30. November 2008

UNCTAD-Generalsekretär beklagt Doppelstandards in der Finanzkrise

In ungewöhnlicher Offenheit hat der Generalsekretär der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), Supachai Panitchpakdi (s. Photo), in Doha die Doppelstandards der Industrieländer und des IWF in der gegenwärtigen Finanzkrise beklagt. Auf einem Panel über die Globale Finanzkrise, die globalen Ungleichgewichte und Policy Space erzählte Supachai erstmals, mit welchen Forderungen er sich in den Jahren 2007/8 konfrontiert sah, als er zum Stellvertretenden Finanzminister Thailands wurde: „ Sie sagten nur: Kürzt, kürzt, kürzt Eure Ausgaben, hebt Eure Zinssätze und bestraft Eure Banken! Lasst keinen moral hazard zu! Wie oft haben Sie diese Worte in den letzten Monaten gehört, als die Banken im Norden gerettet wurden?“

Thailand habe das Rettungspaket des IWF damals nur teilweise in Anspruch genommen. Das zeige, dass Policy Space-Begrenzungen menschengemacht sind und auch von Menschen wieder beseitigt werden können. So habe auch Thailand viel zu früh den Kapitalverkehr freigegeben und sich damit schutzlos dem Zustrom spekulativen Privatkapitals ausgeliefert, später das IWF-Geld aber vorfristig, schon nach zwei Jahren, zurückgezahlt (Nach den Bestimmungen der IWF-Satzung sind Kapitalverkehrskontrollen eindeutig erlaubt; aber die ganze Beratertätigkeit des Fonds ging genau in die entgegengesetzte Richtung.)

Heute macht der Fonds wieder eine Kehrtwende, aber nur scheinbar. Den Industrieländern rät er zu Stimuluspaketen, zur Rettung ihrer Banken und zur besseren Regulierung ihres Finanzsektors. Die anwesende Vertreterin des IWFs, die Chefin seiner Afrika-Abteilung, Antoinette Sayeh, hatte dafür eine eigentümliche Erklärung parat: Nur solche Länder, die es sich leisten könnten, dürften antizyklisch auf die Krise reagieren, aber die meisten Länder seien eben Defizitländer und könnten dies nicht. Hier gehe es darum den Haushalt angesichts der durch die Realität diktierten Anpassung zu schützen. – Spitzfindiger hat mir selten jemand die in das internationale System eingebauten Machtasymmetrien erklärt. Die Frage von Heiner Flassbeck (UNCTAD), ob dies vielleicht damit zusammenhänge, dass es seit Anfang der 1970er Jahre kein Währungssystem mehr gebe, das auch den Defizitländern Regulierungsspielräume einräume, blieb leider unbeantwortet.

Tag der schönen Worte oder mehr in Doha?

Für Jean Merckaert vom Globalen Caritas-Netzwerk klang es ein bisschen, als sei Nicolas Sarkozy zum Robin Hood der armen Länder avanciert. Und in der Tat machte sich wieder einmal ein französischer Präsident, der hier als Ratspräsident der EU auftrat, zum Fürsprecher der Opfer der globalen ökonomischen Krise. Die Welt müsse verändert werden, einschließlich ihrer Institutionen und ihres Finanzsystems. Und vor allem Afrika müsse mehr Mitsprache im IWF und in der G20 und auch ein Sitz im UN-Sicherheitsrat eingeräumt werden. Der Europäische Kommissionspräsident, José Manuel Baroso, stand Sarkozy in nichts nach: „Wir müssen innovativer werden und uns auf ein neues Paradigma zu bewegen.“

Natürlich sind solche Einlassungen stets an der Praxis der Akteure zu messen, und entsprechend gibt es zahlreiche Stimmen von NGOs, die das tun. Aber dennoch ist hier am ersten Tag der UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung so etwas wie eine möglicherweise praxisverändernde Dimension des Diskurses deutlich geworden. So forderte die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczoreck-Zeul gleich mehrfach die Überführung der G20 in einen Global Council, wie er schon im Prozess der Erarbeitung des Monterrey Consensus (im Zedillo-Report) angedacht worden war. Vor allem Afrika dürfe von der G20 nicht vergessen werden. Bei einem Panel über die „Erneuerung des Multilateralismus“ machte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, der beim Eröffnungsplenum am Morgen eher blass gewirkt hatte, allerdings klar, dass Inklusion und Partizipation nicht bedeuten könne, „dass wir einfach die Zahl hinter dem Buchstaben G erhöhen“. Ein neuer Multilateralismus müsse „elastisch genug“ sein, um mit den globalen Herausforderungen auch institutionell jeweils adäquat umgehen zu können.

