30. September 2010

IWF-Reform: Jetzt sind die Europäer gefordert

Die Jahrestagung von IWF und Weltbank (8./9.10.) steht vor der Tür, und wie immer ist dies die Zeit, in der die Diskussion um die Reform der Bretton-Woods-Zwillinge stärker wird. Im Mittelpunkt des Interesses steht diesmal vor allem die künftige Besetzung des IWF-Vorstands („Board“). Schon am 1. November läuft die aktuelle Amtszeit der derzeit 24 Mitglieder aus. Und wenn es bis dahin nicht gelingt, eine neue Führung nach neuen Modalitäten, die vor allem das neue Gewicht der Schwellenländer in der Weltwirtschaft berücksichtigen, ins Amt zu bringen, wird dies den Legitimationsverlust des Fonds weiter beschleunigen.

Neben der Umschichtung von 5% der Stimmrechte von den Industrie- auf die Schwellen- und Entwicklungsländer geht es vor allem um die künftige Wahl des Vorstands, in dem die Europäer bislang acht, zuweilen sogar neun Sitze inne haben. Einige dieser Sitze sind permanent (so die der USA, Japans, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands); andere rotieren. Aufgrund des Übergewichts der Europäer kommt es zu so kuriosen Verhältnissen, dass beispielsweise ein Land wie die Türkei vom belgischen Exekutivdirektor mit vertreten wird. Eine bessere Vertretung der Schwellenländer im Board ist praktisch nur möglich, wenn die Europäer auf Sitze verzichten.

In einem Offenen Brief an die IWF-Gouverneure haben 13 unabhängige Experten aus Think Tanks und Kampaigner jetzt gefordert, das System der permanenten Sitze sollte zugunsten von Wahlen ganz aufgegeben werden, und die Europäer sollten vor allem an asiatische Länder Sitze abgeben. Auch die bisherige Supermehrheit von 85% bei wichtigen Entscheidungen sollte reduziert werden. In der Konsequenz verlören dann die USA mit ihrem 17%igen Stimmanteil ihre Vetomacht. Es ist aber erstens fraglich, ob die Europäer dies locken kann und zweitens, ob die USA zu einem solchen Schritt überhaupt bereit wären. Die Europäer hätten wahrscheinlich auch bei einem reduzierten Superquorum noch eine Vetomacht, allerdings nur wenn sie sich dazu durchringen könnten, im IWF endlich mal mit einer gemeinsamen Stimme zu agieren. Dass sie dazu bislang nicht in der Lage sind, ist ihr größtes Problem, größer noch als der Druck, gegenüber den Newcomern Fairness walten zu lassen.

27. September 2010

Gipfelnachlese: Was macht man mit einer Tüte heißer Luft?

Viel mehr als ein feuchter Händedruck ist der Gipfel in New York über die Umsetzung der Millenniumentwicklungsziele nicht gewesen – wenngleich ein recht teurer, da aus vielen Ländern gleich mehrere Regierungsmitglieder unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen angereist waren, schreibt Markus Loewe vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Und das verabschiedete Abschlussdokument ist nicht viel mehr als eine Tüte heißer Luft, enthält es doch nichts als unverbindliche Versprechungen, eine oberflächliche Bilanz und eine lange und dadurch beinahe schon beliebige Liste mit Vorschlägen, wie die Millenniumsziele bis 2015 noch erreicht werden können. Und weiter:

Ein Gipfel, der nichts Neues brachte
Besonders bedauerlich ist, dass es den Vereinten Nationen (VN) nicht gelungen ist, den Millenniumszielen, die bislang noch relativ unverbindlich formuliert waren, messbare Vorgaben für 2015 zuzuordnen. So hätte man zum Beispiel Ziel 1b („produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit“) zumindest durch den Anteil der Erwerbstätigen, die bis 2015 Zugang zu sozialen Sicherungssystemen haben sollen, konkretisieren können.

Zugegebenermaßen sollte das dürftige Ergebnis nicht zu sehr überraschen: bereits die Vorlage für das Abschlussdokument von VN-Generalsekretät Ban Ki-moon war farblos, unambitioniert und unsystematisch. In nichts erinnert sie an die kraftvollen Worte und Inhalte, die die Millenniumserklärung prägen, die vor zehn Jahren unter Bans Vorgänger, dem Ghanaer Kofi Annan, von den VN beschlossen wurde. Die einzige konkrete Forderung, die Ban Ki-moons Vorlage noch enthielt – derzufolge die reichen Länder 0,7 % ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe hätten ausgeben sollen – wurde im Verhandlungsprozess vor dem Gipfel von den Geberländern (darunter Deutschland) auch noch kassiert...

...den vollständigen Kommentar finden Sie >>> hier.

23. September 2010

Der MDG-Gipfel: Recycling von Texten und Dollars

Das also hat er gebracht, der MDG-Gipfel zehn Jahre nach Verkündung der Ziele in New York: eine einmütig beschlossene Abschlussresolution, über die monatelang gefeilscht worden war, eine neue Finanzierungsinitiative zur Verbesserung der Gesundheit von Müttern und Kindern und einen Reigen warmer Worte mit einem Neuigkeitswert von Null bis Garnichts.

