31. August 2009

Luxemburg: Finanzlobby vs. Zivilgesellschaft

Die derzeit in England geführte Debatte, ob der Finanzsektor nicht zu groß geworden sei und seine Aktivitäten überhaupt noch von gesellschaftlichem Wert sind (>>> Paukenschlag aus London), ist nicht nur dort von Belang. Auch am Finanzplatz Luxemburg zeigt sich, wie die Machtverhältnisse zwischen Finanzwirtschaft und Politik aus dem Gleichgewicht geraten sind. Die Vorgänge um die vom Dachverband der Luxemburger Entwicklungs-NGOs, dem Cercle de Coopération, in Auftrag gegebene und veröffentlichte Studie „Der Fall Luxemburg. Fragen aus entwicklungspolitischer Sicht“ sind dafür ein bezeichnender Fall (>>> Politischer Sturm im Sommerloch).

Bereits unmittelbar nach Erscheinen der Studie ließ der Direktor der Luxemburger Bankenvereinigung (ABBL), Jean-Jacques Rommes – gar nicht so vornehm und zurückhaltend wie in Bankenkreisen sonst üblich – seiner Wut freien Lauf. Der im Namen des Cercle veröffentlichte Bericht sei „eine bodenlose Schweinerei“. Entgegen der offiziellen Lesart bescheinigt die Studie dem Großherzogtum „deutliche Züge einer Steueroase“ und problematisiert auch seine Rolle im Nord-Süd-Verhältnis. Doch, so Rommes, alles sei „falsch“, „nichts“ sei belegt. Gleich nach der Veröffentlichung gab der oberste Finanzplatz-Lobbyist dem Cercle auch zu verstehen: „Mein Ziel ist es, dass der Blödsinn aus der Öffentlichkeit – und also auch von Ihrer Website – verschwindet.“ Zwei Wochen nach der Pressekonferenz, auf der die Studie vorgestellt worden war, hatte die ABBL ihr Ziel erreicht, und das Papier verschwand – zusammen mit einer anderen Broschüre (>>> Jenseits von Almosen), die der Cercle mit NGO-Verbänden aus Österreich und der Schweiz publiziert hatte – aus dem Netz.*)

Erschreckend daran ist nicht so sehr, wie rüde Finanzplatzlobbyisten ihre Interessen durchsetzen, sondern wie schnell und bereitwillig Luxemburger Medien und Politik dabei mitspielen. Während sich ausgerechnet das („sozialistische“) Tageblatt vom ersten Tag an zum Sprachrohr der Bankenvereinigung machte, berichtete das Luxemburger Wort zunächst neutral über die Studie. Als dann aber auch der neu-alte Premierminister Jean-Claude Junker in seiner Regierungserklärung dem Cercle vorwarf, die Luxemburger Entwicklungshilfe zu diskreditieren, schwenkte das „Wort“ auf Regierungslinie ein. (Die Studie schätzt die jährlichen Steuereinnahmeverluste von Regierungen in Entwicklungsländern aufgrund von in Luxemburg geparktem Kapital ihrer Bürger auf 2,5 Mrd. US-Dollar – beträchtlich mehr als die Höhe der Luxemburger Entwicklungshilfe.)

Der Rest ist dann wohl sehr schnell gegangen: Am Mittwochmorgen, den 5. August, fand erst im Außenministerium, dann bei der ABBL ein Gespräch mit Vorstandsvertretern des Cercle statt. (Den Autor der Studie wollte die ABBL übrigens von Anfang an nicht dabei haben – was mehr über die Bereitschaft zur inhaltlichen Debatte aussagt als alle verbalen Dialogbekundungen.) Am Nachmittag desselben Tages war die Cercle-Website dann von Studie und Broschüre gesäubert. Dem Vernehmen nach war an diesem Tag dem Cercle auch mit dem Entzug von Finanzmitteln gedroht worden. Öffentlich ist das freilich nicht. Aber vorstellbar: Alle Mitgliedsorganisationen des Cercle habe Kooperationsverträge mit dem Außen- bzw. dem Entwicklungsministerium, und der Cercle selbst wird zum 85% aus staatlichen Quellen finanziert.

