19. Dezember 2009

Copenhagen Accord oder Kopenhagener Bankrott?

Der Klimagipfel in Kopenhagen ist gescheitert. Das von den 30 sog. führenden Staaten ausgehandelte Dokument, das den Durchbruch markieren sollte, dokumentiert in Wirklichkeit den Bankrott der internationalen Klimapolitik. Nach Expertenberechnungen begrenzt es die Erderwärmung nicht auf 2°, sondern führt - zusammen mit den bislang gemachten mageren Zusagen - zu einer Erderwärmung von 3,5°.

Der karge Wortlaut des "Copenhagen Accord" findet sich >>> hier.

Eine Übersicht über die Reaktion der NGOs findet sich >>> hier.

Für die Heinrich-Böll-Stiftung erklärte Barbara Unmüßig zum Ausgang der Konferenz in Kopenhagen:

Die 130 Regierungschefs haben eine historische Chance vertan, den Durchbruch für einen radikalen Klimaschutz einzuleiten. Die gemachten Versprechungen sind bei den Reduktionspflichten viel zu gering und voller Schlupflöcher, die Finanztransfers unbefriedigend. Die politische Erklärung reicht nicht aus, um dem klimafreundlichen Umbau von Wirtschaften und Gesellschaften in Nord und Süd den nötigen Schub zu versetzen. Insofern ist die Klimakonferenz in Kopenhagen gescheitert. Es ist nachvollziehbar, dass zahlreiche Entwicklungsländer, die am stärksten unter den Folgen des Klimawandels leiden, nicht bereit sind, ein mangelhaftes Ergebnis und damit eine Greenwash-Show zu akzeptieren.

Auf allen Ebenen fehlt es an Führungsstärke, das gilt auch für die Europäische Union. Die EU trägt eine Mitverantwortung für das Scheitern von Kopenhagen. Sie hat es nicht vermocht, mit geeinter Stimme und als Vorreiterin die Verhandlungen zu führen und das Reduktionsziel von minus 30 Prozent bis zum Jahr 2020 ohne Bedingungen anzubieten. Das Scheitern der Konferenz ist für die vom Klimawandel schon heute betroffenen Menschen ein Desaster. Einen weiteren Zeitaufschub können wir uns nicht leisten.

17. Dezember 2009

Einrichtung eines Patentpools bei UNITAID

UNITAID, der bei der Weltgesundheitsorganisation angesiedelte Fonds zur Finanzierung von Anti-AIDS-Medikamenten (>>> www.unitaid.eu), hat in dieser Woche der Einrichtung eines Patentpools zugestimmt. Ein Patentpool bedeutet, dass mehrere Patente von verschiedenen PatentinhaberInnen (Firmen, Universitäten, staatlichen Institutionen) zusammengelegt werden. So können Dritte nach der Zahlung einer Lizenzgebühr diese Patente nutzen. Die Vorteile eines Patentpools sind also ein besserer Zugriff auf geistige Eigentumsrechte, weniger Risiken und Kosten für die beteiligten Firmen sowie ein besserer und bezahlbarerer Zugang zu lebensrettenden Medikamenten.

Ziel ist, zum Wohl der Allgemeinheit, einen freiwilligen Patentpool für HIV/Aids-Medikamente einzurichten. Wenn dies funktioniert, wäre das „ein sehr positives Signal für alle PatientInnen, die auf teure, lebenswichtige Aids-Medikamente angewiesen sind“, sagt Gisela Schneider vom Aktionsbündnis gegen Aids.

Bis der Patentpool Mitte nächsten Jahres in Kraft treten kann, müssen allerdings einige Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden. Da die Teilnahme für PateninhaberInnen freiwillig ist, sind nun die Pharmafirmen am Zug. Wenn sie ihre Patente nicht in den Pool geben, wird es keinen wirklichen Fortschritt für Menschen mit HIV/Aids geben. In den nun anstehenden Verhandlungen der Pharmaindustrie mit UNITAID, gibt es noch entscheidende Fragen zu klären: Wie hoch dürfen die Lizenzgebühren höchstens sein? Welche Regionen sind es, in die die neuen Präparate dann vermarktet werden können? Gerade auch die vielen armen Menschen in Ländern mit mittlerem Einkommen dürfen von diesem Fortschritt nicht ausgeschlossen sein.

Da habe UNITAID noch einige Hausaufgaben zu machen, meint Christiane Fischer von der Buko-Pharmakampagne. „Wichtig ist für uns, dass auch nach Einführung des Patentpools die Länder ihre rechtlichen Möglichkeiten nutzen, um den Zugang zu Medikamenten zu verbessern. Hierzu gehören sowohl Zwangslizenzen als auch ein patientenfreundliches Patentrecht. Der Patentpool soll kein Ersatz für diese wichtigen Instrumente sein.“

Weitere Info >>> www.aids-kampagne.de

16. Dezember 2009

Ban Ki-moon fällt dem Süden in den Rücken

Bislang wusste man, wem Ban Ki-moon sein Amt als UN-Generalsekretär zu verdanken hat – der alten abgewählten Bush-Administration. Doch bislang dachten viele auch: Der mag von Finanzen nichts verstehen und hat deshalb bislang noch jede Initiative aus den Vereinten Nationen zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise boykottiert. (Z.B. als Nicolas Sarkozy ihn – noch vor der Einberufung des ersten G20-Gipfels – anfragte, ob nicht die UN eine Führungsrolle im Kampf gegen die Finanzkrise übernehmen wollten, bot Ban Ki-moon lediglich die Räume am East River als Tagungsstätte an.) Doch immerhin schien der Generalsekretär in Fragen der globalen Klimapolitik etwas ambitionierter.