Das Outcome-Dokument besteht in der Tat zu über 90% aus Formulierungen, die bereits auf früheren UN-Treffen schon einmal beschlossen worden waren und die jetzt nur noch einmal bekräftigt wurden. Mit der Lupe waren in dieser Woche wohlmeinende Beobachter aus der NGO-Szene unterwegs, um wenigstens ein bisschen Neues und Positives darin zu entdecken. Sie wurden fündig: erstmals ist im MDG-Kontext von einem allgemeinen Recht auf Zugang zu sozialer Grundsicherung die Rede. Doch als überwältigender Eindruck bleibt: Trotz anderer Verlautbarungen enthält die Abschlussresolution weder ein konkretes Aktionsprogramm noch neue konkrete Zusagen der Geberländer. Beides hätte es aber gebraucht, wenn der Gipfel seinem Anspruch, der Umsetzung der MDGs einen Push zu geben, hätte gerecht werden wollen.

Die auf Drängen von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zustande gekommene Multistakeholder-Initiative zur Kinder- und Müttersterblichkeit – in der Tat ein besonders trübes Kapitel der MDG-Politik wird dieses Manko (wohlwollend betrachtet) höchstens teilweise wettmachen können. Auch hier glaubt niemand so recht daran, dass es sich bei den 40 Mrd. US-Dollar, die in den nächsten Jahren zusammenkommen sollen, wirklich um „fresh money“ handelt und nicht um recycelte, umetikettierte Beträge handelt. Hinzu kommt: Die 40 Mrd. machen gerade einmal ein Drittel der 169 Mrd. Dollar aus, die nach UN-Schätzungen in diesem Bereich nötig wären.

Was von der Rhetorik der Staats- und Regierungschefs bleiben, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt schwer sagen. Obama nutzte die Gelegenheit im Wesentlichen, um eine gewisse Neukonzipierung der US-Entwicklungspolitik vorzustellen. Merkel muss man zu Gute halten, dass ihre „Wirksamkeitsorientierung“ einem neuen entwicklungspolitischen Zeitgeist entspricht (der aber auch nur alte Weisheiten recycelt). Am meisten hören dürften wir in den restlichen Monaten dieses Jahres und im nächsten Jahr von Sarkozys Plädoyer für eine Finanztransaktionssteuer. Will er sich nicht vollends unglaubwürdig machen, wird er in der Tat seine G20- und G8-Präsidentschaft dazu nutzen müssen, Ergebnisse zu liefern. In diesem Sinne wünsche auch ich mir einmal „Ergebnisorientierung“, ergebnisorientierte G-Politik nämlich.

22. September 2010

Lesetipps

> Jeffrey Sachs: China has left the west on the sidelines in Africa

> Große Worte - leere Hände. Bundeskanzlerin enttäuscht in New York (VENRO)

> David Sogge: MDGs for the Rich?

Finanzierung der MDGs: Innovative Optionen

(New York) Am Rande des MDG-Gipfels wurden nochmals die verschiedenen Optionen zur Finanzierung der MDGs jenseits der traditionellen Entwicklungshilfe vorgestellt. Hochrangige Vertreter der sog. Leading Group, darunter die jordanische Königin Rania Al Abdullah und der französische Außenminister Kouschner, verwiesen auf die möglichen Mechanismen, etwa eine internationale Entwicklungsabgabe auf Währungstransaktionen, eine internationale Solidaritätssteuer oder die umfassende Finanztransaktionssteuer (FTT).

Es gibt inzwischen konkrete Beispiele, wie über innovative Finanzierungsmechanismen Gesundheitsinitiativen in Entwicklungsländern gefördert werden. Dazu gehört die Flugticket-Angabe, die UNITAID in die Lage versetzte, seit 2007 1,5 Mrd. US-Dollar für Medikamente aufzubringen (>>> Flugticket-Abgabe: Dreister Ideenklau).

Auf einem Panel wurde der Bericht eines Expertenausschusses der Leading Group vorgestellt: Globalizing Solidarity: The Case for Financial Levies. Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass eine globale Finanztransaktionssteuer der geeignetste Mechanismus zur Finanzierung globaler öffentlicher Güter wäre. Das Panel wies auch auf neue Sektoren hin, in denen innovativ aufgebrachte Finanzmitteln dringend notwendig wären, etwa im Bildungssektor. Und die Leading Group bekommt immer noch neue Mitglieder. Wie Kouchner ankündigte, werden sich demnächst die Bill und Melinda Gates-Stiftung und die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) anschließen. Ob der Zulauf allerdings ausreicht, um den MDG-Gipfel insgesamt zu einer klaren Aussagen zur FTT zu bringen, wie es NGOs und Gewerkschaften fordern, steht auf einem anderen Blatt.

21. September 2010

Merkels Ergebnisorientierung

(New York) Die Franzosen, die Japaner und die derzeitige belgische EU-Präsidentschaft warben am zweiten Tag dieses Gipfels noch einmal intensiv für innovative Finanzierungsmechanismen und insbesondere die Finanztransaktionssteuer. Die Deutschen warben für eine erneute Mitgliedschaft Berlins im UN-Sicherheitsrat – und für mehr „Ergebnisorientierung“ und „Eigenverantwortung“ in der Entwicklungspolitik. Letzteres stand im Zentrum der Rede, mit der sich die Kanzlerin kurz vor ihrem Heimflug in der UN-Vollversammlung präsentierte.