Zum neuen Leitmotiv jenseits der kruden Entgegensetzung „Hier G20 – dort G192“ könnten die Begriffe „Brückenbau“ (Ban) und „variable Geometrie“ (Pascal Lamy) werden. Eine Brücke zwischen dem Washingtoner Finanzgipfel und der UN-Konferenz in Doha wollte Ban schon mit dem Vorabtreffen der (wenigen) anwesenden Staats- und Regierungschefs am letzten Freitag schlagen. Bei dem erwähnten Panel präsentierte WTO-Generaldirektor Pascal Lamy sogar den einstmals berüchtigten „Green Room“ der WTO-Verhandlungen als eine Art G30, an der neben den G20 auch noch Vertreter ärmerer Länder, etwa der LDCs oder der AKP-Staaten, beteiligt sind. Für den Administrator des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP), Kemal Dervis, war klar, dass künftig die G20 (mit einer noch zu entscheidenden Form der Rotation oder als G20-Plus) das Zentrum der Global Governance sein werden. Allerdings werde es immer einen gewissen Mix zwischen informellen und formellen, vertragsbasierten Formen der internationalen Entscheidungsfindung geben. Aktuell plädierte Dervis für ein global koordiniertes, keynesianisches Konjunkturprogramm in der Größenordnung von 3% des globalen Outputs. Dieses Programm müsse eine starke grüne Färbung bekommen, indem 10-15% davon in klimafreundliche Investitionen flössen. – Natürlich bleiben noch viele Fragen offen. Aber ein bisschen deutlicher geworden ist am ersten Konferenztag schon, was es heißen kann, die Doha-Konferenz als Ideenspender und als Forum zu nutzen, das neue Initiativen für die Global-Governance-Reform produziert.

29. November 2008

Doha ist eine Baustelle: Dächer für die Verwundbaren?

Von Reinhard Hermle

Nicht nur eine eindrucksvolle Skyline architektonisch anspruchsvoller Wolkenkratzer ziert Doha, die Hauptstadt des Emirats Katar am Persischen Golf, sondern auch zahllose von hohen Kränen überragte Baustellen. Sie zeugen von dem offenbar noch ungebrochenen Bauboom und dem Willen der Eliten, das Emirat zu einem attraktiven Standort für Investoren und Touristen zu machen. Wie weit dies nachhaltig ist, muss sich – nicht zuletzt wohl auch im Hinblick auf die globale Finanzkrise, die auch die Ölstaaten nicht verschonen wird – noch erweisen.

Immerhin ist es dem Emirat gelungen, große internationale Konferenzen ins Land zu holen. So fand der Auftakt zu den laufenden Verhandlungen über eine weitere Liberalisierung des Welthandels im November 2001 in Doha statt. Nach dem Schock der Terroranschläge vom 11. September schien Einverständnis darüber zu bestehen, dass es auch darum gehen müsse, die Armut in der Welt zu überwinden, um politischer Radikalisierung den Boden zu entziehen. Deshalb sollte die Handelsverhandlungen vor allem den Interessen der armen Länder Rechnung tragen. Dieser Prozess trägt daher auch den Namen „Doha-Entwicklungsrunde“. Diese Baustelle ist bis heute nicht geschlossen, weil sich teils die USA und EU nicht einig sind, aber vor allem auch die Entwicklungsländer fürchten, ein weiteres Mal über den Tisch gezogen zu werden.

Gerade wird in Doha mit der zweiten UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung eine neue Baustelle von weitreichender Bedeutung aufgemacht. Die Handwerker sind vor Ort. Bauteile für das Haus der weltweiten Partnerschaft, das gebaut werden soll, sind angeliefert. Sie passen noch nicht wirklich zusammen. Die Statik stimmt nicht. Es ist umstritten, wer die Architektur letztlich bestimmen soll. Offen ist, ob es gelingt, ein Dach zu zimmern, das insbesondere auch die Menschen in den schwachen Ländern vor den Stürmen schützt, die sie in Gestalt der vielfältigen aktuellen Krisen umtoben. Am kommenden Dienstag werden wir mehr wissen.

Bretton Woods II? Wir brauchen eine neue UN-Währungs- und Finanzkonferenz

Lesen Sie die Abschlußrede von Jens Martens, Global Policy Forum, auf dem Civil Society Forum in Doha (>>> in unserem englischen Newsblog)

28. November 2008

Doha: Lassen die Reichen die Armen links liegen?

Für die ärmsten Nationen der Welt ist es eine der wichtigsten Konferenzen in den letzten sechs Jahren. Doch die politischen Führungen der Industrieländer haben offensichtlich beschlossen, das UN-Treffen für Entwicklungsfinanzierung in Doha links liegen zu lassen. Jedenfalls wird sich hier zeigen, ob sie die entwicklungspolitischen Versprechen der letzten Jahre ernst gemeint waren oder ob die westlichen Regierungen beabsichtigen, die aktuelle Finanzkrise zum Anlass und zur Entschuldigung zu nehmen, um der Entwicklungswelt den Rücken zuzuwenden.

