6. Dezember 2013

Die WTO liefert in Bali, doch Bedenken bleiben

Gastblog von Tobias Reichert, z.Zt. Bali 

● Indien erreicht Minimallösung 

Der Abschluss des Bali-Pakets erscheint nun in Reichweite: Nach intensiven Verhandlungen legte WTO-Generaldirektor Azevedo heute abend Kompromisstexte zu allen Themen vor. Wie erwartet, war die Friedensklausel für öffentliche Ernährungssicherheits- und Lagerhaltungsprogramme zu staatlich administrierten Preisen der am heftigsten umstrittene Punkt. Indien konnte hier durchsetzen, dass die Friedensklausel als echte Interimslösung so lange in Kraft bleibt, bis eine dauerhafte Lösung durch eine Anpassung des Agrarabkommens beschlossen ist, was innerhalb von vier Jahren geschehen soll. Damit können andere WTO-Mitglieder kein Streitschlichtungsverfahren beginnen, falls Indien seine Ausgaben für sein Ernährungssicherheitsprogramm über die tolerierte Obergrenze anhebt.

Um dies zu erreichen, musste Indien allerdings sehr weit gehende Einschränkungen akzeptieren. Die Friedensklausel ist auf traditionelle Grundnahrungsmittel begrenzt, und gilt nur für Programme, die jetzt schon in Kraft sind. Damit können andere Länder keine Programme nach dem indischen Vorbild neu auflegen, wenn diese die Obergrenzen überschreiten.

Organisationen wie die indische „Right to Food Campaign“ kritisieren dies heftig.  Mindestens ebenso bedeutend ist für sie, dass Indien selbst nicht neue Nahrungsmittel in sein Programm aufnehmen darf, da dies wahrscheinlich als neue Maßnahme angesehen würde. Zivilgesellschaftliche Gruppen fordern aber gerade, dass nicht nur eine ausreichende Kalorienversorgung mit Weizen, Reis und Hirse gefördert werden soll. Vielmehr geht es auch um eine ausgewogene Ernährung mit nährstoffreicheren Linsen, Milch oder Obst.

Schließlich müssen Länder, die die Friedensklausel in Anspruch nehmen wollen, jedes Jahr bei der WTO Informationen darüber hinterlegen, welche Produkten, zu welchen Mengen und Preisen an- und verkauft werden, und wie die Preise berechnet wurden, wie die Lagerbestände sich verändert, und wie viel von dem jeweiligen Produkt im- und exportiert wurde. 

● Keine Begrenzung der Exportsubventionen – unverbindliche Versprechungen für die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) 

Der Aufwand, den Indien betreiben muss, um Programme für Ernährungssicherheit und Kleinbauern abzusichern, die den Handel verzerren könnten, kontrastiert mit dem auch nach Bali uneingeschränkten Recht der großen Industriestaaten, die entwicklungs- und handelspolitisch besonders schädlichen Exportsubventionen einzusetzen. Schon in Genf hatten EU und USA den Versuch der G20 blockiert, in Bali zumindest eine Verringerung der Obergrenzen festzulegen. Stattdessen wurde eine wortreiche Erklärung über die äußerste Zurückhaltung bei der Gewährung der Exportsubventionen verabschiedet, die mit dem Satz endet, dass die Rechte und Verpflichtungen der Mitglieder unverändert bleiben. Damit können sie selbst entscheiden, ob sie sich daran halten oder nicht.

Ähnlich vage bleiben die Erklärungen zu den Anliegen der LDCs – in denen die Industriestaaten nicht einklagbare Versprechen machen. Besonders peinlich ist der Text zu Baumwolle, in dem bedauert wird, dass der 2005 (unverbindlich) vereinbarte schnellstmögliche Abbau der Subventionen der Industrieländer für den Sektor leider nicht umgesetzt wurde. Ein neues Komitee soll die Situation jetzt alle zwei (!) Jahre neu beraten – was darauf hinweist, dass die Subventionen noch eine Weile bestehen bleiben werden. 

● Administrative Handelserleichterungen abhängig von Kapazität 

Beim handelspolitisch relevantesten Thema, dem neuen Abkommen zu administrativen Handelserleichterungen, konnten die Entwicklungsländer das Prinzip durchsetzen, dass sie nur Bestimmungen des Abkommens umsetzen müssen, für die sie ausreichende Kapazitäten haben. Ob dies der Fall ist, entscheidet aber letztlich ein Komitee der WTO-Mitglieder, ob dies immer zu den richtigen Entscheidungen kommt, bleibt abzuwarten. Die Versprechen der Industriestaaten auf Unterstützung bleiben auch zu dem Thema vage. 

