28. Juni 2010

Nach dem Toronto-Gipfel: Was bleibt? Wie weiter?

Jetzt da die Ergebnisse des jüngsten G20-Gipfels schwarz auf weiß vorliegen (siehe unsere fortlaufende Dokumentation), lässt sich sagen: Es gibt wenig zu berichten, was nicht bereits in der (vorab verfassten) G20-Analyse des aktuellen Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung (>>> W&E 06/2010; s. Abbildung) enthalten war. Einer dieser wenigen Punkte ist der Beschluss, eine G20-Arbeitsgruppe zum Thema Entwicklung ins Leben zu rufen. Diese soll bis zum nächsten G20-Gipfel am 11./12. November in Südkorea eine entwicklungspolitische Agenda und ein entsprechendes mehrjähriges Aktionsprogramm entwerfen.

Dieser Beschluss markiert eine weitere Verschiebung der Gewichte von der G8 zur G20. Neben den sicherheitspolitischen Themen war dem Klub der sieben alten Industrieländer und Russland zuletzt nur das Entwicklungsthema geblieben – ein Kuriosum, das die kanadische Präsidentschaft in Muskoka krampfhaft am Leben erhalten wollte. In Wirklichkeit endete der diesjährige G8-Gipfel in einer Blamage, die kaum größer hätte ausfallen können: Während die den Armen vor fünf Jahren in Gleneagles gegebenen Zusagen (u.a. Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe um 50 Mrd. Dollar bis 2010) stillschweigend aus dem Kommuniqué gestrichen und damit beerdigt wurden, hatten die meisten G8-Regierungen für die kanadische Ersatzinitiative (>>> Harpers Rohrkrepierer) nur ein paar Brotkrumen übrig. Schon in Seoul wird man sehen können, ob die G20 eine glücklichere Hand bei der Bearbeitung dieses Themas haben werden. Mit Formelkompromissen, wie man sie in Toronto für das Streitthema „Stimulus oder Konsolidierung“ gefunden hat, wird es hier nicht getan sein.

Ansonsten bestätigt die Toronto-Deklaration den starken Trend innerhalb der G20 zu Alleingängen nach dem Sinatra-Prinzip („I do it my way“). Das gilt für die Frage der Bankenabgabe und erst Recht für die Finanztransaktionssteuer. Für letztere wird man jetzt im europäischen Rahmen eine Plattform finden müssen. Auch das wird nicht möglich sein, ohne den gesellschaftlichen Druck auf die europäischen Regierungen noch einmal beträchtlich zu erhöhen.

Alle anderen Fragen der Finanzmarktreform wurden erst einmal auf den nächsten G20-Gipfel verschoben, wobei sich die Auseinandersetzung hier immer mehr auf das sog. Basel III konzentriert, d.h. die Frage, wie viel Rücklagen die Banken in Zukunft bilden müssen, um im Zweifelsfall Verluste in Folge gescheiterter Risikogeschäfte aufzufangen. Schon vor Toronto war klar, dass dies auf Druck der Finanzlobby wesentlich weniger sein wird als ursprünglich vorgesehen, und auch, was die Umsetzung der neuen Vorschriften betrifft, wird es ein abgestuftes „Phasing-in“ geben, also eine zeitliche Streckung der Realisierung.

Bemerkenswert ist vielleicht noch, dass die G20 in Toronto das Ziel, die sog. Doha-Runde im Rahmen der WTO noch in diesem Jahr abzuschließen, aufgegeben und den Trend zu regionalen und bilateralen Freihandelsabkommen jetzt auch offiziell bestätigt haben. Aber dies ist nur konsequent, wenn man bedenkt, dass die Doha-Runde seit zwei Jahren am Boden liegt, und auch die Aufrufe von Generaldirektor Pascal Lamy zu ihrer Wiederbelebung, wie sie in Toronto nochmal zu vernehmen waren, von niemandem mehr befolgt werden.

Alles in allem könnte man vielleicht sagen: Nach den großartigen Deklaration der G20 in Washington, London und Pittsburgh hat in Toronto der Alltag begonnen. Und hier zeigt sich: Auch ein vergrößertes und repräsentativeres Steuerungsgremium der Weltwirtschaft kann letztlich nur so gut sein wie die darin vertretenen Regierungen…

>>> Nicht nur auf das Format kommt es an
>>> G20/G8 in Kanada: Eine fortlaufende Dokumentation

