31. Januar 2014

Aufstrebende Volkswirtschaften unter Druck: Ende eines Zyklus

Währungsabsturz in Schwellenländern (Quelle: FT)
Die jüngsten Zinssteigerungen haben die seit nunmehr zwei Wochen anhaltenden Währungsturbulenzen in wichtigen Schwellenländern nicht stoppen können. Zunächst Indien und Brasilien, dann die Türkei und zuletzt auch Südafrika stemmten sich mit der Anhebung ihrer Zinssätze gegen den Abwärtstrend ihrer Währungen, der gelegentlich auch bereits als Ausverkauf der Emerging Economies bezeichnet wird. Die Leitzinsen belaufen sich inzwischen in Brasilien auf 10,5%, in der Türkei auf 10,0, in Argentinien auf 9,0, in Indien auf 8,0, in Indonesien auf 7,5 und in Südafrika auf 5,5%. Dem stehen historische Niedrigstzinsen in den Industrieländern gegenüber, in der Eurozone beispielsweise 0,25%.


Doch das Kalkül, mit Zinssteigerungen den Währungsverfall (s. Abb.) aufzuhalten, ist ein zweischneidiges Schwert. Denn Zinssteigerungen verstärken u.U. die ohnehin fragile Situation in vielen Schwellenländern, die durch sich verlangsamendes Wachstum gekennzeichnet ist. Wenn damit überhaupt neues Kapital angelockt wird, dann solches von der kurzfristig spekulativen Art, das auf die Ausnutzung von Zinsdifferenzen („Carry-Trades“) aus ist. Kapital zur Finanzierung produktiver Investitionen, von Infrastruktur und nachhaltiger Entwicklung kann auf diesem Weg ganz bestimmt nicht beschafft werden. Und wie sich derzeit zeigt, gelingt es auf diesem Wege auch nicht, den Währungsverfall zu stoppen.

Die gegenwärtigen Währungsturbulenzen – ob es sich in verschiedenen Fällen bereits um Währungskrisen handelt, sei einmal dahin gestellt – signalisieren allgemein ausgedrückt das Ende eines Boom-und-Bust-Zyklus, der in zwei Wellen – von etwa 2000 bis zum Beginn der globalen Finanzkrise 2008 und dann nochmal 2010-12 – billiges Kapital aus den Industrie- in die Schwellenländer gespült hatte. Unter den Bedingungen der lockeren Geldpolitik im Norden aufgenommen, sollte es dort von den höheren Zinssätzen profitieren. Ein großer Teil dieser Kapitalflüsse bestand aus sog. Carry-Trades. Dabei nehmen die sog. Anleger einen Kredit in einer niedrig verzinsten Währung auf und legen es in einer Währung mit einem höheren Zinsniveau an. Die Zinsdifferenzen, auf die spekuliert wird, können allerdings nur so lange realisiert werden, wie die Zinsgewinne nicht durch Währungsverluste aufgefressen werden. An diesem Punkt sind wir seit dem letzten Sommer angelangt.

Auch wenn es andere Faktoren gibt, die teilweise in der inneren Entwicklung mancher Schwellenländer begründet sind, ist der entscheidende Hintergrund die Straffung der Geldpolitik, vor allem in den USA, also die quantitative Reduktion des Bond-Aufkaufprogramms der FED, auch „Tapering“ genannt, die im letzten Sommer als Möglichkeit angekündigt wurde und seit Anfang 2014 sukzessive umgesetzt wird. Bereits die Ankündigung hat zu erheblichen Unruhen geführt, da die Anleger auf wieder höhere Gewinne in den USA hoffen und in „sichere Häfen“ flüchten. – Es ist verständlich, dass das rücksichtslose und im Alleingang, ausschließlich mit Blick auf die US-Konjunktur erfolgende Tapering in den Schwellenländern als absolut ärgerlich angesehen wird, waren diese doch auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im kooperativen Rahmen der G20 zu weitgehenden Konjunkturprogrammen bereit, die die Welt vor einer zweiten Großen Depression bewahrt haben. Jetzt fühlen sie sich vielfach fallengelassen wie eine heiße Kartoffel. Der Vorgang sagt einiges aus über den Abstieg der G20, die derzeit eher als Statist der weltwirtschaftlichen Entwicklung erscheint denn als „führendes Forum der weltwirtschaftlichen Koordinierung“, wie einmal lautstark verkündet worden war.

