Während die G20 nach eigenem Selbstverständnis „das erste Forum unserer internationalen wirtschaftlichen Koordinierung“ sein will, nutzen die Staats- und Regierungschefs die Gipfel mehr und mehr für eine politische Rendez-vous-Aktivität außerhalb der offiziellen Agenda. Dies war auch in Hangzhou deutlich, wenngleich die Inhalte der bilateralen politischen Treffen nur teilweise an die Öffentlichkeit gelangten. Obama und Putin erörterten ihre Syrienpolitik, Merkel und Erdogan ihren Flüchtlingsdeal, Chinas Xi und Südkoreas Park Geun-hye die Nordkoreafrage usw. Zumindest in der öffentlichen Darstellung kann derlei politische Krisendiplomatie die ökonomischen Kernaufgaben der G20 durchaus in den Hintergrund drängen. Bundeskanzlerin Merkel schoss den Vogel ab, indem sie aus Hengzhou zum Ausgang der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern Stellung nahm – was nun wirklich mit der G20-Agenda nichts zu tun hat.


Immerhin konzentriert sich das achtseitige G20 Leader’s Communiqué auf die wirtschaftlichen Fragen, und dies in einer Art, die – über die allgemeine Kritik, dass an vielen Stellen konkrete Schritte fehlen, hinaus – durchaus Anlass zu einer vertieften Analyse in der nächsten Zeit sein sollte. Einerseits wiederholt das Kommuniqué altbekannte Formelkompromisse, etwa das „alle Politikinstrumente – geld-, fiskal- und strukturpolitische – individuell und kollektiv“ genutzt werden sollen, um das weltwirtschaftliche Wachstum anzukurbeln. Andererseits ist die chinesische Handschrift unverkennbar: Die Orientierung auf eine „innovative, starke, integrierte und inklusive Weltwirtschaft“ ist ebenso wie das darin enthaltene neue (nachhaltige, ausgewogene und inklusive) Wachstumskonzept deutlich verbunden mit dem Bekenntnis zur 2050-Agenda für Nachhaltige Entwicklung, der Addis-Abeba-Aktionsagenda und dem Pariser Klimaabkommen.

Schon die Gliederung des Dokuments folgt der von Peking vorgegebenen G20-Gipfelagenda (s. dazu auch >>> G20 unter chinesischer Präsidentschaft): Nach einem Abschnitt über die Stärkung der Politikkoordination kommt ein Kapitel über die „Öffnung eines neuen Wachstumspfads“. Dem folgen Abschnitte über „effektivere und effizientere globale wirtschaftliche und finanzielle Governance“, ein Abschnitt über „robusten internationalen Handel und Investitionen“ und schließlich ein Kapitel über „inklusive und integrierte Entwicklung“. Auf einigen Gebieten bietet das Kommuniqué wenig neues (etwa bei der Politikkoordination und der internationalen Finanzarchitektur), auf anderen werden neue Initiativen benannt, deren Entwicklung und Ausfüllung in der Zukunft genau beobachtet werden sollte. So ist etwa von einem „G20-Blueprint für innovatives Wachstum“ die Rede, eine neue G20-Taskforce soll die G20-Agenda zu Innovation, „Neuer Industrieller Revolution“ und digitaler Ökonomie vorantreiben. Es soll einen „Aktionsplan für die Neue Industrielle Revolution“ geben usw. Neu wurde unter chinesischer Präsidentschaft eine Arbeitsgruppe für Handel und Investitionen aufs Gleis gesetzt und erstmals ein G20-Mechanismus zu „Green Finance“ errichtet. Nicht nur entwicklungspolitisch von Belang ist, dass es jetzt einen G20-Aktionsplan zur 2030-Agenda gibt und eine G20-Initiative zur Unterstützung der Industrialisierung in Afrika und den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) aus der Taufe gehoben wurde.

Sicher nimmt in diesem Konvolut von Initiativen und Plänen das Wachstum eine zentrale Stellung ein. Doch es ist nicht so, dass die G20 unter chinesischer Präsidentschaft einfach auf ein wachstumspolitisches Weiter so geschielt haben. Es ist vielmehr tatsächlich – zunächst und zumindest auf der Diskursebene – ein neues Wachstumskonzept, dessen zentrales Anliegen das Aufspüren neuer Wachstumstriebkräfte ist. Diese werden vor allem in einem neuen Innovationsschub der Weltwirtschaft gesehen. Gleichzeitig heißt es gleich zu Beginn des Entwicklungskapitels: „Damit unser Wachstum stark, nachhaltig und ausgeglichen ist, muss es auch inklusiv sein. Wir sind entschlossen sicherzustellen, dass die Vorteile unseres Wachstums alle Menschen erreichen und das Wachstumspotential aller Entwicklungs- und Niedrigeinkommensländer maximieren. In diesem Zusammenhang steht Nachhaltige Entwicklung hoch auf der G20-Agenda.“