● Doha-Runde vorerst gerettet 

Mit dem Bali-Paket hat sich die WTO, wenn auch zaghaft, als Forum für die Gestaltung internationaler Handelsregeln zurückgemeldet. Es wurde aber wieder deutlich, dass Fragen der Nachhaltigkeit wie Ernährungssicherheit und effektive Unterstützung der Entwicklungsländer nur unter größten Schwierigkeiten durchzusetzen sind. Die USA haben erst in letzter Minute beschlossen, Freihandelsprinzipien hinter diesen Zielen zurück stehen zu lassen. Für die angestrebte dauerhafte Regelung lässt diese harte Haltung nichts Gutes erwarten. Damit droht die Gefahr, dass die eng auf die indische Situation zugeschnittene Friedensklausel lange erhalten bleibt.

Nach dem Willen der Minister sollen die Themen der Doha- Runde nun anscheinend weiter in kleineren Paketen angegangen werden. Die Vertreter in Genf werden beauftragt, im nächsten Jahr einen Arbeitsplan für weitere Verhandlungen zu beschließen, mit den Schwerpunkten Landwirtschaft, Entwicklung/LDCs und „aller anderen Themen, die für den Abschluss der Runde zentral sind“. 

● Demokratie als Gefahr für die Handelsdiplomatie 

In Bali hatten alle maßgeblichen Länder eine Einigung angestrebt, um die Rolle der WTO wieder zu stabilisieren. Die verhandelten Themen verlangen – anders als die ausgeklammerten Marktzugangs- und Subventionsthemen – in keinem Land große Veränderungen, und galten deswegen eigentlich als wenig kontrovers. Dass es doch noch fast zu einem Scheitern kam, lag weniger an den Regierungen, als an der aktiven Rolle der Zivilgesellschaft in Indien, deren Einfluss durch die bevorstehenden Wahlen noch verstärkt wird.

Das neue indische Ernährungssicherheitsgesetz, um das sich der Hauptkonflikt drehte, ist ein Ergebnis der Forderungen von Bewegungen wie der „Right to Food Campaign“ und wichtigen indischen Bauernverbänden – auch wenn es deren Forderungen nicht komplett widerspiegelt. Als die indische Regierung schon in Genf einem Kompromiss zugestimmt hatte, dies mit einer auf vier Jahre angelegten Friedensklausel vor Klagen zu schützen, brach in Indien ein Sturm der Entrüstung los. Dieser zwang den indischen Handelsminister zu seiner Kehrtwende. Die in der Handelspolitik übliche Reaktion, vor allem von USA und EU, erst einmal kräftig Druck auf Indien auszuüben, hätte dann fast zum Scheitern Verhandlungen geführt.

Irritiert von dem abrupten Kurswechsel zeigten sich allerdings auch einige Verbündete Indiens in der Gruppe der Entwicklungsländer mit überwiegend kleinbäuerlicher Landwirtschaft (G33). Die indische Delegation hatte es versäumt, sie über die neue Linie vorab zu informieren. Trotz der Verstimmungen ist es unwahrscheinlich, dass die Arbeit der Gruppe mit strategisch ähnlichen Interessen langfristig leidet.

Die WTO hat mit dem knapp erzielten Erfolg in Bali wieder etwas an Statur gewonnen und will dies nun wiederholen. Wenn die Anliegen und Forderungen der Zivilgesellschaft vor allem in Entwicklungsländern weiter nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden, ist der Erfolg dieses Vorhabens weiter unsicher. 

* Die Beschlüsse zum Bali-Paket finden sich im Wortlaut >>> hier.

WTO in Bali: Letzter Anlauf - Anscheinend Einigung zwischen Indien und USA

Gastblog von Tobias Reichert, z.Zt. Bali 


Der indische Handelsminister Sharma und dem US-Handelsbeauftragten Froman konnten unbestätigten Meldungen zu Folge nach mehrstündigen bilateralen Verhandlungen in der letzten Nacht und am heutigen Tag eine Einigung erzielen. Wie der Kompromiss zwischen den USA, die nur eine zeitlich befristete Friedensklausel für Ernährungssicherheitsprogramme akzeptieren wollen, und Indien, das auf einer Interimslösung besteht, die in Kraft bleibt, bis eine dauerhafte Änderung des Landwirtschaftsabkommens der WTO beschlossen ist, aussieht, ist noch nicht bekannt. Bislang scheinen andere Länder – zu hören ist von Pakistan - noch Probleme mit dem Text zu haben. Wenn diese in den nächsten Stunden ausgeräumt werden können, ist ein Abschluss erzielt. Die Streitpunkte zum neuen Abkommen zu administrativen Handelserleichterungen sollen schon im Laufe der Nacht ausgeräumt worden sein.