*) Der Korrektheit halber muss aber erwähnt werden, dass dies nur ein Teilerfolg der ABBL war. Denn während die Studie von der Website des Cercle verschwand, tauchte sie andernorts im Netz wieder auf, so bei der Association Solidarité Tiers Monde (>>> ASTM), der Association de Soutien aux Travailleurs Immigrés (>>> ASTI), der Wochenzeitung WOXX, bei Attac Deutschland, bei Weltwirtschaft & Entwicklung, beim Netzwerk Steuergerechtigkeit usw.

29. August 2009

Globaler Wirtschaftsrat im Mahlstrom des Mainstreams

Wenn alternative Vorschläge zum Mainstream werden, kann dies als Indikator für politischen Wandel verbucht werden. Es ist aber auch möglich, dass der Forderung in diesem Prozess das entscheidende Veränderungspotential genommen wird. Dies lässt sich derzeit an der Forderung nach einem Globalen Wirtschaftsrat studieren, die anscheinend kaum noch umstritten ist. Jüngstes Beispiel: Ein gemeinsamer Kommentar des ehemaligen Unterstaatssekretärs für internationale Angelegenheiten im US-Finanzministerium, Timothy Adams, und des italienischen Exekutivdirektors beim IWF, Arrigo Sadun. Darin schreiben die beiden, es sei höchste Zeit für eine neue internationale Wirtschaftsarchitektur, an deren Spitze ein Globaler Wirtschaftsrat (Gleco) stehen müsse.

Liest man ein wenig weiter, wird klar, dass das neue Aufsichts- und Steuerungsgremium aus der G20 und der G8 heraus entstehen und diese ablösen soll. Da der Gleco über allen internationalen Wirtschaftsinstitutionen wie dem IWF und der Weltbank stehen würde und seine Zusammensetzung „universell wie bei IWF und Weltbank“ wäre, würde sich nach der Lesart der beiden auch eine Veränderung der Governance-Strukturen der Weltbank und des IWF erübrigen. „One Dollar – One Vote“, wie gehabt, also. Von einer Rolle der Vereinten Nationen ist in diesem Zusammenhang überhaupt nicht die Rede.

In dieser Perspektive erscheint auch das französische Bestreben zur Umgestaltung der G8 in einem anderen Licht. Zwar redet der französische Präsident Sarkozy gern leidenschaftlich gegen die Exklusivität der G8. Bis 2011, wenn Frankreich turnusmäßig wieder die G8-Präsidentschaft inne hätte, will Sarkozy die Erweiterung der G8 in eine G14 (unter Einschluss solcher Länder wie China, Indien, Brasilien, Südafrika und Ägypten) unter Dach und Fach haben – ein Fortschritt gegenüber der alten G8 zwar, aber ein eindeutiger Rückschritt gegenüber der G20.

Unser Lob erhält angesichts solcherlei Halbherzigkeit heute einmal der Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO), Pascal Lamy. In einer Rede philosophierte Lamy kürzlich über die gegenwärtige Neukonfiguration von Global Governance. Dabei ging er auf die diversen Vorschläge für einen Globalen Wirtschaftsrat gar nicht ein, sondern schlug ein „Dreieck der Kohärenz“ vor. Dessen Ecken würden gebildet (1) von der G20 als neuem Steuerungszentrum, (2) den einzelnen mit Wirtschafts-, Finanz- und Entwicklungsfragen befassten internationalen Organisationen und (3) der G192, also den Vereinten Nationen, vor denen in Zukunft einmal alle Rechenschaft ablegen müssten.

28. August 2009

Nestbeschmutzer aller Länder...