Die deutsche Presse gab heute, Freitag, schon einen Vorgeschmack darauf, wie wichtig ihr das Thema ist: Keine der großen Tageszeitungen brachte bislang eine Vorschau auf die Konferenz, weder Süddeutsche noch FAZ, weder FR noch taz. Letztere bringt allerdings morgen einen Vorabbericht, der sich auch auf unserem Vorschau-Artikel (>>> Was steht auf dem Spiel?) stützt und am Schluss seinen Autur zitiert:

„Ein bloßes Wachstum der Kapitalflüsse führe aber ohnehin nicht notwendigerweise zu einem Wachstum für die Armen, erklärt Rainer Falk, Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung. Wichtiger noch als höhere Entwicklungshilfe wäre ein umfassenderer Wandel des globalen Wirtschafts- und Finanzsystems. "Gerade das ist die vielleicht wichtigste Chance der Doha-Konferenz", meint Falk.“

Die Fakten, warum das notwendig ist, liegen klar auf der Hand. Oxfam International hat sie heute nochmal in einem Pressebriefing zusammengestellt:

Die Bedeutung der Finanzkrise:
* Die Weltbank schätzt, dass durch die aktuelle Krise 40 Mio. Menschen zusätzlich in die Armut gestoßen werden.
* In der Rezession Anfang der 1990er Jahre fiel die internationale Entwicklungshilfe und brauchte bis 2003, um das Niveau des Jahres 1992 wieder zu erreichen (gemessen am BNE).

Entwicklungspolitische Versprechen:
* Das 0,7%-Ziel zu erreichen, würde die OECD-Länder 140 Mrd. Dollar zusätzlich pro Jahr kosten – ein Bruchteil der rund 3 Billionen, die in kürzester Zeit für die Bankenrettung mobilisiert wurden.

Kapitalflucht:
* Für jeden Dollar Entwicklungshilfe, die er bekommt, verliert der afrikanische Kontinent sieben Dollar durch die Kapitalflucht.
* Steuervermeidung bedeutet, dass den Entwicklungsländern jedes Jahr 160 Mrd. Dollar an Einkommen verloren geht.
* Der größte Batzen an verlorenem Geld der Entwicklungsländer entfällt nicht auf Korruption (5%) oder Verbrechen (35%), sondern auf Steuervermeidung und Steuerflucht durch Transnationale Konzerne, schätzungsweise 350-500 Mrd. Dollar pro Jahr.

Innovative Finanzierungsmechanismen:
* Eine kleine Steuer von bis zu 1% auf grenzüberschreitende Währungstransaktionen könnte dreimal so viel erbringen als die heutige Entwicklungshilfe.

27. November 2008

Doha: Bleibt die Zivilgesellschaft ungehört?

Von Klaus Schilder

Es soll ein starkes Signal für die UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung sein: Mehr als 400 Vertreter von Nichtregierungsorganisationen haben ihre Forderungen an die politischen Führer auf dem Forum der Zivilgesellschaft in eine gemeinsame Erklärung gefasst. Die Kernbotschaft lautet: Angesichts der globalen Finanz-, Ernährungs- und Ressourcenkrise und der dramatischen Auswirkungen des Klimawandels kann es kein „Weiter so wie bisher“ geben! Das internationale Finanzkasino braucht keine strengeren Regeln, es muss geschlossen werden!

Von Doha muss daher ein politischer Impuls für einen globalen Konsens ausgehen, der Armutsbekämpfung, soziale Gerechtigkeit, die Achtung der Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit, menschenwürdige Arbeit und ökologische Nachhaltigkeit zu den Kernprinzipien gemeinsamen Handelns macht. Die Lösung globaler Probleme darf nicht einem Club reicher Staaten, die handverlesene Schwellenländer an ihren Tisch geladen haben, überlassen werden. Eine neue globale Finanz- und Wirtschaftsstruktur, die die Interessen der Armen und Marginalisieren der Welt respektiert, muss unter kollektiver Mitwirkung aller UN-Mitgliedsstaaten - der G192 - entworfen werden, wenn sie demokratisch legitimiert sein soll. Dafür lohnt es zu kämpfen!

Die Botschaften sind klar, nur werden sie auch politisches Gehör finden? Die Doha-Konferenz läuft Gefahr, selbst hinter die Ergebnisse der ersten Finanzierungskonferenz in Monterrey zurückzufallen, wenn nicht gar zu scheitern. Und die G77 scheinen zu tief gespalten, um das Ruder zu wenden: Während sich Brasilia, Peking und Pretoria am „Tisch der Reichen“ Stimme und Mitsprache erhoffen, öffnen sich im Rest der Gruppe längst überwunden geglaubte ideologische Grabenkämpfe. Der Doha-Konferenz kommt damit immense Bedeutung für das multilaterale System selbst zu: Ein gesichtswahrender Mini-Konsens wäre angesichts des globalen Handlungsbedarfs inakzeptabel und käme einem Scheitern der Vereinten Nationen bei globalen Problemlösungen gleich. Politisch schwerwiegender: Er würde globalen Entscheidungen in demokratisch nicht legitimierten, exklusiveren Gremien wie der G20 den Weg bereiten. Ein globaler Konsens kann aber nur von einer zweiten UN-Währungs- und Finanzkonferenz, die auch von institutionellen Rahmen ein echtes „Bretton Woods II“ wäre, ausgehen. Doha könnte der erste Schritt dazu sein.

Dr. Klaus Schilder ist Referent für Entwicklungspolitik bei terre des hommes, Osnabrück, und z.Zt. in Doha.

‚Aid Pledge‘ der OECD: Von der Finanzkrise zur ODA-Krise?

