25. Februar 2010

Linke und Grüne im Bundestag fordern nachhaltige Hilfe für Haiti

Nachhaltige Hilfe für das von Erdbeben zerstörte Haiti fordern die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke in zwei Anträgen (Nr. 17/791 und Nr. 17/774), die heute Nachmittag im Bundestag beraten werden. Die Grünen verlangen von der Bundesregierung, im Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung einen Sondertitel für Wiederaufbauhilfe zu schaffen, über den innerhalb der nächsten fünf Jahre 600 Millionen Euro für den nachhaltigen Wiederaufbau Haitis bereit gestellt werden sollen. Die Regierung soll sich laut der Grünen-Fraktion außerdem für eine „gemeinsame und langfristig ausgerichtete Antwort auf die Katastrophe“ innerhalb der Europäischen Union einsetzen. In den Gremien der wichtigen multilateralen Gläubiger soll die Regierung auf eine komplette Entschuldung des Landes hinwirken.

Eine „sofortige, vollständige und bedingungslose“ Entschuldung Haitis fordert auch die Fraktion Die Linke in ihrem Antrag. Auch soll die Bundesregierung nach Ansicht der Fraktion einen Sondertitel von mindestens 100 Mio. € jährlich für die mittelfristige Hilfe für Haiti einplanen und das Land wieder auf die Länderliste für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit setzen. Als weitere Schwerpunkte nennt die Fraktion den Einsatz für die Wiederherstellung der vollen Souveränität Haitis sowie für ein Ende der militärischen Präsenz der USA im Land. Nach Auffassung der Linken soll zudem die Entsendung einer EU-Militärmission gestoppt und die UN-Mission Minustah durch eine zivile Aufbaumission ersetzt werden.

Noch ein Video zur FTT-Kampagne

Tut sich was beim IWF?

Tut sich was beim Internationalen Währungsfonds? Gestern gab sein Geschäftsführender Direktor, Dominique Strauss-Kahn, bekannt, dass er Zhu Min, den Stellvertretenden Gouverneur der chinesischen Zentralbank, zu seinem Sonderberater ernennen wird. Die Ankündigung wird allgemein als Zeichen für den wachsenden chinesischen Anspruch gewertet, in den Bretton-Woods-Institutionen und bei ökonomischen Global-Governance-Fragen stärker mitzureden. Schon 2008 war ein anderer Chinese, Justin Lin, zum Chefökonomen der Weltbank aufgestiegen.

Zhu Min, der sein neues Amt im Mai antreten wird, ist nicht irgendwer, sondern der prominenteste Finanzexperte der Volksrepublik China. Auf dem Weltwirtschaftsforum machte er Schlagzeilen, als er darauf hinwies, das wichtigste Problem der Weltwirtschaft in diesem Jahr seien die massiven Spekulationen mit dem Dollar-Carry-Trade. Dabei werden Dollars zu dem derzeit niedrigen Zinssatz aufgenommen und in Währungen investiert, in denen die Rendite höher ist. Spannend wird werden, wie Strauss-Kahn und Zhu Min ihre unterschiedlichen Positionen zum Thema globale Ungleichgewichte lösen werden. Während Strauss-Kahn die Chinesen mehrfach zur Aufwertung aufforderte, legte Zhu Min dem staunenden Publikum in Davos dar, dass für die Chinesen angesichts ihrer rückläufigen Exporte einiges sogar für eine Abwertung spreche, worauf sie jedoch zum Wohle der Weltwirtschaft verzichteten.

Ein weiteres Zeichen für Veränderungen im IWF ist ein kürzlich von dem Chefökonomen des Fonds, Olivier Blanchard, und zwei weiteren Autoren veröffentlichtes Papier, in der Makropolitik der vergangenen Jahrzehnte schwere Fehler attestiert werden, so in Bezug auf die niedrigen Inflationsziele, die Vernachlässigung der Fiskalpolitik und die Deregulierung des Finanzsektors. Insbesondere der Vorschlag, das Inflationsziel nach oben zu korrigieren, bringt monetaristische Gralshüter wie den Chef der Deutschen Bundesbank, Axel Weber, zum Schäumen (>>> Der IWF spielt mit dem Feuer). Núria Molina von Brüsseler Netzwerk Schulden und Entwicklung (Eurodad) sieht das anders. In einem Beitrag für die nächste Ausgabe des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung begrüßt sie das Papier als Schritt in die richtige Richtung, bemängelt jedoch, dass die neuen Erkenntnisse auf die Kreditkonditionalität des Fonds bislang kaum durchschlagen. Erst wenn das einmal der Fall sein wird, könne man sagen, dass der Washington Consensus wirklich abgedankt hat (>>> Neuer makroökonomischer Ansatz beim IWF? Die Kritik des Chefökonomen).

21. Februar 2010

Thema der Woche: Die Griechenland-Krise

Selten stand ein Thema so eindeutig im Mittelpunkt wie die Griechenland-Krise in der letzten Woche. Der Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung war darauf gut eingestellt, obwohl die Peripherie der Europäischen Union nicht gerade zu unseren traditionellen Kernthemen gehört. Aber das Thema schließt unmittelbar an unsere Berichterstattung zur Finanzkrise an und passt auch wegen der zunehmenden Asymmetrien zwischen der alten EU und ihrer europäischen Südflanke gut in unser Spektrum.

Als bewussten Kontrapunkt zu dem unerträglichen PIGS-Bashing (das ist die neue Abkürzung der Finanzmärkte für Portugal, Italien/Irland, Griechenland und Spanien) veröffentlichten wir zum Wochenbeginn einen viel gelesenen Artikel von Joachim Becker, der die Krisentendenzen in den Mittelmeerländern als Ausdruck der Leistungsbilanzungleichgewichte mit Deutschland interpretiert (>>> Nicht Griechenland, Deutschland ist das Problem).

