23. März 2015

Scheinheiligkeit ohne Grenzen


Schuldenpoker gegen Griechenland: Schlimmer als der IWF erlaubt

Die Austeritätspolitik und die „Strukturreformen“, die die Troika-Institutionen der Peripherie Europas aufherrschen, haben viel Ähnlichkeit mit der Strukturanpassungspolitik (SAP), die IWF und Weltbank den Schuldnerländern des Südens im Laufe der 1980er und 1990er Jahren verordneten. Doch in Wirklichkeit sind sie schlimmer als die SAP, die großen Teilen des Südens mindestens ein verlorenes Jahrzehnt bescherte. Im Fall der Strukturanpassungspolitik waren die Regierungen, die zu Exekutoren dieser Politik gemacht wurden, oftmals ohnehin gekaufte Statthalter westlicher Interessen, rechte Diktaturen, Satrapen oder auch ausgehaltene Kleptokraten, die ohne nennenswerten Wiederstand die Vorgaben aus Washington befolgten. Manchmal, und wie Experten freimütig zugeben, unterschrieben sie die Letters of Intent von vorneherein in der Gewissheit, sie nicht oder nur in ihren asozialen Dimensionen durchführen zu müssen.


Anders in Griechenland: Hier erleben wir z.Zt., wie eine junge Regierung mit aller Gewalt gezwungen werden soll, eben das Programm der sog. Strukturreformen auszuführen, gegen das sie in demokratischen Wahlen mit Erfolg angetreten ist. Wie selbstverständlich wird von Syriza erwartet, das zu tun, was in vielen Ländern Europa gang und gäbe ist, nämlich Wahlversprechen nach der Wahl „pragmatisch“ über den Haufen zu werfen. Um nicht weniger geht es heute bei dem Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Tsipras im deutschen Kanzleramt in Berlin. Doch in Wirklichkeit geht es um weit mehr.

Da ist nach wie vor die ungelöste Frage der Schuldenerleichterung – das Wort schon ein Euphemismus angesichts der Fälligkeitstermine der Gläubiger, denen sich Athen jetzt Schlag auf Schlag gegenübersieht (so viel nur für diejenigen, die glauben machen wollen, dass ein Schuldenschnitt gar nicht so wichtig wäre, da ja sowieso schon alles bis zum St.-Nimmerleinstag gestreckt ist). Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras hat in einem Brief an die deutsche Bundeskanzlerin, deutlich gemacht, dass Griechenland einen großen Teil seiner Schulden nicht wird bezahlen können. Einige mögen das als Drohung auffassen. Doch es ist eine Tatsache: Die Schulden Griechenlands sind unbezahlbar. Sie übertreffen bei weiten das, was beispielsweise der IWF als Tragfähigkeitsgrenze der Verschuldung eines Staates hält.

In seinem Brief weist Tsipras darauf hin, dass seine Regierung sich vor die Wahl gestellt sehen könnte, entweder die IWF-Schulden zu bedienen oder mit der Auszahlung von Sozialleistungen an die griechischen BürgerInnen fortzufahren. (Der IWF hatte einmal im Gefolge der globalen Finanzkrise und bei den ersten „Rettungspaketen“ mahnend zur Aufrechterhaltung sozialer Netze aufgerufen.) Tsipras erklärt, wie sehr die Europäische Zentralbank durch ihre Restriktionen Griechenland in zusätzliche Schwierigkeiten gebracht hat. Diese Restriktionen könnten es zusammen mit der Verzögerung der Auszahlung bereits zugesagter Kredite für jede griechische Regierung unmöglich machen, die Schulden zu bedienen. – Wenn nicht bald neue Hilfsmittel für Athen freigegeben werden, steuert das Land also unweigerlich auf den Grexit oder gar einen Graccident zu – eine Entwicklung, die angeblich niemand will. Doch alle, und allen voran die Bundesregierung (mitsamt ihrer ganzen sozialdemokratischen Entourage), machen alles, um Griechenland am ausgetreckten Arm verhungern zu lassen.

