30. April 2013

Luxemburg: Flucht nach vorn oder Weisswaesche 2.0?



Im Jahr 2012 flossen ausländische Direktinvestitionen (FDI) in Höhe von 151,4 Mrd. US-Dollar nach Luxemburg. Nur 58,5 Mrd. Dollar kamen in der Realökonomie des Landes an. Der große Rest floss in sog. Special Purpose Entities (SPE), zumeist Finanzgesellschaften und Holdings, deren „besonderer Zweck“ oft die Steuervermeidung in den Herkunftsländern ist. Die Zahlen kommen aus der neuesten FDI-Statistik der OECD. Nur China und die USA zogen danach mehr FDI ins Land als das kleine Großherzogtum, das sich gerne als Herz Europas sieht, nämlich 253,4 bzw. 174,7 Mrd. Dollar. Dabei war das Jahr 2012 ein Jahr rückläufiger Direktinvestitionen: 2010 belief sich der FDI-Zufluss nach Luxemburg noch auf 221 Mrd. Dollar (davon rund 192 Mrd. für SPEs), 2011 sogar auf 383 Mrd. Dollar (davon 369 Mrd. für SPEs).

Mit den Jahren hat der SPE-Boom dem Land eine Spitzenstellung als Standort von Finanzholdings beschert. Nach dem letzten WorldInvestment Report der UNCTAD war der Anteil der Finanzholding-Investitionen am FDI-Bestand im Jahr 2009 mit 93% in keinem Land höher als in Luxemburg. Nach der erwähnten OECD-Statistik erreichte Luxemburg 2012 einen Gesamtbestand an ausländischen Direktinvestitionen von 2,3 Billionen Dollar – nur 121,6 Mrd. davon waren in der Realwirtschaft angelegt, der Rest in SPEs. Nur in den USA und in den Niederlanden (die wie Luxemburg auf die Anlockung von FDI qua Steuerbegünstigung setzen) waren mehr FDI angelegt. 

Das Phänomen des exorbitant hohen SPE-Anteils an den FDI in Luxemburg ist also nicht neu. Es war bislang auch nicht unbekannt (>>> Der Fall Luxemburg). Doch in dem neuen Kontext der grassierenden Austeritätspolitik nach der Finanzkrise und der gewachsenen Sensibilität für Fragen der internationalen Steuergerechtigkeit erscheint das Luxemburger Geschäftsmodell in einem neuen Licht. Dies lässt die Politik fast fieberhaft nach Wegen suchen, den Ruf als Steueroase im Zentrum der EU abzustreifen. Die Ankündigung, ab 2015 zum automatischen Informationsaustausch im Rahmen der EU überzugehen, war ein erster Schritt. Dabei betonte Premierminister Juncker noch, dies gelte nur für individuelle Geldeinlagen bei den Banken, für multinationale Unternehmen bleibe alles beim Alten. Doch seit heute lässt sich Luxemburgs Finanzminister Luc Frieden von der Financial Times mit der Nachricht zitieren, man sei auch in Bezug auf Firmen zur Herausgabe vertraulicher Informationen bereit. Wie dies genau geschehen soll, bleibt freilich vorerst im Unklaren.

Nicht nur deshalb wird man den Verdacht nicht los, dass das, was derzeit als Flucht nach vorn erscheint, sich als Weißwäsche 2.0 entpuppen könnte. Denn die Schritt-für-Schritt-Konzessionen der Regierung an das internationale Umfeld folgen nicht nur internationalem Druck. Sie passen auch dazu, dass sich das Geschäftsmodell Luxemburg mit den Jahren tatsächlich gewandelt hat. Für die heute dominanten Zweige wie Wealth Management und Investmentfonds hat das traditionelle Bankgeheimnis längst nicht mehr den Stellenwert wie für die „Zahnwalt-Ökonomie“, die davon lebte, dass Leute aus den Nachbarländern ihr Geld vor dem heimischen Fiskus verstecken wollten.