In der W&E-Rubrik Links der Woche kamen dementsprechend in der letzten Woche eher Stimmen zu Wort, die quer zum Mainstream liegen. Während Sebastian Dullien von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft schrieb, die Euroschwäche sei das Beste, was der deutschen Exportnation passieren könnte, will der Starökonom Nouriel Roubini („Dr. Doom“) die PIGS ausgerechnet mit Hilfe des IWF „das Fliegen lehren“. FTD-Kolumnist Lucas Zeise sieht eine zentrale Ursache für die gegenwärtigen Probleme im Geburtsfehler des Euro, bei dessen Einführung wirtschaftspolitische Souveränität ohne Not an die Finanzmärkte abgegeben worden war. Heiner Flassbeck von der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) warnt dagegen vor einem Auseinanderbrechen Europas, wenn es nicht gelingt, die innereuropäischen Ungleichgewichte auszugleichen, womit vor allem Deutschland am Zuge wäre.

In der W&E-Rubrik Materialien aus dem Herausgeber-Kreis kommt Elmar Altvater mit einem Beitrag zu Wort, der zeigt, wie vor allem deutsche Banken an der Staatsverschuldung im europäischen Mittelmeerraum profitieren. Unterdessen wächst der spekulative Druck auf dem Euro tatsächlich. Von den Finanzmärkten werden massive Leerverkäufe gemeldet, bei denen auf die Abwertung der europäischen Währung spekuliert wird. Die deutsche Bundesregierung ist daran nicht ganz unschuldig, hat sie diese Spekulationspraxis doch gerade erst wieder zugelassen.

20. Februar 2010

Tabubruch im Paradies

Auch über sieben Monate nach ihrem Erscheinen ist die Diskussion über meine Studie zur Debatte um Steueroasen in Luxemburg noch nicht beendet. Wenn ein Tabu nachhaltig gebrochen wurde, dann hier. In dieser Woche brachte die zweitgrößte Luxemburger Illustrierte ein Interview mit mir. Das Geheimtreffen zwischen den Finanzministern Deutschlands, Luxemburgs, der Schweiz und Liechtensteins, das letzten Sonntag im hiesigen Schloss Senningen stattfand, gab Spekulationen neuen Auftrieb, dass die Ära des Bankgeheimnisses schon bald zu Ende sein könnte. Hier ist das von der „Revue“ aus Platzgründen gekürzte Interview in voller Länge:

Revue: Ist Luxemburg nun eine Steueroase oder nicht?
Rainer Falk: Der Finanzplatz trägt zumindest Züge einer Steueroase, obwohl er sich von den klassischen Steuerparadiesen unterscheidet. Dafür sprechen Sonderrechte, die nicht ansässigen Ausländern und ausländischen Unternehmen eingeräumt werden. Das beginnt mit dem Bankgeheimnis und geht bis zu einem bestimmten Firmenrecht, das die Ansiedlung von Vermögensverwaltungsgesellschaften und anderen Finanzunternehmen zu lukrativen Bedingungen möglich macht. Die Übergänge zwischen Steuerwettbewerb und der Anlockung von Firmen wegen Steuervorteilen sind fließend.

Luxemburg ist nicht mehr auf der grauen Liste der Steueroasen, nachdem die Regierung Doppelbesteuerungsabkommen mit mehreren Staaten unterzeichnete.
Dies gilt aber nur im Rahmen der OECD-Standards. Doch diese Steueroasenliste und die Kriterien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sind, offen gesagt, ein Witz. Auch der Europäischen Kommission und dem Europaparlament reichen sie nicht mehr. Dass die Doppelbesteuerungsabkommen, die den Informationsaustausch auf Anfrage enthalten, nicht ausreichend sind, zeigt die Diskussion um die in Deutschland aufgetauchten CDs mit Daten mutmaßlicher Steuersünder. Diese Dateien bräuchten wir nicht, wenn wir einen automatischen Informationsaustausch hätten.

Ist die Vorgehensweise legitim, dass sich ein Staat CDs besorgt?
Der eigentliche Skandal ist, dass der Staat aufgrund der aktuellen Rechtslage gar nicht anders handeln kann, um seine Steuergelder einzutreiben. Wenn es dazu dient, den Druck auf die Steuerparadiese zu erhöhen und an legitime Einnahmen zu kommen, ist es durchaus gerechtfertigt.

In ihrer letzten Sommer vorgelegten Studie schätzen sie, dass Luxemburg in Entwicklungsländern Steuerausfälle von jährlich 2,5 Milliarden US-Dollar verursacht.
Weil das Bankgeheimnis in der alten Form bald der Vergangenheit angehört, wird versucht, aus Entwicklungs- und Schwellenländern Kapital anzulocken. Diese Länder sind vor allem deshalb interessant, weil im Verkehr mit ihnen das Bankgeheimnis noch länger gelten wird. Es sei denn, wir kommen global zu einem Steuerabkommen, was mehr Gerechtigkeit bringt.

Luxemburgs Entwicklungshilfe wird als mustergültig gepriesen.
Das bestreite ich auch gar nicht. Nur wird diese Vorreiterrolle in Frage gestellt, wenn das Land auf der einen Seite gibt und auf der anderen wieder nimmt. Deshalb brauchen wir eine neue Politik der internationalen Steuergerechtigkeit. Zusätzlich zu bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen brauchen wir multilaterale Lösungen, die ein gleiches Spielfeld für alle schaffen. Wenn Luxemburg bereit ist, seinen Partnern in der EU oder den USA Informationsrechte einzuräumen, dann müsste es auch bereit sein, dieselben Rechte auch den Entwicklungsländern einzuräumen und zum Beispiel dem nigerianischen Staat darüber Auskunft zu geben, was es mit den Millionen von Sani Abacha auf sich hat.