20. März 2015

Streit um AIIB: Ein weiterer Baustein gegen Bretton-Woods

Neben der New Development Bank (NDB) und dem Contingency Reserve Arrangement (CRA), das die BRICS-Staaten im letzten Jahr aus der Taufe hoben, wird in letzter Zeit vor allem die geplante Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) als weitere Facette der entstehenden institutionellen Alternative zu den traditionellen Bretton-Woods-Institutionen und den etablierten regionalen Entwicklungsbanken angesehen. Die Initiative zur AIIB-Gründung ging im letzten Herbst von China aus und umfasste zunächst rund 20 asiatische Mitgliedsländer. Die offizielle Gründung soll im nächsten Jahr erfolgen. Zwar ist China der größte Geldgeber und Peking der Sitz der neuen Bank, aber das Projekt ist – ähnlich wie die konkurrierende, von Washington und Tokio dominierte Asiatische Entwicklungsbank ADB) in Manila – offen für Mitgliedsländer außerhalb Asien.

Genau um diese Frage ist der Streit zwischen den USA und etlichen europäischen Ländern jetzt offen entbrannt. Während die Lobbystrategie Washingtons im Herbst seine Verbündeten innerhalb und außerhalb der Region noch von der Teilnahme an der chinesischen Initiative abhalten konnte, haben in der letzten Woche zunächst Großbritannien, dann Luxemburg, Deutschland, Italien und Frankreich erklärt, sie wollten Gründungsmitglieder der AIIB werden. Südkorea und Australien wollen ihre negative Haltung zu einer AIIB-Mitgliedschaft überdenken – den USA schwimmen die Felle weg.


Der Streit hat mehrere Facetten. Großbritannien und Luxemburg geht es vor allem darum, chinesisches Investitionskapital auf ihre jeweiligen Finanzplätze zu locken, was mit einer Anti-China-Strategie unvereinbar ist. Washington wirft dem langjährigen Hauptverbündeten London ein ständiges „freundliches Entgegenkommen“ („accomomdation“) gegenüber China vor. Das ist nur eine Stufe unter dem „appeasement“-Vorwurf. Inhaltlich führt die Obama-Administration die Sorge an, die neue AIIB könnte sich nicht an den „strengen“ Standards orientieren, die die Weltbank bei der Kreditvergabe anwendet. Außerdem könne die Kreditvergabepolitik der AIIB besser von außen als von innen beeinflusst werden.

Während letzteres ein ziemlich unsinniger Einwand ist, ist auch der Rekurs auf die ach so hohen Weltbank-Standards reichlich vorgeschoben. Denn im Zuge der laufenden Überprüfung der Kreditvergabestandards kamen massive Menschenrechtsverletzungen und Massenvertreibungen beim Bau von Staudämmen und anderen Großprojekten zum Vorschein. Selbst Weltbank-Präsident Jim Kim gab jüngst öffentlich seiner Befürchtung Ausdruck, dass die Zahl der Zwangsumsiedlungen weiter zunehmen werde, wenn die Weltbank, wie geplant, Infrastrukturprojekte in Entwicklungsländern massiv ausbauen sollte. NGOs befürchten ohnehin eine weitere Verwässerung der Weltbankstandards im Zuge ihrer jetzigen Überprüfung. In Wirklichkeit will Washington den Aufbau einer Alternative zu den Bretton-Woods-Institutionen von vorneherein schwächen, während den Schwellenländern innerhalb dieser Institutionen selbst geringfügig verbesserte Mitspracherechte verweigert werden (s. Blockadepolitik des Capitols).

Selbstverständlich wird eine neue Entwicklungsbank wie die AIIB, auch wenn sie als Alternative zur Weltbank wahrgenommen wird, nicht automatisch eine grundsätzlich andere Kreditvergabepolitik als die überkommenen Bretton-Woods-Institutionen machen (>>> Trotz Weltmarkt und kapitalistischer Krisen: Die Emanzipationdes Südens). Aber allein die wachsende Vielfalt der Akteure in der Entwicklungsfinanzierung kann ein Fortschritt gegenüber dem Status quo sein. Peking hat übrigens nicht die Weltbank, sondern die Europäische Investitionsbank (EIB) eingeladen, die AIIB mit Expertise bei der Mobilisierung von Infrastruktur zu unterstützen. Vielleicht ist das schon einmal was, auch wenn auch dort nicht alles Gold ist was glänzt.