Die Organisation für wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat sich gestern auf einer Sondersitzung ihres Exekutivkomitees der Verpflichtung der G20 angeschlossen, sich in den nächsten 12 Monaten mit Rücksicht auf die lahmende Weltkonjunktur neuer protektionistischer Maßnahmen zu enthalten. Gleichzeitig haben die Geberländer im OECD-Entwicklungshilfe-Ausschuss (DAC) positiv auf die Aufforderung des OECD-Generalsekretärs Angel Gurría und des DAC-Vorsitzenden Eckhard Deutscher reagiert, sich öffentlich zur Aufrechterhaltung ihrer Verpflichtungen in Sachen Entwicklungshilfe zu bekennen (‚Aid Pledge‘).

In einem Brief an die Staats- und Regierungschefs der OECD-Länder hatten die beiden im Oktober (>>> Echo und Widerhall) davor gewarnt, dass unter dem allgemeinen finanziellen Druck aus der Finanzkrise eine allgemeine Krise der Entwicklungshilfe werden könnte. In einem Statement erklären die DAC-Mitglieder jetzt, dass ihre Regierungen „erneut ihre Hilfeverpflichtungen bekräftigen und übereinstimmen, den Fluss der Entwicklungshilfe in dieser Höhe aufrechtzuerhalten“.

Statt „aufrechtzuerhalten“ hätte es freilich besser „zu erhöhen“ geheißen. Denn nach den ebenfalls in dieser Woche veröffentlichten endgültigen ODA-Zahlen für 2007 ist die öffentliche Entwicklungshilfe in diesem Jahr auch bei Herausrechnung des Schuldenerlass-Anteil gestiegen, aber nur um 2% - viel zu wenig, um den OECD-Verpflichtungen gerecht zu werden (s. Graphik). Nach diesen Angaben müssten über 30 Mrd. US-Dollar (im Wert von 2004) zusätzlich in die Entwicklungshilfe-Haushalte der Industrieländer fließen, um die Gelöbnisse von Gleaneagles und des Millennium+5-Gipfels von 2005 bis 2010 zu erfüllen. Etwas salomonisch heißt es in der DAC-Veröffentlichung, die FfD-Konferenz in Doha „sollte in Bezug auf die künftigen Intentionen hinsichtlich des Umfang der Hilfe Klarheit schaffen“. Wenn da mal nicht der Wunsch der Vater des Gedankens war …

Sorgen Sie dafür, Frau Merkel ...

Mit dieser Anzeige (Vegrößerung durch Anklicken) präsentiert das Bündnis "Deine Stimme gegen Armut" in der Freitagsausgabe der Financial Times Deutschland seine Forderungen an die Bundesregierung für die Doha-Konferenz.

Schlechte Signale vor Konferenzbeginn in Doha

Von Reinhard Hermle

Es passt ins Bild: Nicht nur die Chefs von Weltbank und IWF reisen nicht an den Persischen Golf. Sie folgen dem schlechten Beispiel, das viele Staats- und Regierungschefs geben. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt sich lieber auf dem CDU-Parteitag feiern, als sich in Doha der Herausforderung zu stellen, wie die armen Länder angesichts der dramatischen Finanz- und Wirtschaftskrise, die nach Schätzungen der Weltbank im kommenden Jahr 40 Millionen Menschen in neue Armut stürzen wird, ihre Entwicklung voranbringen können. Und obwohl deshalb die Doha-Konferenz vielleicht eine der wichtigsten seit der Konferenz in Monterrey im März 2002 ist, findet sie bei den Staats- und Regierungschefs wenig Beachtung.

Aus dem Kreis der Industrieländer hat nur der französische Präsident Sarkozy als derzeitiger EU-Ratspräsident sein Kommen zugesagt. Dies ist kein gutes Signal. Man sollte erwarten, dass sich die politischen Führer mit der gleichen Intensität und Energie um die zunehmende soziale Krise der Entwicklungsländer kümmern, die sie im Hinblick auf der Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt haben. Wenn sie das nicht tun, sagt das auch etwas aus über die Ernsthaftigkeit, mit der sie die früher gemachten und immer wieder bekräftigten Versprechen einzuhalten gedenken, die Quantität und Qualität der Hilfen für die armen Länder zu erhöhen.

Dr. Reinhard Hermle ist entwicklungspolitischer Berater von Oxfam Deutschland und derzeit in Doha.

26. November 2008

Zoellick: Truthahn-Essen statt Doha

Er präsentiert sich gern als einer, der in der jetzigen Finanzkrise die Fahne der Dritten Welt hochhält. Doch jetzt hat Weltbank-Präsident Robert Zoellick – ebenso wie IWF-Chef Strauss-Kahn - seine Teilnahme an der kommenden UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung in Doha, der Hauptstadt des arabischen Emirats Katar, abgesagt. Das Umfeld von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon soll sichtlich wütend gewesen sein, berichtet die Washington Post. Kein Wunder, hatte sich Ban Ki-moon doch erhofft, in Zoellick einen Bündnispartner in Doha zu haben, der gemeinsam auf die Bekräftigung der westlichen Versprechen in Sachen Entwicklungshilfe drängt.