Dass sich „Eigenverantwortung“ in Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe stets auf die Verantwortung der Empfängerländer bezieht, sich selbst aus dem Schlamassel von Unterentwicklung, Hunger und Armut herauszuhelfen, haben wir inzwischen verstanden. Dass die Armen nunmehr auch dafür verantwortlich sind, dass die großzügig gewährte Entwicklungshilfe handfeste und in der (westlichen) Öffentlichkeit vorzeigbare Ergebnisse bringt, das ist neu. Waren denn die Geber in über 50 Jahren so hilflos, dass sie nicht sicherstellen, dass ihre Hilfe für bestimmte Dinge und Projekte verwendet wird? Schrieben sie nicht bislang schon die Verwendung von Finanzmitteln bis ins Detail vor? Abgesehen einmal davon, dass rund die Hälfte der EZ-Mittel ohnehin für die sog. Technische Zusammenarbeit, also für die mehr oder weniger hohe Bezahlung der sog. ExpertInnen aus den (nördlichen) Geberländern, verwendet wurde und wird.

Sicher gab und gibt es so etwas wie Zweckentfremdung von EZ-Mitteln. Sicher gibt es (oft genug importierte) Korruption. Aber waren denn die Heerscharen von besser oder schlechter bezahlten „Entwicklungshelfern“ und „Experten“ so einfältig, naiv, schlecht vorbereitet oder sonst was, dass ihnen das Heft fast immer aus der Hand glitt? Sicherlich nicht. Die Rationalität des neuesten entwicklungspolitischen Catch Words „Ergebnisorientierung“ liegt woanders. Geradezu krampfhaft sucht die Schar der ideologischen Klopffechter nach neuen Legitimationssträngen, um begründen zu können, dass in den Zeiten der Krise und der fiskalischen Konsolidierung die Versprechen neuer und zusätzlicher Finanzmittel nicht aufrecht erhalten und eingehalten werden können bzw. sollen. Die neuen Worthülsen sind immerhin so praktisch, dass die Kanzlerin die vermeintlich harten ökonomischen Zwänge auf einem MDG-Gipfel gar nicht mehr erwähnen muss und weiterhin so tun kann, als stünde Deutschland zu seinen internationalen Verpflichtungen.

Breitseite gegen Bilateralismus: Schaffen wir zwei, drei, viele Globale Fonds?

(New York) Während ein Regierungschef der Geberländer nach dem anderen hier die besonderen Leistungen und Qualitäten der eigenen Entwicklungshilfe anpreist, wartet heute der langjährige Berater des UN-Generalsekretärs, Jeffrey Sachs, mit einer Breitseite gegen das komplette System der bilateralen Hilfe auf. „Wir müssen die Fragmentierung bilateraler Programme durch eine neue Strategie ersetzen, die auf einer multilateral gepoolten Finanzierung beruht, mit klaren Zeitplänen, Zielen und Verantwortlichkeiten“, schreibt er in einem Kommentar für die Financial Times.

Die großen Versprechen der letzten Zeit, von Monterrey 2002 (Bekräftigung des 0,7%-Ziels) über Gleaneagles 2005 (Verdoppelung der Afrika-Hilfe bis 2010), l’Aquila 2009 (22 Mrd. Dollar Investitionen in die kleinbäuerliche Landwirtschaft) bis zu Kopenhagen 2009 (30 Mrd. Dollar über die nächsten drei Jahre für Klimaschutz und Anpassung) seien alle nicht eingehalten worden, weil sie dem Gutdünken bilateraler Geber überlassen worden seien, weil es keine klaren Mechanismen der Umsetzung und Kontrolle gegeben habe, ja, weil sich die Bilateralen ohnehin nicht richtig kontrollieren ließen und ein erbärmliches Schauspiel von Klein-Klein, zahllosen Einzelverhandlungen, Jagd nach Kontrakten für das eigene Business bis hin zur Verquickung mit Sicherheits- und Waffenexportinteressen böten.

So weit, so gut. Dem bilateralen Chaos setzt Sachs mit dem Globalen Fonds gegen AIDS, Tuberkulose und Malaria die Erfolgsgeschichte eine multilateralen, globalen Projekts entgegen, das systematische, steigende und verlässliche Hilfe biete und doch zu Unrecht chronisch unterfinanziert ist. Der Globale Fonds wird für Sachs zum Modell eines globalen Poolings von Finanzressourcen für Entwicklungszecke. In diese Richtung deutet für ihn auch die hier gestern vorgestellte neue Initiative des UN-Generalsekretärs zur Verbesserung der Müttergesundheit und zur Zurückdrängung der Kindersterblichkeit. Auch die Infrastrukturdefizite im Süden könnten nach Sachs durch einen globalen Finanzierungsmechanismus, etwa unter Einbeziehung der Weltbank und der Afrikanischen Entwicklungsbank, besser angegangen werden.

Dennoch drängt sich der Einwand auf: So treffend die Polemik gegen den Hilfebilateralismus ist und so erfolgreich der Globale Fonds bislang sein mag – ein globaler Pooling-Gigantismus nach dem Motto „Schaffen wir zwei, drei, viele Globale Fonds“ macht noch keine entwicklungspolitische Gesamtstrategie aus. Hier heißt es auch bei Sachs: Fehlanzeige. Wie sollte es auch anders sein? Schließlich ist der ungeduldige Professor ein eingefleischter Anhängiger der MDG-Politik. Und die steht nun einmal für Sektoralismus und Zielgruppenorientierung und nicht für eine neue Entwicklungsstrategie.