27. Januar 2014

Weltwirtschaftsforum: Optimismus wieder hergestellt?

Vorsichtiger Optimismus und Glaube an die Technik, nicht politische Entschlossenheit im Kampf gegen Ungleichheit und Arbeitslosigkeit, waren die Hauptbotschaften, mit denen das Weltwirtschaftsforum in Davos zu Ende ging. Zwar gab es angesichts der in der letzten Woche erneut einbrechenden Währungen vieler Schwellenländer auch Warnungen vor einer erhöhten Volatilität auf den Finanzmärkten. Doch die meisten Statements klangen eher so, als sei das Ärgste inzwischen vorüber, und nicht so, als stünde die nächste Finanzkrise kurz bevor. Und geradezu hohl nimmt sich die Ankündigung aus, die Agenda des Jahres 2014 bestünde darin, die Reform des internationalen Finanzsystems zu vollenden – ist doch inzwischen allzu offenkundig, dass die meisten dieser Reformen, wenn überhaupt, nur in verwässerter Form umgesetzt oder gar ganz aufgegeben wurden.


Die Rückkehr eines „vorsichtigen Optimismus“, so das Motto einer Abschlussrunde über die weltwirtschaftlichen Aussichten, in das Denken der selbsternannten globalen Elite verdankt sich vor allem verbesserten Wachstumsprognosen für die alten Industrieländer (USA, Japan, EU), angesichts derer das abnehmende Wachstum in den Schwellenländern fast schon ein Anlass zur Schadenfreude ist. Jedenfalls waren so viele Fingerzeige auf die tatsächlichen oder vermeintlichen Politikfehler und den Bedarf an „strukturellen Reformen“ in den Schwellenländern schon lange nicht mehr zu sehen.

Zwar war die Sorge um die wachsende Ungleichheit eine unübersehbare Unterströmung in den Debatten. Der Generaldirektor der ILO, Guy Ryder, meinte sogar, die Arbeitslosigkeit sei der „Gorilla in den Räumen“ von Davos. Dass diese „globale Elite“ die Lösung der globalen Probleme jedoch vom technologischen Fortschritt erhofft, ist mehr als bezeichnend. Die so erzeugten Produktivitätsgewinne sollten in Bildung, Kommunikation und Inklusion investiert werden, meinte die Chefin von Yahoo, Marissa Mayer. Die Technologie schaffe „signifikante Gelegenheiten“, sekundierte der Präsident des indischen Industriellenverbandes, Kris Gopapakrioshnan. Und die Technologie könne „Teil der Lösung statt Teil des Problems“ sein, sagte Judith Rodin, die Präsidentin der Rockefeller-Stiftung. Auch so viel Technikoptimismus war selten mehr zu hören in Davos.

Nur zu oft freilich sind die hoffnungsfrohen Botschaften derartiger Treffen schon nach kurzer Zeit Makulatur. Und so könnte es sich auch schon diese Woche, wenn die US-amerikanische FED über die Fortsetzung ihres „Taperings“ befindet, erweisen, dass die neue Währungsvolatilität – von Argentinien bis zur Türkei, von Südafrika bis nach Brasilien – nicht nur ein Vorschmack, sondern der Auftakt zu einer neuen Finanzkrise ist. Und niemand sollte denken, dies habe keine Rückwirkungen auf die alten Industrieländer, deren neuer Optimismus dann zu einer vorübergehenden Episode würde.

24. Januar 2014

G20 in Davos: Freihandelsrhetorik und Marktapologetik

Tony Abbott: G20-Präsident und Marktapologet
Das Weltwirtschaftsforum war in den vergangenen Jahren stets der Ort, den die jeweilige G20-Präsidentschaft zur Verkündung ihrer Agenda nutzte. Umso verwunderlicher ist es, wie wenig von der gestrigen Rede des australischen Premierministers Tony Abbott Notiz genommen wurde. Nachdem es schon unter der mexikanischen (2012) und der russischen Präsidentschaft (2013) immer schwieriger wurde, substantielle Konsense im Rahmen der G20 zu erreichen, ist dies ein weiteres Indiz dafür, wie tief der Stern der G20 inzwischen gesunken ist. Jedenfalls sagt dieses Desinteresse weniger über die (nach wie vor beachtliche) Bedeutung von Davos als vielmehr über den Abstieg der G20 aus.