26. April 2013

FTT und Luxemburg: Scheinheiliges Dementi



Als vor ein paar Wochen enthüllt wurde, dass Luxemburg den Gang zum Europäischen Gerichtshof vorbereite, um gegen die von 11 EU-Partnerländern geplante Finanztransaktionssteuer (FTT) zu verhindern, da beeilte sich der Finanzminister des Großherzogtums, Luc Frieden, mit dem Dementi: „Diese Nachricht ist falsch“, lies er sich vom sozialistischen Tageblatt zitieren, das sich gelegentlich mit dem konservativen Luxemburger Wort einen Wettstreit liefert, wer von beiden die Interessen des Finanzplatzes am eifrigsten verteidigt. Nicht dementierte Frieden jedoch die inhaltlichen Einwände gegen die FTT, die das Protokoll aus dem deutschen Außenministerium wiedergab, vor allem die Kritik am Residenzprinzip, das die EU-Kommission in den Vorschlag eingebaut hatte, um eine Umgehung der Steuer durch Ausweichen an andere Plätze unmöglich zu machen.

Jetzt beeilte sich derselbe Frieden, die Klage der britischen Regierung vor dem EuGH gegen die FTT, die in der letzten Woche eingereicht wurde, zu unterstützen. „Wir haben in dieser Hinsicht sehr viel Verständnis für die Position des Vereinigten Königreichs (…) und werden das angestrebte Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof mit Sicherheit unterstützen“, so Frieden. Ach so! Wenn die großen Briten vorangehen, braucht sich das kleine Luxemburg bei den europäischen Partnern nicht in Ungnade zu begeben. Überhaupt Großbritannien: Ausgerechnet die Britisch-Luxemburgische Handelskammer nutzte Frieden schon vor Monaten, um die Gegnerschaft gegen die FTT bekannt zu geben (nachdem Juncker die Euroländer lange in dem Glauben gelassen hatte, sein Land habe nichts gegen die FTT). Dabei bemühte er dieselben Totschlagargumente wie jetzt wieder: Man sei ja nicht generell gegen die FTT, sie müsse nur „global“ eingeführt werden. So verschiebt man ein Projekt auf den St.-Nimmerleinstag!

Dabei könnte es sein, dass die Luxemburger Feindschaft gegen die FTT global gesehen einen ganz anderen Kollateralschaden zur Folge hat. Viele – und beileibe nicht nur die NGOs – hoffen nämlich, dass die FTT in einer Zeit rückläufiger Entwicklungshilfe-Etats – auch neues Geld in die Kassen der Entwicklungspolitik spült. Luxemburg hat hier bislang eine überwiegend positive Reputation, da es seit geraumer Zeit das sog. 0,7%-Prinzip mehr als übererfüllt und inzwischen bei rund 1% des Bruttonationaleinkommens liegt. Mit dem guten entwicklungspolitischen Ruf könnte es jedoch schnell vorbei sein, wenn bewusst wird, dass das Land, das Fluchtgelder aus aller Welt aufnimmt, die Einführung innovativer Methoden der Entwicklungsfinanzierung – wie der FTT eben – behindert.

19. April 2013

IWF-Kritik: Inhalt und Form



Gewichtige Stimmen im Chor der IWF-Kritiker sind die Gewerkschaften und die Entwicklungsländer. Der gewerkschaftliche Dachverband ITUC nimmt in diesem Frühjahr die arbeitsmarktpolitischen Ratschläge des Fonds ins Visier. In seinem zur Frühjahrstagung erschienenen Frontlines 2013-Report (>>> Ideology without economic evidence: IMF attacks oncollective bargaining) heißt es, dass seine Konditionen im Rahmen der Troika quer durch Europa die Demokratie untergraben, die Gesellschaftsspaltung vertiefen und soziale Unruhen riskieren, ohne im Gegenzug irgendwelche wirtschaftlichen Vorteile nach sich zu ziehen.

In einer Panel-Diskussion mit IWF-Chefin Lagarde wies ITUC-Generalsekretärin Sharan Burow darauf hin, dass die Weltwirtschaft heute nicht sicherer als vor fünf Jahren sei und Länder mit starken Tarifsystemen und Gewerkschaftsrechten bessere arbeitsmarktpolitische Ergebnisse als andere aufwiesen. Angriffe des IWF auf gewerkschaftliche Positionen und Errungenschaften und die Austeritätspolitik führten lediglich zu mehr Ungleichheit.