Wie verlautet, soll Zoellick Probleme gehabt haben, die Feierlichkeiten des Thanksgiving Days und die Teilnahme in Doha unter einen Hut zu bringen. Doch das ist unglaubwürdig: Der Tag, an dem die US-Menschen gerne Truthähne verspeisen, ist bereits morgen, die offizielle UN-Konferenz beginnt dagegen erst am Samstag.

Viel eher treffen andere Befürchtungen zu, die man im UN-Hauptquartier in New York hegt: Zoellick will, dass die Fragen der künftigen Architektur des globalen Finanzsystems ausschließlich im Rahmen der G20 besprochen werden. Das passt auch zu Zoellicks Einlassungen, die G20 sollten ein Steering-Komitee bilden, um zu verdeutlichen, dass es sich gegenüber den G8 um einen Neuanfang handelt. Es wäre freilich ein wahrhaftiger Geburtsfehler, wenn die G20-Karriere in der Global Governance mit Düpierungen der Internationalen Gemeinschaft beginnt.

25. November 2008

Kneift Strauss-Kahn in Doha?

Nachdem seine Reise zur UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung in Doha zunächst als selbstverständlich galt, gibt es jetzt Hinweise darauf, dass der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, doch nicht teilnehmen wird. Für den „Reformdirektor“, wie er sich gerne selbst sieht, ist dies mehr als unverständlich, steht doch in Doha unter dem Punkt „Systemische Fragen des Finanzsystems“ auch die künftige Rolle und Reform des IWF auf der Tagesordnung. Schwer zu erklären wäre die Abwesenheit des IWF-Chefs auch, weil dem Fonds im Vorbereitungsprozess auf Doha ein außergewöhnlicher Einfluss eingeräumt wurde: Er kann praktisch gleichberechtigt wie die Mitgliedsstaaten Änderungsvorschläge zu den Konferenzdokumenten einbringen.

Ein Fernbleiben des IWF wäre ein starkes politisches Signal, dass den UN-Prozess im Kontext der Debatte um eine neue internationale Finanzarchitektur weiter schwächen würde. NGOs aus aller Welt haben deshalb einen Offenen Brief an Strauss-Kahn geschickt und ihn aufgefordert, doch noch nach Doha zu fahren.

Der Brief kann noch unterschrieben werden: >>> hier.

23. November 2008

Von der G20 zur G192? Vor dem UN-Gipfel zur Entwicklungsfinanzierung

Als im Vorfeld des Weltfinanzgipfels der G20 der amtierende Präsident der UN-Vollversammlung Miguel d’Escoto Brockman darauf hinweisen wollte, dass alle 192 UN-Mitglieder an der Schaffung einer neuen internationalen Finanzarchitektur beteiligt werden müssten, sprach er trotzig von der Gruppe der 192 (G192). Eine solche Plattform bietet jetzt die zweite UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD: Financing for Development), die vom 29. November bis 2. Dezember 2008 in Doha/Katar stattfindet. Vorschaltet ist in dieser Woche ein „Civil Society Event“, und zugleich wird es eine kaum noch zu überschauende Palette von „Side Events“ geben.



Lange haben NGOs keine so großen Hoffnungen mehr in eine hochrangige UN-Konferenz gesetzt. Entsprechend groß wird die Präsenz vor Ort sein. Dabei ist der Ausgang der Konferenz nach dem derzeitigen Stand der Vorbereitung (>>> G192-Gipfel in Doha: Was steht auf dem Spiel?) völlig offen. Das Spektrum der Möglichkeiten reicht von einem relativ detaillierten Outcome-Dokument bis zu einem wortkargen Papier von einer Seite, auf der lediglich eine halbherzige Bekräftigung des Consensus von Monterrey stattfindet, wo 2002 der erste UN-Gipfel zur Entwicklungsfinanzierung stattfand.

Der Gipfel teilt mit dem Weltfinanzgipfel das Handicap, dass allzu konkrete Beschlüsse vor dem Amtsantritt der neuen US-Administration unter Barack Obama wenig Sinn machen. Er bietet jedoch die Chance, konkrete inhaltliche Initiativen vorzuschlagen und auf den Weg zu bringen, die dann in einem Follow-Up weiter verfolgt werden. Umso spannender wird es sein, den Verhandlungsverlauf und die Beschlüsse von Doha genau zu beobachten. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs werden dabei sein: Ab Freitag dieser Woche wird direkt aus Doha gebloggt.

19. November 2008

Noch mehr IWF-Abkommen: The same procedure...

Es war Zeit, unsere Tabelle über „Neue IWF-Abkommen im Zeichen der Finanzkrise“ zu aktualisieren (s.u.; Vergößerung durch Anklicken). Denn in den letzten Tagen wurden zwei weitere Stand-by-Abkommen unter Dach und Fach gebracht, das eine mit Pakistan über 7,6 Mrd. Dollar, das andere mit Serbien über gut 500 Mio. Dollar. Während das Abkommen mit Serbien das Land verpflichtet, sein Haushaltsdefizit von 2,7 auf 1,5% des Bruttoinlandsprodukts zu kürzen, soll in Pakistan das „Vertrauen in- und ausländischer Investoren“ wieder hergestellt werden, und zwar durch eine „Verschärfung der Haushalts- und Währungspolitik“. Es ist also das glatte Gegenteil dessen, was der Fonds den Industrieländern als Mittel gegen die Krise empfiehlt: Hier die Aufforderung zu konjunkturpolitischen Stimuli, dort die alte Politik des Gürtel-enger-Schnallens.