Doch jetzt hat Ban Ki-moon in Kopenhagen die Entwicklungsländer offen brüskiert. Während alle Welt inzwischen anerkennt, dass ein „Deal“ nur zustande kommen kann, wenn die Industrieländer zu radikalen Reduktionsverpflichtungen und zu ernsthaften Finanzierungszusagen an den Süden bereit sind, gab Ban Ki-moon gestern gegenüber der Financial Times zu verstehen, dass er sich ein Konferenzergebnis auch ohne langfristige Zahlungsverpflichtungen des Nordens vorstellen könne. Der Süden solle mit den bislang in Aussicht gestellten 10 Mrd. Dollar für das „Schnellstart-Programm“ der nächsten drei Jahre zufrieden sein und unmittelbar nach Kopenhagen mit den Verhandlungen über längerfristige Finanzverpflichtungen beginnen. (Der Einbeziehung in ein Reduktionsregime sollen die Entwicklungsländer freilich schon mal zustimmen!)

Wenn man weiß, dass die Gruppe der 77 fordert, die klimapolitischen Nord-Süd-Finanztransfers in den nächsten Jahren auf 250 Mrd. Dollar pro Jahr (=0,5% des BIPs der Industrieländer) anwachsen zu lassen, ist das ein offener Affront. Die Kopenhagen-Konferenz kann daran durchaus scheitern. Und wenn nicht? Und wenn sich die Entwicklungsländer über den Tisch ziehen lassen und „der größte Greenwash aller Zeiten“ (Germanwatch) herauskommt? Auch daran trüge dann der UN-Generalsekretär eine gehörige Portion Mitverantwortung! Nicht umsonst wies das Konferenzbarometer der FT heute Morgen wieder nach unten.


15. Dezember 2009

Kopenhagen: Lesestoff für die zweite Woche

Die finanzielle Seite des Klimaschutzes umfasst nicht nur die Kosten für Reduzierung und Anpassung an den Klimawandel, die innerhalb der Länder und als Nord-Süd-Transfers aufgebracht werden müssen. In einem Policy Brief weist das Sekretariat der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) darauf hin, dass der ausschließliche Blick auf die Kostenseite im Kontext des Kampfes gegen den Klimawandel irreführend ist, da damit die ökonomischen Chancen des Klimaschutzes übersehen werden. „Ist der zur Reduktion des Klimawandels notwendige Prozess des Strukturwandels erst einmal in Gang gekommen, werden sich enorme neue Marktchancen eröffnen“, argumentiert UNCTAD.

Dass Kopenhagen einen neuen, von Milliarden von Dollars gespeisten Wachstumsschub in der Weltwirtschaft auslösen könnte, ist auch der Tenor eines Special Reports, den die Financial Times gestern zum Thema „Green New Deal“ herausbrachte (wer dieses Stichwort inzwischen nicht alles im Munde führt!).

Ein gutes Update, das den Fortgang der Verhandlungen in Kopenhagen unter handels- und wirtschaftspolitischen Aspekten betrachtet, gibt das Genfer International Centre for Trade and Sustainable Development (ICTSD) heraus. Lesenswert sind auch wieder die Briefing Papers des Third World Network. Insbesondere im Briefing Paper 2 wird der Blick darauf gelenkt, dass die anvisierten CO2-Märkte darauf hinauslaufen, den Wall Street-Spekulanten ein neues Betätigungsfeld für ihre „innovativen Produkte“ (Derivate etc.) zu schaffen. Einer, der es wissen muss, ist George Soros. Dessen SZR-Vorschlag zur Finanzierung der Kosten des Klimaschutzes hat jetzt W&E dokumentiert (>>> Die Finanzierung des Kampfes gegen den Klimawandel).

12. Dezember 2009

Naomi Klein on the climate power game (Video)


More at The Real News

Wie kann der Grüne Fonds gefüllt werden?

Noch einmal: Glasperlen verteilten die Kolonisatoren bei ihrer Ankunft an die Einheimischen, um diese ihnen gegenüber gnädig zu stimmen. Im übertragenen Sinne handelt es sich auch bei den bisherigen finanziellen Ankündigungen der Industriestaaten in den Kopenhagen-Verhandlungen um Glasperlen. Jedenfalls sind sie völlig inadäquat, um die ökologische Schuld des Nordens gegenüber dem Süden zu begleichen. Nehmen wir die Ankündigung auf dem EU-Gipfel, die Union wolle in den nächsten drei Jahren 2,4 Mrd. € jährlich für den Klimaschutz im Norden bereitstellen. Das sind 7,2 Mrd. € für die Zeit von 2010-2012 – gerade mal ein Drittel dessen, was die Entwicklungsländer für ein „Schnellstart-Programm“ für notwendig halten, aus dem in der Zeit bis zum Inkrafttreten des nächsten Klimavertrages Schutz- und Anpassungsmaßnahmen im Süden finanziert werden sollen.

Auf der anderen Seite hat die EU auf ihrer gestrigen Ratstagung deutlich gemacht, dass sie eine Finanztransaktionssteuer für ein potentiell sinnvolles Finanzierungsinstrument hält und der IWF die Voraussetzungen für ihre Einführung untersuchen soll (>>> Conclusions, Punkt 16). In einer separaten Erklärung meinten die neuen Männerfreunde Gordon Brown und Nicolas Sarkozy, die Einkünfte aus einer solchen Steuer sollten dem Kampf gegen den Klimawandel, vor allem in den armen Ländern, zugute kommen. Damit kämen wir der Sache schon näher: 20-30 Mrd. Dollar pro Jahr würde eine solche Steuer erbringen, wenn man den Minisatz von 0,005%, den der französische Außenminister Kouchner vorgeschlagen hat, zugrunde legt (bei einem täglichen Umsatz auf den weltweiten Finanzmärkten von 3.200 Mrd. Dollar 2007).

