20. Dezember 2012

Finanzmarktreformen: Die im Dunkeln sieht man nicht

Spät, aber immerhin, ist jetzt auch das Thema Schattenbanken auf der Agenda der globalen Finanzmarktreformen. Allerdings lässt der vor etwa einem Monat veröffentlichte Bericht des Financial Stability Board (FSB), der als Rahmen der Diskussion in den nächsten Monaten dient, keine großen Sensationen erwarten, wie Peter Wahl (WEED) in einer Bilanz der Reregulierung der Finanzmärkte zum Jahresende im Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung schreibt (>>> W&E 12/Dezember 2012).

 
Wenig Sensationelles wohl auch deshalb, weil mit der Veröffentlichung des Initial Integrated Set of Recommendationsto Strengthen Oversight and Regulation of Shadow Banking am 18. November sogleich die Diskussion darüber losbrach, welche Schattenbanken eine wirtschaftliche sinnvolle Rolle spielen und welche nicht. Insgesamt schätzt das FSB die Größe dieses Sektors auf 67 Billionen US-Dollar, was 111% der globalen Wirtschaftsleistung entspricht (s. Grafik). Durch die Finanzkrise ist das Wachstum des Schattenbanksektors zwar abgebremst worden, aber nicht gänzlich zum Stillstand gekommen.

Wird jetzt argumentiert, dass die Aktivitäten der Schattenbanken teilweise volkswirtschaftlich nützlich sind (etwa weil sie Kapital für investive Zwecke mobilisieren), dann ergibt sich natürlich ein breites Einfallstor für Bestrebungen der Finanzmarktlobby, die Regulierung dieses Sektors auf ein Minimum zu begrenzen. Dabei zielt das FSB mit seinen bisherigen Vorschlägen ohnehin lediglich auf die Regulierung der Beziehungen des formellen Bankensektors mit den Schattenbanken, um erstere vor Ansteckungsgefahren abzuschirmen.

Anders dagegen die jüngsten Vorschläge von Attac zur Neuregulierung der Finanzmärkte. Danach wären sämtliche bankähnlichen Geschäfte zu regulieren, und Banken dürften nur noch mit Finanzinstituten Geschäftsbeziehungen unterhalten, die einer Mindestregulierung unterworfen sind. Unregulierten Schattenbanken wie Zweckgesellschaften, Private Equity Fonds und Hedgefonds ohne Banklizenz würde damit der Boden entzogen. – Überhaupt ist das neue Attac-Papier bemerkenswert, weil es in der aktuellen Debatte in Deutschland, die stark wahlkampfgeprägt ist, Vorschläge unterbreitet, die über vieles hinausgehen, was inzwischen fast schon zum Mainstream geworden ist, wenngleich auch dieses noch auf seine Realisierung wartet.

18. Dezember 2012

Geierfonds ./. Argentinien: Zeit- und Prestigegewinn

Argentinien hat in der Auseinandersetzung mit US-amerikanischen Geierfonds zwei wichtige Teilerfolge errungen. Auf einen Zahlungsaufschub im Fall des von Elliott Ass. betriebenen Inkassoverfahrens in einem New Yorker Berufungsverfahren folgte am letzten Samstag ein Urteil des Internationalen Seegerichtshofs in Hamburg. Letzterer ordnete die Freigabe des argentinischen Segelschulschiffs ARA Libertad an, dass seit letzten Oktober auf Betreiben von Elliott in Ghana festgehalten wird. Ghana solle das Schiff „unverzüglich und bedingungslos“ freigeben und auslaufen lassen.

Das Hamburger Urteil ist zweifellos ein Erfolg Argentiniens, und Hernán Lorenzino, der Wirtschaftsminister des Landes, twitterte sogleich: „Geier, Ihr werdet nicht durchkommen!“ Doch noch ist der Sieg nicht in trockenen Tüchern. Unklar ist z.Zt. noch, ob das ghanaische Gericht, dessen Beschluss am 2. Oktober dazu geführt hatte, die Libertad festzuhalten, den Hamburger Richterspruch akzeptieren oder als Einmischung in seine inneren Angelegenheiten zurückweisen wird. Doch auch wenn das Schiff jetzt freikommt und für Argentinien damit eine nationale Schmach wieder gut gemacht wird, ist der Kampf mit den Geierfonds, die sich weigern, die Schuldenstrukturierung von 2005 und 2010 anzuerkennen, noch nicht zu Ende.

In dem wichtigeren Verfahren, in dem ein New Yorker Gericht ursprünglich für Mitte Dezember die Zahlung von 1,3 Mrd. US-Dollar an Elliott & Co. angeordnet hatte, ist für Mitte Februar 2013 eine Anhörung vorgesehen, nach der der endgültige Urteilsspruch erfolgen soll. Wie dieses Verfahren auch ausgeht: Die Praxis der Geierfonds, Schuldtitel auf dem Sekundärmarkt für Cent-Beträge aufzukaufen und dann hernach die Rückzahlung des kompletten Nennwerts einzuklagen, verweist in jedem Fall auf die Notwendigkeit, schnell ein unabhängiges, transparentes und internationalen Schiedsverfahren zu etablieren, das Schuldner und Gläubiger zu einvernehmlichen Lösungen zwingen kann.

* Zum Hintergrund >>> Argentinien unter Geiern.

17. Dezember 2012

G20-Civil 2013: Gutes Timing, Herr Putin!


Von Heike Löschmann

Ausgerechnet Russland ist der erste G20-Gastgeber, der ein Civil-20-Treffen (C20) durchgeführt und einen „produktiven Dialog zu den thematischen Prioritäten der russischen G20-Präsidentschaft zwischen globaler Zivilgesellschaft, PolitikerInnen und EntscheidungsträgerInnen“ angekündigt hat. Ein erstes Treffen fand vom 11.-13. Dezember 2012 in Moskau statt.

Das Programm der dreitägigen Konferenz sollte dazu dienen, die Visionen der russischen Präsidentschaft zu diskutieren und die Erwartungen der internationalen Zivilgesellschaft zu formulieren. Ein weiteres Ziel des Treffens bestand darin, die Effektivität von Entscheidungs- und Arbeitsprozessen der G20 unter die Lupe zu nehmen. Ein drittes Ziel war, Wege zu finden, die Zivilgesellschaft künftig fest in den G20-Prozess zu integrieren - eine Forderung, die seit Beginn des G20-Prozesses von zivilgesellschaftlichen Gruppen immer wieder artikuliert wurde, beim Gipfel in Mexiko im Juni 2012 aber noch in weiter Ferne war.

Die Konsultation wurde von der russischen Sherpa Ksenia Yudaeva eröffnet. Geladen waren desweiteren VertreterInnen aus dem Präsidentenbüro und dem Ministerium für Finanzen auf der einen, und VertreterInnen internationaler Organisationen und von Think Tanks, internationalen NGOs und einige wenige ausgewählte russische Nichtregierungsorganisationen auf der anderen Seite. Angesichts der jüngsten Repressalien gegen die eigene Zivilgesellschaft und des Erlasses des Agentengesetzes, durch das Organisationen diskreditiert werden, die Unterstützung aus dem Ausland erhalten, ist das ein Hohn. Dennoch wird die internationale Gemeinschaft nicht umhin kommen, der Gastgeberregierung dafür Anerkennung zu zollen. Gutes Timing, Herr Putin …

… zum vollständigen Bericht klicken Sie bitte >>> hier.