27. Juni 2010

Medien-Apartheid in Toronto

Die konservative kanadische Regierung unter Premierminister Harper hat die zivilgesellschaftlichen Organisationen – NGOs, Gewerkschaften, Studentenverbände, Blogger und alle anderen kritischen Stimmen – in ein “alternatives Medienzentrum” verbannt, um sie von den über 2000 Medienvertretern, die in Toronto zu den Gipfeln akkreditiert sind, zu isolieren. „Medien-Apartheid“ nennt das Kumi Naidoo, der Kovorsitzende der weltweiten Aktion gegen Armut (GCAP) und Exekutivdirektor von Greenpeace International. Kein G8-Gipfel in der jüngsten Zeit habe unabhängige und kritische Stimmen so stark eingeschränkt wie Kanada hier in Toronto. Dies sei umso verwerflicher als Harper zugleich einen „Business 20“ (B20) mit Spitzenvertretern der Wirtschaft um sich geschart habe.

Bei den letzten G8-Gipfel, darunter in Großbritannien, Russland, Japan, Deutschland und Italien, hatten NGO-Vertreter keine Probleme, an Medienausweise zu kommen, die Zugang zu den Medienzentren verschaffen. In Toronto ist das „alternative Medienzentrum“ jetzt durch einen 12 Fuß hohen Zaum von den Journalisten getrennt. Nur einige NGOs schafften es bis in die offizielle Pressehalle. Gegen die Restriktionen haben folgende Gruppen protestiert: Make Poverty History/At the Table, Canadian Federation of Students, GCAP South Africa, Global Call to Action Against Poverty (GCAP), Greenpeace International, Oil Change International, Oxfam, Global Health Council, WWF International, Actionaid, Climate Action Newtork/Reseau Action Climat Canada und Halifax Initiative.

26. Juni 2010

Proteste zum Auftakt in Toronto

G8/G20: Muskoka-Initiative als Harpers Rohrkrepierer

“Recovery and new beginnings” – „Erholung und Neubeginn“ lautet das Motto des gastgebenden kanadischen Premierministers Stephen Harpers für das G8- und G20-Treffen an diesem Wochenende. Doch schon der G8-Gipfel im idyllischen Huntsville 200 km nördlich von Toronto begann mit einem Rohrkrepierer: Die sog. Muskoka-Initiative sollte einen kraftvollen Beitrag der G8 zu einer neuen entwicklungspolitischen Initiative leisten, vor allem aber die Leadership des Kanadiers unterstreichen, erweist sich aber als Scheininitiative der besonderen Art.

An sich wäre nichts dagegen einzuwenden, mehr Geld bei den G8-Staaten einzusammeln, um die Mütter- und Kindersterblichkeit vor allem in Afrika zu senken. Doch als einziger konnte Gastgeber Kanada mit 1,1 Mrd. Dollar einen passablen Beitrag zusagen. Die USA kündigten immerhin noch eine vergleichbar hohe Summe an. Insgesamt brachten es die G8 in Muskoka allerdings lediglich auf 5 Mrd. US-Dollar, wobei viele Regierungen, darunter die deutsche, konkrete Festlegungen verweigerten – die Vereinten Nationen veranschlagten immerhin 30 Mrd. Dollar, um die Mütter- und Kindergesundheit durchgreifend zu verbessern. Die „Leadership“ des konservativen Kanadiers versagte also schon im G8-Rahmen.

Skandalöser noch als die jüngste Scheininitiative der G8 selbst ist die Tatsache, dass die Industrieländer zu ihrer Selbstverpflichtung von 2005 in Gleneagles, die Entwicklungshilfe bis 2010 um 50 Mrd. Dollar anzuheben, nichts mehr wissen wollen. Statt solch konkreter Zusagen kommt man lieber jedes Jahr mit einer neuen, schlagzeilenträchtigen Symbolaktion: Letztes Jahr in Italien war es das Ernährungsthema, in diesem Jahr in Kanada ist es die Mütter- und Kindersterblichkeit. Wenn aber die Entwicklungshilfezahlungen stagnieren, wird das Geld immer nur hin- und hergeschoben.

25. Juni 2010

Alles nur global? Die USA machen’s anders

Es ist schlicht falsch, dass alles – von der Finanzmarktregulierung über die Finanztransaktionssteuer und die Bankenabgabe bis zum Verbot bestimmter Geschäftspraktiken – nur global geht, wie eine sattsam bekannte Ausrede von Politikern lautet. Die USA haben es heute wieder einmal vorgemacht, indem sich ihr Kongress auf die wichtigste Finanzmarktreform seit den 1930er Jahren einigte. Zwar wurde das Gesetz, das jetzt noch einmal von beiden Häusern abgestimmt werden muss, in manchen Punkten verwässert. Aber nach den Worten des Vorsitzenden des gemeinsamen Ausschusses für Finanzdienstleistungen, Barney Frank, ist es stärker, als alle, darunter er selbst, erwartet hatten. Und die Einigung kommt gerade rechtzeitig, um neuen Schwung in ein Topthema des G20-Gipfels zu bringen.