Selbst dies wäre nicht genug. Denn wie NGOs wie Oxfam berechnet haben, müsste die Anfangsfinanzierung für den Süden schnell auf bis zu 200 Mrd. Dollar pro Jahr gesteigert werden (die Weltbank geht von 100 Mrd. aus). Wer den Grünen Fonds bei der UN-Klimarahmenkonvention, für den der formelle Rahmen jetzt feststeht, also wirklich füllen will, wird sich mehr einfallen lassen müssen. Es ist ein positiver Effekt der Klimaverhandlungen, dass viele gute Vorschläge, die bislang am Widerstand der Finanzindustrie und der ihr verbundenen Politiker gescheitert sind, jetzt wieder auf den Tisch kommen:

* Die Übertragung der neuen Sonderziehungsrechte vom Norden auf den Süden, wie Soros vorgeschlagen hat, könnte einmal bis zu 150 Mrd. Dollar für den Grünen Fonds bringen.
* Ein Finanztransaktionssteuer von nur 0,05% (also etwas höher als bei Kouchner) brächte schon 200-300 Mrd. Dollar pro Jahr.
* Und die Trockenlegung der Steueroasen könnte den Entwicklungsländern – grob gerechnet – 160 Mrd. Dollar mehr an Steuereinnahmen pro Jahr bringen.

Angesichts dieser Dimensionen verblassen die bisherigen „Angebote“ der Industrieländer in Kopenhagen wahrlich als kleinkarierte Glasperlenspiele.

10. Dezember 2009

Klimafinanzierung jenseits von Glasperlenspielen

Was immer für ein Abschlussdokument am Ende des Kopenhagener Klimagipfels stehen wird, die Idee einer Finanztransaktionssteuer sollte darin auf alle Fälle enthalten sein. In dieser Richtung übt derzeit Frankreich Druck auf die Unterhändler in Kopenhagen aus. Einen entsprechenden Vorschlag unterbreitete der französische Außenminister Kouchner vor kurzem dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in New York. Die Franzosen wollen zwar bescheiden mit einem Steuersatz von nur 0,005% beginnen. Aber auch ein so niedriger Satz auf alle Geschäfte mit Finanztiteln weltweit brächte Milliarden von Dollars, die zur Unterstützung der armen Länder im Klimaschutz und für Entwicklungszwecke generell eingesetzt werden könnten.

Auf gerade mal 10 Mrd. Dollar in den nächsten drei Jahren belaufen sich die bisherigen vagen Zusagen der Industrieländer in Kopenhagen. Wie ein Paukenschlag kam da heute erneut der Großfinanzier George Soros mit seinem Vorschlag, die jüngst neu ausgegebenen Sonderziehungsrechte des IWF von den Industrie- an die Entwicklungsländer zu transferieren. Bis zu 150 Mrd. Dollar könnten auf diese Weise für Klimaschutzmaßnahmen im Süden zur Verfügung gestellt werden. Die in diesem Falle dann bei IWF fälligen Zinszahlungen könnten, so Soros, mühelos aus dem IWF-Gold finanziert werden, um die Länder nicht weiter in die Verschuldung zu treiben. Das sei die Art von innovativem Denken, das die Welt heute brauche, erklärten umgehend Sprecher von entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen.

Dass sich heute auch Frankreich den britischen Plänen anschloss, Bonuszahlungen für Bankmanager mit einer einmaligen Steuer von 50% zu belegen, zeigt, dass sich in puncto Finanzierung von Allgemeinaufgaben (hier der finanziellen Bewältigung der Finanzkrise) vielleicht wirklich etwas bewegt. Der Charme solcher Vorschläge liegt sicherlich darin, dass sie keine neuen Löcher in die Staatshaushalte reißen, sondern wirklich einmal „fresh money“ mobilisieren. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel will da nicht abseits stehen. „Wir haben uns zu einer Transaktionssteuer auf den Finanzmärkten bekannt“, wird sie heute zitiert. Ich denke, das wäre die nachhaltigere Lösung für die Probleme.“ Aber auch die Einmalsteuer auf Managerboni sei eine „charming idea“, die „vielleicht einen Lerneffekt auslösen wird“. Weiter so!

PS: Auf alle Fälle auch lesenswert ist der Kommentar, den Gordon Blair und Nicolas Sarkozy gestern im Wall Street Journal hatten (>>> hier). Er begründet die neuen Finanzierungsformen als Beitrag des Finanzsektors zu einem neuen Pakt mit der Gesellschaft, der er zu dienen hat.

Hinweis: George Soros auf W&E: Das Potential der Sonderziehungsrechte

8. Dezember 2009

Finanztransaktionssteuer statt Aidwash

„Aidwash“ lautet die neueste Wortschöpfung auf der Klimakonferenz in Kopenhagen. Sie stammt vom Leiter der Verhandlungen, Yvo de Boer, und meint das Bemühen vieler nördlicher Regierungen – die schwarz-gelbe Koalition mal wieder vornean –, etwaige Zusagen zur Finanzierung der Anpassung an den Klimawandel im Süden einfach auf bereits gegebene Entwicklungshilfe-Zusagen anzurechnen bzw. aus den Entwicklungshilfe-Etats zu nehmen. Gerade mal mickrige zehn Milliarden Dollar hat man bislang für die Jahre 2010-2012 zugesagt. Zwar gestehen viele Regierungen ein, dass diese Summe bis 2020 auf jährlich 100 Milliarden gesteigert werden könnte. Doch verbindliche Zusagen werden nicht gegeben. Und selbst wenn, ist da das traurige Schicksal der sog. Gleneagles-Verpflichtungen, zu deren Umsetzung es auch keine Fahrpläne gibt.

Dies alles müsste nicht so sein, wenn sich die Regierung endlich zur konsequenten Nutzung innovativer Finanzierungsinstrumente durchringen würden. Eines dieser Instrumente ist die Finanztransaktionssteuer, für die die Petitionskampagne des Bündnisses "Steuer gegen Armut" gerade das erforderliche Quorum für eine öffentliche Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestages erreicht hat. Dass in nur drei Wochen über 50.000 Unterschriften zusammenkamen zeigt nach Ansicht der Initiators Jörg Alt, „welch breite Unterstützung eine Besteuerung spekulativer Finanzmarktgeschäfte in der Gesellschaft findet". "Eine Finanztransaktionssteuer wird die Profitabilität kurzfristiger Spekulation mindern und so die Instabilität von Wechselkursen, Rohstoffpreisen und Aktienkursen dämpfen. Gleichzeitig wird eine solche Steuer erhebliche Erträge bringen, die unter anderem für die Umsetzung der Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen dringend benötigt werden", erklärte der renommierte Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister vom österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO).