5. Dezember 2013

Einigung in Bali in der Schwebe

Gastblog von Tobias Reichert, z.Zt. Bali
 
Bei den Konflikten während der WTO-Ministerkonferenz in Bali zeichnete sich auch kurz nach Mitternacht zu Freitag keine Lösung ab. Der indische Handelsminister Sharma machte auf einer Pressekonferenz noch einmal klar, dass Indien kein Abkommen akzeptieren kann, das keine dauerhafte Rechtssicherheit für sein Ernährungssicherheitsprogramm ermöglicht. Es dürften nicht die Armen sein, die für die Rettung des multilateralen Handelssystems „bezahlen“. Gleichzeitig sind die USA und einige Entwicklungsländer wie Pakistan, Thailand und Vietnam weiter nicht bereit, einer „Friedensklausel“ zuzustimmen, die in Kraft bleibt, bis eine permanente Lösung gefunden ist.

Auch in den Verhandlungen über technische Handelserleichterungen gibt es noch Streitpunkte, bei denen sich die Positionen nicht angenähert haben. Schließlich zeigen sich viele Entwicklungsländer mit der „Lösung“ unzufrieden, dass die Mitgliedsstaaten eine unverbindliche Absichtserklärung abgeben, Exportsubventionen nur zurückhaltend einzusetzen.

Gleichwohl gibt es in den Korridoren des Konferenzzentrums seit heute Nachmittag Gerüchte, dass es noch im Laufe des Abends eine Lösung geben könne. In alter WTO-Tradition könnte die Entscheidung über die umstrittenen Themen zurück nach Genf verschoben werden. Die Minister in Bali würden dann nur eine politische Erklärung verabschieden, während der Verhandlungszirkus weniger spektakulär in Genf weiterginge.

3. Dezember 2013

Indische Regierung in Bali von allen Seiten unter Druck

Gastblog von Tobias Reichert*), z.Zt. Bali 

Die 9. Ministerkonferenz der WTO wurde heute vom Vorsitzenden, dem indonesischen Handelsminister Gita Wirjawan, offiziell zur Verhandlungssitzung erklärt. Damit wird es neben den vorbereiteten Erklärungen der Minister auch Verhandlungssitzungen geben. Wichtigster Streitpunkt bleibt die Frage, wie weit die Flexibilität für Entwicklungsländer erweitert wird, Lebensmittel für öffentliche Lagerhaltung und Programme der Ernährungssicherheit zu staatlich festgelegten Preisen anzukaufen. Die vom indischen Parlament im Sommer beschlossene Ausweitung des Verkaufs von subventioniertem Getreide auf 800 Millionen Menschen, könnte dazu führen, dass die derzeit gültige Obergrenze dafür verletzt wird.

Gemeinsam mit der Gruppe von 33 Entwicklungsländern mit kleinbäuerlicher Landwirtschaft (G33) hatte Indien schon im Frühjahr dieses Jahres gefordert, das Agrarabkommen an diesem Punkt zu verändern. Der Vorschlag basierte dabei auf dem konsolidierten Verhandlungstext der Doha-Runde, der 2008 aus anderen Gründen gescheitert war. Da vor allem die USA zu einer Regeländerung im Rahmen des Bali-Pakets nicht bereit waren, wurde in Genf eine auf vier Jahre befristete „Friedensklausel“ vorgeschlagen, mit der sich die WTO-Mitglieder verpflichten sollten, kein WTO-Verfahren anzustrengen, auch wenn sie die Verletzung von WTO-Regeln durch ein Programm der Ernährungssicherung eines anderen Lands vermuten. In dieser Zeit solle eine dauerhafte Lösung verhandelt werden.

Bauernverbände, darunter der größte Indiens, Vertreter der Zivilgesellschaft und die größte Oppositionspartei laufen gegen eine zeitlich befristete Lösung Sturm. Sie befürchten, dass das indische Programm nach Ablauf der Frist wieder in Frage gestellt wird. Bei der bisherigen Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung in der WTO ist alles andere als sicher, dass in vier Jahren eine dauerhafte Lösung vereinbart werden kann. Gleichzeitig versuchen der WTO-Generaldirektor und die Industriestaaten, die indische Regierung zu isolieren. Noch vor dem offiziellen Beginn fand ein Treffen aller Verhandlungsführer statt, bei dem vor allem die Vertreter von LDCs und afrikanischen Staaten ihr Interesse am Abschluss des Bali-Pakets äußern sollten, das ihnen gerade mit versprechen auf mehr Unterstutzung zur Umsetzung des neuen Abkommens zu Trade Facilitation versüßt wurde. Es hilft der indischen Position sicher auch nicht, dass der Koordinator der G33, sein natürlicher Verbündeter bei dem Thema, derzeit Indonesien heißt, und damit als Gastgeber an einem Abschluss in Bali interessiert ist.

