30. September 2009

Noch einmal: Drei zentrale Herausforderungen für die G20

Der Direktor des Earth Institute an der Columbia-Universität in New York, Jeffrey Sachs, hat ohne Zweifel das Talent, ungelöste Probleme beim Namen zu nennen. In der heutigen Financial Times schreibt er, bei allem Fortschritt, den die G20 gegenüber G8 und G1 (d.h. der unumstrittenen Führung durch eine Supermacht, die USA) repräsentierten, müsste sie drei Probleme noch lösen, wenn sie effektiv und erfolgreich sein möchte:

„Während sie (die G20) 4,2 Milliarden Menschen repräsentiert, weit mehr die rund 900 Millionen, für die die G8 stand, lässt sie 2,6 meist verarmte Menschen einfach außen vor, die auch integriert werden sollten. Ihre Einbeziehung ist wesentlich für die Problemlösung in einer Reihe zentraler globaler Fragen. Zweitens ist die G20 zwar das zentrale Wirtschaftsforum, aber keine Gruppe, die internationales Recht setzt oder Verträge abschließt. Nur die Vereinten Nationen können globales Recht schaffen und globale Verträge durchsetzen. Drittens brauchen die G20 eine Vertiefung ihrer Problemlösungskapazität, und zwar durch systematischen Aufbau von Expertise in den Bereichen Energiesicherheit, Klimawandel und Finanzmarktregulierung.“

Auch wenn Sachs mit dem letzten Punkt dezent und nicht ganz uneigennützig auf ein potentielles neues Aufgabenfeld für sich selbst hinweist, sind das die zentralen Herausforderungen, vor den die G20 in den nächsten Jahren stehen wird, wenn sie eine solide Legitimitätsbasis entwickeln und der Gefahr entgehen will, eine neue Dreiteilung der Welt in entwickelte, emerging und arme Länder zu zementieren (>>> Die Selbstinthronisierung der G20 in Pittsburgh).

26. September 2009

Nach der Selbstetablierung der G20: Von Pittsburgh nach Istanbul

Der G20-Gipfel in Pittsburgh ist vorbei. Der Zirkus der Wirtschafts- und Finanzdiplomatie zieht jetzt weiter zur nächsten Baustelle, nach Istanbul, wo in der kommenden Woche die Jahrestagung von IWF und Weltbank beginnt. Derweil sitzen die Analysten aller Länder über dem umfänglichen Kommuniqué, das die Staats- und Regierungschefs gestern verabschiedet haben. Es ist detaillierter als erwartet und substantieller als so manches Dokument, das die G7/G8 in der Vergangenheit produziert haben.


Dennoch ist es ein typischer Kompromiss: Um Amerikaner und Briten zu erfreuen, kommen die Begriffe ‚framework‘ und ‚compact‘ vor. Um die Deutschen und die Schwellenländer nicht zu verprellen, fehlen bindende Mechanismen, die die Mitgliedsländer zwingen könnten, die Beschlüsse der G20 künftig zu befolgen. In Bezug auf den IWF wurde beschlossen, 5% der Stimmrechte an die Schwellen- und Entwicklungsländer zu transferieren; der Konflikt um die Direktorenposten im Vorstand (>>> Stunde der Wahrheit für Europa) wurde vorerst unter den Teppich gekehrt. Ob mit Pittsburgh wirklich ein neues Zeitalter der ökonomischen Kooperation eröffnet und der Durchbruch zu einer neuen Weltfinanzordnung geschafft wurde, wie alle schnell und vollmundig betonen? Wahrscheinlich selbst dann nicht, wenn die zahlreichen Ankündigungen des Abschlussdokuments diesmal nicht im Sande verlaufen würden.