Umstritten war bis zum Schluss vor allem die sog. Volcker Rule, die jetzt folgendermaßen „neu gefasst“ wird: Erstens wird den Banken der sog. Eigenhandel, d.h. die Spekulation mit Kundeneinlagen auf eigene Rechnung ohne deren Auftrag, strikt untersagt. Weniger strikt freilich wird (zweitens) die Trennung zwischen Geschäfts- und Investmentbanking gehandhabt. Die Banken dürfen weiterhin 3% ihres Kernkapitals in Hedge- und Private Equity-Fonds investieren, was von der Wall Street umgehend positiv registriert wurde. Für die Citigroup bedeutet das beispielsweise, dass weiterhin 3,5 Mrd. Dollar in diese Art von Geschäften fließen kann (im Vergleich zu rund 5 Mrd. Dollar bislang). Ein Großteil des Derivate-Handels ist den Banken weiterhin gestattet; institutionell abgespalten werden müssen allerdings Kontrakte auf landwirtschaftliche Produkte, Energie und Metalle.

Eine kleine Überraschung der letzten Verhandlungen in der Nacht vom Donnerstag auf Freitag war, dass Banken und Hedge-Fonds jetzt auch zu einer finanziellen Abgabe bis zu 19 Mrd. Dollar verpflichtet werden, um die Kosten der Finanzmarktreform zu finanzieren. Das ist zwar noch nicht die von Obama geforderte Bankenabgabe von 90 Mrd. Dollar, um die Kosten der Krise zu finanzieren, aber immerhin ein Anfang. Wie überhaupt: Bei allen Schwächen des neuen US-Finanzmarktgesetzes – es zeigt, dass es geht – auch im nationalen Rahmen – wenn der politische Wille vorhanden ist, der Finanzmarktlobby über die Mobilisierung der Öffentlichkeit Paroli zu bieten. Also doch noch ein positives Signal zum Auftakt des Gipfelwochenendes in Kanada.

Lesen Sie auch >>> G20/G8 in Kanada. Eine fortlaufende Dokumentation, täglich aktualisiert

24. Juni 2010

Ach, G8! Überlebte Rituale

Ach ja, das hätte ich fast vergessen. Da findet ja vor dem G20-Gipfel in Toronto noch der diesjährige G8 statt, und zwar am 25./26. Juni in Huntsville in der Region Muskoka. Aber macht nichts. Dank der Zeitverschiebung reicht es noch für einen kurzen Vorbericht. Die offizielle Website gibt allerdings inhaltlich kaum etwas her, außer dass sich die G8 in diesem Jahr neben Friedens- und Sicherheitsfragen auf Probleme der internationalen Entwicklung konzentrieren wollen. Genannt werden: Gesundheit von Müttern und Kindern, Afrika und Ernährungssicherheit. Das erste Thema ist neu, die beiden anderen klingen wie eine Fortsetzung des Berlusconi-Gipfels vom letzten Jahr. Überhaupt: Die einzige Begründung für den G8-Gipfel dieses Jahr lautet wie letztes Jahr: Er soll die „Leadership“ des gastgebenden Landes in globalen Fragen demonstrieren.

Da lobe ich mir doch die Leute von der arrivierten Brookings Institution in Washington. In einem lesenswerten Report über die Rolle der G20 in der Weltwirtschaft schreiben beispielsweise Colin Bradford und Johannes Linn: „It’s time to drop the G8!“ Homi Kharas meint, der „Ball der Entwicklung“ sollte schleunigst an die G20 abgegeben werden. Als gelte es, dies zu verhindern, haben die G8 dieses Jahr erstmals einen Rechenschaftsbericht über die Umsetzung der Versprechen, die vor fünf Jahren in Gleneagles gemacht wurden, vorgelegt. Einige NGOs wie ONE und VENRO haben diesen Bericht begrüßt, teilweise jedoch bemängelt, dass er zu unkonkret ist, keine Zeitziele aufweist und die Zivilgesellschaft nicht einbezieht.