20. September 2010

Sarkozy: Lobenswerte Ankündigung in New York

(New York) Als einziger Redner hat der französische Präsident heute etwas gesagt, das sich wirklich noch einmal lohnt hervorgehoben zu werden: Frankreich werde in seiner kommenden Rolle als Präsident der G20 (ab November 2010) und der G8 (ab Januar 2011) zum entschiedenen Vorkämpfer der Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT) werden. Für einige kam dies so überraschend, dass sie geradezu enthusiastisch wurden, etwa die NGO Aktionsaid International:

„Es ist phantastisch: Frankreich zeigt, dass man selbst in harten ökonomischen Zeiten Geld finden kann, um gegen die Armut vorzugehen“, so die NGO. „Als Vorsitzender der G20 ist Präsident Sarkozy in einer Pole Position, um den Kampf für eine Finanztransaktionssteuer voranzubringen. Diese kleine Steuer auf alle Finanzgeschäfte würde die Banken wenig kosten, aber große Erträge für die Armen der Welt bringen.

Das wäre nicht nur eine Investition in ihre Leben, sondern auch in die Weltwirtschaft. Jedes Jahr fehlen Milliarden, um die Millenniumsversprechen zu erfüllen. Sarkozys Ankündigung macht Mut, dass dieses Geld doch noch gefunden werden kann.“


Die Rede im (französischen) Wortlaut findet sich >>> hier.

Eröffnungsplenum des MDG-Gipfels

Handel und Wachstum, ergebnisorientierte MDG-Finanzierung?

(New York) Das fängt ja gut an. Die erste Pressekonferenz auf diesem MDG-Gipfel gibt heute ausgerechnet der Generaldirektor der WTO, Pascal Lamy. Die neuen Zahlen über die Erholung des Welthandels (13,5% lautet die Prognose für 2010), der in der Krise dramatisch abgestürzt war, sollen Optimismus versprühen, als könnte der Süden für die letzten fünf Jahre bis 2015 mit einem positiven weltwirtschaftlichen Umfeld rechnen. Dabei hat die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in ihrem neuen Trade & Development Report die Entwicklungsländer gerade davor gewarnt, sich in puncto exportorientiertes Wachstum einfach ein „Weiter so“ zu leisten. Die Krise habe nicht zuletzt auch die Grenzen dieses Modells vor Augen geführt (>>> W&E 09/2010).

Der IWF hatte schon Ende letzter Woche in einem Staff Paper darauf hingewiesen, dass die Rückkehr zu starkem Wachstum das A und O für die Verwirklichung der MDGs ist. Handel und Wachstum – also nichts Neues unter der Sonne New Yorks.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihr Entwicklungsminister Niebel kommen heute zwar in New York an, gehen aber erst einmal gar nicht zum Gipfel, sondern dozieren auf einem „deutschen Side Event“ darüber, wie die MDG-Finanzierung stärker „ergebnisorientiert“ gestaltet werden und insgesamt die „Ownership“ bei ihrer Umsetzung gestärkt werden kann. Das scheinen also jetzt die entwicklungspolitischen Catchwords für die Zeiten knapper Kassen zu sein: Mehr Konditionalität im Sinne einfacher, kontrollierbarer und öffentlich vorzeigbarer Resultate und noch mehr „Eigenverantwortung“ der Entwicklungsländer für die Umsetzung der MDGs, von denen ja bisher schon sieben von acht Zielen an den Süden adressiert waren.

Der Rest des Tages ist mit Phototerminen ausgeplant. Und im Plenum beginnt derweil der Reigen von Schaufensterreden, in dem jedeR der rund 130 Staats- und Regierungschefs zu Wort kommen muss.

Olivier De Schutter zur Demokratisierung der Millenniumsziele

(New York) Der heute hier beginnende MDG-Gipfel würde der ganzen Welt einen großen Dienst erweisen, wenn er einräumte, was bei den Millenniumzielen schief gelaufen ist, und einen radikal anderen Ansatz wählte, schreibt der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Ernährung, Olivier De Schutter (Photo), in einem bemerkenswerten Kommentar. Darin heißt es weiter:

„So wie sie gegenwärtig konzipiert sind, bekämpfen die Millenniumziele die Symptome der Armut und Unterentwicklung, ignorieren jedoch weitgehend die tieferen Ursachen. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf insgesamt 18 Zielbereiche – nämlich jene, für die sich am einfachsten Daten zusammenstellen lassen. Im Endeffekt aber lenken sie möglicherweise von den Mechanismen ab, die die Unterentwicklung hervorrufen – in etwa so, wie wenn ein Betrunkener im Lichtkegel einer einsamen Straßenlaterne nach seinem verlorenen Schlüssel sucht, nur weil dort das Licht besser ist.

Statt die Unterstützung humanitärer Ziele zu geloben und viel Geld für die Bekämpfung der Symptome der Armut auszugeben, müssen sich die reichen Länder die Dringlichkeit bewusst machen, Entwicklungshindernisse auszuräumen, deren Bekämpfung in ihrer Macht steht. So entgehen den Entwicklungsländern beispielsweise jedes Jahr 124 Milliarden Dollar an Einnahmen aus in Steueroasen gebunkertem Vermögen. Indem wir die Existenz solcher Steueroasen zulassen, ermutigen wir die korrupten Eliten in diesen Ländern aktiv, ihre Bevölkerungen weiter zu betrügen …

Der vollständige Kommentar findet sich >>> hier.

