31. Oktober 2021

Regierungen müssen in Glasgow in den Krisenmodus

Die schwachen Klimaschutzziele der Länder, die unzureichende finanzielle Unterstützung für wirtschaftlich benachteiligte Länder und der Umgang mit Schäden, die der Klimawandel verursacht: Das sind die drei großen Baustellen der Weltklimakonferenz (COP26), die heute in Glasgow beginnt.

 

Ein Gastkommentar von Jan Kowalzig*)

 

In Glasgow müssen die Regierungen sofort in den Krisenmodus gehen. Die krasse Unzulänglichkeit der eingereichten Klimaschutzziele der Länder unter dem Pariser Abkommen droht den Planeten zu verbrennen. Kurz vor der COP26 hatte das UNFCCC-Klimasekretariat in einer Analyse dieser Selbstverpflichtungen unter dem Pariser Abkommen davor gewarnt, dass die globalen Emissionen bis 2030 um 16% ansteigen werden. Um die globale Erwärmung auf maximal 1,5°C zu begrenzen, wie es das Pariser Abkommen vorsieht, müssten sie aber um knapp die Hälfte sinken.

 

Die Welt steuert auf eine katastrophale Entwicklung der Klimakrise zu. Die Regierungen müssen auf der COP26 beschließen, ihre mittel- und langfristigen Pläne nicht erst – wie eigentlich vorgesehen – in fünf Jahren, sondern so lange jedes Jahr nachzubessern, bis deren Gesamtwirkung es ermöglicht, die globale Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen.

 

* Mehr Mittel für die Anpassung an die Klimakrise

 

Die zweite große Baustelle der Weltklimakonferenz sind die finanziellen Klima-Hilfen der Industrieländer für von der Klimakrise betroffene, wirtschaftlich benachteiligte Länder. Das Versprechen der Industrieländer, diese Hilfen bis 2020 auf jährlich 100 Mrd. US-Dollar anzuheben, wurde nicht gehalten. Die Geberländer hatten dazu am Montag einen Plan vorgelegt, nach dem sie das Ziel nun 2023 erreichen würden – drei Jahre später als versprochen.

 

Die Klimafinanzierung ist ein wichtiger Baustein in der mühselig austarierten Balance des Vertrauens zwischen den Ländern. Dass das Versprechen der Industrieländer nicht eingehalten wurde, ist eine schwere Hypothek, die nun auf der COP26 lastet. Nicht nur erhalten die betroffenen Länder deutlich weniger Unterstützung als zugesagt; auch handelt es sich großenteils um Kredite, die die Schuldenkrise verschärfen. Zudem wird nach wie vor nur rund ein Viertel der Gelder für die Anpassung an den Klimawandel verwendet, etwa zum Schutz der Ernten vor Dürren oder Überschwemmungen. Die Industrieländer sollten auf der COP26 zusagen, bis 2025 den Anteil der Mittel für Anpassung auf 50% der Klimafinanzierung anzuheben.

 

* Unterstützung bei Schäden und Verlusten

 

Ein drittes großes Thema für die besonders vom Klimawandel betroffenen oder bedrohten Länder ist der Umgang mit Schäden und Verlusten, die sich auch trotz umfangreicher Anpassungsmaßnahmen nicht vermeiden lassen, etwa wenn flache Küstenstreifen nach und nach im Meer versinken oder der Anbau von Nahrungsmitteln wegen wiederkehrender Dürren zunehmend unmöglich wird. Die COP26 wird über das Thema verhandeln, sich dabei aber um eher technische und prozedurale Fragen kümmern. Die Notwendigkeit neuer finanzieller Unterstützung möchten die Industrieländer wie bisher auch auf dieser Konferenz möglichst ausklammern, weil sie Kompensationsforderungen betroffener Länder für angerichtete Schäden fürchten.