In der Tat fiel Abbotts Rede noch dünner aus, als von vielen befürchtet worden war. Freihandel, Freihandel, Freihandel soll nach Abbott den Ton der G20-Agenda im Jahr der australischen Präsidentschaft angeben. Dann kommt erst einmal nichts, und dann folgen Steuern, Infrastruktur und Finanzmarktregulierung. Steuern sollen nach Abbott überall „fair und niedrig“ sein, und Infrastruktur-Investitionen, seit der südkoreanischen Präsidentschaft (2010) ein Hauptpunkt auf der G20-Agenda, sollen weiter gestärkt werden. Doch „Handel kommt zuerst“, so Abbott. „Immer wenn eine Person frei mit einer anderen Handel treibt, wächst der Wohlstand“, so sein reichlich naives Credo.

Die Freihandelsrhetorik überrascht nicht, gilt Abbott, der auch für klimapolitisches Roll-back steht und für die Abkehr Australiens von den Kyoto-Zielen verantwortlich ist, doch als Hardcore-Vertreter des Marktradikalismus. Alle Arten von Freihandel wolle die australische Regierung in ihrem G20-Jahr fördern, unilaterale, bilaterale, plurilaterale und multilaterale. Dabei finden diese Abkommen fast alle außerhalb und ohne die Initiativen der G20 statt, auch die neue, von den USA, der EU, Japan und anderen am Rande des diesjährigen Weltwirtschaftsforums verkündete plurilaterale Initiative zur Liberalisierung des Handels mit „grünen Produkten“ wie Solarpanels etc. Entsprechend bescheiden klang es dann auch, als Abbott konkret wurde: „Zumindest sollten die G20 ihre Entschlossenheit erneuern, alle protektionistischen Maßnahmen zu unterlassen, die seit der Krise in Kraft gesetzt wurden.“ – Es sind wenige solche Aktionen, die hier genannt werden könnten.

Ironischerweise haben die G20 für die Zeit der australischen Präsidentschaft den Abschluss ihrer Finanzmarktreformen, insbesondere auch die Regulierung des Sektors der Schattenbanken, vorgesehen. Es war nicht zu erwarten, dass der australische Premier beklagen würde, wie sehr diese Regulierungsagenda der G20 inzwischen verwässert wurde (>>> Wie G20-Initiativen verdampfen), hat er doch wiederholt vor zu viel Regulierung und staatlicher Restriktion gegenüber der Wirtschaft gewarnt. In Davos wartete er mit der Erkenntnis auf, die Finanzkrise sei „keine Krise der Märkte, sondern der Governance“ gewesen. Das passt: Schließlich habe die Krise auch „keines der Grundgesetze des Kapitalismus verändert“. Also: Freihandel und freier Markt über alles!

22. Januar 2014

WEF 2014: Normalisierung oder Selbstzufriedenheit?

Das diesjährige World Economic Forum (WEF), das seit heute in Davos läuft, gilt als Wirtschaftsforum der Normalisierung. Die Finanzkrise liege im wesentlichen hinter uns; Europa und der Euroraum fasse wieder Tritt, und die USA und Großbritannien seien die neuen Wirtschaftslokomotiven – so oder ähnlich klingt der Chor der Wachstumsfans. Und in der Tat haben fast alle internationalen Institute ihre Prognosen im Vorfeld nach oben korrigiert, der IWF ebenso wie die ansonsten eher skeptische UNO-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (DESA). Doch es ist ein Aufschwung inmitten einer Welt der Risiken (>>> Aufschwung inmitten einer Weltder Risiken?).


Interessant ist, dass zugleich keiner der Auguren versäumt, auf die Risiken hinzuweisen, die nach wie vor die weltwirtschaftliche Entwicklung bedrohen. Zunächst einmal verläuft die weltwirtschaftliche Entwicklung nach wie vor unter ihrem Potential: Gut 3% durchschnittliches Wachstum, das der IWF für die Weltwirtschaft voraussagt, sind eben immer noch 2% weniger als vor der Großen Finanzkrise. Und die Arbeitslosigkeit ist längst noch nicht auf das Niveau vor der Krise zurück gegangen. Der neue Employment TrendsReport der ILO spricht von einer „jobless recovery“ – einer Erholung ohne Arbeitsplätze. Und einiger Aufschwung-Jubel ist dem Kontrast mit den schlechten Werten der letzten Jahre und der eigenen ideologischen Verblendung geschuldet.

