28. Mai 2014

Pariser Club: Argentinien verweigert sich dem IWF

Die Republik Argentinien verhandelt am 28. und 29. Mai mit den Gläubigerregierungen über die seit der Staatspleite 2002 nicht mehr bedienten Schulden. Durch Zinseszinsen und Strafen für die lange Nichtbedienung sind aus den ursprünglich 4,7 Mrd. inzwischen fast 10 Mrd. US-Dollar geworden. Mit umgerechnet etwa 2 Mrd. € ist Deutschland nach Japan der zweitgrößte Gläubiger. Der Pariser Club besteht auf die Rückzahlung der Forderungen in voller Höhe.

Damit verweigern die Mitglieder des Pariser Clubs Argentinien ein Entgegenkommen, wie es anderen Staaten gewährt werden kann. Grund dafür ist, dass sich das Land keinem IWF-Programm unterwirft. Das aber ist eine Kondition des informellen Gläubigerkartells für die Gewährung von Schuldenerleichterungen. Allerdings hat Argentinien gute Gründe, sich den Internationalen Währungsfonds vom Leib zu halten: Dessen Politik in den 1990er Jahren war eine der Hauptursachen für den Zusammenbruch der argentinischen Wirtschaft.

Argentinien ist in einer schwachen Verhandlungsposition. Die Devisenreserven des Landes haben sich seit 2011 etwa halbiert. Die Inflation steigt, und die sozialen Spannungen im Land nehmen zu. Die Regierung ist gezwungen, sich mit den Gläubigerregierungen zu einigen, um wieder Zugang zum Kapitalmarkt zu bekommen. Andernfalls droht erneut die Zahlungsunfähigkeit. Für Jürgen Kaiser, den Koordinator von erlassjahr.de hat Argentinien den Fehler gemacht, in den guten Zeiten vor der globalen Finanzkrise keine Übereinkunft mit den verbliebenen Gläubigern zu suchen. Gleichzeitig kritisiert er, dass die im Pariser Club zusammengeschlossenen Gläubigerregierungen nicht bereit sind, im Sinne der Gleichbehandlung ähnliche Abstriche hinzunehmen, wie es der Privatsektor bereits getan hat. Die Willkür, mit der der Pariser Club Schuldenerleichterungen gewährt oder nicht gewährt, zeige einmal mehr, wie dringend ein rechtsstaatliches Schuldenverfahren benötigt wird, bei dem die Gläubiger sich nicht zu Richtern in eigener Sache aufschwingen können. 

* Eine Fachinformation von erlassjahr.de zum Thema „Argentinien und der Pariser Club im Frühjahr 2014“ findet sich >>> hier.

* Kurz nach Erscheinen dieses Eintrags kam es doch noch zu einer Einigung. Eine Bewertung des Deals findet sich >>> hier.

23. Mai 2014

Europawahl: Parteien und Kommission zu zaghaft in puncto Finanzmarktreform

Angesichts der zentralen Rolle eines gesunden Finanzsystems für die Gesamtwirtschaft bleiben die Parteienvorschläge für Finanzmarktreformen in wichtigen Punkten schwach. Zu diesem Schluss kommen der World Future Council (WFC) und Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED) in einer Auswertung der Europawahlprogramme von CDU/CSU, SPD, Linken, Grünen, FDP und Piraten. Die Regulierung von Schattenbanken wie Hedgefonds, Private-Equity-Fonds und Geldmarktfonds sei für Grüne, FDP und Piraten gar kein Thema. Die anderen Parteien würden sich in Allgemeinplätzen verlieren.


Der Abwicklungsfonds für marode Banken sei hingegen deutlich überbewertet. Es mag zwar attraktiv klingen, mit einem bankenfinanzierten Abwicklungsfonds das Steuergeld der Wählerinnen und Wähler zu schonen. Im Krisenfall sei dies jedoch unrealistisch. Entscheidend sei eine wirksame präventive Finanzmarktregulierung, kommentieren die beiden Organisationen.

