20. April 2012

Fruehjahrstagung von IWF und Weltbank: Risikobeschwoerung

Die Frühjahrs- und Jahrestagungen der Bretton-Woods-Zwillinge sind stets auch Anlässe zur Bilanzierung der weltwirtschaftlichen Entwicklung und der Aufstellung neuer Prognosen. Seit Ausbruch der großen Finanz- und Wirtschaftskrise im letzten Jahrzehnt gleichen sie immer stärker einem großen Theater der Risikobeschwörung. Der Ablauf folgt einem festen Procedere, fast schon einem Ritual: Erst wird der neue World Economic Outlook vorgestellt, dann der neue Financial Stability Report, dann kommen die Pressekonferenzen der Chefs der beiden Organisationen, dann die Treffen der politisch entscheidenden Leitungsausschüsse und zum Abschluss das Plenum mit den Schaufenster-Reden der Gouverneure, d.h. der von den Mitgliedsländern entsandten MinisterInnen und Zentralbankchefs.

Das diesjährige Frühjahrstreffen, das heute in Washington begann, macht da keinen Unterschied, höchstens vielleicht, dass die Risikobeschwörung noch ein wenig an Intensität zugenommen hat. Die Geschäftsführende Direktorin des IWF, Christine Lagarde, sagt, „einer schüchternen Erholung stehen hohe Risiken gegenüber“. Der diesjährige Frühjahrsoutlook sieht die drei größten Risiken für die Weltwirtschaft in der Krisenentwicklung Europas, den stark steigenden Ölpreisen und – interessanterweise! – in einer zu scharfen fiskalischen Konsolidierungspolitik, d.h. in einem quer durch die Länder verfolgten brachialen Sparkurs. Zu diesen Problemen kommen die anhaltenden weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte, die starke Volatilität auf den Finanz- und Rohstoffmärkten und eskalierende Überschuldungstendenzen hinzu, diesmal vor allem (aber nicht nur) in den Industrieländern.


W&E-Hintergrund April 2012
Während der IWF krampfhaft und in immer neuen Anläufen danach sucht, wo vielleicht noch ein paar Spielräume für konjunkturstimulierende Maßnahmen gegeben sind (das neue Schlagwort lautet „Kalibrierung“), geht die neue Ausgabe der W&E-Vierteljahresberichte, die an diesem Wochenende erscheint (s. Abb.), grundsätzlicher an das Problem heran. Sie diagnostiziert einen grundlegenden Kurswechsel in den politischen Zielen nach Ausbruch der Finanzkrise: Während zunächst die Rede von der Kontrolle der Finanzmärkte die Debatten beherrschte, steht inzwischen das Bestreben im Mittelpunkt, den Finanzmärkten Vertrauen einzuflößen – keine schlechte Voraussetzung für die weitere Ausbreitung der Diktatur der Finanzmärkte. Wem das Bild von der Diktatur nicht passt: Andersherum könnte man von auch einer Unterwerfung der Politik unter die Finanzmärkte sprechen. Aus dieser Sicht ist die Agglomeration der Krisenfaktoren in der Weltwirtschaft, die der eigentlich fälligen Erholung entgegen stehen, ein deutliches Zeichen dafür, dass wir es mit einer nachhaltigen Störung des Zyklus von Krise und Aufschwung zu tun haben. Daran wird auch die Massenzusammenkunft von Finanzministern und Notenbankchefs an diesem Wochenende in Washington nichts ändern.

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