Spätestens seit dem Aufstieg der G20 zum weltwirtschaftlichen Governance-Zentrum gilt jedoch, dass sich die G8 kaum noch eignen als Projektionsfläche für zivilgesellschaftliche Wünsche und Begehrlichkeiten. Die NGOs sollten sich deshalb fragen, ob sie einfach so weitermachen können wie bisher. Zwar kommt es nicht nur auf das Format an, und auch die G20 kann nur so gut sein wie ihre Mitgliedsregierungen. Doch ganz unwichtig ist dies auch nicht: Während die G8 überlebte Rituale abhält (in die sich die NGOs nicht mehr einbinden lassen sollten), ist das letzte Wort in Sachen G20 noch nicht gesprochen. Es ist z.B. an der Zeit, Afrika eine Stimme in der G20 einzuräumen, wie in dem erwähnten Bericht gefordert wird. Das wäre zehnmal wichtiger als das Window-Dressing, das die Kanadier diesmal erneut veranstalten, indem sie sieben afrikanischen Staatschefs an den Katzentisch der G8 einladen.

* Lesen Sie auch >>> G20/G8 in Kanada. Eine fortlaufende Dokumentation, täglich aktualisiert

Show-down vor Toronto: Wachstum oder Konsolidierung oder beides?

Es ist normal, dass sich die Beteiligten vor einem Gipfel positionieren. Doch einen so heftigen öffentlichen Schlagabtausch wie im Vorfeld dieses G20-Gipfels hat es selten gegeben. Es begann mit einem Brief Obamas an die Gipfelkollegen, in dem davor gewarnt wurde, in Missachtung historischer Lehren Konjunkturpakete zu schnell zurückzuziehen und so den höchst fragilen Aufschwung abzuwürgen. Es folgte ein Brief von Sarkozy und Merkel und später ein Brief der EU, in denen die europäischen Konsolidierungsbemühungen verteidigt wurden, zugleich aber auch die Forderung nach einer globalen Einführung einer Finanztransaktionssteuer und nach einer international koordinierten Bankenabgabe erhoben wurde. Der kanadische Gastgeber griff seinerseits in einem Brief an die Gipfelteilnehmer das umstrittene Thema der Fiskalpolitik auf und schlug vor, man solle beschließen, die Haushaltsdefizite bis 2013 mindestens zu halbieren und die Staatsverschuldung bis 2016 zu stabilisieren oder zurückzuführen – nach Ansicht vor allem deutscher Regierungspolitiker längst nicht ehrgeizig genug.



Der Streit um die Sparpolitik wirft vor allem die Frage auf, in welcher Welt die deutschen Politiker eigentlich leben. Da warnt Merkel vor einem „aufgeblähten Wachstum“, als hätten wir schon längst wieder eine überhitzte Hochkonjunktur. Da pocht Schäuble darauf, die Europäer seien zu Recht „mit den Implikationen exzessiver Defizite und der Gefahr hoher Inflation beschäftigt“. Welche Inflation bitte? Selbst ein Falke wie der EZB-Vize Jürgen Stark räumte dieser Tage ein, dass es auf absehbare Zeit im Euroraum kein Inflationsproblem gäbe. Und die gestiegene Staatsverschuldung ist ja nicht nur auf die Konjunkturpakete zurückzuführen, sondern auch darauf, dass den Staaten in der Rezession die Einnahmen weggebrochen sind.

Es verwundert nicht, dass der Nobelpreisträger Paul Krugman den Berliner Hausfrauen-Ökonomen widerspricht und sagt, dass jetzt keine Zeit sei, um Defizite zurückzuführen. Inzwischen sagt aber auch Finanzmagnat George Soros unumwunden, es müsse etwa „grundlegend falsch“ sein an der deutschen Haltung zur Europäischen Union. „Durch sein Insistieren auf pro-zyklischer Politik, gefährdet Deutschland die EU“, so Soros in seiner Vorlesung in der Berliner Humboldt-Universität.

Nach den jüngsten Meldungen dürfte auf dem Gipfel das bewährte Mittel des Formelkompromisses zur Anwendung kommen, um das Finale des Show-downs in Toronto selbst zu verhindern. Einem inzwischen an die Öffentlichkeit gelangten Entwurf des Kommuniqués zufolge, soll dort davor gewarnt werden, den Aufschwung der Weltwirtschaft bereits für eine ausgemachte Sache zu halten, und zugleich soll betont werden, dass die hohen Kosten auch eine Belastung für das langfristige Wachstum darstellen können. Das passt dann auch wieder zur Position der US-Regierung: „Wir müssen die Entschlossenheit zur Reduzierung langfristiger Defizite demonstrieren, aber nicht auf Kosten des Kosten des kurzfristigen Wachstums“, schrieben US-Finanzminister Geithner und Obama-Berater Summers im Wall Street Journal.