Das wichtigste Ergebnis von Pittsburgh ist wohl, dass sich die G20 selbst etabliert haben als das zentrale Machtzentrum, in dem künftig die internationale Koordinierung von Wirtschafts- und Finanzpolitik stattfindet. Die Rolle der G8 wurde damit definitiv besiegelt. Das entspricht den globalen ökonomischen Kräfteverschiebungen der letzten Jahre, ist aber kein inklusives Global-Governance-Modell. Während die G20 zwar 85% der Weltwirtschaftsleistung repräsentieren, sind die restlichen 85% der Staaten auf die Vereinten Nationen als Plattform der Kooperation verwiesen. Das ist nicht das einzige Problem, das der institutionelle Fortschritt hin zur G20 aufwirft. G20 bedeutet auch eine neue Dreiteilung der Welt: die entwickelten, die aufstrebenden und die wirklich armen Länder. Viel Stoff für Analyse und Diskussion fürwahr…

25. September 2009

IWF-Reform: Stunde der Wahrheit für Europa

Bislang konnten sich die Europäer stets hinter den USA verstecken, wenn es um die Reform der Governance-Strukturen bei IWF und Weltbank ging. Doch jetzt haben die USA umgeschwenkt, um den lauter werdenden Forderungen der Schwellen- und Entwicklungsländer nach einem größeren Stimmenanteil entgegenzukommen. Ihr neuester Vorschlag sieht vor, im Rahmen der laufenden Quotenüberprüfung des IWF 5% der Stimmrechte an die Entwicklungsländer zu transferieren und das Leitungsgremium, den Executive Bord, von 24 auf 20 Sitze zu verkleinern. Letzteres liefe darauf hinaus, dass die ohnehin überrepräsentierten Europäer auf Direktorenposten verzichten müssten. Und schon läuten vor allem in London und Paris die Alarmglocken.

In Pittsburgh, spätestens jedoch auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank Anfang Oktober in Istanbul, werden die Europäer Farbe bekennen müssen, wie Ernst es ihnen mit der Reform der Bretton-Woods-Institutionen wirklich ist. Sind sie bereit, Einfluss abzugeben, oder folgen sie einer traditionellen Machtpolitik, die sich an überkommene nationalstaatliche Positionen klammert? Jetzt wäre auch die Gelegenheit, mit der Vergemeinschaftung in Europa Ernst zu machen: Ein gemeinsamer Sitz für die EU in Washington könnte das Gewicht Europas sogar noch erhöhen, selbst wenn bei den formalen Stimmrechten Abstriche erfolgten.

Doch was wir aus den europäischen Hauptstädten hören, sind nichts als Ausflüchte. Wenn die Europäer auf Einfluss verzichten, müssten auch die USA von ihrer Sperrminorität Abstand nehmen, lautet das beliebteste Argument. Tatsächlich können die USA mit ihren derzeit 17% in allen wichtigen Fragen, bei denen 85% der Stimmen erforderlich sind, blockieren. Nur: Gemessen am weltwirtschaftlichen Gewicht, das für die Quotenregelung im IWF maßgeblich ist, sind die USA im Vergleich zu Europa eher unterrepräsentiert. Auch aus diesem Grund schlägt für die Europäer jetzt die Stunde der Wahrheit. Es sei denn sie ringen sich doch noch zu einer ganz neuen Politik durch, die das überkommene One-Dollar-One-Vote-System durch ein System der doppelten Mehrheiten zu ersetzen, bei dem sich Gläubiger und Schuldner in wesentlichen Fragen ohnehin nicht überstimmen können. Doch die jüngsten Verlautbarungen stimmen da nicht gerade hoffnungsfroh.

24. September 2009

Die Schwächen der Agenda von Pittsburgh

Heute morgen hat ZEIT ONLINE einen Kommentar von mir und Barbara Unmüßig zur Agenda von Pittsburgh veröffentlicht. Hier ist der Text:

Die Pläne der G 20 greifen zu kurz. Um neue Exzesse zu verhindern, müssen die Staaten die schädlichen Spekulationen an den Finanzmärkten stoppen. Ein Gastkommentar von Rainer Falk und Barbara Unmüßig.

Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise ist alles andere als überwunden. Vielmehr erleben wir gerade ihre vierte Welle. Nach dem Ausbruch der Finanzkrise in den USA und Europa griff sie zunächst auf die Realwirtschaft über. Dann kam die Ansteckung der südlichen Staaten des Globus. Jetzt wird die Ausbreitung der Massenarbeitslosigkeit in den Industrieländern erwartet. Viel zu kurz greift da die Mikroregulierung, um die in Pittsburgh gerungen wird.

Die Europäer wollen vor allem die Deckelung der Boni an Manager verhandeln; die US-Amerikaner plädieren dafür, die Schuldenhebel zu begrenzen, mit denen die Banken operieren. Hinzu kommt der Plan, die Eigenkapitalhinterlegung der Banken aufzustocken. In allen drei Fällen lautet die Argumentation: Eine Hauptursache der Finanzmarktkrise war die übermäßige Risikobereitschaft, geboren aus Gier und Übermut der Finanzmarktakteure. Um eine Wiederholung der Krise zu verhindern, müssten diese Verhaltensweisen gezähmt werden.

Ganz falsch ist die Argumentation nicht. Doch Gier und Risikobereitschaft sind das eine – das regulatorische Umfeld, in dem sich diese entwickeln können (oder nicht), ist das andere. Solange also der Mangel an Disziplinierungsmechanismen auf den Finanzmärkten fortbesteht, wird auch die Lust zum Risiko nicht abebben. Um die Tendenz zur übermäßigen Verschuldung und das prozyklische Herdenverhalten der Finanzmarktakteure – die Hauptursachen der systemischem Instabilität auf den Finanzmärkten – in den Griff zu bekommen, bräuchte es zusätzlich und ergänzend makroökonomische Regulierungen. Gerade solche Schritte sind im G-20-Kreis bislang kaum angedacht worden.

Alle Welt beklagte zwar, dass den Banken aus dem Too big to fail ein gewaltiges Erpressungspotenzial gegenüber den Staaten erwächst. Aber inzwischen sind die Banken noch größer geworden und die Schuldenhebel sind durchweg gewachsen. Die Krise hat einen Konzentrations- und Zentralisationsprozess in der Finanzbranche ausgelöst, in dem viele insolvente Konkurrenten geschluckt wurden. Doch nur ganz wenige – wie der Chef der britischen Finanzaufsicht, Lord Turner – geben zu, dass der Finanzsektor zu groß geworden ist und viele seiner Aktivitäten nur von minimalem oder gar keinem gesellschaftlichen Nutzen sind.

Nehmen wir ein anderes Problemfeld, die grassierende Spekulation mit Währungen und Rohstoffen. Von einem entschlossenen Vorgehen gegen diese destabilisierenden Faktoren kann bislang keine Rede sein. Das Thema ist nach wie vor nicht einmal auf der Agenda der G 20.

Dabei gibt es durchaus diskutable Vorschläge: So ließe sich der US-Dollar als bislang einzige globale Reservewährung durch einen Währungskorb unter Einschluss einer aufgewerteten Rolle der Sonderziehungsrechte beim IWF, wie von der Stiglitz-Kommission und China ins Gespräch gebracht, ersetzen. Oder es könnte ein neues Wechselkursregime ausgehandelt werden, wie es gerade wieder die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) vorgeschlagen hat.

Das Thema Reservewährungen und Wechselkurse ist nicht zuletzt deshalb ein großes Tabu, weil der herrschende Status quo dafür sorgt, dass im Falle von Krisen sämtliche Anpassungslasten nur den Defizitländern aufgebürdet werden, die USA als Defizitland, das die globale Reservewährung selbst druckt, selbstredend ausgenommen. Die herrschende Governance-Struktur im IWF mit ihrem One-Dollar-One-Vote-Prinzip garantiert eine ungleiche Machtverteilung, unter der den Schuldnerländern nach wie vor prozyklische Sparmaßnahmen aufgezwungen werden können, während sich die Industrieländer und einige Schwellenländer großzügige Konjunkturpakete genehmigen.