18. September 2010

Futter für den Hungergipfel

(New York) Von den zahlreichen Berichten, die im Vorfeld des am Montag beginnenden MDG-Gipfels vorgelegt wurden (>>> Weltarmutsgipfel oder globales Armutszeugnis: Laufende Dokumentation), haben zwei meine besondere Wertschätzung: Der erste ist der Social Watch –Report 2010: After the Fall: Time for a New Deal, der hier gestern Abend vorgestellt wurde. Der zweite ist der neue Flagschiff-Report des kleinen, aber feinen UN-Instituts für soziale Entwicklung (UNRISD) in Genf mit dem Titel Combating Poverty and Inequality: Structural Change, Social Policy and Politics. Beiden gemeinsam ist, dass sie über die enge MDG-Agenda hinausdenken und die Aufmerksamkeit auf die strukturellen Faktoren lenken, die der Umsetzung solcher Ziele, wie sie in der Millenniumserklärung festgehalten wurden, entgegen stehen.

Der Social Watch-Report in diesem Jahr fordert einen Neuen Deal innerhalb und zwischen den Gesellschaften in Nord und Süd – gleichsam ein umfassendes Programm sozialer Gerechtigkeit. Dazu zählen Klimagerechtigkeit (etwa die Anerkennung der „Klimaschulden“, mehr Investitionen in sauber Technologien und die Förderung menschenwürdiger Arbeitsplätze in einer „grünen Ökonomie"); finanzielle, fiskalische und wirtschaftliche Gerechtigkeit, die den Finanzsektor zur Bezahlung der Kosten der Krise heranzieht; Soziale und Geschlechtergerechtigkeit (etwa die Umsetzung der MDGs, aber auch universeller Zugang zu sozialen Grunddiensten), um nur die wichtigsten zu nennen. Auffällig ist, dass in diesem Katalog die MDGs nur einmal vorkommen, das New Deal-Konzept also weit über das hinausgeht, was ab Montag hier verhandelt wird (oder besser: abgenickt wird, denn das Ergebnisdokument liegt ja bereits vor; >>> Recycling altbekannter Phrasen).

Der andere Bericht (von UNRISD) warnt explizit davor, dass die derzeit übliche Zielgruppenorientierung der gängigen Strategien der Armutsbekämpfung fehlkonzipiert ist, da sie die Armutsproblematik vom breiteren Prozess des wirtschaftlichen Wachstums und der sozialen Entwicklung trennt. Einfache Rezepte mögen zwar Regierungsunterstützung und Finanzmittel aus dem Norden anziehen, sind aber weit entfernt davon, jene Bedingungen zu schaffen, um sich selbst aus der Armut zu befreien. Der Hauptautor des Berichts, Yusuf Bangura, führt die mangelnde Umsetzung der MDGs direkt auf die Vernachlässigung der Armutsursachen zurück: „Die derzeitigen Armutsansätze tendieren dazu, den Fokus auf Dinge zu legen, die den armen Menschen fehlen, statt darauf, warum ihnen diese fehlen.“

Es scheint, dass sowohl innerhalb als auch außerhalb des UN-Systems, in der Zivilgesellschaft, die Zweifel daran wachsen, ob die MDGs wirklich der Weisheit letzter Schluss sind. „Die MDG-Strategie ist im Wesentlichen eine Entwicklungshilfe-Strategie“, sagt Roberto Bissio von Social Watch. „Doch warum sollten die letzten fünf Jahr bis 2015 mehr Entwicklungshilfe oder bessere Handelsbedingungen für den Süden bringen?“ In der Tat sind derzeit eher Anzeichen für das Gegenteil zu sehen.

16. September 2010

Next Stop: New York

Ab morgen berichten und kommentieren wir direkt vom Weltarmutsgipfel in New York, der von 20.-22. September stattfindet und von zahlreichen "Side-Events" begleitet wird. Am Wochenende vorher finden bereits die weltweiten "Stand-Up"-Aktionen der Millenniumskampagne statt.

Wider den Wilden Westen der Finanzmärkte

Gegen den „Wilden Westen“ der Finanzmärkte versteht die Europäische Kommission ihren neuen Richtlinienentwurf zur Regulierung des Handels mit Derivaten und zum Umgang mit den sog. Leerverkäufen („short sellings“). Und in der Tat ist es das erste Mal, dass der Handel mit diesen „finanziellen Massenvernichtungswaffen“ (Waren Buffet) in Europa einer gewissen Kontrolle unterzogen werden soll. Der Derivate-Handel soll künftig bei Transaktionsregistern registriert werden, die der neuen europäischen Börsenaufsichtsbehörde ESMA unterstellt werden.

Der bislang außerbörslich („over the counter“ – OTC) abgewickelte Handel kommt allerdings nicht direkt an die Börse, sondern soll über sog. Clearing-Stellen abgewickelt werden. Und es soll Ausnahmen geben, z.B. für Industrieunternehmen, die sich damit gegen Risiken absichern wollen. Leerverkäufe, vor allem ungedeckte Leerverkäufe, mit denen auf sinkende Preise spekuliert wird, sollen unter bestimmten Bedingungen verboten werden können.