In der Tat haben nach OECD-Angaben die Einkünfte der reichsten 10% der Beschäftigten im Verhältnis zu den unteren 10% stark zugenommen und die Einkommensspreizung im Norden verschärft. Neue Daten für die USA zeigen, dass sich der Anteil des Haushaltseinkommens der obersten 1% (nach Steuern) mehr als verdoppelt hat, nämlich von 8% 1979 auf 17% 2007. In der gleichen Periode fiel der Anteil der untersten 20% der Bevölkerung von 7 auf 5%. Wie eine neue Studie der Initiative for Policy Dialogue der Columbia-Universität und des South Centres auf Basis von IWF-Daten herausfand, werden in diesem Jahr 119 von 181 Ländern Haushaltskürzungen hinnehmen müssen, wobei ihre Anzahl bis 2016 noch ansteigen wird – und damit die Ungleichheit.

Die Kritik richtet sich aber auch heuer nicht nur auf den Inhalt der IWF-Politik, sondern auch auf die Form. Das Kommuniquéder Gruppe der 24 (die die Interessen der Entwicklungsländer beim IWF vertritt) kritisiert in diesem Frühjahr vor allem die Verschleppung der Stimmrechtsreform von 2010, die eigentlich bis letzten Oktober schon abgeschlossen sein sollte. Eng damit im Zusammenhang steht, dass auch die bereits begonnenen neue Runde der Quotenüberprüfung nicht weiterkommt, wenn die Vorrunde nicht zu Ende gebracht wird (>>>Der IWF im Reformstau).

18. April 2013

Anhaltende Krisenstimmung bei IWF-Tagung in Washington



Die Weltwirtschaft tritt auf der Stelle. Nach den Prognosen des neuesten World Economic Outlook des IWF wird sie in diesem Jahr nicht schneller wachsen als im letzten Jahr (3,25%) und im nächsten Jahr nicht mehr als 2011 (4%). Insgesamt sieht der IWF eine Erholung der Weltwirtschaft in drei Geschwindigkeiten – mit guten 5% in den Schwellen- und Entwicklungsländern, mittelmäßigen knapp 2% in den Vereinigten Staaten und einer anhaltenden Rezession in der Eurozone. Während der IWF einen „steinigen Weg“ der Erholung sieht, sprachen die Financial Times und die Brookings Institution bei der Vorstellung ihres TIGER-Indexes, der die weltwirtschaftliche Dynamik messen soll, von einer Erholung, die unterhalb einer wirklichen Take-off-Geschwindigkeit bleibt.



Der IWF spricht im Zusammenhang mit seinen wenig beeindruckenden Frühjahrszahlen jetzt im dritten Jahr hintereinander davon, dass es im zweiten Halbjahr zu einer spürbaren Belebung der Wirtschaftsaktivität kommen wird. Doch niemand weiß so recht, warum er diesmal Recht behalten sollte. Kaum einer glaubt an den von der IWF-Chefin Christine Lagarde heute beschworenen Übergang von der Erholung der drei Geschwindigkeiten zur „Full speed recovery“, wenn die Rede von der Erholung in diesem Zusammenhang überhaupt gerechtfertigt ist.



Umso erstaunlicher ist, dass es auf der Ebene der Politikempfehlungen kaum etwas Neues aus Washington zu berichten gibt, wo morgen die Frühjahrstagung der Bretton-Woods-Zwillinge offiziell beginnt. Im Gegenteil: Das Festhalten an der sog. fiskalischen Konsolidierung, von vielen als rezessionstreibende Austeritätspolitik kritisiert, ist fast schon stoisch zu nennen. Nur die üblichen „Verdächtigen“ tanzen mit Aufrufen zu entschlossenem Handeln aus der Reihe. So haben gestern mit Heiner Flassbeck, Paul Davidson, James K. Galbraith, Richard Koo und Jayati Gosh fünf prominente Kritiker ein „globales Manifest zur Rettung der Wirtschaft“ vorgelegt. Das Buch könnte ein Weckruf sein, wären die Denkstrukturen in der herrschenden Mainstream-Ökonomie nicht so verkrustet.



Das Manifest, das in einem neuen Buch zusammen mit Aufsätzen zur Spar-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik sowie zur Perspektive der Entwicklungsländern erschienen ist, eröffnet mit den dramatischen Worten: „Handelt jetzt! Ergreift Maßnahmen zur Belebung der Weltkonjunktur. Der Neoliberalismus ist gescheitert. Verhindert den Rückfall in Nationalismus und Kampf der Nationen. Eine ernsthafte internationale Kooperation und eine sofortige Beendigung der Austeritätspolitik sind das Gebot der Stunde.“ Auf der Washingtoner Frühjahrstagung dürfte es jedoch kaum Anstöße für eine solche Kehrtwende geben.