Als „Nestbeschmutzer“ werden in Ländern wie der Schweiz und Luxemburg oft die Kritiker des eigenen Finanzplatzes verunglimpft. Dieses Schicksal hat nun auch den Chef der britischen Finanzaufsichtsbehörde FSA, Lord Turner, ereilt, nachdem er sich gestern als Anhänger der Tobin Tax geoutet und Fragen nach der gesellschaftlichen Nützlichkeit des „aufgeblähten“ Londoner Finanzplatzes gestellt hatte (>>> Paukenschlag aus London). Sofort prasselte die geharnischte Kritik von Bankern, Industriellen und Politikern auf ihn hernieder: Turner untergrabe die führende Rolle des Finanzzentrums London in der Welt.

Es ist das alte Lied, das immer dann angestimmt wird, wenn die Finanzindustrie in die Kritik gerät. Londons Bürgermeister Boris Johnson erregte sich, wie jemand sagen könne, die Verteidigung der internationalen Konkurrenzfähigkeit gehöre nicht zu den Hauptaufgaben einer Regulierungsbehörde wie der FSA. Der „Chairman of policy“ der City of London, Stuart Fraser, sagte, Turner spiele den rivalisierenden Finanzmetropolen wie Frankfurt oder Paris in die Hände: „Anderen Zentren würde es sehr gefallen, Geschäftsfelder von London zu haben. Wenn wir uns selbst ans Bein treten, wären sie entzückt, diese Geschäfte übernehmen zu können.“

Die vermeintlichen Finanzplatz-Patrioten aller Länder sind immer dann am aufgebrachtesten, wenn die Kritik von innen kommt. Diese Erfahrung machte vor Jahrzehnten schon Jean Ziegler, als er die Rolle der Schweiz als finanzielle Fluchtburg für allerlei Diktatoren an die Öffentlichkeit brachte. Und diese Erfahrung machen derzeit die Luxemburger NGOs, die kürzlich meine Studie „Der Fall Luxemburg. Fragen aus entwicklungspolitischer Sicht“ veröffentlicht haben. Hätte ich diesen Text in irgendeiner Zeitschrift veröffentlicht, hätte wahrscheinlich kein Hahn danach gekräht. Dass aber der Dachverband der Luxemburger NGOs der Herausgeber war, rief sofort die geballte Abwehr der Finanzplatzakteure hervor (>>> Politischer Sturm im Sommerloch).

Wie gut ist es da doch, dass unkonventionelle Denkanstöße immer andere Querdenker-Stimmen nach sich ziehen. So sagte der finanzpolitische Sprecher der Liberalen Demokraten, Turner habe Recht, dass die City schrumpfen müsse, und die Rede von der Verteidigung der Wettbewerbsfähigkeit sei nichts als eine Entschuldigung für „Business as usual“. Die eloquente Kolumnistin der Financial Times, Gillian Tett, schrieb, Turner müsse dafür gelobt werden, „das Undenkbare gedacht“ zu haben. Und Jean Rhein vom Luxemburger Quotidien kommentierte: „Es ist niemals zu spät, und selbst im Großherzogtum verliert man da nicht die Hoffnung, dass der Finanzsektor eines Tages von den Notwendigkeiten einer nachhaltigen Entwicklung durchgerüttelt wird.“

27. August 2009

Paukenschlag aus London: FSA-Chef fordert Tobin Tax

Ein kleiner Paukenschlag aus London läutet dieses Jahr das Ende der Sommerpause ein. Kein geringerer als der Chef der obersten britischen Aufsichts- und Regulierungsbehörde für den Finanzsektor (FSA: Financial Services Authority), Lord Adair Turner (s. Foto), beschreibt einen großen Teil der Aktivitäten der Londoner City als „gesellschaftlich nutzlos“ („socially useless“) und fordert eine Steuer auf Finanztransaktionen à la Tobin. Eine solche Steuer könnte das für exzessive Bonus-Zahlungen zur Verfügung stehende Geld begrenzen und wäre zugleich eine „nette Einnahmequelle“, um globale öffentliche Güter zu finanzieren.