Das alles ist besser als nichts, sollte es im Verhandlungsprozess mit Rat und Parlament nicht verwässert werden. Erstmals wird jetzt versucht, überhaupt detaillierte Informationen über den Derivatemarkt zu ermitteln. Die neue Richtlinie bleibt jedoch weit hinter den Erfordernissen zurück. So findet keine Zulassungsprüfung für hochriskante Derivate statt, etwa für CDOs („collateral debt obligations“) oder CDS (Kreditausfallversicherungen), die eine große Rolle beim Ausbruch der jüngsten Finanzkrise spielten. Es wird (im besten Falle) einfach nur registriert, was die Finanzmarktakteure so treiben.

Bei aller Vagheit zeigt die neue Initiative der Kommission doch, dass die Regulierung der Finanzmärkte nicht unbedingt zeitgleich überall auf der Welt stattfinden muss. Es ist durchaus möglich, dass bspw. die USA vorangehen, wie Nobelpreisträger Stiglitz vor einiger Zeit gefordert hat, und die Harmonisierung hernach stattfindet. In der Tat orientieren sich die in der europäischen Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen teilweise an der Finanzmarktreform der USA, z.B. bei der Abwicklung des Derivatehandels über Clearing-Häuser. In anderer Hinsicht ist die EU den USA jedoch nicht gefolgt, etwa bei der Einschränkung des Eigenhandels der Banken, bei dem die Geldhäuser mit Geld spekulieren, das ihnen eigentlich für anderes anvertraut wurde. – Die „neue internationale Finanzarchitektur“ als globaler Flickenteppich?

15. September 2010

IWF: Warum haben diese Leute eigentlich noch einen Job?

Gastkommentar von Dean Baker

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat eine Reihe neuer Studien veröffentlicht, in denen die USA und andere Industrieländer wegen ihrer Haushaltsdefizite und der wachsenden Schuldenlast abgemahnt werden. Das wirft die Frage auf, warum um alles in der Welt die IWF-Volkswirte immer noch einen Job haben.

Nur zur Gedächtnisauffrischung: Der Grund, warum wir in den USA eine Arbeitslosenquote von 9,5 % verzeichnen und warum wir und andere reiche Länder mit enormen Haushaltsdefiziten kämpfen, ist die Tatsache, dass wir eine Immobilienblase hatten, die platzte und die Wirtschaft in den Abgrund riss. Die Jungs und Mädels beim IWF haben irgendwie diese 8-Billionen-Dollar Immobilienblase übersehen. Zwischen 2002 und 2007: Kein Hinweis, kein Wort der Warnung.

Das war mehr als ein nebensächlicher Irrtum. Es war ein Zeichen schier unglaublicher Inkompetenz mit katastrophalen Folgen – und man fragt sich doch sofort, wieso der IWF, der die Krise nicht hat kommen sehen, der Meinung ist, er wisse, wie mit den Folgen der Krise umzugehen sei. Hat der IWF die Qualitätskontrolle für seine Analysten verbessert? Gab es ein Großreinemachen, bei dem all die, die die Blase übersehen haben, entlassen wurden?

Nein, beim IWF hat sich nichts geändert. Das heißt, dieselben Leute, die nicht in der Lage waren, eine 8-Billionen-Dollar Immobilienblase zu erkennen, geben uns nun gute Ratschläge übers Schuldenmachen und übers Sparen – sagen uns, dass wir die Sozialhilfeprogramme kürzen sollen.

Wenn die Jungs und Mädels des IWF einen Grundkurs in Volkswirtschaft belegen würden, würden sie lernen, dass wir in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ein Defizit in quasi beliebiger Höhe ansammeln können. Dieses Defizit muss nicht notwendigerweise eine Schuldenbelastung darstellen, den die Fed kann die Schulden aufkaufen und halten. Das bedeutet, dass die Zinsen an die Fed gezahlt werden, die sie dann an das Finanzministerium weiterleitet. Wenn wir Glück haben, steigt im Laufe dieses Prozesses die Inflation geringfügig an, was zur Senkung der Zinssätze führen und die Schuldenlast der privaten und öffentlichen Haushalte mindern würde.

Wenn den IWF-Volkswirten diese Theorie etwas komisch vorkommt, dann können sie sich an einem Beispiel ansehen, wie das in der Praxis funktioniert. Es gibt einen kleinen Inselstaat, dessen Zentralbank Schulden fast in Höhe des BIP des Landes aufgekauft hat. Wie der Staat heißt? Ach ja: Japan! Die Zinsbelastung beträgt weniger als 2% des BIP und die Zinsen für langfristige Schulden liegen weit unter 2,0% - und das trotz eines Schulden-BIP-Quotienten von 220%.

Es ist unglaublich, dass die IWF-Ökonomen immer noch ihre Jobs haben. Und es ist noch unglaublicher, dass irgendjemand in der Politik seine Zeit damit verschwendet, auf sie zu hören.

(Der Kommentar erschien zuerst auf TPMCAFÉ.)