Einen erfreulicherweise hohen Stellenwert erhalte die Zurückdrängung der übermächtigen Finanzlobby: Transparenzvorschriften werden ebenso genannt wie das Verbot von Unternehmensspenden und Wartezeiten beim Wechsel politischer Entscheidungsträger in die Privatwirtschaft. Nur bei CDU und FDP komme das Thema überhaupt nicht vor.

Im Finanzstabilitätsbericht vom April 2014 hatte der Internationale Währungsfonds die öffentlichen Subventionen allein für große Banken in der Eurozone auf 90 bis 300 Mrd. US-Dollar geschätzt. Kein Wirtschaftszweig sei so abhängig vom Staat wie die Finanzbranche. In der Tat: Die Parteien müssen in ihren anvisierten Reformen der Finanzmärkte weit mutiger werden.

* Komplette Auswertung der Parteiprogramme >>> hier. Eine Stellungnahme zu den Reformanstrengungen der EU-Kommission in der letzten Legislaturperiode hat der Wissenschaftliche Beirat von Attac veröffentlicht >>> hier.

 

21. Mai 2014

Laufende TTIP-Runde im Schatten wachsender Kritik

Eine breite europäische Koalition aus mehr als 120 zivilgesellschaftlichen Organisationen hat heute in einer gemeinsamen Erklärung einen grundlegenden Kurswechsel in den Verhandlungen um das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) gefordert. Anlass ist die laufende fünfte TTIP-Verhandlungsrunde, die noch bis zum 23. Mai in Arlington/USA stattfindet. Die unterzeichnenden Umweltverbände, sozialen Bewegungen, Verbraucherrechtsgruppen und Gewerkschaften wenden sich vor allem gegen die Gefahr, dass das geplante Abkommen von Konzerninteressen dominiert wird.

In der Tat würde TTIP Sozial- und Arbeitsstandards, die Lebensmittelsicherheit, digitale Rechte und den Umweltschutz betreffen. Die Erklärung kritisiert vor allem den Mangel an Transparenz in den TTIP-Verhandlungen, die drohende Absenkung von Standards, vorgesehenen Bestimmungen zum Investorenschutz, die es ausländischen Unternehmen erlauben würden, Regierungen der Mitgliedstaaten und die EU zu verklagen sowie die geplante antidemokratische Governance-Struktur in Gestalt eines Regulierungsrat für die laufende "Harmonisierung" von Vorschriften und Verfahren.

TTIP wird verhandelt zwischen der Europäischen Kommission im Namen der EU-Mitgliedstaaten und der US-Regierung. Da die Warenzölle zwischen der EU und den USA bereits niedrig sind, liegt der Schwerpunkt darauf, Normen und Vorschriften abzusenken, sowie Genehmigungsverfahren zu vereinfachen, die die Gesundheit und Sicherheit schützen sollen, von den TTIP-Befürwortern aber als "Handelshemmnisse" bezeichnet werden. Während sich andere Länder aus Investorenschutzprogrammen bereits wieder aussteigen, versuchen die EU-Kommission und die USA, dauerhaft Fakten zu schaffen.
 

Die Veröffentlichung der gemeinsamen Erklärung fällt zusammen mit der fünften Runde der TTIP-Verhandlungen und einem Aktionstag in Arlington/Virginia bei Washington. Es ist eine Irreführung, wenn behauptet wird, die TTIP-Gegner seien vor allem in Europa zu finden, während das Abkommen in den USA akzeptiert wird. Das europäische Bündnis hat bereits eine enge Beziehung zu zivilgesellschaftlichen Gruppen in den USA. Für die kommenden Monate sind gemeinsame Aktivitäten geplant.

9. Mai 2014

OECD: Durchbruch beim Informationsaustausch in Steuerfragen

Die jüngste Erklärung der OECD zum automatischen Informationsaustausch in Steuerfragen, die neben allen OECD-Mitgliedsländern auch von Argentinien, Brasilien, China, Kolumbien, Costa Rica, Indien, Indonesien, Lettland, Littauen, Malaysia, Saudi-Arabien, Singapur und Südafrika unterstützt wird, ist sicherlich ein echter Durchbruch im Kampf gegen die internationale Steuerflucht, da auch bedeutende Steuerparadiese wie die Schweiz und Singapur unterschrieben haben. Doch die erwarteten Mehreinnahmen durch mehr Steuergerechtigkeit dürften vor allem den reichen Ländern und ihren Staatshaushalten zugutekommen.