Das Geld des verstorbenen früheren nigerianischen Diktators liegt immer noch auf einer Bank in Luxemburg.
Ähnlich schwierig ist es in der Schweiz, wo das Geld ehemaliger Despoten wie zum Beispiel die Milliarden des früheren haitianischen Diktators Duvalier nicht freizukriegen sind. Hier braucht es nicht zuletzt mehr Transparenz.

Ihre Studie wurde heftig kritisiert. Der Bankenverband ABBL, Regierung und Medien warfen Ihnen vor, mit falschem Zahlenmaterial gearbeitet zu haben.
Ich verwendete in der Tat andere Statistiken als beispielsweise die ABBL und ging davon aus, was global an Offshore-Vermögen geschätzt wird. Luxemburg hat in diesem Bereich einen Marktanteil von 15 Prozent, was die letzte Luxemburg-Studie der OECD bestätigt. Die ABBL geht von den Erhebungen vor Ort aus und sagt, dass in Luxemburg weniger als 300 Milliarden Euro im Private Banking Sektor angelegt sind. Einen Beleg, der gegen meine Zahlen spricht, habe ich bislang nicht gesehen.

Der Cercle hat die Studie jedoch zurückgezogen.
Er hat die Studie in Auftrag gegeben und geriet nach der Veröffentlichung stark unter politischen Druck. Daraufhin knickte er ein. Eigentlich hätte der luxemburgische Staat «Mea Culpa» sagen und über einen Neuanfang in der internationalen Steuerpolitik nachdenken müssen. Das erfolgte jedoch nicht. Stattdessen ging und geht er nach dem Prinzip vor: erst einmal alles abstreiten, und Zugeständnisse erst machen, wenn es gar nicht mehr anders geht.

Haben Sie ein Tabu gebrochen?
Es war lange Zeit ein Tabu. Aber das Thema kann nicht mehr unter den Teppich gekehrt werden.


Übrigens: Beim Informellen Treffen der EU-Entwicklungsminister in dieser Woche in Spanien sagte die dort für Entwicklungspolitik zuständige Ministerin Soraya Rodriguez, die Wirtschaftskrise sei keine Entschuldigung für die Nichteinlösung des 0,7%-Ziels bei der Entwicklungshilfe. Dennoch müsse man zusätzliche Strategien entwickeln, um den armen Ländern zu mehr Einnahmen zu verhelfen, etwa den Kampf gegen den illegalen Abfluss von Kapital. Nach verschiedenen Studien des Europaparlaments und der norwegischen Regierung fließen für jeden Dollar, der die Dritte Welt als Entwicklungshilfe erreicht, acht bis zehn Dollar auf illegale Weise wieder ab. – Im Vergleich dazu war mein Vergleich der Luxemburger Entwicklungshilfe mit den Steuereinnahmeverlusten aufgrund der hierzulande angelegten und in ihren Herkunftsländern unversteuerten Gelder (1:4-5) geradezu bescheiden.

17. Februar 2010

Steuer gegen Armut - Jetzt international

Eine internationale Unterschriftenaktion qua Internet für die Einführung der Finanztransaktionssteuer (FTT) führen zivilgesellschaftliche Organisationen und Netzwerke aus der ganzen Welt durch. Mit der Aktion werden die G20 aufgefordert, bei ihrem nächsten Gipfel im Juni in Toronto eine Umsatzsteuer auf den Handel mit allen Finanzvermögen einzuführen. Über www.steuergegenarmut.de kann man sich an der Aktion mit wenigen Mausclicks beteiligen. Zu der Kampagne gehört auch das folgende Video mit Heike Makatsch und Jan Joseph Liefers.

12. Februar 2010

James Tobin wird Robin Hood

Es ist vielleicht kein Zufall, dass sich der britische Premierminister Gordon Brown einen Tag nach dem Startschuss für eine der massivsten Kampagnen für eine Finanztransaktionssteuer (>>> The Robin Hood Tax) von der Financial Times mit der Mitteilung zitieren lässt, man stehe kurz vor einer internationalen Einigung über die Einführung einer Bankenabgabe. Die Kampagne ruft die politischen Parteien in Großbritannien auf, eine globale Bankensteuer zu unterstützen, um die von der Krise verursachten menschlichen Schäden zu beheben, den heimischen öffentlichen Dienst zu schützen, die weltweite Armut zu bekämpfen und den Klimawandel zu finanzieren.

Unterstützt wird die Aktion von annähernd 50 Organisationen, darunter Oxfam, der britische Gewerkschaftsbund (TUC), ActionAid, die Heilsarmee und Save the Children. Hunderte Ökonomen und auch Professionelle aus dem Finanzsektor stehen hinter der Kampagne. Die „Robin-Hood-Steuer“ soll nicht auf Banktransaktionen mit normalen Bankkunden erhoben werden, sondern nur auf Transaktionen zwischen Finanzinstitutionen. Sie würde sich durchschnittlich auf 0,05% belaufen und mit einer Abgabe von gerade mal 5 Pence je 1000 gehandelte Pfund beginnen. Selbst mit so geringen Steuersätzen könnten angesichts des Umfangs der Finanztransaktionen pro Jahr Hunderte von Milliarden Dollar generiert werden. Experten schätzen, eine internationale Finanztransaktionssteuer (FTT) könnte bis zu 400 Mrd. Dollar im Jahr einbringen. Die Initiatoren würden eine globale Einführung der FTT für sinnvoll halten, plädieren aber dafür, in Europa und Großbritannien zu beginnen und dabei bereits existierende Besteuerungsansätze, wie die britische Börsensteuer („stamp duty“) auszuweiten.