Recycling altbekannter Phrasen

Wieder einmal beginnt am nächsten Montag ein Gipfel bei den Vereinten Nationen in New York. Und noch bevor einer der Staats- und Regierungschefs das Parkett am East River betreten hat, steht das Ergebnis der Veranstaltung fest. Schon am 9. September haben die Diplomaten die Verhandlungen über die Abschlussresolution abgeschlossen (>>> Draft outcome document). Wenn die bis zu 150 Staats- und Regierungschefs, die erwartet werden, zustimmen, wird das Dokument zur offiziellen Position der Vereinten Nationen.

Ob der Text den Staatsoberhäuptern allerdings zur Ehre gereicht, ist fraglich. Das Dokument trägt den Titel „Keeping the Promise – United to Achieve the Millennium Development Goals“ („Das Versprechen halten – Vereint für die Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele“), besteht aber fast nur als recycelten Phrasen, die auch bislang schon „agreed language“ der Vereinten Nationen waren. Scheinbar unerschütterlich hält die Resolution an der Illusion fest, die MDGs seien bis 2015 doch noch zu erreichen. Was allerdings fehlt, ist eine ernsthafte Analyse der mangelnden Fortschritte, die es in den ersten zehn Jahren gegeben hat, seit die Ziele im Jahr 2000 beschlossen wurden. Wer in dem Dokument nach irgendeiner neuen Politik sucht, wird enttäuscht werden.

Die MDGs standen von Anfang an für eine Engführung der internationalen Entwicklungspolitik, die um die entscheidenden strategischen Fragen einen Bogen machte. Immerhin lassen sie zu, bestimmte Einzelziele zu quantifizieren und zu operationalisieren. Wer aber meint, in New York käme es jetzt zur Zusage neuer Finanzmittel, die dringend benötigt werden: Fehlanzeige! MDG 8, das als einziges Ziel in nebulöser Form die Verantwortung des Nordens anspricht („Für eine globale Entwicklungspartnerschaft“) gehört sogar zu den größten Flops der ersten Dekade. Ein unverbesserlicher Optimist wäre da, wer von diesem Outcome-Dokument konkrete Verbesserungen der internationalen Rahmenbedingungen, bspw. im internationalen Handel, die heute die Entwicklung im Süden behindern würde, erwartet. Der offizielle Slogan „We can end poverty“, den sich die UN in Anlehnung an Obamas Wahlkampf zu eigen gemacht hat, kann jedenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ziele mit einem Business as usual, wie es die Resolution vorzeichnet, nicht zu erreichen sind.

>>> W&E-Dossier: MDG+10-Gipfel oder Gipfel der globalen Armut

13. September 2010

Schwere Geburt von Basel III

Die am Wochenende erzielte Übereinkunft über die neuen Kapitalstandards (Basel III) ist sicherlich das bislang wichtigste Reformpaket, das nach der großen Finanzkrise in Angriff genommen wird. Die Frage ist allerdings, ob es weitreichend genug und für sich genommen ausreichend ist, um eine neue Finanzkrise zu vermeiden. Denn viel mehr gemeinsame und internationale Maßnahmen sind aus der zweijährigen Diskussion über einen neuen Regulierungsrahmen für die globalen Finanzmärkte bislang nicht heraus gekommen.

Immerhin legt die am Wochenende im Baseler Bankenausschuss getroffene Vereinbarung (>>> Wortlaut) fest, dass die Kernkapitalquote der Banken (d.h. das Eigenkapital, das die Banken risikoreichen Geschäften unterlegen müssen) von derzeit 2 auf 4,5% erhöht werden muss. Hinzu kommt ein neuer Puffer von weiteren 2,5%. Da Banken, deren Eigenkapital unter die Puffergrenze fällt, Restriktionen bei der Auszahlung von Dividenden und Boni zu erwarten haben, liegt die Eigenkapitalquote effektiv bei 7%. Die neuen Vorschriften sollen zwischen Januar 2013 und Januar 2019 eingeführt werden.

Dem Deal der Zentralbanker und obersten Regulierungsbeamten ging ein langes Tauziehen zwischen den 27 Mitgliedsländern des Baseler Ausschusses einher. Dabei versuchte besonders Deutschland, möglichst niedrige Hinterlegungsgrenzen und möglichst lange Umsetzungsfristen heraus zu handeln. So schwer darüber die Geburt von Basel III wurde – der jetzt gefasste Beschluss ist noch nicht das letzte Wort des Ausschusses. Dieser legte Wert auf den Hinweis, dass er weiter an einer Reihe zusätzlicher Erfordernisse arbeiten wird, die die größten und systemisch wichtigen Banken betreffen sollen.

Photo: Turm der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, in dem der Baseler Ausschuss seinen Sitz hat.

8. September 2010

Ecofin: Was tut sich wirklich in Brüssel?

Es tut sich was auf der Globalisierungsbaustelle Europa. So jedenfalls hat es den Anschein. Mit der gestrigen Entscheidung des Ecofin über einen Europäischen Rat für Systemsicherheit sowie über drei neue europaweite Aufsichtsgremien – eine Europäische Bankenbehörde (Sitz: London), eine Europäische Wertpapierbehörde (Sitz: Paris) und eine Europäische Behörde für Versicherungen und Pensionskassen (Sitz: Frankfurt) – bekommen die Finanzmärkte in Europa endlich eine gemeinsame Aufsichtsarchitektur, jedenfalls ansatzweise. Doch zwei Aspekte trüben vorerst den Fortschritt: Sekretariat und Vorsitz des Risikorats werden von der Europäischen Zentralbank gestellt und damit aus Personal rekrutiert, das schon die letzte Krise verschlafen hat. Und: Die Aufsichtsgremien können nicht von sich aus tätig werden, sondern es bedarf eines EU-Ratsbeschlusses, der den Krisen- und Notfall ausdrücklich feststellen muss.