Druck kommt auch von der Financial Times, deren neuer Handelskorrespondent, Shawn Donnan, den früheren indischen Handelsminister Kamal Nath für das Scheitern vorhergehender Einigungsversuche 2008 in Genf und 2005 in Hongkong allein verantwortlich macht. In Hongkong wurde übrigens gar kein Abschluss der Doha Runde angestrebt, sondern einstimmig eine Ministerklärung mit Zwischenergebnissen verabschiedet, und 2008 lehnten die USA eine von EU und Indien verhandelte Kompromissformel ab. Donnan unterstellt dem neuen indischen Handelsminister Anand Sharma nun, aus Profilierungs- und Wahlkampfgründen auch das Bali-Paket scheitern zu lassen.

Im Anschluss an die Eröffnungszeremonie protestierten im Konferenzgebäude die anwesenden Vertreter von indischen Bauernverbänden und NGOs spontan für eine dauerhafte Lösung des Ernährungssicherheitsproblems und gegen eine zeitlich begrenzte Friedensklausel. – Ein Kompromiss zeichnet sich noch nicht ab. Ob die Strategie, Indien in die Ecke zu drängen, dabei hilft, kann bezweifelt werden. 

*) Tobias Reichert ist Teamleiter bei Germanwatch für Welternährung, Landnutzung und Handel. 

Nachsatz: Unterdessen hat der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, erklärt, das Bali-Paket müsse den Entwicklungsländern eine ehrgeizige Politik der Ernährungssicherung gestatten.

WTO: Es wird noch mal spannend in Bali

Gastblog von Tobias Reichert*), z.Zt. Bali 

Am Vorabend der 9. Ministerkonferenz der WTO in Bali ähnelt die Stimmung wieder ein wenig der der Nuller Jahre: Die Delegationen haben Ihr Ziel verfehlt, schon im Vorfeld des Ministertreffens zu einer Einigung zu kommen. Die Minister stehen damit vor intensiven Verhandlungen: Entweder müssen sie eine ganze Reihe von zum Teil sehr technischen Streitfragen lösen – oder die Konferenz wird ohne Ergebnis enden (>>> Comeback der WTO in Bali… oder Überlebenssicherung durch Resteverwertung?).

Dabei hatten der neue WTO-Generaldirektor Azevêdo und sein Vorgänger Lamy versucht, genau dieses Szenario zu verhindern. Das „Bali-Paket“ besteht aus ausgewählten Aspekten des Doha-Mandats, von denen vermutet wurde, dass eine Einigung relativ einfach wäre. Azevêdo koordinierte vor dem Gipfel intensive Verhandlungen in Genf, und erklärte, dass in Bali selbst keine Verhandlungen mehr statt finden würden. Auch als in der letzten Woche keine Einigung erzielt wurde, ließ er zunächst offen, was in Bali geschehen solle.

Direkt nach der Ankunft, ließ er sich dann von einer Reihe von Ländern „bitten“, doch noch einen Anlauf zum Abschluss in Bali zu machen. Eine Reihe von Industriestaaten und Entwicklungsländer-Koalitionen veröffentlichten eine entsprechende Erklärung. Interessanterweise fehlen mit den USA, der EU, China, Indien und Brasilien die mächtigsten Mitglieder als Unterzeichner. Damit soll vermutlich das Argument betont werden, dass vor allem kleinere Länder von multilateralen Regeln profitieren. Die Gruppe der großen Schwellen- und Entwicklungsländer (G20) in der WTO unter Führung von Brasilien und Indien, rief in einem später veröffentlichten Kommunique ebenfalls zu „konstruktivem Engagement“ bei der Ministerkonferenz auf.

Soll der Zeitplan eingehalten werden, stehen den Ministern nicht einmal zwei Tage zwischen Eröffnung und Ende der Konferenz für Verhandlungen zur Verfügung. Die Möglichkeiten, neue Ideen zu entwickeln und durchzusetzen, sind daher begrenzt. Eine Einigung ist wegen der überschaubaren Anzahl der Themen gleichwohl nicht ausgeschlossen. Eine zentrale Voraussetzung wird dafür sein, dass sich die Industrieländer dazu durchringen können, bei entwicklungsrelevanten Forderungen wie größerer Flexibilität bei Programmen der Ernährungssicherheit und beim Abbau der Exportsubventionen noch einmal nachzulegen.

*) Tobias Reichert ist Teamleiter bei Germanwatch für Welternährung, Landnutzung und Handel.