Man kann das Bail-out der Banken und die Konjunkturprogramme in vielerlei Hinsicht kritisieren. So ist es verheerend, dass die Banken nicht an den Kosten ihrer Rettung beteiligt wurden – ein Versäumnis, das einige jetzt mit der neu ins Gespräch gebrachten Kapitaltransaktionssteuer wettmachen wollen. Unerträglich ist auch, wie wenig die Konjunkturprogramme mit den Erfordernissen eines klima- und ökologiepolitischen Umbaus (Stichwort Green New Deal) abgestimmt wurden. Dennoch wäre es ein großer Fehler, in der gegenwärtigen Situation, in der spärliche Erholungstendenzen – wenn überhaupt – fast ausschließlich durch staatliche Programme getragen werden, bereits wieder zur Rücknahme aktiver Konjunkturpolitik zu blasen.

Aber auch im Süden brauchen wir mehr und nicht weniger Liquidität: zum Ausgleich der aktuellen Krisenfolgen; um bei den unerledigten Ausgaben im Bereich der Armutsbekämpfung weiterzukommen; mit eingerechnet werden müssen drittens die klimapolitischen Kosten von Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen im Süden, die im Rahmen eines ökologischen Lastenausgleichs vornehmlich vom Norden übernommen werden müssen.

Deshalb muss der G-20-Gipfel auch ein Zeichen für mehr finanzielle Großzügigkeit gegenüber denen setzen, die in Pittsburgh nicht mit am Verhandlungstisch sitzen.

Hinweis: Eine ausführliche Version dieses Beitrags finden Sie >>> hier.

23. September 2009

Pittsburgh: Top-Thema Globale Ungleichgewichte

„Rebalancing growth“ heißt das Zauberwort, unter dem in Pittsburgh erstmals ernsthaft über den Abbau der globalen Ungleichgewichte geredet werden soll, die viele Ökonomen zu den Hauptursachen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise zählen. Dahinter steht das Problem, dass einige Länder (wie China, Deutschland, Japan und die Ölstaaten) aus unterschiedlichen Gründen hohe Außenhandels- und Zahlungsbilanzüberschüsse angehäuft haben, denen vor allem in den USA große Defizite gegenüber stehen. Die Linie vorgegeben hat ein Brief des obersten G20-Beraters von US-Präsident Obama, Michael Froman, an die G20-Partner, in dem ein „Framework for Sustainable and Balanced Growth“ vorgeschlagen wird, das in Pittsburgh verabschiedet werden soll.

„Das Framework“, so heißt es in dem Brief, den W&E heute auf seiner Website veröffentlicht, „würde ein Bekenntnis der G20-Führer sein, einzeln und gemeinsam eine Politik zu verfolgen, die zu einem stärkeren, besser ausgeglichenen globalen Wachstum führen würde. Dies könnte eine konkrete Demonstration unserer Unterstützung der Werte sein, die im Entwurf der Charta für nachhaltige Wirtschaftsaktivität verankert sind.“

Ironischerweise verknüpft der US-Anlauf die Initiative zur Reduzierung der globalen Ungleichgewichte direkt mit der Nachhaltigkeitscharta, die ebenfalls in Pittsburgh verabschiedet werden soll und die ein Lieblingskind der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel ist. Merkel wird sich in Pittsburgh anhören müssen, dass der traditionelle deutsche Handelsbilanzüberschuss, der im Jahre 2008 bei 103,6 Mrd. € lag und auch im ersten Halbjahr 2009 noch 57,7 Mrd. € ausmachte, nur auf Kosten anderer G20-Partner erzielt werden kann und dass Berlin mehr für die Belebung der deutschen Binnenwirtschaft tun muss – ein heikles Thema für die deutschen Politiker, sehen diese doch bereits wieder eines ihrer obersten Ziele in der Rückeroberung des Exportweltmeister-Titels, der kürzlich an China verloren ging.