Ankündigungen wie die von Gordon Brown machen die Robin-Hood-Kampagne keineswegs überflüssig. Denn es ist längst noch nicht ausgemacht, welches der derzeit diskutierten Abgabemodelle für Banken sich letztlich durchsetzen wird, wenn überhaupt. Neben der FTT ist auch die Besteuerung der Banker-Boni und eine Art Versicherungsmodell im Gespräch, in das die Banken ab einer bestimmten Größe Beiträge einzahlen (>>> W&E 02/2010). So wie es aussieht, bevorzugen Finanzlobbyisten im Notfall letzteres. Doch nur die Finanztransaktionssteuer würde Mittel in einer Größenordnung erbringen, die für die Bearbeitung der globalen Probleme wie Armut und Klima gebraucht werden und nicht nur die Kosten vergangener oder künftiger Rettungsaktionen für die Banken. Es wäre deshalb wünschenswert, dass das britische Kampagnen-Beispiel möglichst rasch in anderen Ländern viele Nachahmer findet.

Mehr dazu >>> www.robinhoodtax.org.uk

11. Februar 2010

Klimaschutz ist mehr als ein Klimagipfel

Der Koordinator des Forums Umwelt & Entwicklung will die Zahl der NGO-VertreterInnen auf Klimagipfeln auf weltweit 1000 oder 2000 begrenzen. Die anderen sollen zu Hause bleiben. Im Gastkommentar für unseren Blog erläutert er, warum.

Gastkommentar von Jürgen Maier

Kommen einmal mehr als 100 Staats- und Regierungschefs zusammen, gibt es normalerweise ein Ergebnis, das man zumindest gesichtswahrend als Erfolg verkaufen kann, selbst wenn es kaum Substanz hat. So war es beispielsweise beim Rio+5-Gipfel 1997 in Rio de Janeiro und bei Rio+10 in Johannesburg. Damit verglichen ist der dramatische Fehlschlag des Kopenhagener Klimagipfels eine Neuheit, mit dem auch die Nichtregierungsorganisationen (NGOs) nicht gerechnet hatten.

Die NGOs haben für Kopenhagen mobilisiert wie noch nie zuvor zu einem UN-Klimagipfel, und auch sie stehen jetzt mit leeren Händen da. Die konträren Interessenlagen der Hauptakteure – allen voran der beiden Emissionsweltmeister USA und China – scheinen so festgefügt, dass eine Bewegung in nächster Zeit kaum vorstellbar ist. Da die UN nur im Konsens beschließen können, reichte es noch nicht einmal zur Annahme des sog. Copenhagen Accord im Plenum. Dabei sah dieses weitgehend substanzlose Dokument vor, dass jeder Staat im Wesentlichen selbst bekannt geben kann, welche "Verpflichtungen" er übernimmt. Von Verhandlungen über gemeinsame Verpflichtungen bleibt so nichts mehr übrig, und die in diesem Text enthaltene Absichtserklärung, den Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen, ist wertlos, wenn nicht gesagt wird, wie das geschehen soll.

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als eine (selbst)kritische Strategiediskussion über den Stellenwert von UN-Verhandlungen zu führen, wenn wir unsere eigenen Erklärungen ernst nehmen, dass wirksamer Klimaschutz keinen Aufschub zulässt. Ist wirksamer nationaler Klimaschutz das Ergebnis eines halbwegs problemgerechten UN-Abkommens oder ist er vielmehr umgekehrt die Voraussetzung für so ein Abkommen? Kann wirksamer Klimaschutz wirklich im internationalen Konsens beschlossen werden, wenn er schon zu Hause immer gegen starke Widerstände durchgesetzt werden muss? Brauchen wir wirklich 25.000 NGO-VertreterInnen bei einem UN-Klimagipfel oder reichen für wirksame Lobbyarbeit auch 1.000 oder 2.000, während sich die anderen 23.000 mit ihrer jeweiligen fossilen Lobby vor Ort anlegen?

In der ersten Kopenhagen-Woche wurden in Deutschland drei Kohlekraftwerksprojekte gestoppt, weil Investoren angesichts des anhaltenden Widerstands von Bürgerinitiativen und NGOs aufgaben. Die eingesparten Jahresemissionen entsprechen den Kyoto-Verpflichtungen der drei Benelux-Staaten zusammen. Aber während es in der Klima-Allianz eine gut funktionierende Zusammenarbeit gegen Kohlekraftwerksprojekte gibt, bleibt die deutsche NGO-Szene deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück, wenn es um so klimawirksame Bereiche geht wie den fortgesetzten Straßenbau, die immer mehr verrottende Bahn, das Kaputtsparen des öffentlichen Nahverkehrs, aberwitzige Auto-Neukaufprämien, klimaschädliche Steuersubventionen, viel zu langsame energetische Gebäudesanierung, den schleppenden Netzausbau für erneuerbare Energien und so weiter. An diesen Fragen entscheidet sich, ob wir die Kurve zu umfassendem Klimaschutz kriegen oder nicht. Im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern hat Deutschland die Kyoto-Ziele schon erreicht – nicht zuletzt, weil öffentlicher Druck dafür gesorgt hat, dass Regierungen jedweder parteipolitischer Zusammensetzung am Klimaschutz nicht mehr vorbeikommen. Wollen wir aber über die für das Zwei-Grad-Ziel nicht ausreichenden Kyoto-Ziele hinaus, müssen wir mehr tun, als nur ein Kyoto-Folgeabkommen einzufordern. Auch wir haben nur begrenzte Ressourcen, und am Ende zählt das Ergebnis, nicht die gute Absicht.