 

14. Dezember 2012

EU-Krisenpolitik: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Kritische Entwicklungspolitiker wissen, dass das, was die EU im Rahmen ihrer Krisenpolitik den eigenen Krisenländern auferlegt, an Härte und Gnadenlosigkeit oft erheblich über das hinausgeht, was im Rahmen der sog. Strukturanpassungspolitik den Entwicklungsländern in der Schuldenkrise zugemutet wurde. Unter diesem Aspekt ist es eigentlich nur zu begrüßen, dass der derzeitige EU-Gipfel über die Schaffung einer gemeinsamen Bankenaufsicht im Euroraum hinaus alle Vorschläge zur Zukunft der europäischen Wirtschafts- und Währungsintegration in das nächste Jahr verschoben hat. Denn unter dem Stichwort „Reformverträge“ oder „vertragliche Arrangements“ will sich die EU-Spitze in Brüssel eine Handhabe dafür schaffen, das Austeritätsregime, das bislang nur gegenüber den vornehmlich südlichen Krisenländern durchgesetzt wurde, gegebenenfalls EU-weit zu verallgemeinern.

Doch aufgeschoben ist in diesem Fall einmal nicht aufgehoben. Schon zum EU-Gipfel im Juni nächsten Jahres will Ratspräsident Van Rompuy die bilateralen vertraglichen Arrangements zwischen der EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten als „mögliche Maßnahme“ erneut präsentieren. Hinter dem Getöse um die Bankenunion in der Eurozone, deren erster Schritt jetzt mit der Errichtung einer gemeinsamen Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank gegangen wird, war das neu anvisierte Instrument der bilateralen „Reformverträge“ zunächst nicht gerade aufgefallen. Das änderte sich jedoch in der zurückliegenden Woche. Attac erkannte in ihm ein Element zur Entkernung der nationalen Souveränität in der EU zugunsten einer demokratisch nicht legitimierten Instanz, der EU-Kommission. Peter Wahl von WEED betonte in einem Hearing vor dem EU-Ausschuss des Deutschen Bundestags die machtpolitischen Seiten des Versuchs, auf bilateralem Weg in den Mitgliedsländern Strukturanpassungsmaßnahmen durchzusetzen, die auf die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, Lohnzurückhaltung und Privatisierung zielen.

In der Tat sind – das herrschende neoliberale Denken in Rechnung gestellt – die Parallelen zwischen den Austeritäts-Memoranden, die Krisenländern wie Griechenland auferlegt wurden, und dem, was als „vertragliche Arrangements“ debattiert wird, frappierend. Besonders die deutsche Bundesregierung in Berlin erhofft sich davon ein Instrument, unter dem Vorwand der Steigerung der „Wettbewerbsfähigkeit“ der gesamten Eurozone ein Regime nach deutschem Gusto aufherrschen zu können. Dabei wären dringend andere Maßnahmen vonnöten, um die Eurozone aus der Rezession, in der sie jetzt steckt, herauszuführen. Eine Rolle dabei könnten auch Eurobonds spielen. Aber davon ist in den Dokumenten des Brüsseler Gipfels nicht mehr die Rede.

12. Dezember 2012

Kapitalverkehrskontrollen: Der halbe Schritt des IWF

Von Kevin P. Gallagher

“Was einst Ketzerei war, ist nun als orthodox anerkannt”, meinte John Maynard Keynes im Jahr 1944, nachdem er dazu beigetragen hatte, die führenden Politiker der Welt davon zu überzeugen, dass der Internationale Währungsfonds seinen Mitgliedern weiterhin die Regulierung der internationalen Finanzierungsflüsse als Grundrecht gewähren sollte. In den 1970ern begannen der IWF und die Westmächte allerdings damit, die Regulierung der globalen Kapitalflüsse in Theorie und Praxis abzubauen. Und in den 1990ern versuchte der Fonds sogar, seine Satzung zu ändern, um die Deregulierung grenzüberschreitender Finanzströme zu ermöglichen.

Mit viel Getöse gab der IWF kürzlich eine neue "institutionelle Sichtweisebekannt, die anscheinend die Neuregulierung der globalen Finanzen befürwortet. Der Fonds bleibt zwar weiterhin der finanziellen Liberalisierung verbunden, erkennt aber jetzt an, dass der freie Kapitalfluss auf einer deutlich schwächeren intellektuellen Grundlage ruht als der freie Handel.
 
Insbesondere ist der IWF jetzt der Ansicht, dass für eine Kapitalflussliberalisierung die finanziellen und politischen Institutionen der betreffenden Länder gewisse Standards erfüllen müssen, und dies bei vielen Entwicklungs- und Schwellenländern nicht der Fall ist. Auf grundsätzlicherer Ebene hat der Fonds akzeptiert, dass internationale Finanzflüsse nicht nur Nutzen, sondern auch Risiken mit sich bringen. Dies betrifft insbesondere starke Zuströme und darauf folgende plötzliche Unterbrechungen, die beträchtliche wirtschaftliche Instabilität mit sich bringen können.
 
Schlagzeilen machte, dass der IWF jetzt glaubt, Länder könnten sogar Kapitalkontrollen, umbenannt in “Maßnahmen zum Management von Kapitalflüssen”, einsetzen, wenn sie Seite an Seite mit geldpolitischen und haushaltspolitischen Maßnahmen, dem Aufbau von Fremdwährungsreserven und makroprudenziellen Finanzregulierungen gehen. Sogar unter solchen Umständen sollten diese Kapitalkontrollen generell nicht nach Währung unterscheiden.
 
Aber geht die Neubewertung der finanziellen Globalisierung durch den IWF weit genug? >>>
 
>>> den vollständigen Artikel lesen Sie >>> hier.

10. Dezember 2012

Dirty profits: Milliardengewinne auf Kosten der Menschenrechte

Die führenden deutschen Finanzinstitute sind massiv in menschenrechtlich brisante Unternehmen verstrickt. Dies belegt die heute zum Internationalen Tag der Menschenrechte veröffentlichte Studie DIRTY PROFITS des NGO-Bündnisses „Facing Finance“. Das Bündnis attestiert vielen weltweit agierenden Unternehmen einen „Dauerkonflikt mit international etablierten sozialen Normen und Umweltstandards“, und dennoch haben Banken und Versicherer offensichtlich keine Skrupel, bei deren Finanzierung behilflich zu sein. Dies gilt besonders für Bergbauriesen wie Vale, BHP Billiton und Glencore, oder den Öl-Multi Shell.

Rüstungsproduzenten wie Lockheed Martin, Rheinmetall oder EADS, verletzen darüber hinaus Waffenkonventionen oder sind im Konflikt mit Anti-Korruptionsstandards, Ausfuhrrichtlinien bzw. grundlegenden Prinzipien der Menschenrechte. Elektronik oder Textilmultis wie Hon Hai (Foxconn), Samsung oder H&M schließlich profitieren von Kinderarbeit und anderen arbeitsrechtlichen Verstößen, so der Bericht.

Die von Facing Finance untersuchten 28 Unternehmen machten 2011 einen Umsatz in Höhe von 1,22 Billionen € und erzielten insgesamt einen Nettogewinn in Höhe von 106 Mrd. €. Finanzielle Unterstützung erhielten sie dabei v.a. von namhaften Finanzinstituten wie BNP Paribas, Deutscher Bank, ING, Allianz und UniCredit. Im Untersuchungszeitraum (seit Januar 2010) belief sich die Summe der Geschäftsbeziehungen zwischen den 28 Unternehmen und den 16 untersuchten europäischen Finanzinstituten auf über 44 Mrd. €.

Die Zahlen belegen für die Autoren, dass allen Sonntagsreden zum Trotz die Finanzdienstleister in Sachen Nachhaltigkeit noch ganz am Anfang stehen und dringend mehr Verantwortung übernehmen müssen. „Sie brauchen endlich verbindliche und umfassende Regeln, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen, die sie häufig mit finanzieren, zu beenden.” Wie notwendig diese Forderung ist, belegt das Beispiel Mosambik. Ein Land, welches seit vielen Jahren unter den Folgen von Bergbauprojekten leidet. Besonders die Aluminiumschmelze Mozal, betrieben von BHP Billiton, steht wegen kontinuierlicher Umwelt- und Luftverschmutzungen und Arbeitsrechtsverstößen in der Kritik. Organisationen wie Justiça Ambiental engagieren sich dagegen. Sie helfen z.B. lokalen Gruppen, Beschwerden bei der Ombudsstelle der Weltbanktochter IFC einzureichen.