Wer jetzt allerdings glauben sollte, erstmals würde ein Mechanismus in Gang gesetzt, mit dem künftig auch Überschussländer sanktioniert werden können, sieht sich getäuscht. Ein beim IWF geplanter Peer-Review-Mechanismus, der die diesbezügliche Politik der einzelnen Mitgliedsländer beobachten soll, dürfte bestenfalls moralischen Wert haben. Denn das „Rebalancing“ soll durch freiwillige Koordination der Wirtschaftspolitik erfolgen. Es könnte freilich auch sein, dass die Initiative dasselbe Schicksal erleidet wie die sog. Multilaterale Surveillance vor zwei Jahren. Diese trug von Anfang den Stempel des „China-Bashings“ und verlief sich nach kurzer Zeit im Sande. Auch heute befürchten die Chinesen wieder, dass es sich um nichts anderes als einen Vorwand für neuen Protektionismus handelt.

>>> Regulierung und Finanzierung auf dem G20-Gipfel: Riesiger Bedarf - bescheidene Agenda

15. September 2009

10. September 2009

Erkenntnisse einer Ministerin und ein Ratschlag an die Luxemburger NGOs

Luxemburg hat eine neue Entwicklungsministerin: Marie-Josée Jacobs (s. Photo), die das Amt zusätzlich zum Familienministerium in der neuen Koalitionsregierung aus Cristlich-Sozialen und Sozialisten übernommen hat. In einem Interview mit dem Brennpunkt Drett Welt und der Zeitschrift Forum wollte sie sich allerdings zu meiner Studie „Zur Debatte um Steueroasen: Der Fall Luxemburg. Fragen aus entwicklungspolitischer Sicht“ nicht äußern. Diese habe der Diskussion „inhaltlich nicht geholfen“. Um dann aber doch zu sagen: „Wenn diesen Ländern große Summen durch Steuerhinterziehung verloren gehen, dann ist es wohl nicht nachhaltig, ihnen zuerst das Geld zu nehmen und es ihnen später zurückzugeben.“ Hört, hört! Genau das bringt eine Quintessenz meiner Studie auf den Begriff. Also doch eine „Studie des Anstoßes“, wie die alternative Wochenzeitung WOXX textete – nur einmal andersherum, als Anstoß zum Nachdenken?

Und weiter lesen wir erfreut: „Da ist es doch sinnvoller daran zu arbeiten, dass die Gelder gleich an Ort und Stelle bleiben. Und hier können wir uns durchaus vorstellen, Projekte aufzustellen, die darauf abzielen, die Finanz- und Steuerstrukturen in den jeweiligen Ländern zu stärken.“ Auch hier hätte die Frau Ministerin durchaus aus der Studie zitieren können: „Luxemburg“, so heißt es in den Empfehlungen u.a., „sollte seine bilaterale Entwicklungskooperation dahingehend überprüfen, ob finanzielle Mittel stärker für den Aufbau eines effizienten Steuererhebungssystems in den Partnerländern eingesetzt werden können.“

Wie kann es da sein, dass der Cercle de coopération als Auftraggeber der Studie „Angst vor der eigenen Courage“ (WOXX) bekommen hatte und das Werk nicht nur von der eigenen Homepage nahm, sondern sich überdies wegen „unpräziser und fragwürdiger Aussagen“ (die übrigens nirgendwo konkret benannt wurden) distanzierte (>>> Finanzlobby vs. Zivilgesellschaft)? Die Luxemburger NGOs sollten „aufstehen und auf dem Wert ihrer Studie bestehen, im Namen der Wahrheit und ihres Rechts auf freie Rede und die Willkür bloßstellen, die sie erfahren haben“, schreibt Egide Thein in einem Beitrag, der heute auch im Luxemburger Tageblatt erschien. Thein ist nicht irgendwer. Er war Generalkonsul Luxemburgs in New York, Generalbeauftragter der Spar- und Staatssparkasse (BCEE) in Nord- und Südamerika und Direktor des Rats für wirtschaftliche Entwicklung in Luxemburg. Und auch gegen die „Angst vor der eigenen Courage“ weiß Thein Rat:

„I told them: ‘Don’t be afraid that this magical haversack filled with subsidies might get confiscated. Without you, Luxembourg does not have the means to execute its ambitious aid programs for which it would be world champion all categories, if there were not these over-zealous Swedes ahead of us.’ In fact, in order to maintain its position that it pursues with much ambition to be a leading donor country, it cannot do without the NGOs. Without them, the Government of Luxembourg would have to send checks directly to the potentates and other suspicious democrats in the Third World. Those exactly who for so long have managed to remain what they are: kidnappers of their own people and hijackers of whole countries which as a result continue to be developing countries, forever. No doubt many of these gentlemen (women are scarce in this business) would then take these checks and deposit them on personal accounts in Luxembourg, or Switzerland or elsewhere.”

6. September 2009

Vertagt auf die Zeit nach dem nächsten Crash?

Verglichen mit all dem Bonus-Getöse, das vor allem die Europäer im Vorfeld veranstalteten, sind die Ergebnisse dieses G20-Finanzminister-Treffens wahrlich nicht mehr als Peanuts. Die Forderung nach einer Obergrenze für Managervergütungen scheiterte am Widerstand der USA und Großbritanniens. Stattdessen einigte man sich darauf, dass sich Bonuszahlungen an der langfristigen Geschäftsentwicklung der Banken orientieren sollen und in schlechten Zeiten auch zurückgefordert werden können. Wie das im Einzelnen aussehen soll – das wurde an das neue Financial Stability Board (FSB) delegiert. Unklar ist auch, wie im Detail die US-Forderung nach höheren Rücklagen und Puffern für Krisenzeiten umgesetzt werden soll. Und was genau das erneute Bekenntnis zur Stärkung der Stimme der Schwellen- und Entwicklungsländer bei IWF und Weltbank bedeutet, blieb ebenfalls offen.

Was soll man angesichts dieser mageren Ergebnisse von der Stellungnahme des deutschen Finanzministers Peer Steinbrück halten, das Treffen in London sei ein „großer Erfolg“ gewesen? Die Frage beantwortet sich von selbst. Wenn das die Vorbereitung auf den Pittsburgh-Gipfel der G20 Ende dieses Monats gewesen sein soll, dann jedenfalls darf man von dieser Veranstaltung nicht viel erwarten. Alles spricht dafür, dass sich angesichts der ersten Anzeichen einer weltwirtschaftlichen Erholung jene Selbstzufriedenheit bei den maßgeblichen Akteuren breit macht, an der schon früher jeder Ansatz zur Schaffung einer Neuen Internationalen Finanzarchitektur gescheitert ist. Wer diesen Trend des „Zurück zum Business as usual“ noch aufhalten kann? Da muss wohl schon eine neue Blase kommen und platzen. Und wie Zeit-Online heute berichtet, wird der neue Crash in New York gerade vorbereitet. Jetzt rächt sich der Ansatz, der der Wiederankurbelung der Konjunktur Vorrang vor der gründlichen Umgestaltung des globalen Finanzsystems eingeräumt hat, statt beides beherzt und zugleich anzugehen.

5. September 2009

Beschlüsse der G20-Finanzminister

1. G20 finance ministers’ statement >>>> hier.

2. G20 statement on strengthening financial system >>>> hier.

3. Progress report of the actions of the Washington and London summits >>> hier.

Kommentierung >>> hier.

4. September 2009

Drei innovative Finanzierungsvorschläge für die G20

Zum G20-Finanzministertreffen an diesem Wochenende in London wartet Oxfam International mit drei innovativen Vorschlägen auf, wie die Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer 280 Mrd. Dollar zusätzlich aufbringen könnte, um die Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Folgen der globalen Krise zu unterstützen. Vorgeschlagen wird eine Steuer auf Währungstransaktionen, eine Reallokation der neuen Sonderziehungsrechte des IWF und ein konsequenteres Vorgehen gegen Steueroasen. Nachzulesen sind die Vorschläge in einem neuen Briefing Papier mit dem Titel „Money for Nothing: Three ways the G20 could deliver up to $280 billion for poor countries“.