Jürgen Maier ist Koordinator des Forums Umwelt & Entwicklung.

10. Februar 2010

Stiglitz: Nicht auf globale Lösung warten!

Auch dem Ökonomen Joseph Stiglitz (Foto) ist nicht verborgen geblieben, dass die Bankenlobby inzwischen zu den lautesten Rufern einer global koordinierten Lösung in Sachen Finanzmarktreform gehört. In einem Kommentar für die heutige Ausgabe der Financial Times schreibt er treffend:

„Das Insistieren auf einer solchen Koordination könnte ein Rezept zur Paralyse sein – genau das, was sich die Banker, die keine Regulierung wollen, wünschen. Es ist vielleicht kein Zufall, dass diese inzwischen die lautesten Rufer nach der Notwendigkeit globalen Handelns geworden sind.
Doch jedes Land ist für die Sicherheit und Stabilität seines eigenen Finanz- und Wirtschaftssystems und für den Schutz seiner Bürger selbst verantwortlich. Es dämmert den Politikern langsam – teilweise unter dem Druck ungeduldiger Wähler, dass wir nicht auf Koordination warten können. Es ist weit besser, jetzt konsequent zu handeln und die Regulierungsstrukturen dann zu harmonisieren. Das mag eine ‚Second-best‘-Lösung sein, ist aber weit besser als die drittbeste Alternative einer verzögerten und ineffektiven Regulierung. Es gibt sogar eine Möglichkeit des ‚Wettlaufs nach oben‘. Die US-WählerInnen mögen sehen, wie viel schärfer in Europa gegen die Boni vorgegangen wird.“

In der Tat könnte es sein, das die beste Lösung – etwa in Form eines neuen Bretton Woods so schnell nicht zu haben ist. Darin liegt der Wert solcher Vorstöße wie der Barack Obamas, gegen den die Wall Street derzeit Sturm läuft. Übrigens: Diese Gegenbewegung der Finanzwelt gegen die neuen Regulierungsvorschläge der US-Administration ist Thema der gerade erschienenen neue Ausgabe des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung (>>> W&E 02/Februar 2010).

8. Februar 2010

PIGS-Bashing

Das Bashing, also das Herumprügeln auf Sündenböcken, hat eine neue Subdisziplin: PIGS-Bashing. Die neue Abkürzung, die sich seit Ende letzter Woche in Umlauf befindet, steht für Portugal (P), Italien und Irland (I), Griechenland (G) und Spanien (S). Ein Schuft, der dabei an „Schweine“ denkt. Doch in der EU wird derzeit eine Stimmung der einseitigen Schuldzuweisung erzeugt, die den europäischen und von der Schuldenlast ohnehin geplagten Mittelmeerländern schwer zusetzt.

Dabei sind diese nicht nur mit der absurd-anmaßenden Praxis der Rating-Agenturen konfrontiert, deren Downgrading den staatlichen Schuldendienst der betreffenden Länder immer noch mehr erhöht. Im Gesamtzusammenhang betrachtet sind die Defizite der EU-Mitgliedsländer im Mittelmeerraum nur die Kehrseite der Überschüsse, die die sog. leistungsstarken Länder, vor allem Deutschland, angehäuft haben. Es handelt es sich also auch um ein Problem der Ungleichgewichte in der Europäischen Union, an deren Zustandekommen gerade Deutschland durch seine einseitige „Wettbewerbsbesessenheit“ (Krugman) kräftig mitgewirkt hat. Einseitig deshalb, weil das Konzept zumeist nur auf die Kostenreduzierung bezogen wurde, womit wiederum vor allem das Drücken von Löhnen und Gehältern gemeint war.

Diese etwas differenziertere und umfassendere Problemsicht auf die „PIGS-Krise“ wird übrigens inzwischen nicht nur von Linkskeynesianern wie dem Chefökonomen der UNCTAD, Heiner Flassbeck, geteilt. In der heutigen Ausgabe der Financial Times plädiert der Europa-Kolumnist Wolfgang Münchau dafür, die EU sollte ihren eigenen Ausweg aus der Krise ihrer südlichen Mitglieder finden und nicht einfach nach dem IWF rufen, wie in der letzten Woche die Herrschaften des neoliberalen Brüsseler Think Tanks Breugel. Und auch IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn hat dazu was zu sagen: Nicht jedes Land, meinte er auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum, könne sein Heil im Export suchen. Womit wir wieder beim Wettbewerbsverständnis des deutschen Exportweltmeisters wären.

5. Februar 2010

G7-Finanzminister: Bremsertruppe in arktischer Kälte

Diesmal war es nicht die Angst vor den sog. Globalisierungsgegnern, die die kanadische Regierung veranlasste, das G7-Finanzministertreffen an einem abgelegenen Ort abzuhalten. Vielmehr wollen die Kanadier vor allem den Europäern die Tradition des Robbenfangs und den Verzehr von Robbenfleisch vertraut machen – eine kleine Provokation, wenn man weiß, dass letzteres in der EU in diesem Jahr verboten werden soll. Daneben soll die unbeschreibliche Kälte am Tagungsort Iqaluit in der kanadischen Arktis dazu genutzt werden, die G7-Tradition der Kamingespräche wiederzubeleben. Formale Beschlüsse und ein Abschlusskommuniqué sind nicht vorgesehen. Dennoch findet das Treffen zu einem interessanten Zeitpunkt statt.