Nehmen wir die Wachstumsraten von Deutschland, dessen Ökonomie ja sowas von „brummt“, und Frankreich, das fast schon „am Boden liegt“: In seinem jüngsten Update gibt der IWF für Deutschland 0,5% (2013), 1,6 (2014) und 1,4 (2015) an und für Frankreich 0,2, 0,9 und 1,5 – welch ein dramatischer Unterschied! Das schlimmste an Frankreich ist nicht die Krise (natürlich gibt es dort wirtschaftliche Probleme – wo gäbe es die nicht?), sondern der Rückfall des ökonomischen Denkens unter Hollande in die Zeit von vor 200 Jahren, als erstmals die Angebotsökonomie in Mode kam, wie Wolfgang Münchau diese Woche in der Financial Times so treffend schrieb.

Was also wird die Botschaft dieses Weltwirtschaftsforums 2014 sein? Die selbstzufriedene Rede von der Normalisierung nach sieben Jahren der Krise? Oder doch die Mahnung, dass die zunehmende soziale Ungleichheit die soziale Integrität der Gesellschaften bedroht, dass die Armen eben doch kaum etwas abbekommen von den Segnungen der Globalisierung? Das Paradoxe der Mammutveranstaltung in den Schweizer Bergen ist ja, dass dort immer wieder auch kritische Stimmen ertönen: Der Global Risks-Report des WEF in diesem Jahr warnt beispielsweise davor, das die Ungleichheit das größte Risiko der nächsten Monate darstellt. Die NGO Oxfam legt nach und weist in einer neuen Studie darauf hin, dass die 85 reichsten Menschen der Welt heute ebenso viel besitzen wie die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung. Davos-People – seid auf der Hut!

21. Januar 2014

Wie G20-Initiativen verdampfen

Wenn der amtierende G20-Vorsitzende und australische Premierminister Tony Abbott auf dem Weltwirtschaftsforum in dieser Woche in Davos seine G20-Agenda für das laufende Jahr vorstellt, müsste er eigentlich mit einem Eingeständnis beginnen. Das selbsternannte „führende Gremium der internationalen wirtschaftspolitischen Koordinierung“ (so die G20 in Pittsburgh über sich selbst) hat inzwischen viel von dem aus der Not der Finanzkrise geborenen Schwung verloren. Und die wenigen konkreten Initiativen, die die G20 aufs Gleis gesetzt hat, wurden inzwischen entweder bis zur Unkenntlichkeit verwässert oder befinden sich in Auflösung. Beides wird durch zwei Ereignisse der vergangenen Woche belegt, die letztlich auch der G20 ein Armutszeugnis ausstellen.


Zunächst hat der sog. Baseler Ausschuss, der von der G20 mit der Ausarbeitung neuer Risikostandards für die Banken beauftragt worden war, eine abschließende Fassung der „Leverage Ratio“ vorgelegt, in der die ursprünglich geplanten Vorgaben drastisch verwässert werden. Der „Leverage Ratio“ gibt an, in welchem Ausmaß sich Banken in ihrem Verhältnis zum Eigenkapital verschulden dürfen. Nach der neuen Fassung dürfen die Banken spezielle Wertpapiere wie Derivate und bestimmte Geschäfte wie Rückkaufvereinbarungen (Repos) jetzt weniger stark gewichten. Außerdem müssen sie bei der Berechnung dieses Ratios nicht mehr 100% ihres außerbilanziellen Vermögens berücksichtigen – ein klarer Vorteil vor allem für Investmentbanken, die weiterhin Risiken klein- und Chancen großrechnen können, jedenfalls besser als bei den ursprünglich vorgesehenen strengeren Regeln.

Klar gescheitert ist in der letzten Woche auch der von der G20 initiierte Versuch, den IWF zu reformieren, nachdem der US-Kongress sich geweigert hat, die schon vor vier Jahren beschlossene Kapitalerhöhung des Fonds zu ratifizieren. Von der 2010 beschlossenen Verdoppelung der IWF-Quoten auf 720 Mrd. US-Dollar hängt die Umschichtung der Stimmanteile im Fonds ab, nach der Entwicklungs-, vor allem Schwellenländer 6% mehr an Stimmen und zwei der bislang den Europäern vorbehaltenen Sitze im Exekutivrat bekommen sollen. Dies wäre zwar nicht gerade eine revolutionäre Veränderung, aber die Verbesserung ihrer Mitspracherechte im IWF war ein impliziter Bestandteil des Deals, bei dem die aufstrebenden Volkswirtschaften in der G20 der finanziellen Stärkung des IWF zugestimmt hatten. Ohne die Vollendung der Quotenerhöhung von 2010 lässt sich auch an die nächste, heute schon überfällige erneute Quotenüberprüfung nicht denken. Und es gehört nicht viel Vorstellungskraft dazu, dass die Entwicklungsländer jetzt den Aufbau ihrer eigenen finanziellen Sicherheitsnetze, wie die Chiang-Mai-Initiative oder das Swap-Abkommen der BRICS intensivieren werden.