Von Stephan Schulmeister ist soeben als W&E-Hintergrund (s. Abb.) ein Grundsatztext erschienen, der erklärt, wie die Finanztransaktionssteuer funktioniert und welche Auswirkungen sie hätte (>>> Tobin or not Tobin? Die Finanztransaktionssteuer. Konzept, Begründung, Effekte). Den potentiellen finanziellen Ertrag einer solchen Steuer auf sämtliche Geschäfte mit Finanztiteln in Nordamerika und Europa beziffert der Wirtschaftsforscher darin (bei einem Steuersatz von 0,1%) auf 2,3 bzw. 2,5% des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes (BIP) bzw. (bei einem Steuersatz von 0,01%) auf 0,72 oder 0,78% des BIP. Die jahrzehntelange Diskussion um die Realisierung des 0,7%-Ziels könnte also mit einem Schlag beendet werden.

Auch ein anderes Beispiel, das der US-Ökonom Jeffrey Sachs heute in einem Leserbrief an die Financial Times nennt, zeigt, wie sehr die ganze Debatte um Geld in Wirklichkeit auch in Kopenhagen eine Frage der politischen Prioritätensetzung ist. Berichten zufolge will die US-Regierung im nächsten Haushalt 1,4 Mrd. Dollar für den Klimaschutz in armen Ländern bereitstellen. Das ist etwa genauso viel, wie sie alle zweieinhalb Tage im Irak und in Afghanistan ausgibt, oder etwa ein Viertel der Bonuszahlungen, die in diesem Jahr an der Wall Street ausgeschüttet werden.

7. Dezember 2009

Das Beste zu Kopenhagen

Es ist schier unmöglich, einen genauen Überblick über die Schwemme von Informationen zu bekommen, die anlässlich der heute eröffneten Klimakonferenz in Kopenhagen erschienen ist und fast stündlich auf den Rechner kommt. Doch wer sich über den aktuellen Stand der Klimapolitik vor Kopenhagen kundig machen will, sollte zu den folgenden beiden ausgezeichneten Papieren greifen:

>>> BUND/Oxfam Deutschland: Die UN-Klimaverhandlungen in Kopenhagen (Hintergrundpapier)
>>> Christoph Bals: Substanz oder Greenwash-Show? Die Zeit für Halbwahrheiten ist vorbei (Germanwatch/Heinrich-Böll-Stiftung)


Wer es gerne grundsätzlicher, noch hintergründiger und vor allem polit-ökonomischer hätte, sei auf das folgende Buch unseres Autors Achim Brunnengräber und das Paper von Ulrich Brand verwiesen:

>>> Achim Brunnengräber: Die politische Ökonomie des Klimawandels (Ökom)
>>> Ulrich Brand: Die Multiple Krise. Dynamik und Zusammenhang der Krisendimensionen, Anforderungen an politische Institutionen und Chancen progressiver Politik (Heinrich-Böll-Stiftung)


Und dann gibt es noch einen sehr empfehlenswerten politischen Leitfaden des NGO-Liaison-Komitees der UNO:

>>> UN-NGLS: Climate Justice for a Changing Planete. A Primer for Policy Makers and NGOs

Ach so, das hätte ich fast vergessen, das Kopenhagen-Dossier von W&E für alle, die den Klimakonflikt vor allem durch die Nord-Süd-Brille sehen, und den Böll-Blog, der täglich aus Kopenhagen berichtet:

>>> W&E-Kopenhagen-Dossier: Klimawandel als Nord-Süd-Konflikt
>>> Blog Klima der Gerechtigkeit


4. Dezember 2009

Petition Finanztransaktionssteuer: Heute letzter Tag!

Die Petitionskampagne zur Transaktionssteuer ist auf der Zielgeraden angelangt und steht kurz vor dem Erfolg. Heute ist der letzte Tag für die Mitzeichnung der Bundestagspetition zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer (>>> Starke Dynamik). Um 24.00 Uhr läuft die Dreiwochenfrist für die nötigen 50.000 Unterschriften aus, um eine Anhörung im Bundestag zu diesem Thema zu erreichen. Zusammen mit den schriftlich eingereichten Unterschriften gab es heute Morgen rund 45.000 Zeichnungen. Es fehlten also noch ca. 5.000 Unterschriften.

Die Initiatoren der Kampagne trommeln deshalb heute nochmals nach Kräften zum Endspurt, um die letzten Unterschriften zusammen zu bekommen. Wer mitmachen will, kann das bis Mitternacht noch über folgende Links tun:

>>> https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=8236

>>> www.steuer-gegen-armut.org

Es braucht nicht viel Zeit – fünf Minuten sollten ausreichen. Wer Hilfe braucht, findet >>> hier eine Schritt-für Schritt Anleitung für das Verfahren der Mitzeichnung.

2. Dezember 2009

Kapitalverkehrskontrollen: Wachsende Aufgeschlossenheit

Parallel zum steigenden Interesse an der Tobin-Steuer bzw. einer generellen Finanztransaktionssteuer, die auf den Handel mit allen Finanztiteln erhoben wird, hat sich eine Diskussionslinie zu einem weiteren Instrument der Finanzmarktregulierung ausgebildet, zu Kapitalverkehrskontrollen (KVKs). KVKs wären vor über zehn Jahren, kurz vor der Asienkrise durch den Liberalisierungswahn des IWF fast auf den Index gekommen und – obwohl in den IWF Articles of Agreement als Möglichkeit verankert – verboten worden. Doch jetzt scheint sich ein nüchtern-pragmatisches Verhältnis zu ihrem Einsatz mehr und mehr durchzusetzen. Hintergrund ist die erneute Kapitalflut in die Emerging Markets, die gespeist wird durch den sog. Dollar-Carry Trade, bei dem Spekulanten billige Dollars aufnehmen, um sie in Ländern und Finanzprodukten mit höherer Rendite gewinnbringend anzulegen.