Fatales Doha-Paradox


Jetzt rufen alle wieder „Scheitern“ und „Versagen“. Die jährliche Klimakonferenz, diesmal in Doha, ist zu Ende. Einige sind differenzierter: In Doha sei wie in Cancún vor zwei Jahren die Klimadiplomatie gerettet worden, das Klima jedoch nicht, fasst Lili Fuhr in unserem Partnerblog „Klima der Gerechtigkeit“ zusammen. Martin Khor vom Genfer South Centre schreibt von dem „tragisches Paradox der Doha-Konferenz“: Es wurden auffallend viele Beschlüsse gefasst, deren Anzahl in deutlichem Gegensatz zu ihrer absolut mangelhaften Substanz steht. Und in der Tat: Den wichtigsten Entscheidungen von Doha fehlt sowohl die Entschlossenheit, die Erde vor dem Klimawandel zu schützen, als auch die Bereitschaft, die Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels wirklich zu unterstützen. Das sind sie, die wichtigsten Beschlüsse von Doha:


* ein extrem schwaches Ergebnis bei der Klimafinanzierung, wo weder neues Geld auf den Tisch gelegt wurde noch ein Pfad aufgezeigt, wie die bis zum Jahr 2020 versprochenen 100 Mrd. Dollar pro Jahr erreicht werden können;

* eine neue, achtjährige Verpflichtungsperiode von 2013 bis 2020 unter dem Kyoto-Protokoll mit weniger Teilnehmerländern als unter Kyoto I und weniger ambitionierten Verpflichtungen, dafür aber mehr Schlupflöchern, z.B. in Form der Möglichkeit, nicht verbraucht Verschmutzungsrechte in die nächste Phase zu transferieren;

* ein zaghafter Appell an die Kyoto-Teilnehmer, ihre Reduktionsziele bis 2014 nochmals zu überprüfen (und zu erhöhen);

* eine Bekräftigung des Durban-Beschlusses, bis 2015 ein neues globales Klimaabkommen auszuhandeln, das dann 2020 in Kraft treten soll;

* ein Arbeitsprogramm zur Schaffung eines „internationalen Mechanismus“, über den Entwicklungsländer Finanzmittel zur Entschädigung für „loss and damages“ aus dem Klimawandel erhalten sollen.

Auch wenn letzteres vage bleibt und vor allem noch offen ist, wie viel Geld dafür aufgewendet werden wird, ist es doch das erste Mal, dass dieses Thema Eingang in ein offizielles Dokument des internationalen Klimaschutzes gefunden hat – ein Lichtblick also oder doch nur eine Fata Morgana? – Wie dem auch sei, wir werden uns ein paar Tage der Reflexion über die Ergebnisse bzw. Nicht-Ergebnisse von Doha gönnen und dann auf der W&E-Website eine längere Analyse veröffentlichen: >>> hier.

9. Dezember 2012

Griechenland-Konditionen der Troika nicht ILO-konform


Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ist der Meinung, dass die von der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF Griechenland auferlegten Kreditkonditionen grundlegende Arbeitsrechte aushöhlen, die Position der Gewerkschaften ernsthaft untergraben und den sozialen Zusammenhalt sowie den Frieden in der Gesellschaft gefährden. Während seines letzten Treffens hat der ILO-Ausschuss für Assoziationsfreiheit (CFA) festgestellt, dass „es eine Anzahl wiederholter und extensiver Einmischungen in die Tarifhoheit und einen eklatanten Mangel an sozialem Dialog gibt“. In einem Bericht weist er darauf hin, „dass die Gesetzgebung kein Hindernis für die Tarifhoheit auf der Ebene der Industrie sein sollte“, und warnt davor, dass durch dezentrale Abmachungen unterhalb der Ebene der Tarifverträge das gesamte System der Tarifautonomie gefährdet werden könnte und dies den ILO-Konventionen 87 und 98 widerspreche.

Der CFA-Bericht ist die Reaktion auf eine Beschwerde der Griechischen Allgemeinen Gewerkschaftsföderation (GSEE), der Konföderation der öffentlichen Bediensteten (ADEPY) und weiterer griechischer Gewerkschaftsverbände, die von Internationalen Gewerkschaftsbund (ITUC) unterstützt wurde. Die antigewerkschaftlichen Maßnahmen sind Teil der Troika-Konditionalität und erfolgen unter dem Vorwand der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft und der fiskalischen Konsolidierung, vertiefen jedoch lediglich die Rezession, verschärfen die Arbeitslosigkeit und die prekäre Situation vor allem junger Arbeitnehmer, die inzwischen von Tarifverträgen ausgeschlossen werden und Lohnsenkungen hinnehmen müssen.

Mit ihrer Entscheidung steht die ILO nicht allein. Bereits im Oktober hatte der Europarat die griechischen Arbeitsmarktreformen, die im Anschluss an das „Memorandum of Understanding“ mit der Troika umgesetzt wurden, verurteilt. Sein Ausschuss für soziale Rechte kam zu dem Schluss, dass zwei der Reformen der Europäischen Sozialcharta widersprechen und zurückgenommen werden sollten. Der Vorsitzende des Ausschusses stellte klar und deutlich fest, dass Budgetanpassungen, die durch die Krise notwendig werden, nicht zu einer Erosion der Arbeitsnehmerrechte, wie sie in der Europäischen Sozialcharta festgeschrieben sind, führen dürfen.

Die Krisenpolitik der EU greift mit ihren Auswirkungen indessen auch in anderen Bereichen um sich, etwa im Gesundheitswesen. Nach Angaben der OECD fielen 2010 in Europa erstmals seit Jahrzehnten die öffentlichen Gesundheitsausgaben. An der Spitze der Kürzungen stehen ausgerechnet die Krisenländer Irland, Estland, Griechenland und Litauen. Es folgt die Tschechische Republik, die zwar nicht auf der Liste internationaler Krisenprogramme steht, der Austeritätslinie der Troika inzwischen aber aus eigenem Antrieb bzw. angetrieben von der eigenen Regierung folgt.

26. November 2012

Geierfonds gegen Schuldenschnitte


Ginge es nur um einen Streit zwischen irgendwelchen Gläubigern und einem „Schurkenstaat“, könnte man getrost zur Tagesordnung übergehen. Doch das New Yorker Gerichtsurteil, wonach Argentinien bis zum 15. Dezember 1,3 Mrd. US-Dollar an die beiden Hedgefonds Elliott Associates und Aurelius Capital zahlen soll (>>> Argentinien unter Geiern), geht in seiner Bedeutung weit über diesen Fall hinaus. Es hebelt zentrale Prinzipien der Kreditvergabe aus und bedroht bestehende und künftige Restrukturierungen von Auslandsschulden, auch „Schuldenschnitt“ oder „Haircuts“ genannt.

Wenn sog. Holdouts, also Gläubiger, die sich weigern, einer Reduzierung ihrer Schuldtitel zuzustimmen, gegenüber jenen, die dazu in einem Schuldentauschverfahren bereit sind, gleichbehandelt werden sollen, dann reduziert dies das Risiko gen Null, das immer im Spiel ist, wenn ein Kredit vergeben wird. Und zugleich gefährdet es jedwede Restrukturierung von Schulden. Denn warum sollte ein Gläubiger noch bereit sein, einer Reduzierung der ausstehenden Schulden zuzustimmen, wenn er doch sicher sein könnte, irgendwann in einem späteren Gerichtsverfahren den Anspruch auf volle Rückzahlung bestätigt zu bekommen, oder wenn andere Gläubiger mehr von ihren Schulden zurückbekommen?