15. April 2013

Luxemburg: Neues Elend mit dem Finanzplatz



Luxemburgs Finanzminister Frieden
Ausgerechnet der Cheflobbyist des Finanzplatzes, der Direktor des Luxemburger Bankenverbands (ABBL), Jean-Jacques Rommes, der sonst um keine Rechtfertigung verlegen ist, wollte kein Netzwerk der Finanzplätze sehen, wie es kürzlich von „Offshore Leaks“ aufgedeckt wurde. Es gebe nur „internationale Geschäftsbeziehungen“, so Rommes. Dabei lag bislang schon mindestens ein Finanzplatz-Netzwerk offen zutage, das zwischen Luxemburg, Österreich und der Schweiz. Immer wenn der Druck auf mehr Transparenz größer wurde, konnten die drei sich aufeinander verlassen. So beanspruchte beispielsweise Luxemburg innerhalb der EU stets Gleichbehandlung mit Österreich und der Schweiz und umgekehrt.

Inzwischen – seit Luxemburg die Bereitschaft zur Einführung des automatischen Informationsaustauschs ab Anfang 2015 angekündigt hat – kann man sich da nicht mehr so sicher sein. Doch der in Berlin und Brüssel sogleich euphorisch begrüßte Kurswechsel Luxemburgs erscheint dramatischer als er in Wirklichkeit ist. Wie Premierminister Juncker vor dem Parlament betonte, betrifft die Bereitschaft zum Informationsaustausch im Rahmen der EU nur die Zinseinkommen auf ausländische Bankeinlagen in Luxemburg, nicht aber die Geheimhaltungsregeln für ausländische Unternehmen im Großherzogtum. Damit bestätigt sich eine zentrale These meiner Studie zum „Fall Luxemburg“ aus dem Jahr 2009, wonach der Kern des Luxemburger Geschäftsmodells das Firmenrecht ist, das ausländischen Unternehmen und Finanzholdings zahlreiche Sonderrechte einräumt (und nicht unbedingt die Fluchtburg-Funktion für individuelle Ersparnisse von Ausländern). Es bleibt zudem auch jetzt der aus der Vergangenheit bekannte Eindruck, dass Lockerungen am Bankgeheimnis immer erst in letzter Minute vorgenommen werden, wenn es angesichts des Drucks gar nicht mehr anders geht. 

Immerhin hat seit der Zypern-Pleite auch in Luxemburg eine neue Debatte um seinen aufgeblähten Finanzsektor begonnen. In den oberen Etagen der Hauptstadt ist diese Diskussion allerdings noch nicht so richtig angekommen. So sorgt man sich statt um die Abhängigkeit des Landes von seinem Finanzplatz vorerst lieber darum, die Bemühungen zu Ausweitung der EU-Regelungen zur Begrenzung der Banker-Boni auch auf Investmentfonds zu vereiteln – die Interessen der Luxemburger Fondsindustrie (immerhin die größte oder zweitgrößte Europas, je nach Jahr) lassen grüßen.

Und noch etwas ist den Luxemburger Oberen ein Dorn im Auge: die geplante Einführung der Finanztransaktionssteuer (FTT) durch eine Gruppe von „Willigen“ im Rahmen der EU. Dies könnte auch die Luxemburger „internationalen Geschäftsbeziehungen“ in Mitleidenschaft ziehen, und zwar so stark, dass man erwägt, mit einer Klage dagegen vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen. So jedenfalls hat Luxemburg in einer Besprechung der EU-Finanzministerien gedroht, deren vertrauliches Protokoll dem Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung vorliegt. Damit ist auch hier die Katze aus dem Sack: Finanzminister Frieden, der dies zu verantworten hätte, ist sicherlich der neue Mann für die groben Keile. Doch eine Klage vor dem EuGH gegen die FTT käme einem Affront gegen die entwicklungspolitische Community gleich. Immerhin erwartet diese von der Steuer einen neuen Schub für die Entwicklungsfinanzierung. Zu der weiteren Isolierung in Europa wäre dann auch noch der Ruf Luxemburgs als entwicklungspolitischer Musterknabe dahin.