Es begann Ende Oktober mit der Einführung einer Steuer auf hereinströmende Portfolioinvestitionen, um den Aufwertungsdruck auf den Real abzubremsen. Taiwan und China verfügten ähnliche Kontrollen. Und auch in Indien, Thailand, Indonesien und Südkorea gab es eine lebhafte Debatte über KVKs. Teils erfolgten die Maßnahmen halbherzig und scheibchenweise (Brasilien), teils wurde schließlich doch nichts unternommen, weil KVKs immer noch ein Stigma auf den Kapitalmärkten anhaftet und Kapitalflucht befürchtet wird. Protagonisten von KVKs wie Dani Rodrik oder Arvind Subramanian haben den IWF deshalb wegen zögerlicher Zurückhaltung kritisiert (>>> Renaissance von Kapitalverkehrskontrollen: Warum ist der IWF so stur) oder ihn aber aufgefordert, den Schwellenländern bei der Einführung von KVKs Expertise zur Verfügung zu stellen. Arvind Subramanian vom Peterson Institute in Washington hat die Schwellenländer darüber hinaus aufgefordert, die G20 als Koordinationsforum bei der Einführung von KVKs zu nutzen (>>> Time for coordinated capital account controls?).

Während noch unklar ist, ob die G20 ein geeignetes Gremium in dieser Frage sein könnte, nimmt der IWF inzwischen eine pragmatischere Rolle ein als zu Beginn, als sein Geschäftsführender Direktor Strauss-Kahn offen sagte, er halte KVKs für kein effektives Instrument. In einer Rede in London sagte Strauss-Kahn in der letzten Woche, KVKs könnten Teil eines politischen Instrumentenkastens sein, den Länder gegenüber externen Kapitalflüssen zum Einsatz bringen. Er betrachte das als pragmatische Frage und der Fonds sei hier „völlig offen“. Er ist langsam, aber es gibt ihn also, den Lernprozess beim IWF.

27. November 2009

Starke Dynamik: Kampagne für Finanztransaktionssteuer

Jetzt unterstützt auch Wirtschaftsnobelpreisträge Paul Krugman die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und lässt in seiner Kolumne in der New York Times sogleich eine Breitseite gegen US-Präsident Obama und seinen Finanzminister Geithner vom Stapel: Diese, so wäre zu hoffen, sollten sich schleunigst aus der Umarmung durch Wall Street befreien und sich für die vernünftige Idee öffnen.

In der Bundesrepublik haben inzwischen mehr als 18.500 Unterzeichner die Online-Petition zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer unterzeichnet, seit die Kampagne vor nur zwei Wochen begonnen hat. Hinzu kommen etwa 5000 Unterschriften per Brief und Fax. Damit steht die Petition des Kampagnenbündnisses "Steuer gegen Armut" an der Spitze aller zurzeit laufenden Bundestagspetitionen im Internet. Die Träger der Kampagne – von Attac über den DGB bis zur Katholischen Kirche – halten das bereits für einen großen Erfolg. Dies „Besteuerung von spekulativen Finanzmarktgeschäften findet breite Unterstützung in der Gesellschaft", sagte Jörg Alt, Initiator der Kampagne.

Jetzt geht es in den Endspurt: Um eine öffentliche Anhörung im Bundestag zu erzwingen, müssen bis kommenden Donnerstag, 3. Dezember, insgesamt 50.000 Menschen die Petition unterzeichnet haben. Ziel der Petition ist es, den Druck auf die Bundesregierung und Koalitionsparteien zu erhöhen, damit sie sich endlich energisch für eine Finanztransaktionssteuer in Europa und international einsetzen und bis dahin unverzüglich die nationale Börsenumsatzsteuer wieder einführen.

* Online-Petition direkt unterzeichnen: >>> hier.

* Informationen zur Kampagne sowie Hilfestellungen zur Unterzeichnung der Petition: >>> hier.

26. November 2009

WTO-Ministerkonferenz in Genf: Post-Doha-Agenda und WTO-Reform?

Entgegen früherer Ankündigungen wird die sog. Doha-Runde jetzt doch offizielles Thema bei der am kommenden Montag in Genf beginnenden 7. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) sein. Das ruft – zehn Jahre nach „Seattle“ – erneut NGOs, Globalisierungskritiker und soziale Bewegungen auf den Plan. Nach ihrer Ansicht brächte ein Abschluss der Doha-Runde auf der Basis des gegenwärtigen Verhandlungsstands den Entwicklungsländern mehr Schaden als Nutzen. Viele, etwa die Alliance Sud (die entwicklungspolitische Arbeitsgemeinschaft der Schweizer Hilfswerke Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und Heks), fordern deshalb einen Abbruch dieser Verhandlungsrunde und eine neue WTO-Agenda (>>> Positionspapier).

Die Forderung ist nicht ganz konsequent, denn zugleich fordert Alliance Sud, solche Verhandlungsresultate, die positiv für die Entwicklungsländer sind, dennoch umzusetzen. Dazu zählen insbesondere:
* die Abschaffung aller Exportsubventionen für Agrargüter bis 2013;
* die Reduzierung von internen Stützungsmaßnahmen, welche den Agrarhandel verzerren;
* die Erleichterung des Handelsaustausches durch den Abbau technischer und bürokratischer Hindernisse;
* die Möglichkeit, den Patentschutz auf Medikamenten bei Pandemien auszusetzen;
* und die Gewährung eines zoll- und kontingentfreien Marktzugangs für die ärmsten Länder.

Das sind sicherlich Zugeständnisse, die die Ungerechtigkeiten im multilateralen Handelssystem zumindest teilweise korrigieren könnten. Die große Frage ist jedoch, ob sich die Industrieländer darauf einlassen und bereit sein werden, gleich zu einer „Post-Doha-Agenda“ überzugehen. Thema dieser Agenda müssten die handelspolitischen Beiträge zur Lösung aktueller Probleme wie die Klima- oder die Hungerkrise sein. Laut Alliance Sud ginge es bei dieser Post-Doha-Agenda insbesondere um:
* handelspolitische Maßnahmen gegen den Klimawandel, insbesondere den erleichterten Transfer klimafreundlicher Technologien in den Süden, die Reglementierung der Subventionen für fossile Energien und den Umgang mit CO2-Strafzöllen auf Importen, welche die Länder des Südens diskriminieren;
* die Sicherung des Rechts auf Nahrung und die Bekämpfung des Preisdumpings, das einheimische Kleinbauern in den Ruin führt;
* den Wildwuchs von regionalen und bilateralen Handelsabkommen, welche das multilaterale Handelssystem untergraben.