Desweiteren sollte man berücksichtigen, wer hier seine Forderungen durchsetzen will. Die Herren in Nadelstreifen aus der Finanzbranche mögen den Ausdruck „Geierfonds“ nicht. Etliche folgen jedoch einem Geschäftsmodell, das von Marktversagen profitiert, durch die eigene Spekulation (hier mit alten Schuldtiteln) jedoch zur weiteren Destabilisierung der Märkte beiträgt. Aus diesen Gründen ist es mehr als wünschenswert, dass sich Argentinien durchsetzen kann, wenn es in dieser Woche gegen das besagte New Yorker Urteil in Berufung geht.

22. November 2012

Hedgefonds nimmt Argentinien zur Geisel

Argentinien soll bis zum 15. Dezember 2012 1,3 Mrd US-Dollar an diverse Hedgefonds zahlen, sonst bekommt der Fonds Zugriff auf die regulären Zahlungen, die Argentinien an diejenigen Halter von Staatsanleihen (Bonds) leistet, die nach dem Default des Landes Anfang des letzten Jahrzehnts dem Austausch ihrer Bonds gegen niedrigere Schuldtitel zugestimmt haben. Das ist die Quintessenz eines Urteils, das ein New Yorker Gericht gestern abend - in Bekräftigung eines Urteils von 26. Oktober - zugunsten von Elliot Associates, einen "aggressiven Hedgefonds" (Financial Times), und andere Fonds gefällt hat. Jetzt fehlt nur noch, dass sie ihre Fünfte Flotte schicken, kommentierte Argentiniens Wirtschaftsminister Herman Lorenzino den Richterspruch und sprach von "juristischem Kolonialismus".

Näheres dazu, wie sich der Wind gegen die Souveränität der Länder und zugunsten der Gläubiger dreht, findet sich unter dem folgenden Videolink: >>> http://video.ft.com/v/1982420363001

19. November 2012

Vor Doha: Alarm, Skepsis und verhaltener Optimismus

Aufrütteln zum Handeln will der neue Präsident der Weltbank, Jim Yong Kim, mit einem Report, der rechtzeitig zu den nächsten Klimaverhandlungen in Doha (COP 18 vom 26. November bis 7. Dezember) herauskommt. Der Bericht mit dem Titel „Turn Down the Heat“ ist ein erstes Zeichen dafür, wie ernst dem neuen Chef der programmatische Vorsatz ist, das klimapolitische Engagement der Bank deutlich zu erhöhen, schreibe ich in einer Zusammenfassung auf www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org.

Nicht irgendein Institut hat die Weltbank damit beauftragt, diesen jüngsten Schnappschuss der Erkenntnisse der Klimaforschung zu erstellen, sondern das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und die Non-Profit-Organisation Climate Analytics in Berlin. Das Ergebnis des Berichts: Die Welt ist auf einem Weg, der bis zum Ende des Jahrhunderts eine Erderwärmung von 4° bringen wird – mit kaum absehbaren Folgen. Die bis dato gemachten Zusagen zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen werden daran kaum etwas ändern.

Angesichts der festgefahrenen internationalen Klimaverhandlungen kommt erneut die Hoffnung auf, die zivilgesellschaftlichen Organisationen könnten den Karren aus dem Dreck ziehen. Doch Philip Bedall und Achim Brunnengräber sind skeptisch. In ihrem Artikel, der in der neuen Ausgabe des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung (>>> W&E 11/2012) erschienen ist, analysieren sie die symbiotischen Verknüpfungen zwischen der etablierten NGO-Szene und dem offiziellen Klima(verhandlungs)regime. Da die neuen Protestformen, die sich seit den Kopenhagener Klimaverhandlungen zeigen, noch in den Kinderschuhen stecken, steht auch die erforderliche Transformation der internationalen Klimapolitik noch am Anfang.

Einen Funken Hoffnung schöpft der Direktor des Earth Institut, Jeffrey Sachs, aus der Tatsache, dass der bei den Vereinten Nationen angesiedelte Grüne Klimafonds langsam Gestalt annimmt. Weitgehend ungeklärt ist jedoch noch, woher die Finanzausstattung des Fonds kommen soll. In einem ebenfalls bei W&E dokumentierten Beitrag (>>> Warum und wie die Reichen zahlen sollen) wartet Sachs mit einer Finanzierungsformel auf, die Klimagerechtigkeit herstellt, ohne die großen Schwellenländer von ihrer Verantwortung freizustellen.

15. November 2012

Double-Dip in der Eurozone: Die Rezession und die Unbelehrbaren


Wenn schon die Demonstranten und Steikenden gestern die neoliberalen Eliten Europas nicht davon überzeugen konnten, dass die Politik der Austerität zu nichts führt, dann müssten es die neuesten Konjunkturzahlen von heute schaffen. So sollte man meinen. Nach klassischem Verständnis befindet sich die Eurozone jetzt offiziell in der Rezession. Die neuen Zahlen der EU-Statistik-Behörde Eurostat in Luxemburg weisen aus, dass die Wirtschaftsleistung der Eurozone im dritten Quartal 2012 zum zweiten Mal in Folge gefallen ist. Während der BIP-Rückgang sich im 2. Quartal 2012 auf -0,2% belief, betrug er von Juli bis September 2012 -0,1%.

Das renommierte Centre for Economic Policy Research (CEPR) in London weist allerdings darauf hin, dass die rezessive Tendenz in der Eurozone bereits seit dem 3. Quartal 2011 anhält. Damals erreichte die ökonomische Aktivität in der Eurozone ihren Höhepunkt, allerdings beileibe nicht das Vorkrisenniveau. Danach ging‘s bergab – mit -0,3% im 4. Quartal 2011 und stagnativen 0,0% im ersten Quartal 2012.

Die Beschwichtiger weisen gerne darauf hin, dass dies alles Durchschnittswerte sind, hinter denen sich ein ungleiches Wachstum in den einzelnen Mitgliedsländern verbindet. Und in der Tat gibt es gewisse Unterschiede zwischen Nord und Süd in Europa. Aber auch die sind dabei, sich anzugleichen. So drückt inzwischen nicht mehr nur die schwere Rezession der südeuropäischen Länder die Eurozone nach unten; auch die bislang so vorbildlichen Niederlande ist inzwischen mit 1,1% im Minus. Und selbst der deutsche Musterknabe weist im 3. Quartal 2012 gegenüber dem Vorquartal gerade noch 0,3% Wachstum auf – ein klarer Trend zur Stagnation, wie beispielsweise der Ökonom Gustav Horn sagt.

Wer nun denkt, die harten Fakten der Rezession würden die sog. europäischen Eliten zur Korrektur ihrer Krisen- und Austeritätspolitik zwingen, dürfte sich wieder einmal irren. Gegenüber dem ideologischen Blendwerk des Neoliberalismus können auch nüchterne Fakten nichts ausrichten. Wie Eric Bonse heute in einem bemerkenswerten taz-Kommentar schreibt, ist die EU inzwischen zu einem neoliberalen Projekt verkommen. Das wird sich nicht durch bessere Einsichten ihrer „Funktionseliten“ ändern, sondern nur durch ihren Austausch. Deshalb ist die sich formierende europaweite Bewegung gegen den Austeritätskurs so wichtig.

14. November 2012

Europaeisierung des Protests

Heute – mehr als zwei Jahre nach dem Beginn der Krisenpolitik – erleben wir in Europa den ersten breit getragenen und grenzüberschreitenden Streik- und Aktionstag. Zum ersten Mal unterstützen auch der Europäische Gewerkschaftsbund (ETUC) und der Internationale Gewerkschaftsbund (ITUC) die kontinentweite Mobilisierung gegen die dominante Krisen- und Austeritätspolitik der EU-Regierungen. Während in Griechenland, Italien, Spanien und Portugal landesweite Streiks geplant sind, wird es in den anderen EU-Mitgliedsstaaten eher zu Solidaritätsbekundungen und –aktionen kommen. Dies spiegelt zwar die ungleiche Entwicklung der Bewegungen in Europa wider, aber doch auch eine beachtliche Europäisierung des Protests, die zu einer Veränderung der Kräfteverhältnisse beitragen kann.