Das Vorgehen gegen die Steueroasen könnte allein 160 Mrd. Dollar bringen, die Reallokation der in der letzten Woche erfolgten Neuzuteilung von SZR an die Industrieländer würde weitere 89 Mrd. Dollar freisetzen, und mit einer Tobin-Steuer in Höhe von nur 0,005% könnten mindestens weitere 30 Mrd. Dollar mobilisiert werden. Der Reiz dieser Vorschläge liegt nach Max Lawson von Oxfam darin, dass sie der G20 erlauben würden, den Armen zu helfen, ohne normalen Steuerzahlern mehr Geld abknöpfen zu müssen.

Das Geld wäre dringend nötig, um die sozialen Konsequenzen rückläufiger Finanzströme und Handelschancen im Süden zu kompensieren. Nach Weltbank- und UN-Schätzungen werden in diesem Jahr 50 bis 100 Millionen Menschen mehr in der Armutsfalle landen und gezwungen sein, von weniger als 1,25 Dollar pro Tag zu überleben. Im letzten April hatte die G20 versprochen, 240 Mrd. Dollar für die Entwicklungsländer bereitzustellen, einschließlich 50 Mrd. Dollar für die ärmsten. Inzwischen schätzt die Weltbank, dass die Entwicklungsländer allein 2009 bis zu 635 Mrd. Dollar zusätzlich brauchen, um ihren derzeitigen Entwicklungsstand zu halten.

G20-Finanzminister in London: Bonus, Bonus, Bonus

Das Getöse um die Begrenzung der Boni von Bankern und Spekulanten, das derzeit in Europa veranstaltet wird, dient vor allem einem durchschaubaren Zweck: Dem Publikum soll wieder einmal versichert werden, welch‘ ein verantwortungsvolles Auge doch die Politiker angesichts wachsender Arbeitslosenzahlen auf das Treiben unserer „Spitzenkräfte“ in der Wirtschaft haben. Ob dabei was herauskommt, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls kann der vor dem G20-Gipfel Ende dieses Monats in Pittsburgh Boni-Aktivismus nicht darüber hinweg täuschen, dass die G20 ihre Hausaufgaben seit dem Londoner Gipfel mehr schlecht als recht erledigt haben. Das werden auch ihre Finanzminister heute und morgen in London feststellen.

Sicher – die Banker stehen derzeit so schlecht in der Öffentlichkeit da, dass sich die brillante FT-Kolumnistin Gillian Tett heute nicht die Frage verkneifen kann, warum eigentlich nicht mehr von ihnen hinter Gittern sitzen (>>> Empty docks). Doch die grundlegende Neuordnung der internationalen Finanzordnung, die durch die Krise auf die Tagesordnung gesetzt wurde, erfordert mehr als die Festlegung von Obergrenzen für Managergratifikationen. Worum es letztlich gehen müsste, hat der oberste Regulierer des Londoner Finanzplatzes, Lord Turner, kürzlich klar formuliert: um die gesellschaftliche Nützlichkeit des Finanzsektors und der durch ihn hervorgebrachten Produkte. Entlang solcher Kriterien zu diskutieren (und dann auch mal das Verbot der einen oder anderen „Innovation“ in Erwägung zu ziehen) – davon sind die Finanzminister auch an diesem Wochenende noch weit entfernt.