21. Juni 2010

G20: Gewerkschaft und UNICEF warnen vor erneuter Rezession

Die internationale Gewerkschaftsbewegung hat die G20 vor den Konsequenzen der verfrühten Sparmaßnahmen gewarnt. Die Weltwirtschaft könne in eine weltweite Rezession zurückfallen. Ohnehin steckten viele Ökonomien nach wie vor in der tiefsten Beschäftigungskrise seit der Großen Rezession. Der Aufschwung sei schwach, zerbrechlich und nicht ausgewogen. Der Internationale Gewerkschaftsbund (ITUC) ruft deshalb in einer Botschaft an die G20-Regierungen dazu auf, das beim Pittsburgh-Gipfel gemachte Versprechen, „qualitativ hochwertige Beschäftigung in den Mittelpunkt des Wirtschaftsaufschwungs zu stellen“ einzuhalten und sich kurzfristig auf die Schaffung von Arbeitsplätzen zu konzentrieren, damit die Erholung beibehalten und die öffentlichen Defizite mittelfristig gesenkt werden können.

Außerdem wird in der Botschaft betont, dass sich die Staats- und Regierungschefs in Toronto dringend auf einkommenssteigernde Maßnahmen konzentrieren und sich auf Sofortmaßnahmen zur Umsetzung einer Finanztransaktionssteuer als Mittel zur Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs einigen müssen. Darüber hinaus fordern die Gewerkschaften die Staats- und Regierungschefs der kurz vor den G20 tagenden G8 auf, ihre Entwicklungshilfeversprechen einzuhalten und einen Aktionsplan zur Erreichung der MDGs zu verabschieden.

Die Befürchtung, die Kehrtwende der G20 von der Konjunkturstimulierung zur Haushaltkonsolidierung könnte die einsetzende wirtschaftliche Erholung abwürgen, teilt auch das Kinderhilfswerk UNICEF. In einer Kurzstudie auf der Basis von 96 IWF-Länderberichten stellten die UNICEF-Experten kürzlich fest, dass rund 40% der betreffenden Regierungen Haushaltkürzungen bereits für 2010/2011 beschlossen haben. Darunter befinden sich auch diverse Regierungen im Süden. Gerade die Entwicklungsländer, besonders die Schwellenländer-Ökonomien, führen die derzeitige Erholung der Weltwirtschaft an. Der G20-Gipfel tagt am kommenden Wochenende in Toronto (>>> G20: Nicht nur auf das Format kommt es an).

17. Juni 2010

Millennium-Entwicklungsziele: Blamable Defizite

Mit dem für September geplanten MDG-Gipfel in New York nimmt auch in der deutschen Politik das Interesse an der Umsetzung der international vereinbarten Entwicklungsziele wieder zu. So berät der Bundestag heute diverse MDG-Anträge der Opposition (17/2018, 17/2024). Kritisch hatten sich gestern Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, der Vereinten Nationen und der Industrie in einer öffentlichen Anhörung des Entwicklungsausschusses zu den Chancen, die MDGs bis 2015 erreichen zu können, geäußert.

Die Ziele drohten weitgehend nicht erreicht zu werden, sagte etwa Renate Bähr von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung. Der UN-Diplomat Thomas Stelzer bezeichnete die Bilanz als „geteilt“. Negative Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise seien zum Teil noch nicht absehbar. Zur Frage der Abgeordneten, ob die MDGs noch erreichbar seien, meinte er: ”Yes we can – unter bestimmten Bedingungen.“ Mit den gemachten Erfahrungen sei es möglich, mit besserer Effizienz „die verbleibenden fünf Jahre zu nutzen“. Klaus Seitz von „Brot für die Welt“ bezweifelte, dass eine Halbierung des Hungers bis 2015 noch zu erreichen sei. Er wies darauf hin, dass auch Erwerbstätige häufig unter der Armutsgrenze lebten. Angesichts der verbleibenden Zeit forderte Seitz von der Bundesregierung einen „konkreten Aktionsplan und die volle Bereitstellung der zugesicherten Mittel“.

Antje Schultheis vom Global Policy Forum Europe kritisierte, Deutschland zeige angesichts der Tatsache, dass für 2010 ein Anteil von 0,51% des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit angepeilt war, wahrscheinlich aber nur 0,40% erreicht würden, „ein blamables Defizit“. Schultheis ist zugleich Lead-Autorin des ersten Teils einer neuen Sonderserie des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung, die in diesen Tagen beginnt (s. Abb.). Assibi Napoe, Vorsitzende der Global Campaign for Education, bemängelte vor allem große Finanzierungslücken im Bildungsbereich, die alle anderen MDGs gefährdeten.