Während die Finanzlobbyisten ihren Widerstand gegen tiefgreifende Reformen des Weltfinanzsystems derzeit verschärfen, liegt der Zweck der G7-Gespräche heute und morgen darin, die Positionierung für den G20-Gipfel im Juni, der ebenfalls in Kanada stattfindet, vorzubereiten. Wohin die Reise gehen könnte, wurde zuletzt am Rande des Davoser Weltwirtschaftsforums deutlich. Zentral in der Strategie der Bremer ist derzeit, die Fragen der Regulierung und Reform der Finanzmärkte möglichst hinter verschlossenen Türen zu diskutieren, etwa in dem von der G20 geschaffenen Financial Stability Board (FSB) oder dem Baseler Bankenausschuss. Nachdem die Regierungen der USA, Frankreichs und auch Großbritanniens teils weitreichende Änderungen angekündigt haben, favorisieren zentrale Finanzmarktakteure nun plötzlich einen multilateralen Prozess – in der Hoffnung, dass dieser sich lange hinziehen und genug Gelegenheit geben wird, die Vorschläge zu verwässern.

In dieser Situation wären die Regierungen und ihre Finanzminister gut beraten, auf das Tempo zu drücken. Sie sollten, wie kurz vor dem Treffen in Iqaluit auch der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) erklärt hat, z.B. ihre Unterstützung für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und gegebenenfalls auch einer Versicherungsabgabe für den Bankensektor erklären und Hedge- und Beteiligungsfonds („private equity“) einer angemessenen regulatorischen Kontrolle unterstellen. Der FSB, der zum Thema Boni arbeitet, hat dazu ausgerechnet die Banken selbst konsultiert, ist aber zu keinen Konsultationen mit zivilgesellschaftlichen oder gewerkschaftlichen Organisationen bereit, wie der IGB beklagt.

Unklar ist derzeit auch, wie der FSB die G20-Entscheidungen gegenüber Steueroasen umzusetzen gedenkt, wie er minimale Transparenz- und Rechenschaftsstandard für Hedgefonds und Private-Equity-Firmen herstellen will oder welche Regulationen über die Anhebung der Rücklagevorschriften für Banken hinaus – ein Prozess, der Jahre dauern wird – vorgesehen sind. Es ist kaum zu erwarten, dass die Finanzminister oder gar die Notenbankchefs aus der Arktis Signale senden werden, wie sie dem Backlash der Banker entgegentreten wollen. Eher steht zu befürchten, dass sie wieder einmal selbst auf die Bremse treten werden.

4. Februar 2010

Wachstumswelt: Statistische Erholung, aber menschliche Rezession

Eine der wenigen bemerkenswerten Erkenntnisse, die auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum in der letzten Woche vorgetragen wurden, war die Feststellung von Lawrence Summers, dem wirtschaftspolitischen Chefberater von Präsident Obama, man habe es mit einer „statistischen Erholung“, aber mit einer „menschlichen Rezession“ zu tun, zumindest in den USA. Summers verwies u.a. darauf, dass in den USA heute einer von fünf Männern im Alter von 25-54 Jahren arbeitslos ist. Das ist ein Arbeitslosensatz von 20% in dieser Altersgruppe – im Gegensatz zu 5% in der Mitte der 1960er Jahre (>>> Transkript).

Was für die USA gilt, trifft in vielen Ländern des Südens erst Recht zu. Vielerorts steht heute, im Gefolge der globalen Krise, schon fest, dass die Millenium-Entwicklungsziele selbst im Falle der denkbar besten Szenarien nicht mehr erreicht werden können. Angesichts der im globalen Süden wieder um sich greifenden Verarmung und sozialen Verunsicherung in der Krise sind auch dort der Ausbau sozialer Sicherungssysteme und ein Neuansatz in der Armutsbekämpfung unverzichtbar. Das ist das Thema des gerade erschienenen W&E-Hintergrunds Februar 2010 (s. Abbildung), dessen AutorInnen an Hand unterschiedlicher Beispiele und auf unterschiedlichen Ebenen erläutern: Soziale Sicherung und Armutsbekämpfung sind umso erfolgreicher, wenn sie nicht nach dem Add-on-Prinzip auf bestehende Politiken aufgepfropft oder als Ersatz für die im Zuge von Deregulierung reduzierten staatlichen Sozialleistungen konzipiert werden, sondern integraler Bestandteil einer nachhaltigen Wirtschafts- und Entwicklungsstrategie sind.

Diese Orientierung steht auch hinter dem soeben erschienenen UN-Bericht über die soziale Entwicklung der Welt, der in diesem Jahr den Schwerpunkt „Rethingking Poverty“ hat. Und sie leitete auch die Fragestellungen eines Seminars des UN-Forschungsinstituts für soziale Entwicklung (UNRISD) im letzten November in Genf, dessen zusammenfassender Bericht mit den dort vorgelegten Papieren jetzt verfügbar ist. Natürlich gibt es nicht nur soziale, sondern auch ökologischen Schranken der reinen Wachstumswelt. Diese thematisiert die neueste Forschungsarbeit der Londoner New Economics Foundation (>>> Growth isn’t Possible. Why rich countries need a new economic direction). Viel Stoff zum Lesen, mal wieder.

TripleCrisis: Neuer Blog zur globalen Dreifach-Krise

Seit Anfang Februar wird die „Blogosphäre“ durch eine neue Plattform bereichert, den TripleCrisisBlog zur globalen Dreifach-Krise in den Bereichen Finanzen, Entwicklung und Umwelt. Der neue Blog startet mit Bloggern aus neun Ländern und wird getragen vom Global Development and Environment Institute (GDAE) an der Tufts University (USA), der Economic Research Foundation (ERF; Indien) und dem Nordamerika-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington. Geleitet wird die Initiative von Kevin P. Gallagher (GDAE) und Jayati Ghosh (ERF). Der „Baustellen“-Blog bekommt sozusagen einen großen Bruder im englischen Sprachraum.