In anderer Hinsicht ist man aber durchaus weiter gekommen. Das betrifft die Ausstattung des IWF mit neuen Finanzressourcen, die sich inzwischen tatsächlich der projektierten 1 Billion Dollar annähern. Die EU-Finanzminister haben dem Fonds in dieser Woche 175 Mrd. Dollar, die USA nach langem Hin und Her mit dem Kongress 108 Mrd. Dollar an neuen Kreditmitteln zugesagt. Und die Chinesen kaufen Anleihen in Höhe von 50 Mrd. Dollar, die der Fonds aufgelegt hat. Der IWF selbst hat in der letzten Woche den G20-Auftrag zur Neuausgabe von 250 Mrd. Sonderziehungsrechten abgeschlossen, leider ohne für eine entwicklungspolitisch sinnvoller Verwendung der neuen Liquidität Sorge zu tragen. Da der IWF im Zuge der globalen konjunkturpolitischen Offensive der G20 am meisten gewonnen hat, verwundert es auch nicht, dass sein Chef, Dominique Strauss-Kahn, heute in einer Rede in Berlin davor gewarnt hat, in Selbstzufriedenheit zu verfallen und die Stimuli verfrüht wieder abzubauen.

3. September 2009

Gute Idee: Neue Sonderziehungsrechte für Entwicklungshilfe

Mit einer guten Idee wartet der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) heute auf: Die deutsche Bundesregierung solle die ihr vom Internationalen Währungsfonds zugeteilten neuen Sonderziehungsrechte (SZR) für die Entwicklungszusammenarbeit nutzen, fordert EED-Vorsitzender Rudolf Ficker. Die Finanzierung zusätzlicher Mittel für die Entwicklungshilfe aus dem Bundeshaushalt ist wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise schwieriger geworden. Hier bietet die Nutzung der IWF-Sonderziehungsrechte die Möglichkeit, europäische Vereinbarungen über Zuwächse der Entwicklungshilfe einzuhalten, ohne dabei stark auf Steuermittel zurückgreifen zu müssen.

In der letzten Woche hatte der IWF seinen 186 Mitgliedern SZR in Höhe von insgesamt 283 Mrd. US-Dollar zugeteilt und damit einen Beschluss des G20-Gipfels vom letzten April umgesetzt. Auf die deutsche Bundesbank entfallen davon knapp 12 Mrd. Euro. Die neue Bundesregierung sollte nach der Wahl sorgfältig prüfen, was getan werden muss, um einen Teil der neuen SZR an solche Entwicklungsländer weiterzuleiten, die über wenig Devisenreserven verfügen und hohe Auslandsschulden haben. Deutschland könnte damit einen Teil des für 2010 absehbaren Rückstands seiner Entwicklungshilfe-Zusagen, die sich nach Berechnungen der OECD voraussichtlich auf 3,2 Mrd. Dollar belaufen werden, ausgleichen und müsste dafür nur wenig Steuermittel aufwenden. In Deutschland selbst stärken die Mittel des IWF die Währungsreserven der Bundesbank, an denen es nicht mangelt. Für die Rückführung von Staatsschulden am Finanzmarkt sind sie kaum geeignet.

Ein Land, das von den deutschen Mitteln profitieren könnte ist zum Beispiel Burkina Faso. Als eines der ärmsten Länder der Welt wird es von der Wirtschaftskrise schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Weltbank bezeichnet das Land als besonders überschuldungsgefährdet. Aus der IWF-Zuteilung entfallen aber nur knapp 60 Mio. Euro auf Burkina Faso. Es braucht u.a. Devisen, um Güter, die nicht in Burkina Faso produziert werden, wie z.B. Medikamente, importieren zu können. Wenn die Bundesregierung einen Teil der deutschen SZR als Zentralbankzuschuss an Burkina Faso weiterleiten würde, könnten die Währungsreserven des Landes erheblich gestärkt und die Rückzahlung von Schulden gegenüber Weltbank und IWF unterstützt werden.

Die Bundesregierung könnte mit einem solchen Vorgehen in der Tat zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie könnte zu ihren Versprechungen in puncto Entwicklungshilfe stehen. Und sie könnte eine zentrale Schwäche des G20-Beschlusses vom April zumindest teilweise ausbügeln, das Versäumnis nämlich, die SZR-Zuteilungen für die Industrieländer nicht gleich an die Entwicklungsländer weiter zu transferieren. Für ein solches Vorgehen hatte sich nicht zuletzt der Finanzmagnat George Soros eingesetzt (>>> Das Potential der Sonderziehungsrechte).