Interessant einige Reaktionen der Politiker: Die Parlamentarische Staatssekretärin im BMZ Gudrun Kopp (FDP) sagte, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu den von Deutschland gemachten finanziellen Zusagen stehe. Die CDU/CSU-Fraktion merkte demgegenüber an, dass angesichts der derzeitigen Haushaltslage Forderungen nach mehr Geld nicht immer umsetzbar seien. Angesichts des Problems der „Working Poor“ betonte die SPD-Fraktion die Notwendigkeit, neben Beschäftigung auch funktionierende soziale Sicherungssysteme zu schaffen. Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke wiesen darauf hin, dass Armutsbekämpfung nicht primär durch Förderung der Privatwirtschaft erreicht werden könne und Entwicklungspolitik sich vor allem an den Bedürfnissen der Ärmsten orientieren müsse. Im Vorfeld der Anhörung hatten die Mitglieder des Unterausschuss des Auswärtigen Ausschusses „Vereinte Nationen, internationale Organisationen und Globalisierung“ fraktionsübergreifend mehr politisches Engagement für die Umsetzung der MDGs eingefordert.

15. Juni 2010

Basel III: Banken laufen Sturm

Bislang schien es so, als sei die Erhöhung der Eigenkapital-Rücklagevorschriften der Banken einer der wenigen Elemente einer Finanzmarktreform, über die im Rahmen der G20 Konsens herrscht. Das Prinzip folgt der Logik, dass größere Risiken mit mehr Kapital unterlegt werden müssen. Und seit einiger Zeit arbeitet der Baseler Bankenausschuss an einer Konkretisierung der „Basel III“ genannten neuen Bestimmungen. Doch jetzt läuft die Finanzindustrie auch gegen eine schärfere Regulierung auf diesem Gebiet Sturm.

In der letzten Woche kam das Institute for International Finance (IIF) anlässlich seiner Jahrestagung in Wien mit einer Studie heraus, in der vor einer Reduzierung des Wachstums in den Industrieländern gewarnt wird, falls die Rücklagevorschriften zu hoch ausfallen. Das IIF (Vorsitz: Josef Ackermann) ist das zentrale internationale Lobbyinstrument der Finanzindustrie. Der deutsche Unternehmerverband BDI und die französische Industriellenvereinigung Medef schlossen sich den Angriffen gegen Basel III umgehend an. Aber nicht nur deshalb ist die Warnung (oder sollte man sagen: Drohung) leicht durchschaubar, die Banken würden in diesem Falle weniger Kredite an die Privatwirtschaft ausreichen bzw. die höheren Kosten an die Kunden weitergeben. Das Gespenst einer neuen Kreditklemme macht sich umso besser in Zeiten, in denen die Hinweise auf einen erneuten Rückfall in die Rezession wieder stärker werden.

Die Finanzpolitik und Vertreter von Regulierungsbehörden sollten sich freilich nicht ins Bockshorn jagen lassen. Die Verteuerung risikoreicher Finanzmarktgeschäfte ist ja gerade der Sinn verschärfter Rücklagevorschriften. Wie die Debatte um eine Bankenabgabe und die Finanztransaktionssteuer – und jetzt auch um Basel III – sehr deutlich zeigt, werden die Banken unter Einsatz ihrer mächtigen Lobbyinstrument alles versuchen, um höhere Kosten im Zuge der Reregulierung der Finanzmärkte abzuwehren. Vielleicht hat der neue Sturmlauf gegen höhere Kapitalrücklagen so auch sein Gutes, indem er deutlich macht: Nicht das Ringen um die beste Regulierung der Märkte steht im Mittelpunkt ihres Strebens, sondern schlicht die Jagd nach dem schnöden Mammon.

7. Juni 2010

G20-Finanzminister in Busan: Der Rückschlag

Als „Rückschlag für die G20“ hat der Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes (ITUC) Guy Ryder das Treffen der Finanzminister in Busan/Südkorea am vergangenen Wochenende qualifiziert. Entgegen ihrer eigenen Behauptungen hätte das Treffen nichts für die weitere Erholung der Weltwirtschaft und die Abwehr anhaltender Risiken gebracht. Vielmehr „riskieren ihre Entscheidungen, die weltwirtschaftliche Erholung zu untergraben, und sind ein Fehlschlag, was die Reregulierung der Finanzmärkte betrifft“, so Ryder.

Die Botschaft des Treffens in Bezug auf die internationale Konjunkturpolitik besteht in der Abkehr von der G20-Position im April, als die Finanzminister noch vor einem verfrühten Rückzug der Konjunkturpakete gewarnt haben. In Busan lag der Fokus demgegenüber auf einer „Beschleunigung der Haushaltskonsolidierung“. In Bezug auf die Finanzmarktreform konnten sich die Finanzminister nicht einmal auf Prinzipien zur internationalen Besteuerung der Banken einigen, wie sie der IWF vorgeschlagen hatte. Mit ihren Beschlüssen (siehe vorherigen Eintrag) nehmen die G20 die Gefahr in Kauf, die Weltwirtschaft in die Rezession zurückzustoßen, so der repräsentativste internationale gewerkschaftliche Dachverband.