Dass es reiner Irrglaube ist, der IWF hätte seine Konditionalität im Zusammenhang mit den neuen Abkommen bereits wesentlich gelockert, geht auch aus dem jetzt veröffentlichten Letter of Intent hervor, den die ungarische Regierung im Gegenzug zu den Stand-by-Mitteln an den Fonds geschickt hat. Dort kann nachgelesen werden, wie die Regierung bis 2009 das Haushaltsdefizit drücken will: durch stagnierende Löhne im gesamten öffentlichen Sektor, durch Abschaffung des 13. Monatsgehalts für alle öffentlichen Bediensteten, durch die Kürzung der 13. Monatsrente für Pensionäre und ihre Abschaffung für Frührentner usw. Es ist also nach wie vor so, dass der Canossa-Gang zum IWF mit sozialen Einschnitten verbunden ist, auch wenn im Falle Pakistans neben der Wiederherstellung des „Vertrauens der Anleger“ auch davon die Rede ist, dass soziale Sicherheitsnetze erhalten oder geschaffen werden müssen.

Der IWF hat übrigens Anfang der Woche die Zivilgesellschaft aufgerufen, sein sog. Policy Support Instrument (PSI) zu kommentieren. Das PSI gibt dem Fonds die Möglichkeit, auch in solchen Niedrigeinkommensländern tätig zu werden, die sein Geld nicht brauchen oder nicht wollen. Na denn …

Susan George über den Zusammenhang zwischen drei Krisen: Ungleichheit, Finanzkrise und Klima

17. November 2008

Nach dem Weltfinanzgipfel: Kontroverse Bewertungen und Ausblick

Wie meistens in solchen Fällen, reichen die Bewertungen des Weltfinanzgipfels, der am letzten Samstag in Washington stattfand, von „reiner Kosmetik“ (>>> attac) bis zu vorsichtigem Optimismus (>>> DIE). Eine oft geäußerte Kritik besteht darin, dass die ärmsten Länder der Welt (u.U. die größten Opfer der globalen Finanzkrise) auf dem Gipfel der G20 gar nicht vertreten waren. Das stimmt, verstellt aber den Blick für die seismischen Veränderungen in der internationalen wirtschaftlichen Konstellation, für die der Gipfel steht. Früher wurden derartige Fragen allein im exklusiven Kreis der G7/8 ausgehandelt und hernach den bestehenden Finanzinstitutionen übergestülpt. Jetzt besteht wenigstens die Chance für die Eröffnung eines Veränderungsprozesses. So begrüßte Oxfam International – neben viel Kritik – das in der Gipfeldeklaration enthaltene Bekenntnis zu Reform der Bretton-Woods-Institutionen.

Ebenso oft geäußert wird die Kritik, dies sei nicht „unser Gipfel“, sondern der „der Regierungen“. Doch wer – bitte schön – soll über die notwendige Re-Regulierung der globalen Finanzmärkte beschließen, wenn nicht die Regierungen? Wer soll neue internationale Institutionen schaffen oder existierende reformieren, wenn nicht die Mitgliedsländer, die durch ihre Regierungen vertreten werden?

Neben der Bewertung der Gipfelergebnisse (meine Analyse findet sich hier >>> Weltfinanzgipfel im Interregnum) steht jetzt die Frage an, was daraus zu machen ist und welches die nächsten Stationen sind. Neben den G20-Arbeitsgruppen zur Finanzmarktreform, dem neuen Wind für die Doha-Runde (den der Gipfel möglicherweise bringt), und dem nächsten G20-Gipfel (voraussichtlich am 30. April in London) sollte der zweite UN-Gipfel für Entwicklungsfinanzierung nicht vergessen werden, der noch Ende November/Anfang Dezember 2008 in Doha/Katar stattfindet. In einem Klima, das offener denn je für Veränderungen und Reformen ist, könnte dem Treffen in Doha die besondere Rolle eines Impulsgebers zufallen; zumal die dortige Agenda nicht auf entwicklungspolitische Fragen im engeren Sinn beschränkt ist, sondern im Gegenteil dieselben „systemischen Fragen“ der Finanzarchitektur einschließt, die auch im Mittelpunkt des G20-Prozesses stehen.