Richtig wird bemerkt, dass die WTO bei diesen Themen vielfach eher Teil des Problems als Teil der Lösung ist. Deshalb müssten gleichzeitig die Strukturen und die Funktionsweise der WTO reformiert, demokratisiert und stärker auf die Bedürfnisse der Entwicklungsländer ausgerichtet werden. Vorschläge dazu haben jetzt das in Genf ansässige International Centre for Trade and Sustainable Development (ICTSD) und das Global Economic Governance Programme der Universität Oxford zusammengestellt. Die Autoren der Studie unter dem Titel Strengthening Multilateralism: A Mapping of Proposals on WTO Reform and Global Trade Governance wünschen sich bis 1. Februar 2010 viele Kommentare (>>> http://strengtheningmultilateralism.wikispaces.com/), die in die Endversion einfließen können.

25. November 2009

Finanzmarktregulierung in Europa: Zahnlose Tiger

Gastkommentar von Sven Giegold

Im September 2009 veröffentlichte die Europäische Kommission einen Vorschlag zu einem Verordnungspaket, mit dem ein Europäisches Netzwerk von Bank- und Finanzmarktaufsichtsagenturen geschaffen werden soll. Der Vorschlag war zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber immer noch eine halbherzige Reaktion auf die Finanzkrise und voller Zugeständnisse an die ineffektiven nationalen Aufsichtssysteme der Mitgliedsstaaten. Statt einer einheitlichen Aufsichtsbehörde, die alle Fäden in der Hand hält, sind drei unabhängige Einheiten für Bank-, Versicherungs- und Wertpapieraufsicht vorgesehen, die durch einen Rat für Systemrisiken verbunden sein sollen.

Der überarbeitete Entwurf der Schwedischen Ratspräsidentschaft vom 19.11.2009 verwässert diese Vorschläge der Kommission nun weiter. Deutschland, Spanien und das Vereinigte Königreich sperren sich gegen eine schlagkräftige europäische Finanzmarktaufsicht und üben anscheinend erfolgreich Druck auf die Präsidentschaft aus.

In Krisensituationen werden die Aufsichtsbehörden nun vom Wachhund zum Zuschauer degradiert. Bei der Entscheidung, ob eine Krise vorliegt, stärkt der neue Entwurf die Rolle der Mitgliedstaaten, die erfahrungsgemäß die eigenen Standortinteressen vor die Stabilität des europäischen Finanzsystems stellen.

Die Regelungen zu den neuen Aufsichtsorganen sahen vor, dass die europäischen Behörden - im Notfall direkt - Finanzakteuren Vorschriften machen können. Dieses Recht soll jetzt gestrichen werden. Damit werden die neuen Behörden zu zahnlosen Tigern ohne echte Sanktionsmöglichkeiten. Während die Finanzkonglomerate längst europäisch aufgestellt sind, bleibt das Krisenmanagement damit den nationalen Aufsichtsbehörden überlassen. Eine wirksame und frühzeitige Reaktion auf eine drohende Krise ist so nicht mehr möglich.

Nicht einmal mehr der offensichtliche Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht soll noch ernsthafte Folgen haben. Nach dem ursprünglichen Entwurf konnte die Kommission eine Entscheidung treffen, wenn von den nationalen Aufsichtsbehörden das Gemeinschaftsrecht gebrochen oder nicht angewendet wurde. Nach dem Wunsch des Rates steht in diesem Fall der Kommission nur noch das Recht zu, eine Stellungnahme abzugeben.

Bislang sollten die europäischen Behörden zur aufsichtsrechtlichen Beurteilung von Zusammenschlüssen und Übernahmen von Unternehmen Stellung nehmen können. Dieses Rederecht wird nun zum exklusiven Privileg der nationalen Aufsichten. Die europäischen Organe bekommen einen Maulkorb verpasst und dürfen nach Wunsch des Rates nur noch die Stimme erheben, wenn sie gefragt werden.

Die Grünen werden sich im Europäischen Parlament dieser Verwässerung einer wirksamen europäischen Finanzaufsicht strikt widersetzen. Gemeinsam mit möglichst vielen Partnerinnen und Partnern wollen wir eine breite Allianz im Europaparlament schmieden, die das Recht der EuropäerInnen auf ein stabiles Finanzsystem verteidigt und nationales Kirchturmdenken zurückweist.

Sven Giegold ist Mitglied des Europäischen Parlaments und Koordinator der Grünen im Wirtschafts- und Währungsausschuss.

17. November 2009

Welternährungsgipfel folgt G8

Im Endeffekt sei die Deklaration des Welternährungsgipfels in Rom nicht mehr als eine Erklärung zur Unterstützung der Strategie, die die Industrieländer der Gruppe der 8 (G8) auf ihrem Gipfel in diesem Sommer in L’Aquila vorgegeben hatten, schreibt die Financial Times in ihrer heutigen Ausgabe. Drastischer lässt sich im Grunde genommen kaum formulieren, dass die Ergebnisse des Gipfels keinen Millimeter hinausgehen über das, was den ernährungspolitischen Mainstream bis dato ohnehin ausmachte. Entsprechend harsch sind die Kommentare der NGOs. Die Menschenrechtsorganisation FIAN hat die Abschlusserklärung des Welternährungsgipfels als "Schlag ins Gesicht der Hungernden" kritisiert. Weder die Anerkennung des Rechts auf Nahrung ist neu, noch die Erkenntnis, dass die Landwirtschaft im Süden mehr gefördert werden muss, sei neu.