6. Juni 2010

Busan: Globale Bankenabgabe adé, Konjunkturstimulus passé

Die G20-Finanzminister haben auf ihrem Treffen in Busan/Südkorea keine Übereinkunft zur Einführung einer globalen Bankenabgabe oder Finanzmarktsteuer erzielt. Stattdessen heißt es in ihrem Kommuniqué, die Minister

„agreed the financial sector should make a fair and substantial contribution towards paying for any burdens associated with government interventions, where they occur, to repair the banking system or fund resolution. To that end, recognizing that there is a range of policy approaches, we agreed to develop principles reflecting the need to protect taxpayers, reduce risks from the financial system, protect the flow of credit in good times and bad, taking into account individual country’s circumstances and options, and helping promote level playing field. The IMF will deliver their final report at the Toronto Summit.”

Das sind Worte, aus denen Texte gemacht werden, die eine Diskussion über ein gemeinsames Vorgehen beenden sollen, indem „die Umstände und Optionen jedes einzelnen Landes in Rechnung gestellt“ werden. Obwohl sich damit die Opponenten gegen jedwede Heranziehung der Finanzindustrie zur Bewältigung der Krisenkosten (wie Kanada, Australien und Brasilien) durchgesetzt haben, heißt das nicht, dass das Thema überhaupt aus der Welt ist. Einzelne Länder, wie die USA, Großbritannien und auch Deutschland werden ihre individuell auf den Weg gebrachten Projekte für eine (meist unzureichend hohe) Bankenabgabe sicher weiter verfolgen. Vor allem aber dürfte jetzt eines klar sein: Für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer bleibt definitiv nur der Weg, erst einmal im Alleingang Europas oder der Eurozone damit zu beginnen. Dies gilt selbst dann, wenn die für den G20-Gipfel in Toronto angekündigte Endfassung der IWF-Studie zu diesem Thema noch einmal etwas weiter als im letzten April gehen sollte (>>> Bankenabgabe versus Finanztransaktionssteuer).

Gravierender als die ohnehin bekannte Uneinigkeit der G20 in Sachen Bankenbeteiligung dürfte jedoch sein, dass in Busan das Pendel vom Plädoyer für Konjunkturpakete hin zur Haushaltskonsolidierung und Sparpolitik geschwenkt ist. In der Sprache des Kommuniqués:

“The recent events highlight the importance of sustainable public finances and the need for our countries to put in place credible, growth-friendly measures, to deliver fiscal sustainability, differentiated for and tailored to national circumstances. Those countries with serious fiscal challenges need to accelerate the pace of consolidation.”

Ob dies den Auftakt zu einer neuen Abwärtsspirale oder einer zweiten Rezession (“double-dip”) sein wird, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht unbedingt sagen. Die Gefahr ist jedoch zweifelsohne größer geworden. In Bezug auf die G20 selbst aber lässt sich spätestens jetzt zweifelsfrei sagen: Auch eine gegenüber dem G8-Modell verbesserte Global-Governance-Struktur bringt wenig, wenn damit nicht ein inhaltlicher Politikwechsel eingeleitet wird, der die Rezepte der Vergangenheit über den Haufen wirft.

4. Juni 2010

Kanadische Scheinalternative für den Verschiebebahnhof

Jetzt haben die Kanadier also eine „Alternative“ zur Finanztransaktionssteuer und zur Bankenabgabe überhaupt präsentiert: „Embedded contingent capital“ heißt der Vorschlag, unter dem die Banken einen Kapitalpuffer für schlechte Zeiten einrichten sollen, den sie notfalls zur Krisenbewältigung einsetzen können. Wenn man von einigen Details absieht (so sollen die Banken jetzt Wertpapiere kaufen, die sie in Krisenzeiten in Aktien, also haftendes Eigenkapital umwandeln können), handelt es sich um nichts anderes als um eine Variante der ohnehin diskutierten Erhöhung der Kapitalrücklage-Vorschriften („Basel III“).

