Weltbank-Kandidaten: Neue Unuebersichtlichkeit
Inzwischen haben alle Kandidaten für den Chefposten der Weltbank ihr Bewerbungsschreiben auch in Form eines Financial Times-Kommentars abgegeben, der von den USA nominierte Arzt Jim Yong Kim, der Kandidat der Lateinamerikaner José Antonio Ocampo und die Kandidatin der Afrikaner Ngozi Okonjo-Iweala. Es ist das erste Mal, dass eine wirkliche Konkurrenz von Kandidaten für das Amt des Weltbank-Präsidenten stattfindet, zumindest im Grundsatz. Denn nach wie vor sind die Kräfteverhältnisse ja so, dass der US-Kandidat die meisten Stimmen auf sich vereinigen wird, vor allem da sich die Europäer für die Unterstützung ihrer IWF-Kandidatin Lagarde durch die USA bedanken dürften. Ansonsten aber herrscht eine neue Unübersichtlichkeit.
Ginge es nicht nach dem alten feudalistischen Auswahlprinzip, sondern danach, wer am besten den Mainstream repräsentiert, wäre Ngozi Okonjo-Iweala die passendste Kandidatin. Sie ist für die Schaffung von Arbeitsplätzen als die wichtigste Aufgabe der Bank (wer wäre da schon nicht dafür?), für die Investition in Humankapital (vor allem Gesundheit und Bildung) und den Aufbau „geeigneter Institutionen“ mit Eigentumsrechten und Vertragssicherheit, Good Governance und einem günstigen Umfeld für Privatinitiative. Und natürlich darf in dieser Kollektion der derzeit beliebtesten entwicklungspolitischen Catchwords auch der Kampf gegen die Korruption nicht fehlen. Kein Wunder deshalb, dass Leute wie der Investmentbanker Mohamed A. El-Erian (PIMCO) Obama bereits dazu aufgerufen haben, seinen eigenen Kandidaten zugunsten der Nigerianerin fallen zu lassen.
Die anderen beiden Kandidaten passen nicht so recht in das Bild des Mainstreams. Sie beherrschen zwar auch die Klaviatur der zeitgemäßen Entwicklungssprache, plädieren aber beide nachhaltig dafür, dass die Weltbank an ihrem Kernmandat der Armutsbekämpfung festhalten sollte. Ocampo spricht sich nicht nur für Wachstum und Arbeitsplätze, sondern auch für die Bekämpfung der Ungleichheit aus und plädiert für kleinbäuerliche Landwirtschaft und angepasste Infrastruktur, für ein Minimum an sozialer Sicherung und die zentrale Rolle der Geschlechtergleichheit. Was Ocampo und Kim eint, ist die Rede von der Inklusion, die die Weltbank-Kultur bestimmen müsse; sie wollen die Bank auch als Plattform für den Wettbewerb der Ideen und die Kooperation ihrer diversen „Stakeholder“. Beide leben seit langem in den USA, wenngleich Ocampo im Unterschied zu Kim keine US-Staatsbürgerschaft hat. Was sie unterscheidet: Kim ist Arzt, Ocampo Ökonom.
Ocampo hat in den letzten Jahren intensiv mit Wirtschaftswissenschaftlern wie Jo Stiglitz und Stephany Griffith-Jones zusammengearbeitet. Da verwundert es nicht, dass er inzwischen die Unterstützung von über 100 zumeist progressiven Ökonomen aus aller Welt hat. Was jedoch stört ist, dass sich anscheinend alle Ökonomen – ob nun dem Mainstream oder eher den Heterodoxen zuzurechnen – nur einen Ökonomen an der Spitze der Weltbank vorstellen können. Natürlich spricht viel für Ocampo. Aber die Weltbank hat genug Ökonomen in ihrem Apparat, und ein Mediziner und Sozialwissenschaftler wie Kim, der als Abteilungsleiter bei der WHO an vorderster Front gegen HIV/Aids kämpfte, wäre vielleicht schon deshalb geeignet, frischen Wind in die Weltbank zu bringen. Selbst wenn die Bank ein Drittel oder die Hälfte ihrer Ökonomen entlassen, durch Sozialwissenschaftler, Ethnologen und Anthropologen ersetzen oder die Stellen vakant lassen sollte, könnte sie – und dies vielleicht besser als jemals zuvor – einen herausragenden Beitrag zum Kampf gegen die Armut leisten.
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