"Wir vermissen neue und verbindliche Zusage über Entwicklungsgelder für eine nachhaltige ländliche Entwicklung. Und wir vermissen vor allem Antworten auf brennende Ursachen des Hungers wie den ungerechten Welthandel, Landnahmen durch ausländische Unternehmen und Staaten, Spekulation an den Rohstoffbörsen und die öffentlich geförderte Expansion von Energieplanzen für Agrartreibstoffe", erklärte Ute Hausmann, Geschäftsführerin von FIAN Deutschland. Positiv bewertet FIAN die Rückendeckung des Gipfels für das reformierte Welternährungskomitee (CFS) der UNO zur Koordination der Welternährungspolitik. Bereits im Oktober hatten die Regierungen das CFS grundlegend reformiert und für eine breite Beteiligung der Zivilgesellschaft, insbesondere der von Hunger betroffenen Gruppen wie Kleinbauern, Indigenen und Nomaden, geöffnet.

Die Erfolgsmeldung von Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner, erstmals sei das Menschenrecht auf Nahrung anerkannt worden, bezeichnet FIAN dagegen als "irreführend". Das Menschenrecht auf Nahrung ist in der Tat seit 1976 rechtsverbindlich anerkannt, und schon 2004 haben alle Mitgliedstaaten der FAO umfassende Leitlinien zum Recht auf Nahrung einstimmig verabschiedet. Die bloße Nennung des Rechts auf Nahrung kann da nicht mehr als Erfolg gefeiert werden.

Als Hintergrund zum Welternährungsgipfel in Rome: >>> W&E-Dossier Die Rückkehr des Welthungers

Welternährungsgipfel: Alter Wein in neuen Schläuchen?

8. November 2009

Späte Einsichten: Brown, Steinbrück etc.

Ringen sich sozialdemokratische Finanzpolitiker immer erst zu den guten Ideen durch, wenn sie kurz vor dem Abgang stehen? Das war beim ehemaligen deutschen Finanzminister Peer Steinbrück so, als er kurz vor dem Pittsburgh-Gipfel der G20 im Wahlkampf den Vorschlag einer Finanztransaktionssteuer (FTT) aus der Tasche zog. Das gilt möglicherweise auch für den britischen Premierminister Gordon Brown, der jetzt vor den staunenden Finanzministern der G20 den Widerstand gegen die Einführung globaler Steuern aufgab und die Kapitaltransaktionssteuer als eine von mehreren Ideen nannte, um die Banken an den Kosten ihrer Rettung in Krisensituationen zu beteiligen. Es sei untragbar, so Brown, „dass der Erfolg in diesem Sektor von wenigen eingeheimst wird, die Kosten für Versagen aber uns allen aufgebürdet werden" (>>> Rede im Wortlaut).

Auch wenn sich der Gedanke von den späten Einsichten, die – weil die eigene Wahlschlappe kurz bevor steht – dann doch nicht mehr durchgefochten werden müssen, geradezu aufdrängt – die Bewegung, die in die internationale Debatte um die Finanzmärkte und ihre Regulierung gekommen ist, ist mehr als bemerkenswert. Geradezu symbiotisch war bislang das Verhältnis der von Tony Blair modernisierten Labour-Sozialisten zum Finanzplatz London. Das Schicksal der City galt als identisch mit Erfolg oder Misserfolg der Labour-Leute. Doch wie sich jetzt zeigt, ist auch in England keine Allianz auf die Ewigkeit angelegt. Den Anfang machte der Chef der obersten britischen Regulierungsbehörde Lord Turner, als er in diesem Spätsommer die Tobin-Steuer wieder ins Gespräch brachte und auf die parasitären Eigenschaften des Finanzsektors hinwies.

Die Kehrtwende der britischen Regierung in puncto globale Steuern bedeutet vor allem, dass die USA jetzt ihren wichtigsten Bündnispartner in Europa verlieren. Zwar hat US-Finanzminister Geithner in St Andrews die Idee einer FTT sogleich verworfen; die mehrfach gestellte Frage nach dem „Warum?“ wusste er allerdings nicht so recht zu beantworten; die Idee habe in den USA eben keinen großen Rückhalt, sagte er. Doch das kann sich natürlich ändern. Jedenfalls ist klar, dass die Finanzleute von Präsident Obama, die weitgehend noch aus dem alten Finanzmarktestablishment kommen, das die Krise mit zu verantworten hat, jetzt Farbe bekennen müssen. Ein Druckfaktor kommt allen denen da zupass, die wirkliche Veränderungen wollen: der Trend des US-Dollars nach unten und die immer offener angestellten Überlegungen, ob es nicht eine Alternative zu der bisherigen Leitwährung der Welt geben könnte.

7. November 2009

Kleine Sensation in St Andrews/Schottland: Brown gibt Widerstand gegen globale Steuer auf

Eine kleine Sensation gab es am Rande des Treffens der G20-Finanzminister in St Andrews/Schottland: Der britische Premierminister Gordon Brown forderte die G20 dringend auf, Möglichkeiten für eine globale Besteuerung der internationalen Banken zu erörtern, um sie an den Kosten von Rettungsaktionen in Finanzkrisen zu beteiligen. Das Kommuniqué des Treffens (>>> hier) enthält diese Forderung noch nicht, doch einen diesbezüglichen Arbeitsauftrag an den IWF hatte bereits der Pittsburgh-Gipfel der G20 im letzten September beschlossen (>>> W&E 10/Oktober 2009).

Gewisse Fortschritte gab es in St Andrews bei der Ausgestaltung des „Rahmenwerks für starkes, nachhaltiges und ausbalanciertes Wachstum“, das ebenfalls in Pittsburgh beschlossen worden war. Dieser neue Anlauf zur Eindämmung der globalen Ungleichgewichte und die starke Bewegung in Sachen internationale Kapitaltransaktionssteuer geben wahrlich reichhaltigen Stoff zur Kommentierung: >>> dazu morgen mehr in diesem Blog.