Immerhin zielt der ETUC mit seiner Mobilisierung auf die „Stärkung der Opposition gegen die destruktive Austeritätspolitik“, die von der sog. Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF vorangetrieben wird. Sie soll das Momentum schaffen für „einen sozialen Pakt für Europa mit einem wirklichen sozialen Dialog, einer Wirtschaftspolitik, die qualifizierte Arbeitsplätze und wirtschaftliche Solidarität zwischen den Ländern Europas fördert“. Gegenüber der Standortlogik, denen viele nationale Gewerkschaften immer noch verhaftet sind, spiegeln sich darin durchaus Fortschritte, kann doch von einem „sozialen Dialog“ keine Rede sein, solange „die Architekten der Austerität … schlicht darauf aus sind, die Finanzmärkte ohne Rücksicht auf die sozialen und wirtschaftlichen Kosten bei Laune zu halten“, wie ITUC-Generalsekretärin Sharan Burrow formuliert.

In einem begleitenden Schreiben an den EU-Ratspräsidenten Harman van Rompuy und dem Kommissionspräsidenten Manuel Barroso ruft der ITUC dringend zur Korrektur der derzeitigen europäischen Politik auf, die die EU in ihre bislang schwerste Krise gestürzt hat. Zugleich fordert er, den Neuen Europäischen Sozialpakt zu unterstützen, den der ETUC als Antwort auf die Krise entwickelt hat. Angesichts der bisherigen Probleme eines gewerkschaftlichen Internationalismus, der diesen Namen verdient, und der traditionellen Orientierung auf den „sozialen Dialog“ mag Skepsis angebracht sein, ob es sich hier wirklich um etwas Neues handelt. Immerhin zwingt der Umstand, dass die vorherrschende Krisen- und Sparpolitik der EU-Spitze jedem wie auch immer gearteten sozialen Dialog die Grundlage entzieht, auch die Gewerkschaften zur Bewegung.

6. November 2012

Wie die G20 hinter den eigenen Zielen hinterher hinken

Jetzt haben wir es also schwarz auf weiß und quasi amtlich: Die G20-Staaten hinken an allen Ecken und Enden hinter ihren eigenen Beschlüssen zur Regulierung der Finanzmärkte hinterher. In „Fortschrittsberichten“ und einem Brief des Vorsitzenden des Finanzstabilitätsrats (FSB), des kanadischen Zentralbankchefs Mark Carney, an die Finanzminister und Notenbank-Gouverneure der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer werden die Rückstände, wenn auch teilweise in verklausulierter Finanzdiplomatensprache, detailliert aufgelistet. So ist von „ungleichen Fortschritten“ bei der Lösung des „Too-big-to-fail“-Problems die Rede. Viele der 28 global systemrelevanten Finanzinstitute (GSifis) werden es nicht schaffen, bis zum Ende des laufenden Jahres ihre „Living wills“ – Rettungs- bzw. Abwicklungspläne im Falle einer Krise – fertig zu stellen. Sie erhalten nun sechs Monate mehr Zeit. Auch was die neuen Basel-III-Vorschriften der Rücklagebildung betrifft, werden es gerade die Herkunftsländer der größten Banken versäumen, diese bis Januar 2013 in nationales Recht umzusetzen.

Besonders wenig ist bislang passiert, um die sog. Schattenbanken, Hedgefonds und Versicherungen einer öffentlichen Kontrolle zu unterstellen. Hier schlägt das FSB jetzt vor, ein Set von Regeln bis zum G20-Gipfel im nächsten September in St. Petersburg zu erarbeiten und zu verabschieden. Wenn dieser Prozess jedoch so verläuft wie die Regulierung außerbörslich gehandelter Derivate („OTC“), dann wird auch hier nichts so heiß gegessen wie gekocht. Bei den OTC-Derivaten war ursprünglich vorgesehen, alle diese Geschäfte über zentrale Clearingstellen laufen zu lassen. Wie das FSB jetzt berichtet, planen acht der 25 FSB-Mitglieder, statt verbindlicher Regeln lediglich „Anreize“ dafür zu schaffen, dass sich die OTC-Geschäften clearen lassen.

Während in der Finanzmarktregulierung bestenfalls die Hälfte der selbst vorgezeichneten Strecke zurückgelegt wurde, haben der britische und der deutsche Finanzminister George Osborne und Wolfgang Schäuble am Rande der G20-Tagung in Mexiko-Stadt eine Initiative angekündigt, auch das Problem der konzerninternen Transferpreise in den Griff zu bekommen, die im Zentrum der Steuervermeidungsstrategien der Transnationalen Konzerne stehen. Dies wäre in jedem Fall eine sinnvolle Ergänzung der Finanzmarktreformen, und man darf gespannt sein, wie die erste Skizze der Initiative aussehen wird, die die OECD bis zur G20-Finanzministertagung im kommenden Februar – dann schon unter russischer Präsidentschaft – vorlegen soll.

Gäbe es nicht das Drängen des FSB und die Initiativen von Einzelstaaten – die Fortschritte der mexikanischen G20-Präsidentschaft wären noch magerer ausgefallen, als sie ohnehin schon sind. Immerhin hat das letzte Treffen der Finanzminister unter mexikanischer Ägide eine gewisse Lockerung der fiskalischen Konsolidierungsziele des Toronto-Gipfels (Reduzierung der Haushaltsdefizite der Industrieländer um 50% bis Ende 2013) gebracht. Im Kommuniqué des Treffens wird eingestanden, dass es derzeit nur „mäßiges Wachstum (gibt) und die Abwärtsrisiken immer noch erhöht“ sind. Die Finanzminister und Zentralbankchefs versichern deshalb alles zu tun, was notwendig ist, um die Gesundheit und das Wachstum der Weltwirtschaft zu stärken – darunter auch „zu gewährleisten, dass das Tempo der fiskalischen Konsolidierung angemessen ist, um die Erholung zu unterstützen“.

5. November 2012

Reformbedarf in der internationalen Agrar- und Energiepolitik


140 Akteure der Zivilgesellschaft aus 22 Industrie- und Schwellenländern fordern eine grundlegende Reform von Energie- und Landwirtschaftspolitik, um Hunger und Klimawandel weltweit zu bekämpfen. Das ist ein Ergebnis des "Dialogue on Transformation", der am Wochenende in Bonn stattgefunden hat. Die teilnehmenden Organisationen drängten einerseits auf das Recht auf Entwicklung, andererseits auf eine Form der Entwicklung, die die Grenzen des Planeten akzeptiert. Sie diskutierten Strategien, um die Armut und zugleich den Klimawandel zu bekämpfen. Eine Grundfrage war dabei, wie die Nachfrage nach Energie hier und in den Ländern des Südens nachhaltig und bezahlbar so gestillt werden kann, dass zugleich der Klimawandel eingedämmt werden kann. Eine andere Frage lautete, wie das Recht auf Nahrung gerade auch für die 870 Millionen Hungernden auf dem Planeten umgesetzt werden kann.

Seit April 2012 vernetzen Germanwatch und das US-amerikanische "Institute for Agriculture and Trade Policy" mit dem "Dialogue on Transformation" Basisgruppen, soziale Bewegungen, NGOs und Stiftungen aus den Bereichen Klima- und Ernährungspolitik, um neue Lösungsansätze zu entwickeln. Der Dialog, so Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch, trage dazu bei, aus vielen wichtigen Einzelstimmen in aller Welt eine kraftvolle Symphonie zur Lösung der dringenden Fragen in der Klima- und Ernährungskrise zu machen. Wichtige Akteure der Zivilgesellschaft drängen gemeinsam darauf, dass wir angesichts des Stillstands in den USA eine engere Kooperation zwischen China, Indien und der EU einleiten, um eine neue Dynamik im Klimaschutz zu erreichen."