Der Treppenwitz der Geschichte der Finanzmarktregulierung ist nur, dass derzeit in der Hafenstadt Busan (s. Foto) diskutiert wird, wegen der Meinungsverschiedenheiten unter den G20-Ländern über die Reichweite der Regulierungsvorschläge alle diese Maßnahmen auf später zu vertagen. Das betrifft Basel III, das ursprünglich bis 2012 eingeführt werden sollte und jetzt auf 2014 oder sogar 2016 verschoben werden soll. Das betrifft auch die Debatte über Finanzmarktsteuern und Bankabgaben. Allenfalls geringe Bankabgaben nach dem deutschen Muster könnten die anderen G20-Länder tolerieren, weil für so niedrige Abgaben ohnehin keine internationale Koordinierung nötig ist.

Es zeichnete sich schon seit ein paar Wochen ab, dass der G20-Gipfel in Toronto wegen der Rolle des kanadischen Gastgebers nur ein kleines Zwischenspiel sein würde und frühestens im November in Seoul ernsthaftere Beschlüsse erwartet werden könnten. Jetzt scheint es aber so zu sein, dass die für nächste Woche geplante massive Lobby-Kampagne der Finanzindustrie gegen eine striktere Regulierung schon im Vorhinein Erfolg haben wird. Sobald die definitiven Ergebnisse des Finanzministertreffens in Busan vorliegen, werden wir mehr wissen.

3. Juni 2010

G20-Finanzminister in Busan: Gegensätze und Dilemmata

Die meisten NGOs erwarten von der Bundesregierung auf dem G20-Finanzminister-Treffen an diesem Freitag/Samstag in der südkoreanischen Hafenstadt Busan eine starke Positionierung zum Thema Finanzmarktsteuer. Zusätzlich wird – vor allem von der erlassjahr.de-Kampagne – gefordert, dass endlich Beschlüsse zur Einführung einer internationalen Insolvenzregelung für Staaten gefasst werden sollen. Doch wahrscheinlich wird es Fortschritte in puncto Finanzregulierung weder in der einen noch in der anderen Richtung geben. Dies liegt nicht nur daran, dass einige wichtige G20-Länder wie Kanada und Australien, aber auch Japan und Brasilien eine wirkliche Belastung der Banken gar nicht wollen.

Was als Vorbereitungsveranstaltung für den Ende des Monats in Toronto stattfindenden, kombinierten G8/G20-Gipfel (mit konkreten Beschlüssen zu einem breiten Spektrum von Finanzmarktreformen) geplant war, scheint inzwischen eher durch ein alarmierendes Dilemma gekennzeichnet: Einerseits lassen sich die Hinweise auf die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung nicht mehr so einfach wegdiskutieren. Andererseits wird zu Recht vor einem verfrühten Aussteigen aus den Konjunkturprogrammen gewarnt. Beides könnte schnell dazu führen, den ohnehin prekären Aufschwung (>>> W&E-Hintergrund April 2010) abzuwürgen.

Es gibt viel, das für die beiden eingangs zitierten NGO-Forderungen, die ja inzwischen auch im politischen Mainstream angekommen sind, spricht. Ob sie im Doppelpack allerdings konsistent sind, lässt sich bezweifeln. Die Befürworter der Finanzmarktsteuer argumentieren gern, dass damit die notwendigen Mehreinnahmen erzielt werden können, um die durch Bankenrettung und Konjunkturstimuli angespannte Haushaltslage wieder zu bereinigen. Die Anhänger einer Staateninsolvenz sagen mit Blick auf die Finanzkrise in Europa, dass ein solches Verfahren noch nie so dringlich wie heute war.

Dabei ist selbst unter linken Ökonomen heftig umstritten, ob es beispielsweise mit Blick auf Griechenland überhaupt gerechtfertigt ist, von der Notwendigkeit eines „Haircuts“ bzw. einer Restrukturierung der Schulden zu reden. Während UNCTAD-Chefökonom Heiner Flassbeck die Rede vom bevorstehenden griechischen Staatsbankrott für schlicht verantwortungslos hält, plädierte Rudolf Hickel von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik kürzlich mit dem Hinweis auf einen drohenden Staatsbankrott für eine Umschuldung. Wie dem auch sei: Wenn sich die öffentliche Verschuldung durch neue Steuern zurückfahren lässt, erübrigt sich ein geordneter oder ungeordneter „Default“. Wenn es aber im Zuge einer Insolvenz zu Schnitten beim Stand der staatlichen Verschuldung kommt, werden neue Einnahmequellen weniger dringlich – jedenfalls aus diesem Grund.

Was die Finanzminister der G20 bestenfalls in Busan zuwege bringen werden, so hört man, ist die Empfehlung, der Gipfel Ende des Monats solle sich auf einige gemeinsame Prinzipien einigen, und alles andere sollten die Staaten alleine machen. Willkommen also wieder einmal Frank Sinatra: „I do it my way.“