Während die EU-Finanzminister hier wenigsten etwas Konkretes beschlossen haben, gab der Ecofin auf dem die NGOs besonders interessierenden Feld der Besteuerung der Finanzmärkte ein trauriges Bild ab. Hier reproduzierte sich im Grunde genommen das disparate Muster, das eine Finanztransaktionssteuer (FTS) schon auf dem Toronto-Gipfel der G20 verhindert hat. Kräftig geschürt wurden die Differenzen unter den Finanzministern in diesem Punkt durch ein sog. Non-Paper der Kommission, dass die gewohnten Einwände gegen eine FTS wiederholte. Diese Einwände können auf der sachlichen Ebene noch so gut und überzeugend widerlegt werden (siehe etwa das neue Argumentationspapier von weed) – gegen die Interessen der Finanzmarkt-Akteure scheint kein argumentatives Kraut gewachsen, wenn es um Geld geht.

Als Hauptgegner einer FTS im EU-Raum erwiesen sich gestern erwartungsgemäß Großbritannien und Schweden. Dies wäre nicht so schlimm, denn beide Länder sind nicht Mitglied der Eurozone. Schwerwiegender ist da schon, dass sich jetzt auch der Luxemburger Finanzminister Luc Frieden unter die Bedenkenträger eingereiht hat. Es könne sein, so Frieden, der allgemein als Nachfolger von Jean-Claude Juncker gehandelt wird, dass sich die „Kumulierung verschiedener Steuern und Abgaben sowie höherer Eigenmittelvorschriften für die Banken“ negativ auf den Finanzsektor auswirke. Friedens Auftritt steht im Gegensatz zu dem offenen Herangehen an die FTS, das in letzter Zeit Regierungschef Juncker, der zugleich Vorsitzender der Eurogruppe ist, gezeigt hat. Für ihn und die Eurogruppe ist die Stunde der Entscheidung jetzt da. Schließlich hatte Bundesfinanzminister Schäuble schon am 21. Mai im Bundestag angekündigt, sich für eine FTS im Euroraum einzusetzen, sollte es weder beim G20-Gipfel in Toronto noch mit allen EU-Ländern einen Konsens geben.

2. September 2010

Flugticket-Abgabe: Dreister Ideenklau

Jetzt schluckt die Krise auch noch die besten Ideen. Verwundert werden sich viele, die in der Vergangenheit das Tauziehen um innovative Finanzierungsmechanismen in der Entwicklungspolitik beobachtet haben, die Augen reiben angesichts der Leichtigkeit, mit der die Bundesregierung im Rahmen ihres Haushaltssanierungsprogramms eine Flugticket-Abgabe einführt. Während sich Berlin jahrelang geweigert hat, der UNITAID-Initiative der UN beizutreten, ging es jetzt, wo es um die Bedienung der deutschen Austeritätsansprüche geht, auf einmal ganz schnell. Dagegen wäre nichts zu sagen, würden die dadurch gewonnenen Finanzmittel der internationalen Entwicklungshilfe zugutekommen und nicht nur deutsche Haushaltslöcher stopfen.

Seit die Idee einer Flugticket-Abgabe im Rahmen des brasilianisch-französischen Aktionsprogramms gegen den Hunger in die Welt kam, war damit der Anspruch verbunden, neue Mittel für die Entwicklungsfinanzierung zu generieren. Die Protagonisten rechneten recht bescheiden mit 5 € pro Economy-Class-, 10 € pro Business-Class- und 20 € pro Frist-Class-Ticket. (Die Bundesregierung will dagegen jetzt 8 € für Kurzstreckenflüge, 25 € für Mittelstrecken- und 45 € für Langstreckenflüge kassieren.) UNITAID, die aus geringfügigen Flugticket-Abgaben seit 2007 den Kauf von Medikamenten finanziert, nimmt so derzeit gerade mal 400 Mio. Dollar pro Jahr ein.

Dabei richtet sich die jetzt in Deutschland eingeführte Ticket-Abgabe nicht nur gegen die ursprünglichen Intentionen des Konzepts. Sie behindert darüber hinaus die Bemühungen zur Ausweitung der bescheidenen Ansätze auf internationaler Ebene, die es schon gibt. Wie UNITAID-Chef Philippe Douste-Blazy (Photo) jetzt bekannt gab, sollen Privatpersonen in Zusammenarbeit mit der Millennium Foundation künftig die Gelegenheit zu Kleinspenden zur Bekämpfung wichtiger Krankheiten erhalten. Flugreisende sollen direkt an UNITAID spenden können, indem sie beim Kauf eines Flugtickets einfach ein Kästchen ankreuzen und einen Aufschlag von 2 Dollar spenden. In Deutschland werden die Chancen für einen solchen freiwilligen „innovativen Spendenmechanismus“ (Douste-Blazy) freilich minimal sein, wenn der Fiskus bereits in der geplanten Höhe abkassiert hat.