So lobenswert das Engagement ist, das zivilgesellschaftliche Engagement im Klimaschutz lässt sich auch kritisch sehen (>>> Internationale Klimapolitik in der Transformation. Die Zivilgesellschaft als Triebkraft?). Immerhin: Ein Novum des „Dialogue on Transformation“ sieht Jim Harkness, Präsident des "Institute for Agriculture and Trade Policy", darin, dass er Bewegungen zusammenführe, die bislang oft getrennt voneinander gearbeitet haben, „obwohl sie das Ziel einer gerechten und nachhaltigen Zukunft teilen. Diese Kooperation ist auch notwendig, um dem ungebremsten wirtschaftlichen und politischen Einfluss der Unternehmen der fossilen sowie agrochemischen Unternehmen etwas entgegensetzen zu können."

Auch über die Ergebnisse aus dem Rio+20-Prozess wurde diskutiert. Hier wurde überlegt, wie das Mandat für nationale Agrarberichte wirkungsvoll in die Tat umgesetzt werden kann. Hans R. Herren, Mitautor des Weltagrarberichts, treibt dies in Ländern wie Kenia, Senegal und Äthiopien voran: "Ein Kurswechsel in der Landwirtschaft ist überfällig. Ziele sind Ernährungssicherheit für alle, eine ländliche Entwicklung mit verbesserten Bedingungen vor allem für Kleinbauern, insbesondere für Frauen, sowie eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen. Eine solche Landwirtschaft der Zukunft muss verstärkt auf Pflanzen und Sorten setzen, die den lokalen Bedingungen angepasst sind und die natürlichen Ressourcen auch für kommende Generationen erhalten. Dafür gilt es in nationalen Aktionsplänen nun den Grundstein zu legen."

4. November 2012

G20-Finanzminister und Zentralbanker in Mexiko: Weiter im Sinkflug

Die G20-Finanzminister und –Zentralbankchefs, die sich heute und morgen in Mexiko-Stadt treffen, werden es angesichts der US-Präsidentschaftswahlen am Dienstag schwer haben, besondere öffentliche Aufmerksamkeit für sich zu ergattern. Ungeachtet dessen sollen auf dem Treffen, wie man hört, wegen des in den USA zum Jahresende drohenden „finanziellen Kliffs“ und der anhaltenden Finanzkrise in Europa die Alarmglocken geläutet werden. Ein drittes Thema, um das es gehen wird, ist die Sorge, ob die Basel-III-Reformen, im Zuge derer die finanziellen Puffer der Banken zur Abfederung künftiger Finanzkrisen erhöht werden sollen, überall planmäßig bis Anfang nächsten Jahres umgesetzt sein werden.

OECD-Generaldirektor José Angel Gurria hat kurz vor der Tagung gefordert, die G20 sollten an die USA appellieren, das „fiskalische Kliff“ zu vermeiden. Dies wäre in der Tat eine Notwendigkeit, um den Rückfall in eine erneute Rezession zu vermeiden. Denn mit dem Auslaufen einer Reihe noch als der Bush-Ära stammenden Steuererleichterungen und diverser Ausgabenkürzungen dürften rund 600 Mrd. Dollar an Kaufkraft ausfallen. Doch das Thema ist bis nach den Wahlen auf's Eis gelegt worden, und keiner der Kandidaten konnte bislang erklären, wie er das Problem lösen will. – In Bezug auf Basel III sehen sich die G20-Mitglieder vor allem in den USA und der EU inzwischen einer massiven Kampagne der Bankenlobby gegenüber, die mit dem Argument arbeiten, dass vor allem die Großbanken nicht zu „allzu hohen“ Rücklagen gezwungen werden dürften; dies hätte nachteilige Folgen für die Finanzierung von mehr Wachstum (das aber in den meisten Industrieländern ohnehin am Boden liegt, u.a. deshalb, weil die Banken Kredite zurückhalten).

Das G20-Treffen der Finanzminister in Mexiko ist das letzte G20-Treffen im Rahmen der mexikanischen G20-Präsidentschaft, die der Finanzmarktreform – obwohl dies ihr erklärter Schwerpunkt war – keine sonderlichen Impulse verliehen hat. Die nachfolgende russische Präsidentschaft hat schon mal erklären lassen, dass sie sich in puncto Reform der Finanzmärkte mehr auf einer „technischen Ebene“ bewegen wolle. Damit dürfte der Sinkflug der G20 (>>> Im Sinkflug: Die G20 in Los Cabos/Mexiko) gerade im Bereich ihres Kerngeschäfts, weshalb sie einst gegründet wurde, weitergehen – es sei denn es kommt zur erneuten Zuspitzung der Finanzkrise in einem Ausmaß, das eine Revitalisierung der internationalen Kooperation unumgänglich macht.

25. Oktober 2012

Austeritaet und Repression in Suedeuropa

Ein heute in Madrid vorgestellten Bericht von Amnesty International, Policing Demonstrations in the European Union, belegt die eskalierende Polizeigewalt in den von der Kürzungspolitik am stärksten betroffenen europäischen Ländern. Betroffen von den Übergriffen sind immer wieder auch Aktive des globalisierungskritischen Netzwerks Attac, die auf der Pressekonferenz von ihren Erfahrungen berichteten. Thanos Contargyris, Vertreter Griechenlands im europäischen Attac-Netzwerk, sagte: "Die Fakten des Amnesty-Reports bestätigen, was wir alle seit Mai 2010 bei den vielen Demonstrationen gegen die Kürzungspolitik beobachten. Polizeigewalt ist zum Regelfall geworden. Der zweimalige Tränengasangriff auf den populären 90-jährigen Widerstandskämpfer Manolis Glezos ist nur einer der bekanntesten Fälle. Die unveröffentlichten Übergriffe sind zahlreich und nehmen weiter zu. Ich selbst habe erlebt, wie es Polizisten von ihren Vorgesetzten überlassen wurde nach eigenem Ermessen gewaltsam gegen Demonstranten vorzugehen, Jene, die die Vorgesetzten auf diese Übergriffe hinwiesen wurden, verhaftet."

Auch Attac Spanien verurteilt die zahlreichen brutalen Polizeiaktionen bei friedlichen Demonstrationen. Vertreter von Attac Spanien sind zunehmender gewalttätiger Repression und Eskalation seitens der Polizei ausgesetzt – zuletzt bei den Großdemonstrationen im September 2012. Am 25. September wurden hunderte friedliche Demonstranten vor dem Parlament von über 1200 Polizisten verprügelt und verhaftet, wie zahlreiche Videos dokumentieren. Die gewaltsamen Übergriffe wurden sogar in U-Bahnstationen und Zügen fortgeführt. 64 Personen wurden dabei verletzt. Gleichzeitig plant die spanische Regierung eine Gesetzesänderung, mit der Videoaufnahmen von Polizisten "in Ausübung ihrer Funktion" verboten werden sollen. Dabei haben es genau diese Videos ermöglicht, die brutalen Interventionen der Polizisten zu beweisen. Diese Gesetzesänderung reiht sich in eine Folge von Maßnahmen, mit denen friedlicher Widerstand während Versammlungen und Demonstrationen strafbar gemacht werden soll.

"In den von der Troika überwachten Ländern zeigt der autoritäre Neoliberalismus sein wahres Gesicht", sagte Luis Bernado von Attac Portugal. "In Portugal werden zahlreiche soziale Bewegungen vom Geheimdienst überwacht und kriminalisiert. Die Polizei hat die Verfassungsrechte mehrfach verletzt, indem sie Demonstranten gefilmt und Journalisten geschlagen hat. Demonstranten wurden identifiziert sowie dazu gezwungen sich schuldig zu bekennen und unverhältnismäßige Strafen zu bezahlen. Gesetze gelten mittlerweile nicht mehr: In Portugal findet de facto ein Staatsstreich gegen die Verfassung statt. Nur ein gemeinsamer internationaler Aufschrei der Menschen in Europa kann die zunehmende Aushöhlung von Demokratie und Recht stoppen."