„Krisen sind weder in der Weltwirtschaft noch in den Entwicklungsländern etwas Neues“, schreiben Gallagher und Gosh in ihrer einleitenden Begrüßung ihrer Community. „Und in der Tat ist unsere gegenwärtige Lage durch eine Konvergenz von mindestens drei Krisen gekennzeichnet: globale Finanzen, Entwicklung und Umwelt. Dies sind scheinbar getrennte Bereiche, stehen derzeit aber stark in Wechselwirkung miteinander und spiegeln zentrale strukturelle Ungleichgewichte wider, zwischen dem Finanzsystem und der Realökonomie, zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern, zwischen dem Wirtschaftssystem und dem Ökosystem der Erde.“ Der Blog soll eine offene und globale Debatte um diese drei Krisen und gemeinsame Lösungswege anstoßen.

Zu der Gruppe von Bloggern, die regelmäßig schreiben sollen, gehören neben Gallagher und Ghosh: Jeff Madrick, Sanjay Reddy, Mehdi Shefaeddin, Charles Abugre, Martin Khor, Alejandro Nadal, Matias Vernengo, Adil Najam, CP Chandrasekhar, Jim Boyce, Ilene Graebel, Gerhard Schick, Timothy A. Wise, Lyuba Zarsky, and Frank Ackerman. Wir begrüßen das neue Projekt, mit dem sich sicherlich zahlreiche Synergien und Möglichkeiten des Austauschs ergeben werden. Der TripleCrisisBlog kann >>> hier erreicht werden oder auch jederzeit über unsere Blogroll.

3. Februar 2010

Was ist eine Steuersünder-CD gegen eine Oase für Steuersünder?

Die Aufregung um den Ankauf der Steuersünder-CD in Deutschland verbirgt nur das Versagen der Politik im Kampf gegen Steueroasen. Die Existenz der CD belegt, dass die Schweiz nach wie vor den Status eines Schattenfinanzplatzes einnimmt, der systematische Anreize zur Steuer- und Kapitalflucht bietet, auch wenn das Land inzwischen von den Steuerparadieslisten der OECD gestrichen wurde. Deutlicher könnte nicht unter Beweis gestellt werden, wie wirkungslos die OECD-Kriterien sind.

Wie der ehemalige deutsche Finanzminister Eichel heute in einem Interview mit dem „Luxemburger Wort“ erklärt: „Deutschland weiß jetzt nicht nur, dass Schwarzgeld in der Schweiz lagert, sondern auch, dass sich die Schweiz entgegen ihrer Zusagen im vorigen Jahr sehr schwer tut, diesen Zustand zu ändern.“

Wie der Schattenfinanzplatz Schweiz selbst posthum Steuer- und Kapitalflüchtlinge schützt, zeigt auch der jüngste Beschluss des dortigen Bundesgerichts, die Gelder des haitianischen Ex-Diktators Duvalier an den Duvalier-Clan zurückzugeben. Über den Stand der juristischen Auseinandersetzung mit den Duvaliers berichtet die Aktion Finanzplatz Schweiz:

„Die Koalition von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ist über den Entscheid des Bundesgerichts, die Duvalier-Gelder seien an den Clan des Diktators zurückzugeben, äußerst enttäuscht. Die Koalition erwartet, dass die peinliche Rechtsunsicherheit, welche sich in der widersprüchlichen Rechtsprechung klar zeigt, mit dem neuen Gesetz zur Rückführung unrechtmäßiger Gelder bald behoben wird. Sie ist erfreut über die neuerliche Blockierung in letzter Sekunde.

Die Koalition von Nichtregierungsorganisationen, bestehend aus Aktion Finanzplatz Schweiz, Brot für Alle, Erklärung von Bern, Fastenopfer, Plate-Forme Haïti de Suisse (PFHS) und Transparency International Schweiz, ist enttäuscht und besorgt über den Entscheid. Die Erdbebenkatastrophe in Haiti hätte die Rückführung der Gelder umso dringlicher gemacht. Die bestehende Gesetzeslücke schadet sowohl innen- wie außenpolitisch dem Ansehen sowohl der Herkunftsländer als auch der Schweiz. Deshalb ist die Koalition erleichtert über den heute publizierten Entscheid des Bundesrates, die Gelder auf Grundlage der Verfassung erneut zu blockieren.

Die Koalition verfolgt die Beratungen über das neue Gesetz aufmerksam mit und wird insbesondere für die Garantie zivilgesellschaftlicher Kontrolle der Rückführung einstehen. Volle öffentliche Transparenz durch die Beteiligung der Zivilgesellschaft ist die unerlässliche Grundlage dafür, dass das Geld nicht in ein Netzwerk illegaler Selbstbereicherung zurückfließt oder in nicht vorhandene oder bereits abgeschlossene Projekte versickert. Dies hatte der Fall Abacha 2006 klar gezeigt.

Das Bundesgericht argumentiert in seinem Entscheid, die Korruptionsdelikte der Duvaliers seien verjährt, widerspricht jedoch nicht der kriminellen Herkunft der Duvalier-Gelder.