15. November 2008

G20 Statement

Stiglitz-Task Force zur Reform der Weltfinanzen steht

Am Vorabend des Weltfinanzgipfels der G20 in Washington hat gestern der Präsident der UN-Generalversammlung, Miguel D’Escoto, die Zusammensetzung der Hochrangigen Task Force bekanntgegeben, die Reformvorschläge für das international Finanzsystem ausarbeiten soll. Joseph Stiglitz (Photo). Nobelpreisträger für Wirtschaft 2001 und ehemaliger Chefökonom der Weltbank führt, wie bereits bekannt, den Vorsitz der Kommission, die offiziell Commission of Experts on Reforms of the International Monetary and Financial System heißt. Die anderen Mitglieder der Kommission sind:

* Jomo Kwame Sundaram, derzeit Assistant Secretary-General for Economic Development und des UN Department of Economic and Social Affairs (DESA);
* José Antonio Ocampo aus Kolumbien, ehemaliger Under-Secretary-General for Economic and Social Affairs;
* Zeti Akhtar Aziz, Gouverneur und Vorsitzender der Zentralbank Malaysias;
* Jean-Paul Fitoussi, Professor für Wirtschaft am Institute d’Etudes Politiques de Paris in Frankreich;
* Avinash Persaud aus Barbados, Vorstandsvorsitzender von Intelligence Capital Limited;
* Yaga Venugopal Reddy, ehemaliger Gouverneur der indischen Zentralbank;
* Eisuke Sakakibara aus Japan, derzeit Professor an der Waseda University in Tokio;
* Chukwuma Soludo, Gouverneur der nigerianischen Zentralbank;
* Yu Yongding aus China, Direktor des Institute of World Economics and Politics.

Weichen für die Gründung der Task Force, mit sich die Vereinten Nationen eine Stimme in der Debatte um eine Reform des Weltfinanzsystems geben, wurden schon im Oktober bei einem Panel in New York gestellt (>>> UN-Panel: Zeit für ein neues Bretton Woods). Die Position von Stiglitz findet sich in W&E 11/2008 (>>> Die Stiglitz-Prinzipien für eine Reform des Finanzsystems).

14. November 2008

Weltfinanzgipfel: Was kann man erwarten?

Die Financial Times wagt in ihrer heutigen Ausgabe den Versuch, die Ergebnisse des Weltfinanzgipfels in Washington vorherzusagen. Ich habe das mal in einer Tabelle zusammengefasst (Vergrößerung durch Anklicken!). Das Ergebnis ist erwartungsgemäß ernüchternd. In den meisten Bereichen wird es bei Appellen oder Bekenntnissen bleiben. Ein konkreter Prozess zur Ausarbeitung neuer Finanzmarktregulierungen dürfte durch die Einrichtung von Arbeitsgruppen auf den Weg gebracht werden. Die künftige Rolle des IWF bleibt Gegenstand von weiteren Untersuchungen (was auf den Dissens zu diesem Thema verweist). Ein wenig Bewegung gibt es vielleicht bei der Aufwertung der Rolle der Schwellenländer im Forum für Finanzstabilität (FSF). Dessen Vorsitzender Mario Draghi ist jedenfalls dafür.

Wahrscheinlich ist auch die Verständigung auf weitere G20-Gipfel, um die Integration der Schwellenländer in das künftige System der Finanzmarktregulierung zu sichern. In einem neuen Buch der Washingtoner Brookings Institutions (>>> The G-20 Financial Summit: Seven Issues at Stake) plädieren Colin Bradford und Johannes Linn vehement dafür, die Gelegenheit zu nutzen, um auf diese Weise dauerhafte Veränderungen in den Global Governance-Strukturen durchzusetzen. Hoffnungen darauf, dass die Antwort auf die Finanzkrise mit anderen thematischen Herausforderungen verknüpft wird (G20 for a Green Economy? ist der Titel eines Arbeitspapiers, das das Worldwatch Institute schnell noch herausbrachte), dürften demgegenüber enttäuscht werden, von diesem Gipfel jedenfalls. Aber auch wenn man den Blick nur auf die Finanzmärkte richtet – ein neuer Washington Consensus oder gar ein Bretton Woods II ist das nicht, was dieser Gipfel zustande bringen wird. Am Sonntag Morgen wissen wir mehr.

Bush, Brown, Fraenkel: Downplaying expectations

13. November 2008

Vor dem Weltfinanzgipfel: Alles starrt nach Washington

Alles starrt derzeit nach Washington. Schon das ist problematisch. Denn schon jetzt lässt sich sagen, dass New York der bessere Tagungsort gewesen wäre und Ban Ki-moon der geeignetere Gastgeber. Der Kontext wäre der der Vereinten Nationen gewesen und nicht der Schwebezustand zwischen einem abgewirtschafteten und einem voller Hoffnungen erwarteten US-Präsidenten. Dennoch gibt es kaum jemanden, der sich nicht für das morgen Abend beginnende Ereignis positioniert hätte (hier ein Photo von einem G20-Finanzministertreffen letztes Jahr in Kapstadt). In Windeseile haben zivilgesellschaftliche Organisationen aus aller Welt Forderungspapiere zusammengestellt. Diese bemängeln teils die nicht gerade partizipativen Vorgehensweisem im G20-Kreis, teils wiederholen sie alte Forderungen, die in ihrer Allgemeinheit kaum zu überbieten sind. Wesentlich substanzieller dagegen ist ein Papier, das Oxfam International heute unter dem Titel If Not Now, When? vorgelegt hat.