24. Oktober 2012

Peanuts-Minister Dirk Niebel


„Ergebnisorientierung“ lautet das neue Mantra der Entwicklungspolitik (>>>Ergebnisorientierung in der Entwicklungshilfe). Und der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel ist ein großer Fan davon. Auf seine eigenen Ergebnisse trifft allerdings eher der Begriff „Peanuts“ zu. Zwar erklärte Niebel in der letzten Woche bei den Beratungen des Einzelplans 23 (BMZ-Etat): „Der Etat des Entwicklungshilfeministerium konnte zum vierten Mal hintereinander erhöht werden.“ Der Regierungsentwurf sieht diesmal eine Erhöhung um ganze 37,5 Mio. € vor. Das ist laut Niebel sogar 600 Mio. € mehr als in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen war. Doch verglichen mit den Anstrengungen der konservativ-liberalen Regierung in London, die noch vor 2015 das 0,7%-Ziel erreichen wollen, sind dies Peanuts.

Und Niebel, der diese Peanuts verwalten darf, betont dazu auch noch, dass 67% seines Haushaltes „investiver“ Natur seien und dass ein Teil davon sogar wieder nach Deutschland zurückfließen wird. Da nützt es wenig, wenn sowohl die CDU/CSU-Fraktion als auch die FDP-Fraktion betonen, dass Deutschland seinen internationalen Verpflichtungen nachkomme, insbesondere bei der ODA-Quote (0,7% des Bruttoinlandeinkommens für Entwicklungshilfe). Bei dem derzeitigen Anteil von 0,4% wären wesentlich höhere Steigerungsraten vonnöten, um das Ziel bis 2015 zu erreichen.

Dies kritisierten in den diesjährigen Haushaltsberatungen auch wieder die Oppositionsfraktionen. In zahlreichen Änderungsanträgen forderten sie unter anderem, die Beiträge Deutschlands zur bilateralen finanziellen Zusammenarbeit zu erhöhen. Außerdem sollte der Beitrag Deutschlands an den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria erhöht werden. Alle Anträge wurden von der Mehrheit der Koalitionsabgeordneten abgelehnt. Dies ist ein Skandal erster Ordnung. Schließlich betonen derzeit alle relevanten internationalen Organisationen –von der UNO bis zur OECD und von der Weltbank bis zum IWF – dass die internationalen Anstrengungen zur Entwicklungsfinanzierung nicht auf dem Alter der Krisenbewältigung geopfert werden dürfen. In Deutschland geschieht freilich genau dies.

19. Oktober 2012

IWF: Alles nicht so gemeint?

Der IWF hat viel Lob erhalten für sein selbstkritisches Eingeständnis, dass er die negativen Konsequenzen fiskalischer Sparmaßnahmen für das Wachstum in der Vergangenheit unterschätzt habe. Auch das Plädoyer für eine vorsichtigere Ausbalancierung und Sequenzierung von fiskalischer Konsolidierung und konjunktureller Stimulierung wurde weitgehend positiv aufgenommen, vor allem auch in Krisenländern wie Griechenland und Portugal – gab es doch Anlass zur Hoffnung, die diesen Ländern aufoktroyierte Austeritäts- und Anpassungspolitik könnte gelockert werden.

Doch einstweilen lesen sich Stellungnahmen wie diejenige zum Abschluss der aktuellen Troika-Mission in Griechenland wie blanker Zynismus. Man habe „produktive Diskussionen“ mit den Verantwortlichen geführt, heißt es da, und über „die Politiken, die zur Wiederherstellung des Wachstums, der Beschäftigung und Konkurrenzfähigkeit, zur Sicherstellung fiskalischer Nachhaltigkeit in einer sozial ausgewogenen Weise und zur Stärkung des Finanzsystems notwendig seien“.

Gegenüber Portugal hat der IWF-Vertreter in der Troika, Abebe Selassie, in einer Note jetzt klargestellt, dass der Austeritätskurs der Regierung „ein Imperativ ist und fortgesetzt werden muss“. Fiskalische Anpassung sei notwendig in Ländern mit „einer hohen Schuldenlast und begrenztem Zugang zu Finanzen – eine Situation, in der Portugal sich befindet“. Die IWF-Intervention kommt in einer Situation, in der es wachsende Proteste gegen die Haushaltsplanung der konservativen Regierung gibt, die für 2013 u.a. eine Einkommenssteuererhöhung von bis zu 34% vorsieht. Um die „vollständige Erholung“ der portugiesischen Ökonomie zu sichern, müsse das Land seine Verschuldung eindämmen, meinte Selassie. Wie sagte noch einmal die Geschäftsführende IWF-Direktorin Christine Lagarde auf der Jahrestagung in Tokio? „Eine Lektion der Geschichte ist klar – die Reduzierung der öffentlichen Schulden ist unglaublich schwer ohne Wachstum. Umgekehrt machen es hohe Schulden härter, Wachstum zu bekommen.“

18. Oktober 2012

Soviel Armutsrhetorik war noch nie: Jim Yong Kims Schonfrist ist vorbei

Noch hat die Diskussion über die Nachfolgeforderungen zu den Millennium-Entwicklungszielen (MDGs), die 2015 auslaufen, gar nicht so recht begonnen, und schon wartet der neue Weltbank-Präsident Jim Yong Kim mit einer neuen Orientierung für die nächste Etappe auf: Nicht mehr um die bloße Reduzierung der Armut soll es gehen, sondern um nicht mehr und nicht weniger als ihre Beendigung. Soviel Armutsrhetorik war noch nie. Die jüngste Jahrestagung von IWF und Weltbank, die vom 9.-14. Oktober 2012 in Tokio stattfand, bot für den neuen Präsidenten der Weltbank eine ideale Plattform, um der Öffentlichkeit erste Elemente einer neuen Agenda der Armutsbekämpfung präsentieren zu können.

Und in der Tat: Jim Kim wartete mit einigen neuen Akzenten auf, die aufhorchen ließen. Dennoch wird man abwarten müssen, was er in seinem neuen Amt verwirklichen und wie weit er sich gegenüber dem Establishment einer großen Bürokratie und mächtigen Shareholdern, die letztlich das Sagen haben, durchsetzen kann. Die ersten 100 Tage und die Auftritte von Tokio lassen in dieser Hinsicht eher ein gemischtes Bild zu, das ich in einem Artikel in der neuen Ausgabe von W&E analysiere >>> hier.

13. Oktober 2012

Ergebnisorientierung bei IWF und Weltbank? Fehlanzeige!

Wer bei dieser Jahrestagung von IWF und Weltbank, die derzeit in Tokio stattfindet, nach konkreten Beschlüssen sucht, der muss schon eine Lupe zur Hand nehmen. Eine dieser raren Entscheidungen besteht darin, dass 2,7 Mrd. Dollar an Windfallprofiten aus dem letzten Goldverkauf des IWF jetzt verwendet werden, um die „Poverty Reduction and Growth Trust Fund“ (PRGTF) des IWF zur Dauereinrichtung zu machen, die künftig über eigene Mechanismen der Mittelaufbringung verfügen soll. NGOs haben seit Jahren gefordert, Teile der Goldvorräte des IWF zur Tilgung der Schulden bei multilateralen Institutionen zu verwenden. Dass der IWF dies jetzt zur Aufbesserung seiner eigenen „Kriegskasse“ verwendet, ist bestenfalls ein Pyrrhussieg.