In einem Interview für die kommende Ausgabe des englischen Magazins Prospect gibt Turner zu Protokoll: „Wenn Sie exzessive Bezahlung in einem aufgeblähten Finanzsektor stoppen wollen, müssen Sie die Größe dieses Sektors reduzieren oder Sondersteuern auf Sondervergütungen erheben. Höhere Kapitalrücklagebestimmungen sind unser mächtigstes Instrument, um exzessive Aktivitäten und Profite zu beseitigen. Und wenn das nicht hilft, sollte man sich nicht scheuen, Steuern auf Kapitaltransaktionen – Tobin-Steuern – einzuführen.“ Die FSA solle sehr, sehr vorsichtig sein, immer nur die Konkurrenzfähigkeit Londons als Hauptziel zu sehen, und stattdessen erkennen, dass die City ein destabilsierender Faktor für die britische Wirtschaft geworden ist, meint Turner, dessen Aussagen heute in der Financial Times und im New Statesman breit wiedergegeben werden.

Es ist das erste Mal, dass eine führende Persönlichkeit des Londoner Finanzestablishments für eine globale Kapitaltransaktionssteuer eintritt. Und so verwundert es nicht, dass das dortige Finanzministerium grimmig dreinblickte und die Bankenlobby sofort das Gespenst der Kapitalflucht an die Wand malte. Vom linken Flügel der Labour Party hingegen kam Unterstützung. Turner habe den Startschuss gegeben, sagte der Abgeordnete Frank Field, endlich ernsthafter und grundsätzlicher über die Rolle der City in der Gesellschaft nachzudenken. Das ist in England sicherlich besonders notwendig, aber beileibe nicht nur dort …

17. August 2009

13. August 2009

Böcke als Gärtner: Neue Politik mit den alten Beratern?

Die aktuelle Debatte um die Verschwendung von Steuergeldern durch Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg greift zu kurz. Der wahre Skandal ist, dass die Bundesregierung sich weiterhin von sog. Beratern helfen lässt, die selbst die Krise verursacht haben und weiterhin auf eine möglichst geringe Regulierung der Banken und Finanzmärkte drängen, so Werner Rügemer vom Wissenschaftlichen Beirat von Attac.

In der Tat: Die Anwaltskanzlei Linklaters, die zu Guttenberg mit der Formulierung des Gesetzesentwurfes zur Zwangsverwaltung maroder Banken beauftragt hatte, hat sich einen Namen gemacht als Lobbyisten-Kanzlei für hoch riskante Finanzprodukte. Linklaters arbeitet für True Sale International, einen Bankenzusammenschluss, der 2004 von 13 großen Banken gegründet wurde und mit Stiftungskonstruktionen eben jene Verbriefungen in großem Stil auf den Weg brachte, die als zentraler Auslöser der Finanzkrise gelten. Einer der Gründer von True Sale International ist zudem Jörg Asmussen, der heute als Staatssekretär im Innenministerium eine zentrale Rolle bei der Krisenpolitik der Bundesregierung spielt.

Und Linklaters ist kein Einzelfall. Krisenverursacher mit der Erstellung von Gesetzesentwürfen zum Thema Bankenrettung zu beauftragen, gehört zur Routine der Bundesregierung. So stammt der Text für das bereits verabschiedete Gesetz zur Verstaatlichung der Hypo Real Estate (HRE) aus der Feder von Freshfield Bruckhaus Deringer: Die international agierende Kanzlei ist u.a. verantwortlich für viele Public-Private-Partnership-Modelle und die unübersichtlichen Cross-Border-Leasing-Verträge, die derzeit zahlreiche Kommunen in Deutschland an den Rand des Ruins treiben. Beteiligt am HRE-Entwurf war auch die deutsche Kanzlei Hengeler Müller. Sie arbeitet zugleich für die Deutsche Bank und den Großaktionär der HRE, J.C. Flowers.

Kein Wunder, dass Attac die Bundesregierung auffordert, die Vergabe jeglicher Aufträge an die die Verursacher der Finanzkrise zu beenden. Jutta Sundermann vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis: "Diese Berater gehören in die Wüste gejagt. Mit ihnen ist eine Bewältigung der Krise im Interesse und zum Wohl der Allgemeinheit ausgeschlossen. Was wir brauchen, ist endlich eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Ursachen der Krise."