Über viele dieser Stimmen vor dem Gipfel habe ich in unserem englischsprachigen Nachrichtenblog berichtet (>>> The European Civil Society Round-Up), so auch über die Washington Declaration, mit der der International Gewerkschaftsbund (ITUC) in die US-Hauptstadt fährt. Was die Gewerkschaftsinternationale von den anderen NGOs unterscheidet, die sich mit den Finanzgipfel-Themen beschäftigen: Sie hat unmittelbaren Zugang zu denjenigen, die sich auf dem Gipfel versammeln. So treffen sich die Gewerkschafter noch vor dem Gipfel mit Strauss-Kahn (IWF) und Zoellick (Weltbank) sowie diversen G20-Führern zusammen, denen sie ihre Reformpläne erläutern.

ITUC oder Oxfam verfügen inzwischen über recht ausgearbeitete konzeptionelle Vorstellungen, die sich an einem neuen New Deal orientieren. Dieser müsse heute „sowohl global als auch grün“ sein, wie es in dem Oxfam-Papier treffend heißt. Eher feuilletonistisch geraten sind dagegen zwei aktuelle Stellungnahmen aus dem Bereich der arrivierten Politikberatung, auch wenn dort ebenfalls in dieser Richtung nachgedacht wird. Simon Maxwell vom Oversees Development Institute in London und Dirk Messner vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik beschworen eine neue globale Ordnung, die in fünf Schritten entstehen soll – in einem Aufsatz in OpenDemocracy, dessen deutsche Fassung in der aktuellen „Zeit“ nachzulesen ist. Mehr als überschwänglich ist ihre Hoffnung auf Europa. Dabei übersehen sie, dass sich die Europäer (siehe ihre Bockigkeit gegenüber einer IWF-Reform) auf dem Weg zu einem neuen Bretton Woods derzeit selbst im Weg stehen. Geradezu pessimistisch dagegen sind Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik und Richard Higgort von der Universität Warwick. Sie befürchten, dass der Weltfinanzgipfel und die sich daran wahrscheinlich anschließende Serie von Beratungen eher scheitern könnten (wie die Londoner Weltwirtschaftskonferenz von 1933) als dass daraus etwas wird, was wirklich den Namen „Bretton Woods II“ verdient. Nimmt man die Blockierer in den USA, die auch im Obama-Lager zu finden sind, und die Europäer zusammen, dann ist das nicht auszuschließen.

9. November 2008

G20-Finanzminister in Sao Paulo: Selbstbewusste Schwellenländer

Die Schwellenländer haben das G20-Finanzministertreffen in Sao Paulo an diesem Wochenende genutzt, um mehr Einfluss in den internationalen Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank zu fordern und „neue, offenere und partizipatorischere Governance-Strukturen“ (Lula) zu verlangen. Die internationale Regulierung der Finanzmärkte sollte nicht den reichen Ländern überlassen werden. Besonders der brasilianische Präsident Lula nutzte die Gelegenheit, um den Industrieländern einen Vorgeschmack darauf zu geben, was sie bei dem G20-Weltfinanzgipfel in der kommenden Woche in Washington erwartet. Lula rief auf zu einem „Pakt zwischen den Regierungen, um eine neue Finanzarchitektur für die Welt zu schaffen“. Bereits am Vorabend der G20-Konferenz hatte zur Abstimmung untereinander ein Treffen der sog. BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) stattgefunden.



Unterdessen hatte der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn in einem Financial-Times-Interview die Erwartungen an den Washingtoner Gipfel gedämpft, indem er darauf hinwies, dass er nicht gedenke, das aufwendige Quotenverfahren, in dem die Stimmrechtsverteilung unter den IWF-Mitgliedsländern festgelegt wird, erneut zu eröffnen. Damit zeigt Strauss-Kahn erstmals seit seinem Amtsantritt offen, dass ihm das europäische Hemd näher als der globale Rock ist. Die Europäer orientieren zwar auf eine Stärkung des IWF als Watchdog gegen zukünftige Finanzkrisen, stellen aber mit ihrer Überrepräsentation im IWF (so hält Belgien genauso viel Stimmen wie Brasilien) das größte Hindernis für eine tiefgreifende Reform des Fonds dar.

In seiner neuen Ausgabe (>>> W&E 11/2008) analysiert der Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung ausführlich den derzeitigen Wettlauf zu einem neuen Bretton Woods: Zwar ist das G20-Format ein Fortschritt gegenüber dem G8- oder G8+5-Modell, voreilig ist es jedoch, dieses Gremium sogleich zum „Steering Committee“ der Weltwirtschaft zu stilisieren. Auch ist in der gegenwärtigen Situation nicht von vorneherein auszuschließen, den IWF durch eine völlig neue internationale Finanzorganisation zu ersetzen, wie sie u.a. der Wirtschaftsnobelpreisträger Stiglitz vorgeschlagen hat (>>> Prinzipien für eine Reform des Finanzsystems). Peter Wahl (attac/weed) plädiert demgegenüber in einem bemerkenswerten Papier (Titel: With Realistic Radicalism) dafür, die (um ärmere Länder erweiterte) G20 zum Steuerungsausschuss des IWF zu machen. Fragt sich nur: Was ist daran radikal und was realistisch?

6. November 2008