Am 24. August letzten Jahres reichte die liechtensteinische Brouilly-Stiftung beim Bundesgericht Beschwerde gegen das Urteil des Bundesstrafgerichts ein. Brouilly verwaltet den in der Schweiz blockierten Teil des Privatvermögens von „Baby Doc“ Jean-Claude Duvalier und seiner Mutter Simone. Das Bundesstrafgericht hatte zuvor die Verfügung des Bundesamtes für Justiz vom Februar 2009 bestätigt. Diese sah vor, dass das Geld zurückgeführt und für Entwicklungsprojekte verwendet werden soll.“

2. Februar 2010

Haitis Auslandsschulden: Wie geht es weiter?

Gastkommentar von Jürgen Kaiser

Als am 12. Januar das Erdbeben Haiti erschütterte und über 100.000 Menschen tötete, lag die "Entschuldung" des Halbinselstaates unter der HIPC-Initiative gerade mal ein halbes Jahr zurück. Am 1.7.2009 wurden Haiti 1,2 Mrd. US-Dollar Zahlungsverpflichtungen erlassen. Nach der Streichung verblieben aber immerhin noch Auslandsschulden im Umfang von 1,051 Mrd. US-Dollar (s. Tabelle).

Die Auslandsverschuldung ist nicht irgendeines von Haitis zahlreichen Problemen. Vielmehr stand die Belastung durch den Schuldendienst am Beginn der staatlichen Existenz. 1825 setzte die ehemalige Kolonialmacht Frankreich durch, dass ehemalige Plantagenbesitzer mit insgesamt 90 Mio. Goldfranken (nach heutigem Wert etwa 17 Mrd. €) entschädigt werden mussten. Schon zehn Jahre später musste Haiti erste Kredite in der Londoner City aufnehmen, um weiter an Frankreich zahlen zu können. Seinen Zahlungsverpflichtungen konnte das Land – wenn überhaupt – nur durch eine dramatische Überausbeutung der natürlichen Ressourcen nachkommen. Nach 200 Jahren erzwungener Weltmarktintegration sind Haitis Ökosysteme heute in einem beispiellosen Umfang zerstört.

Auf diesem Hintergrund hat die Befreiung von anhaltender und unbezahlbarer Auslandsverschuldung in Haiti einen noch höheren Stellenwert als in anderen armen Ländern. Umso bemerkenswerter war, dass der Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, am 20. Januar einen weitgehenden Schuldenerlass für Haiti ankündigte:

„Das Wichtigste ist, dass der IWF nun mit allen Gläubigern zusammenarbeitet, um sämtliche Schulden zu beseitigen, einschließlich unseres eigenen (neuen) Kredits. Wenn wir das schaffen – und ich bin sicher, dass wir es schaffen werden - wird selbst dieser Kredit sich in einen verlorenen Zuschuss verwandeln, denn dann werden alle Schulden gestrichen sein.“

Dieser Vorstoß ging über die von anderen Gläubigern rasch ausgesprochenen Moratorien für Haiti hinaus und zeigte die Bereitschaft, dem Land tatsächlich einen schuldenfreien Neuanfang zu ermöglichen. Weiter ging nur Venezuela, das die verbliebenen haitianischen Schulden für gestrichen erklärte. Auch Taiwan erklärte seine grundsätzliche Bereitschaft zum Verzicht.

Auf seiner regulären Sitzung am 27. Januar hätte das Exekutivdirektorium des IWF die Ankündigung des Direktors zumindest in einen Grundsatzbeschluss übersetzen müssen. Das ist nicht geschehen. Vielmehr hat der Vorstand 102 Mio US-Dollar Nothilfe, d.h. neue Schulden, bewilligt. Dass der Fonds die von den Medien und der internationalen Öffentlichkeit stark wahrgenommene und gelobte Initiative des Direktors einfach ignorieren würde, hat vor allem die überrascht, die Strauss-Kahn eigentlich für einen starken Direktor halten.

Die Option einer symbolkräftigen Entschuldung unter dem unmittelbaren Eindruck der Katastrophe steht jetzt nicht mehr auf der Tagesordnung. Die von den Gläubigern vielfach beschworene Betroffenheit der ganzen Welt hat für ein starkes Statement des IWF-Direktors gereicht. Für eine tatsächliche Schuldenstreichung unter Außerachtlassung der ohnehin fragwürdigen Regeln von HIPC/MDRI reichte sie nicht.

Die gute Nachricht dabei ist, dass Haiti, was Verschuldung angeht, Zeit gewonnen hat: Abgesehen von jeweils 900.000 US-Dollar auf seine IWF-Altschulden werden alle Schuldendienstzahlungen 2010/2011 absehbar gestrichen oder ausgesetzt. Und selbst für diese Zahlungen einen Sponsor unter den reichen IWF-Mitgliedern zu finden, dürfte nicht allzu schwierig sein.

Denkbar wäre auf diesem Hintergrund dann ein Verfahren, welches nach einem zinsfreien Moratorium eine Internationale Schuldenkonferenz unter dem Vorsitz der UNO einberuft. Diese würde - etwa im Januar 2012 - eine Bestandsaufnahme der haitianischen Zahlungsverpflichtungen vorlegen und verbindlich darüber befinden, welche Schulden gezahlt werden sollten und welche nicht. Das Ergebnis würde kaum von einer vollständigen Schuldenstreichung abweichen. Der Unterschied läge im Prinzip: Nicht die Gläubiger würden einsichtsvoll zugestehen, dass bestimmte Forderungen einfach nicht mehr eintreibbar sind. Vielmehr würde dann eine unparteiische Instanz darüber befinden, welche Schulden der Staat Haiti bezahlen kann und sollte, ohne seine Verpflichtungen gegenüber seinen Bürgern zu vernachlässigen.

Jürgen Kaiser ist Koordinator der Kampagne erlassjahr.de.