Weltbank-Tochter IFC in der Kritik

Weltbank-Chef Kim
Erdrückende Belege zur umstrittenen Kreditvergabe-Praxis der International Finance Corporation (IFC), des Privatsektor-Arms der Weltbank, liefert eine neue Studie des Compliance Advisor Ombudsman (CAO). Der CAO ist ein internes Überwachungsgremium der Weltbank und hat einen Kredit in Höhe von 30 Mio. US-Dollar an die honduranische Palmöl-Firma „Corporación Dinant“ untersucht. Der Konzern ist in schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen die Landbevölkerung im honduranischen Aguán-Tal verstrickt. Der CAO-Bericht belegt, dass die IFC den sozialen, politischen und menschenrechtlichen Kontext der Investition entweder nicht erkannt oder willentlich ignoriert und sich nicht an ihre eigenen Richtlinien zum Schutz der lokalen Gemeinschaften gehalten hat.


Als Gründe für dieses Fehlverhalten gibt der Bericht an, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projekts dazu angehalten wurden, die potentiellen Risiken zu übersehen, sich dazu nicht zu äußern oder sie sogar zu vertuschen. Die IFC reagierte in ihrer Antwort auf den belastenden Bericht reichlich oberflächlich und weigerte sich, die systemischen Probleme zu thematisieren.

In einer zivilgesellschaftlichen Stellungnahme verurteilten jetzt über 40 Organisationen, darunter das deutsche Erlassjahr-Bündnis die Reaktion der IFC und fordern ein Eingeständnis des Versagens sowie die Einstellung der Zahlungen an „Corporación Dinant“. Darüber hinaus appellieren sie an Weltbank-Präsident Jim Yong Kim, „sicherzustellen, dass die IFC aus dem in der Studie festgestellten systemischen Versagen lernt und die notwendigen Systemreformen durchführt, damit zukünftige IFC-Investitionen nicht zu Verstößen dieser Schwere führen“.

Die IFC steht wegen ihrer Kreditvergabe-Praxis schon länger in der Kritik. Vor allem in puncto Armutsbekämpfung, dem übergeordneten Ziel der Weltbank-Gruppe, gilt die Leistungsfähigkeit der IFC als äußerst dürftig. Dennoch sieht die Weltbank-Spitze vor allem die Mobilisierung von Privatkapital durch die IFC als Modell für die Bank insgesamt (>>> Jim Kim ist ein sehr schwacher Präsident).

10. Januar 2014

Hormonfleisch-Freigabe unter TTIP?

Anlässlich der Vorstellung des Fleischatlas 2014 haben der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die Heinrich-Böll-Stiftung vor einer möglichen Einfuhr hormonbehandelten Fleisches aus den USA infolge des zwischen den USA und der EU geplanten Freihandelsabkommens TTIP („Transatlantic Trade and Investment Partnership“). Es müsse verhindert werden, dass die relativ hohen Lebensmittelstandards der EU zur Disposition gestellt werden.

Die Europäische Kommission dementierte zwar umgehend und lies erklären, dass die Abschaffung des Hormonfleisch-Verbots unter TTIP nicht verhandelbar sei. Ganz unschuldig am Aufkommen von derlei Befürchtungen ist sie jedoch nicht – führt sie die Verhandlungen doch so intransparent, dass Einzelelemente der Agenda immer nur scheibchenweise ans Tageslicht kommen, wenn überhaupt.