Ein ausgesprochen dunkles Kapitel der IWF-eigenen Reformbestrebungen dagegen ist, dass in Tokio erneut die schon 2010 beschlossene Ausweitung des Stimmenanteils der Schwellenländer nicht beschlossen werden konnte, weil  dafür immer noch nicht die erforderlichen 85% der Stimmrechte der Mitglieder zusammen sind (vor allem, weil die USA dies bislang noch nicht vor den Kongress gebracht haben). Mindestens genauso schwerwiegend ist, dass die Industrieländer einerseits und die Schwellen- und Entwicklungsländer andererseits über die grundsätzliche Neubewertung der Quoten im Fonds, die bis Januar 2014 unter Dach und Fach sein soll, uneinig sind. Die Schwellen- und Entwicklungsländer haben in Tokio nochmals betont, dass die Quotenveränderung das relative Gewicht der Mitgliedsländer in der Weltwirtschaft widerspiegeln müsse (so im Kommuniqué der G24). Dies läuft auf eine Aufwertung des Stellenwerts des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bei der Quotenberechnung hinaus, das gegenwärtig nur mit 50% zu Buche schlägt. Die Industrieländer wollen aber andere Faktoren, etwa die „finanzielle Offenheit“ einer Ökonomie stärker gewichten, was wegen der engen Kapitalverflechtung der Industrieländer untereinander zu ihren Gunsten wäre – eine absurde Position angesichts der Tatsache, dass der IWF seine Position in jüngster Zeit wieder zugunsten von Kapitalverkehrskontrollen geändert hat.

Wie so oft, sind Fortschritte auf dieser Jahrestagung noch am ehesten auf der Diskursebene zu erkennen. Zweifellos ist die Erkenntnis des IWF, dass die negativen Auswirkungen von Haushaltskürzungen und Steuererhöhungen auf das Wachstum in den letzten Jahren stark unterschätzt wurden, ein weiterer Meilenstein im Umdenken (und auch zur Selbstkorrektur) des Fonds. Die Frage ist allerdings, wie die IWF-Spitze das sorgfältige Auskalibrieren von fiskalischer Konsolidierung und Wachstumsorientierung (>>> Kommuniqué des Wirtschafts- und Finanzausschusses) beispielsweise in der Troika durchsetzen will, wenn die Hardliner in Europa, etwa Deutschland, anderer Meinung sind, von den fondsinternen Widerständen gegen einen Kurswechsel einmal abgesehen. Vielleicht gehört es zu den tragischsten Aspekten der aktuellen Entwicklung, dass ausgerechnet der IWF moderatere Positionen vertritt als die Europäische Union – und das in einer Zeit, in der letztere sogar den Friedensnobelpreis bekommen hat.

IWF spricht mit gespaltener Zunge


Wie schon in vielen Jahren zuvor, habe ich dem Neuen Deutschland wieder ein Interview zur Jahrestagung von IWF und Weltbank gegeben. Hier ist der Text:
 
FRAGE: 1975, 1982, 1991, 2008 – das waren die vier Rezessionsjahre der Weltwirtschaft in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Internationale Währungsfonds (IWF) befürchtet nun für 2013 die fünfte Weltrezession, gerade mal fünf Jahre nach der letzten. Mit Recht?

ANTWORT: Jedenfalls nicht zu Unrecht. Sicher ist auf alle Fälle, dass die letzte große Krise, die globale Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008, immer noch auf der Weltwirtschaft lastet. Die seitdem erlebte Erholung fiel wesentlich schwächer aus als die Erholungsprozesse nach früheren Rezessionen.

Woran liegt das?

Das hat damit zu tun, dass die Risikofaktoren nach wie vor stark sind und weiterhin die weltwirtschaftliche Entwicklung bedrohen. Die Problematik der globalen Ungleichgewichte, wie die extremen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands und die hohen Leistungsbilanzdefizite der USA, besteht nach wie vor. Hinzu kommen die regionalen Ungleichgewichte innerhalb der Euro-Zone. Die vollmundig angekündigte Reform des Weltfinanzsystems ist ihren Kinderschuhen noch nicht entwachsen. Das Maß an Reregulierung der Finanzmärkte ist vollkommen unzureichend, eine grundlegende Veränderung des Weltfinanzsystems steht nach wie vor aus.

Der IWF hält für Deutschland auf Grund der guten Arbeitsmarktlage höhere Löhne, höhere Inflation sowie höhere Vermögenswerte als globalen Stabilitätsbeitrag für angebracht. Das klingt eher keynesianisch und nicht wie nach den üblichen neoliberalen Austeritätsrezepten. Gibt es beim IWF einen Kurswandel?

Der IWF spricht seit einiger Zeit mit einer gespaltenen Zunge. Er predigt den einen nach wie brachiale Austerität, zum Beispiel für Südeuropa, und andere fordert er dazu auf, Wachstumsanreize per Staatsintervention zu setzen. Noch am Donnerstag hat Christine Lagarde, die Geschäftsführende Direktorin des IWF, sogar zu einer Pause bei der Sparpolitik in Südeuropa aufgerufen. Sie meinte, man müsse diesen Prozessen zwei Jahre mehr Zeit geben. Der IWF ist bei seinen Politikempfehlungen nicht mehr so eindimensional wie früher.

Und in der Praxis?

Da läuft vieles wie gehabt. Was von Lagarde und Co. deklariert wird, findet in der Umsetzung der IWF-Politik oft kein Gehör. Vor Ort wird oft noch die alte Politik der neoliberalen Strukturanpassung mit allen Indikatoren, die dazu gehören, praktiziert.

Brasiliens Finanzminister Guido Mantega kritisiert die EU, dass sie ihre Reformen wie die Bankenaufsicht und den Anleihenaufkauf durch die Europäische Zentralbankviel zu zaghaft und langsam vorantreibt und deswegen die Schwellenländer in Mitleidenschaft gezogen werden. Ist dieser Vorwurf berechtigt?

Der Vorwurf ist sicher berechtigt, wobei es nicht die EU als solche ist, sondern meist einzelne Länder, allen voran Deutschland, die im Bremserhäuschen sitzen. Deswegen kommen die Reformprozesse nur sehr schleppend voran. Im Übrigen geht es nicht nur um die Geschwindigkeit von Reformen, sondern um ihre inhaltliche Ausrichtung. Hier gibt es Nachholbedarf: Bei aller unbestrittenen Notwendigkeit, Politik stärker im europäischen Rahmen zu vergemeinschaften, sind die Wegweiser derzeit nach wie vor in eine neoliberale Richtung gestellt sind. Hier ist ein grundlegender Kurswechsel zu einem sozialen Europa notwendig.

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht die EU-Staaten in Sachen Haushaltskonsolidierung mit Ausnahme Griechenlands auf gutem Reformkurs. Er sieht eher die USA und Japan in der Bringschuld. Ist diese Position von Schäuble nachvollziehbar?

Nein. Schäuble ist aus globaler Sicht ein einsamer Rufer in der Wüste. Fakt ist, dass die USA nach wie vor höheres Wachstum als die Eurozone, die jetzt in der Rezession ist, aufweisen, dass auch Japan gewisse Erholungsanzeichen aufweist und dass Europa mit der Euro-Zone nach wie vor das Epizentrum der aktuellen Krise ist. Deswegen stehen objektiv vor allen Dingen die Europäer in der Pflicht, ihre eigenen Probleme in den Griff zu bekommen, um die negativen Auswirkungen, die von Europa derzeit auf die Weltwirtschaft ausgehen, zu beheben.

Ist von der IWF-Herbsttagung eine konzertierte Aktion gegen die heraufziehende Krise zu erwarten? Eine drohende Weltrezession ist ja keine Kleinigkeit...

Konzertierte Aktion? Schön wär's. Der Schwung der Zusammenarbeit im Rahmen der G20 nach der Krise 2008 hat viel an Kraft verloren. Inzwischen treten die Interessengegensätze wieder stärker in den Vordergrund. Es mangelt an Kooperation und Kooperationsbereitschaft mangelt. Die Jahrestagung in Tokio wird daran kaum etwas ändern. Vor den Wahlen in den USA wird sich in diesem Sinne sowieso nichts bewegen.