Die ärmsten Länder der Welt dürften unter den Bestimmungen des Abkommens aber leer oder fast leer ausgehen. Sie sind derzeit nämlich nicht in der Lage, die entsprechenden gegenseitigen Informationen zu erheben und anderen Ländern zur Verfügung zu stellen. Einige Abkommensunterzeichner wie die Schweiz haben sogar eingewandt, dass den Entwicklungsländern nicht zugetraut werden könne, vertraulich mit den Informationen über ihre eigenen Steuerzahler umzugehen. Viele bleiben deshalb ausgeschlossen.

Unter dem Strich bedeutet das, dass die ärmeren Länder nicht diejenigen Informationen erhalten werden, die sie brauchen, um sich der Milliarden bisher entgangenen Steuermittel zu versichern. Die Deklaration erwähnt zwar die Möglichkeit der internationalen „Unterstützung“ für solche Länder. Eine klare Verpflichtung in dieser Hinsicht enthält sie jedoch nicht. – Es bleibt also trotz des Durchbruchs noch einiges zu tun zur Herstellung internationaler Steuergerechtigkeit. Vor allem die G20, die dem OECD-Prozess auf die Beine geholfen haben, sind hier in der Pflicht. Sie sollten schon bald einen verbindlichen Plan vorlegen, der sicherstellt, dass auch die ärmsten Länder von dem neuen automatischen Verfahren beim Informationsaustausch profitieren können.

7. Mai 2014

Finanztransaktionssteuer scheibchenweise oder gar nicht?

In Brüssel haben gestern zehn EU-Finanzminister eine Erklärung zum Verhandlungsstand in Sachen Finanztransaktionssteuer (FTT) herausgegeben, nach der die Steuer im Rahmen der Vertieften Zusammenarbeit spätestens ab 2016 eingeführt werden soll, und zwar zunächst in einer „ersten Phase“, die sich „auf Aktien und einige Derivate konzentrieren“ soll. Slowenien, das ursprünglich zu der Gruppe der elf Pro-FTT-Euroländer gehörte, lehnte die Unterzeichnung der Erklärung ab. Das Ganze ist ein mehr als mageres Ergebnis von jetzt über einjährigen Verhandlungen, das weit hinter den ursprünglichen Entwurf der Kommission zurück fällt.

Unklar sind nicht nur viele Details, wie die Steuer angewendet und welche Derivate erfasst werden sollen, sondern auch die Zukunft der FTT überhaupt. Es könnte gut sein, dass die Finanzminister nur deshalb von einer ersten Etappe der FTT-Einführung reden, um angesichts der Ankündigungen in der Vergangenheit das Gesicht zu wahren, es aber in Wirklichkeit gar keine zweite oder dritte Etappe der Umsetzung geben wird.

Dass die Zukunft der FTT in Wirklichkeit in den Sternen steht, hat ihre notorischen Gegner wie die britische oder schwedische Regierung freilich nicht davon abgehalten, sogleich wieder lautstark den erneuten Gang zum Europäischen Gerichtshof anzudrohen. Auch wenn das jetzt Angekündigte höchstens ein minimaler Anfang der FTT ist, fürchten ihre Gegner immer noch das im Kommissionsvorschlag enthaltene Prinzip der Extraterritorialität, wonach die Steuer auch auf Gewinne außerhalb der FTT-Zone erhoben werden könnte, wenn die Urheber des Geschäfts in der Zone ihren Sitz haben. Unkontrollierbare Unwägbarkeiten werden auch von dem erstmals praktizierten Verfahren der Vertieften Zusammenarbeit befürchtet.