Der neue Fleischatlas wartet mit aktualisierten Zahlen zum weltweiten Geschäft mit der Fleischproduktion auf. So dürften bis Mitte dieses Jahrhunderts weltweit jährlich fast 470 Mio. t Fleisch – 150 Mio. t mehr als heute – produziert werden. Damit geht ein drastisch wachsender Flächenverbrauch für Futtermittel einher: Allein der Bedarf an Sojafuttermitteln zur Mästung der Schlachttiere würde von derzeit 260 Mio. auf über 500 Mio. t pro Jahr steigen. Der größte Anstieg der Fleischproduktion finde in den asiatischen Schwellenländern statt. „Hier wird nach westlichem Vorbild zunehmend unter hochindustrialisierten Bedingungen Fleisch erzeugt, mit all den unerwünschten Nebeneffekten wie Lebensmittelskandalen, Antibiotikamissbrauch, Nitratbelastungen und Hormoneinsatz", so Böll-Vorstandsmitglied Barbara Unmüßig.

Schon heute wandert allein für die europäische Fleischproduktion Soja von umgerechnet 16 Mio. ha Land in die Tröge. Weltweit werden inzwischen 70 % aller Agrarflächen von der Tierfütterung beansprucht. Die Folgen sind fatal, wertvolle Regenwälder gehen verloren, Böden und Gewässer werden mit Pestiziden belastet und die Preise für Grundnahrungsmittel steigen aufgrund knapper werdender Agrarflächen. Die großräumige Anwendung des Herbizids Glyphosat beim Gentech-Sojaanbau führt in Südamerika vermehrt zu massiven Gesundheitsschäden. Erfreulich sei aber, dass der Fleischkonsum in den Industrieländern seinen Höhepunkt erreicht habe. In Deutschland ist er im letzten Jahr durchschnittlich um mehr als zwei Kilogramm pro Einwohner zurückgegangen.

>>> Der Fleischatlas steht zum Download bereit unter: www.boell.de/fleischatlas

6. Januar 2014

Weltwirtschaft: Upside down oder alles beim alten?

Mit dem neuen Jahr rückt auch wieder das nächste Weltwirtschaftsforum in Davos näher. Das Motto in diesem Jahr lautet: „The Reshaping of the World: Consequences for Society, Politics and Business“, also: „Die Neugestaltung der Welt: Konsequenzen für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft“. Doch die veränderten globalen Kräfteverhältnisse, auf die das Thema anspielt, haben sich seit dem letzten Sommer erneut gewendet: War bis dahin der Aufstieg der Schwellenländer des Südens in aller Munde, wird seither über eine erneute Umkehr zugunsten der alten Industrieländer spekuliert. Die Financial Times fragte angesichts der positiven Wirtschaftsindikatoren aus den Industrieländern zum Jahreswechsel sogar: Könnte es sein, dass die reiche Welt 2014 zurückschlägt? 

Nicht gewendet hat sich das Gesicht der die Weltwirtschaft dominierenden internationalen Konzerne. Wie jedes Jahr wird anlässlich des Forums in Davos der Public Eye Award vorbereitet – jener renommierte Schmähpreis, der an die Unternehmen verliehen wird, die die ausbeuterischste, umweltfeindlichste oder menschenrechtsverachtendste Bilanz aufzuweisen haben. In diesem Jahr sind etwa Glencore Xstrata, Eskom, die FIFA, Gap sowie Syngenta, Bayer und BASF als Kandidaten nominiert.

Während beispielsweise Gap sich bis heute weigert, das rechtlich verbindliche Abkommen „Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh“ zu unterzeichnen und stattdessen mit einem eigenen Pseudo-Abkommen aktiv die Bemühungen für wirksame Reformen unterminiert, trägt die FIFA- Weltmeisterschaft zur Verletzung von Menschenrechten wie dem Recht auf eine angemessene Unterkunft, dem Recht auf Bewegungsfreiheit, dem Recht auf Arbeit sowie der Versammlungs- und Bewegungsfreiheit bei. Syngenta, Bayer und BASF sind die großen „Bienenkiller“ - große, multinationale Firmen, welche hochgiftige, systemische Pestizide herstellen und verkaufen. Diese Pestizide sind für das Massensterben von Bienen und anderen Bestäubern, die für Umwelt, Landwirtschaft und die globale Nahrungsmittelproduktion wichtig sind, mitverantwortlich. Der Public Eye Award soll Konzernskandale ins internationale Scheinwerferlicht stellen und so NGO-Kampagnen auf der ganzen Welt zu mehr Gehör verhelfen. So wird das Weltwirtschaftsforum doch noch zu einem Anlass für einen guten Zweck. – Abgestimmt werden kann übrigens noch bis zum 22. Januar >>> hier.