 

Die betroffenen Länder brauchen dringend mehr Unterstützung nicht nur für die Anpassung an die Veränderungen, sondern auch für den Ausgleich von unvermeidlichen Schäden und Verlusten. Das ist auch eine Frage der globalen Gerechtigkeit, denn diese Länder haben oft kaum oder gar nicht zur Klimakrise beigetragen. Auf der COP26 sollten die Regierungen dringend vereinbaren, in den kommenden Jahren neue Gelder zu mobilisieren und geeignete Mechanismen zu ihrer Verteilung einzurichten.

 

Jan Kowalzig ist Referent bei Oxfam Deutschland für Klimawandel und Klimapolitik.

 

Hinweis:

* Rainer Falk: Eine Strategie des Südens für Glasgow. Entwicklungsorientierung und Anpassung an den Klimawandel, auf: weltwirtschaft-und-entwicklung.org

30. Oktober 2021

G20-Gipfel an der Weggabelung in Rom

Verbesserter Zugang zu COVID-19-Impfstoffen, gerechte Teilhabe am wirtschaftlichen Aufschwung, Senkung gefährlicher Treibhausgasemissionen und Unterstützung einkommensschwacher Länder bei der Anpassung an die Klimakrise: Das etwa sind die Kernforderungen der Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam für dem G20-Gipfelan diesem Wochenende in Rom. Die skandalöse Ungleichheit beim Zugang zu Covid-19-Impfstoffen zu beenden, ist die wichtigste Aufgabe der Staats- und Regierungschef*innen auf dem G20-Gipfel. Ursprünglich hatten die wohlhabenden Länder versprochen, dass jeder erfolgreiche Impfstoff „ein globales öffentliches Gut" sein würde; Ländern mit niedrigerem Pro-Kopf-Einkommen sagten sie 1,8 Mrd. Impfdosen zu. Ein Jahr später sind davon gerade einmal 261 Mio. (14%) bereitgestellt. Während die Impfquoten in wohlhabenden Ländern teilweise bei über 70% liegen, sind in den ärmsten Teilen der Welt kaum 2% mit mindestens einer Dosis geimpft.

 

Die dramatische Lage erlaubt kein „Weiter so“, sondern braucht mutige Entscheidungen für Impfgerechtigkeit. Ein konkreter Vorschlag liegt bereits auf dem Tisch: Indien und Südafrika fordern gemeinsam mit über 100 weiteren Ländern die Aussetzung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe, um die Produktion zu steigern und die Kosten für alle zu senken. Stattdessen haben sich die wohlhabenden Länder den Löwenanteil der Impfdosen gesichert und verteidigen die Monopolinteressen von Pharmaunternehmen.

 

Die G20 müssen auch dazu beitragen, die wirtschaftliche Erholung nach der Coronakrise gerechter zu gestalten und insbesondere das weltweite Hungerproblem anzugehen. Mehr als 40 Millionen Menschen leiden unter extremem Hunger, wesentlich verursacht durch die wirtschaftlichen Schocks im Zuge der Pandemie. Weltweit sind die Nahrungsmittelpreise um rund 40% gestiegen, der höchste Anstieg seit über einem Jahrzehnt. Die gesellschaftlichen Ressourcen zur Bewältigung dieser historischen Krise sind allerdings höchst ungleich verteilt: Während die industrialisierten Volkswirtschaften im Jahr 2020 durchschnittlich rund 20%t ihres Bruttonationaleinkommens für die Unterstützung ihrer Bevölkerung ausgaben, waren es in Schwellenländer und der Länder mit niedrigem Einkommen nur zwischen 2 und 5%.

 

Schließlich bedroht die Klimakrise die Existenzgrundlage von Millionen Menschen. Von den verheerenden Auswirkungen extremer Wetterereignisse, steigender Temperaturen und des Anstiegs des Meeresspiegels sind weltweit am stärksten Menschen betroffen, die in Armut leben und am wenigsten zur Erderwärmung beigetragen haben. Oxfam und andere NGOs fordern die G20-Staats- und Regierungschefs in Rom dazu auf, ihre Klimaschutzmaßnahmen zu verstärken, indem sie ehrgeizige nationale Ziele zur Emissionsreduzierung vorlegen, die ihrem fairen Anteil entsprechen, und ihre Zusagen für die Klimafinanzierung erhöhen.