In Großbritannien werden daher schon Stimmen laut, die konservative Cameron-Regierung sollte dem Projekt am Ende doch noch beitreten. Erstens – so argumentiert Alex Baker in der Financial Times – sei die geplante FTT mit 0,1% inzwischen so niedrig, dass ihre Einführung den Akteuren der City of London (wo auf Aktienverkäufe eine „Stamp Tax“ von 0,5% erhoben wird) eine kräftige Steuersenkung bescheren würde. Und zweitens hätte London auf diese Weise einen Fuß in der Tür und müsste nicht wiederholt in Kauf nehmen, dass die EU im Notfall auch ohne die britischen Quertreiber agiert. Und dann könnte es losgehen: die FTT erst scheibchenweise und dann gar nicht mehr!

2. Mai 2014

IWF-Ukraine-Deal: Stabilisierung des Chaos?

Das vom Vorstand des Internationalen Währungsfonds (IWF) jetzt beschlossene Stand-by-Programm für die Ukraine wird als Hoffnungsschimmer in der immer desolateren Situation des Landes angepriesen. Mit 17,01 Mrd. US-Dollar über die nächsten zwei Jahre, wovon 3,19 Mrd. unmittelbar zur Auszahlung kommen, soll die Lage wirtschaftlich stabilisiert werden. Doch die tatsächlichen Effekte könnten genau umgekehrt sein. Dem Anspruch nach zielt das Paket auf die Herstellung makroökonomischer Stabilität, die Verbesserung der Wirtschaftsführung und Transparenz und die Wiederherstellung ökonomischen Wachstums bei gleichzeitiger Schonung der wirtschaftlich schwachen Teile der Bevölkerung.

In Wirklichkeit freilich ist es ein traditionelles Stand-by-Arrangement mit der üblichen Konditionalität – von der wohlklingenden Reformrhetorik des Fonds in der letzten Zeit keine Spur. Eine Bedingung erfüllte die Ukraine auf Drängen des IWF bereits im Februar, nämlich den Übergang zu einem flexiblen Wechselkurs. Das hat zu einem Wertverlust der ukrainischen Hryvnia um 29% geführt, was für die Ukraine vor allem eines heißt: Die Bedienung der Auslandsschulden wird noch schwieriger. Der Deal enthält keinerlei Element der Schuldenerleichterung oder einen „Haircut“ für die Gläubiger, wie er im Falle Griechenland in der Diskussion war. Stattdessen wird die Schuldenlast hauptsächlich von den Bürgern der Ukraine getragen werden müssen, die nach einem UN-Report vom April 2014 schon jetzt zu einem Drittel in Armut lebt.

In den Verhandlungen mit der neuen ukrainischen Regierung wurde das Los der Bevölkerung kaum berücksichtigt, bemängelt Jo Marie Griesgraber von der NGO “New Rules for Global Finance”. Die Zahl der in Armut lebenden Ukrainer wird zunehmen, wenn die Ukraine gemäß den IWF-Auflagen Beschäftigte im öffentlichen Dienst entlässt und die Energiepreis-Subventionen auslaufen. Nach Angaben der Washington Post ist die Entlassung von 80.000 Polizisten und ein Ansteigen der Gaspreise um 63% zu erwarten. Doch robuste soziale Absicherungsmaßnahmen vor Inkrafttreten der Preissteigerungen sind nicht geplant. Hohl sind auch die Forderungen des IWF zur Bekämpfung der Korruption im Land; jedenfalls sind keine konkreten Schritte auf diesem Gebiet im Programm verankert worden, etwa die Rückgabe der aus öffentlichem Vermögen gestohlenen Finanzmittel durch die einheimischen Oligarchen.

Kritiker des Ukraine-Deals in den USA weisen auch darauf hin, dass dieser – wenn er zu keiner Stabilisierung der Lage führt – die Umsetzung der seit 2010 überfälligen IWF-Stimmrechtsreform weiter behindern können. Die konservativ-republikanischen Kräfte im US-Kongress warten nur auf Vorwände, um ihre Lieblingsthese zu begründen, nämlich dass US-Geld für internationale Organisationen verschwendetes Steuergeld ist.