Man wird sehen müssen, wie hoch der rhetorische Anteil an derlei Formulierungen ist. Eine Reihe neuer Anstöße hat der G20-Gipfel von Hangzhou jedenfalls gebracht. Es wird nicht zuletzt darauf ankommen, was die am 1. Dezember beginnende deutsche G20-Präsidentschaft daraus macht.

Weitere kritische Stimmen zu G20: >>> hier.

5. September 2016

G20-Gipfel in Hangzhou: Neuer Anstrich der Globalisierung?

"Für eine innovative, starke, integrierte und inklusive Weltwirtschaft“ lautet das Gipfelmotto der chinesischen G20-Präsidentschaft. Keine schlechte Losung in einer Zeit, in der die Globalisierung mehr und mehr unter Beschuss gerät, diesmal vor allem von rechts (>>> W&E 07-08/2016). Auch das vor sich hin dümpelnde Wachstum der Weltwirtschaft soll künftig vor allem „nachhaltig“ und „inklusiv“ gestaltet werden, so pfeifen es unisono die Großen der G20 – von Obama über Theresa May bis zum Gastgeber Xi Jinping – von den Dächern. Doch was heißt das? Die Financial Times hat zum Auftakt des Gipfels zur drängendsten Priorität erklärt, „einen Weg zu finden, um die Vorteile der Globalisierung einer zunehmend skeptischen Öffentlichkeit zu verkaufen“.


Sprache ist verräterisch. Es geht gerade nicht um eine neue Public-Relations-Anstrengung, in der etwas besser verkauft werden muss. Bislang haben die neoliberalen Protagonisten der Globalisierung wesentliche Konsequenzen einer regellosen und brachialen Liberalisierung verschwiegen (beispielsweise dass die Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer vor allem die unqualifizierten ArbeiterInnen in Industrieländern trifft) und wundern sich jetzt, dass die Rechten (von Trump über die Brexiters und Le Pen) ihnen das nun um die Ohren hauen. Zu einer wirklichen Kehrtwende auf dem G20-Gipfel würde also zunächst einmal das Eingeständnis bisherigen Versagens gehören.

Doch die Zeichen, dass G20 zum Ausgangspunkt für ein neues Management der Globalisierung werden könnte, stehen eher schlecht. Die ursprünglich durchaus hoffnungsvollen Visionen der chinesischen Präsidentschaft sind offensichtlich in den eigenen Krisentendenzen und inneren Problemen des Landes stecken geblieben. Bis jetzt haben die G20 keinen Weg gefunden, auch nur das konventionelle Wachstum zu beleben. Gerademal 3,1% lautet die derzeitige IWF-Prognose für die Weltwirtschaft. Das Handelswachstum liegt mit 3% noch darunter. Und die Bilanz der G20 bei der Einführung neuer protektionistischer Maßnahmen ist trotz gegenteiliger Versprechungen verheerend.

Die Hoffnungen auf eine „gezähmte Globalisierung“ und einen sozialen Neuanfang werden durch die politischen Entwicklungen in Lateinamerika nicht besser, im Gegenteil: Mit dem De-facto-Putsch gegen Dilma in Brasilien und dem Wahlausgang in Argentinien werden jetzt zwei wichtige G20-Mitglieder von neoliberalen Regierungen geführt, deren soziale Einschnitte und brachiale Privatisierungen bereits spürbar sind. Die Zukunft der BRICS, noch gestern als Hoffnungsträger gelobt, ist völlig ungewiss. Hinzu kommen die alten Gegensätze in der G20, etwa zwischen den USA, die für mehr fiskalpolitische Stimulierung zu haben wären, und Deutschland, für dessen Finanzminister jegliche Mehrausgaben ein rotes Tuch sind. Noch gar nicht erwähnt sind dabei die zunehmenden Großmächte-Rivalitäten, die auch in Hangzhou die wirtschaftspolitischen Kernaufgaben der G20 zu überschatten drohen. – Es ist also noch ein langer Weg in der Entwicklung der G20 zu einem „Wächter des globalen Wohlergehens“ (>>> G20: Concert of great powers or guardian of global well-being?) – leider.