Außer Acht bleiben dürfen aber auch nicht andere Bereiche. Die Arbeit an dem soeben vereinbarten Steuerreformpaket ist fortzusetzen, um Steuergerechtigkeit herzustellen und gegen die Gewinnverschiebung von Unternehmen sowie die schädlichen Auswirkungen des Steuerwettbewerbs wirksamer vorzugehen. Darüber hinaus muss in universelle Systeme für Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung investiert werden, um Gesundheits-, Klima- und Wirtschaftsschocks und ihre Folgen zu bewältigen.

 

Alles dies sind keine leicht zu verwirklichen Forderungen. Aber sie charakterisieren, dass die G20 jetzt endgültig am Wendepunkt angekommen sind. Ohne sie in Angriff zu nehmen, werden die G20 an der Wegegabelung in Rom falsch abbiegen und die Chance auf eine neue Form der Global Governance wieder einmal verpassen.

11. Oktober 2021

Putschversuch beim IWF

Gastkommentar von Joseph E. Stiglitz

Es sind derzeit Bemühungen im Gange, Kristalina Georgieva, die seit 2019 amtierende Geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, abzulösen oder zumindest stark zu schwächen. Dieselbe Georgieva wohlbemerkt, deren herausragende Reaktion auf die Pandemie rasch für Mittel sorgte, um die betroffenen Länder über Wasser zu halten und der Gesundheitskrise zu begegnen, und die sich erfolgreich für die Ausgabe von Sonderziehungsrechten (SZR; die Währung des IWF) im Volumen von 650 Milliarden Dollar eingesetzt hatte, die für die Erholung von Ländern niedrigen und mittleren Einkommens so wichtig sind. Darüber hinaus hat Georgieva den Fonds so aufgestellt, dass er eine globale Führungsrolle bei der Reaktion auf die existenzielle Krise des Klimawandels übernehmen kann. 

Wo also liegt das Problem? Und wer steht hinter den Bemühungen, sie zu diskreditieren und loszuwerden? Das Problem ist ein Bericht, den die Weltbank bei der Anwaltskanzlei WilmerHale in Auftrag gegeben hat und der den jährlichen Doing Business-Index der Bank betrifft, in dem Länder danach eingestuft werden, wie leicht sich dort Wirtschaftsunternehmen gründen und betreiben lassen. Der Bericht enthält Vorwürfe – oder präziser, „Andeutungen“ – über Unregelmäßigkeiten in den Indizes der Jahre 2018 und 2020 in Bezug auf China, Saudi-Arabien und Aserbaidschan. Georgieva wurde für den Index 2018 angegriffen, in dem China auf Rang 78 eingestuft wurde (demselben Platz wie im Vorjahr). Doch wird angedeutet, dass China niedriger hätte eingestuft werden sollen und dass dies im Rahmen einer Einigung über die Unterstützung Chinas für eine Kapitalerhöhung unterblieb, um die sich die Bank damals bemühte. Georgieva war damals Chief Executive Officer der Weltbank. Das einzig positive Ergebnis dieser Episode könnte die Abschaffung des Index sein. Schon vor einem Vierteljahrhundert, als ich Chefökonom der Weltbank war und Doing Business von einer separaten Sparte der Bank, der Internationalen Finanz-Corporation, veröffentlicht wurde, hielt ich Doing Business für ein schreckliches Produkt. Länder erhielten gute Bewertungen für niedrige Körperschaftsteuern und schwache Arbeitsmarktregeln. Die Zahlen waren stets wenig belastbar, wobei kleine Änderungen bei den Daten potenziell große Auswirkungen auf die Rankings haben konnten. Länder waren unweigerlich empört, wenn scheinbar willkürliche Entscheidungen sie in im Ranking abrutschen ließen...

... den vollständigen Kommentar finden Sie >>> hier.