Keinen Durchbruch brachte das Treffen hingegen in puncto Klimafinanzierung, wie unser Video zeigt:

6. November 2009

4. November 2009

Hauen und Stechen vor dem Welternährungsgipfel

Gastkommentar von Uwe Hoering

Mit 'Hochrangigen Task Forces', institutionellen Reformen und immer neuen, immer umfassenderen Strategiepapieren antworten die politischen Hungerbekämpfer in den Vereinten Nationen, Bretton Woods-Institutionen und Regierungen auf den Skandal, dass einem Schlaraffenland von Nahrungsmitteln eine historisch noch nie erreichte Anzahl von Hungernden gegenüber steht. Reis- und Brotaufstände lieferten Schlagzeilen und Bilder, die die jahrzehntelangen, vollmundigen Feldzüge gegen den Hunger in der Welt gar nicht gut aussehen lassen. Also besteht Handlungsbedarf. Doch ursachenferne Reformen wie ein Herumzimmern an Governance-Architekturen ist kaum mehr als Aktionismus. Und auch die Ankündigungen, die Gelder für die Entwicklung der Landwirtschaft zu erhöhen, sind noch nicht viel mehr als die Öffentlichkeit beschwichtigende Absichtserklärungen, abgesehen davon, dass es sich im Vergleich mit den Rettungspaketen für Banken, Spekulanten und Industrien um weniger als Peanuts handelt.

Damit ist allerdings ein fröhliches Hauen und Stechen um die Führung im neuerlichen, globalen Feldzug gegen den Hunger ausgebrochen, und natürlich um den Anteil am finanziellen Kuchen. Allein die 20 G8-Milliarden von L'Aquila für die „Ernährungssicherheit“ übersteigen den Jahresetat der FAO um ein Vielfaches. Aber auch die Weltbank braucht frisches Geld, um ihren Apparat am Laufen zu haben – eine Art Rettungsschirm für ihr Kreditgeschäft. Kompetenzgerangel und Geld für die eigene Institution - darum wird es Mitte November in Rom vor allem gehen.

Die Weltbank hat längst ihre Pflöcke eingerammt, um sich als effizientester Hungerbekämpfer und Mittelabflusskanal zu präsentieren. Und sie hat mit den meisten Regierungen der Industrieländer und der Industrie starke Bataillone hinter sich. Aber auch die FAO, als UN-Organisation in den vergangenen Jahren zunehmend geschwächt, sieht in der Krise ihre Chance. Sie ist gerade dabei, durch einen Reformprozess ihr Image aufzupolieren und sich wieder zurück ins Spiel zu bringen. In einem geschickten Schachzug hat sie sich mit der Reform des Komitees für Ernährungssicherheit (CFS) die Unterstützung durch Zivilgesellschaft, transnationale Bauernbewegungen und nichtstaatliche Entwicklungsorganisationen gesichert – als Vertreter von Millionen Bauern authentische Mitstreiter für das hehre Ziel.

Um sich als der beste Anwalt der Hungernden in der Welt zu profilieren, müssen die Aspiranten im Kampf um Geld und Führung jedoch zumindest ansatzweise auch Konzepte präsentieren, wie sie die Wende herbeiführen wollen. Daher werden die Diskussionen darüber, wer die Hungerkrise wie lösen will, spannend. Ein Erfolg wäre es allemal, wenn am Ende des Gipfels die Erkenntnis gewonnen hätte, dass das Agrobusiness keine Lösung für die Hungerkrise bieten kann, sondern dass in der Agrarpolitik eine grundlegende Verschiebung hin zur kleinbäuerlichen Landwirtschaft stattfinden muss – mit Landreformen, Schutz gegen Agrardumping, Zugang zu Wasser und lokalen Märkten, einer Stärkung bäuerlicher Organisationen usw. Denn eins ist klar: Der überwiegenden Mehrzahl der Hungernden wird weder durch neue Governance-Spielereien noch durch einige Milliarden mehr für Institutionen und Behörden geholfen werden, sondern nur dadurch, dass sie sich selbst versorgen können.

Dr. Uwe Hoering lebt als freier Publizist in Bonn und schreibt regelmäßig für W&E, zuletzt >>> Ausblick; Weltgipfel für Ernährungssicherheit. Wer dominiert die internationale Agrarpolitik? Sein Kommentar erschien auch auf seiner Website >>> www.globe-spotting.de.

27. Oktober 2009

Der Koalitionsvertrag als Lobbywerk

Ergebnisse erfolgreicher Lobbyarbeit erkennt die Umwelt- und Entwicklungsorganisation urgewald im Koalitionsvertrag der neu gebildeten schwarz-gelben Bundesregierung. In puncto Hermesbürgschaften trage der Vertrag eindeutig die Handschrift des Siemens-Konzerns. Nach dem Vertrag sind im Umweltbereich künftig die OECD-Umweltleitlinien alleiniger Maßstab bei der Prüfung von Anträgen auf Exportbürgschaften. Dies klinge nach einer harmlosen Vereinfachung von Verfahren, so eine urgewald-Sprecherin. Tatsächlich werde damit jedoch die deutsche Hermes-Umweltleitlinie abgeschafft, die bisher die Förderung von Atomexporten ausschließt. Siemens habe das nie gepasst und ie Koalitionäre nun erfolgreich lobbyiert zu haben.

Nutzen würde die atomare Exportförderung besonders dem geplanten Gemeinschaftsunternehmen aus Siemens und Rosatom, womit deutsche Exportförderung zukünftig bei der weltweiten Verbreitung russischer Atomreaktoren helfen würde. Gerade in den Ländern, die für mögliche Atomexporte in Frage kommen, wie Indien, China, Brasilien und einige Länder Osteuropas, sind Rahmenbedingungen wie Sicherheitsstandards und unabhängige Atomaufsicht sehr schwach, die Haftpflicht der Atomkraftwerksbetreiber ist begrenzt und Korruption sehr verbreitet, argumentiert urgewald. Zudem mahnt die Organisation, dass der Weg zur Atombombe meist über zivile Atomprogramme läuft. Den internationalen Ausbau der Atomenergie zu unterstützen, fördert damit gleichzeitig die internationale atomare Aufrüstung. Es gab bereits eine Hermesbürgschaft für den Atomreaktor Bushehr im Iran, der zum umstrittenen Atomprogramm des Landes gehört.

Auch in Bezug auf die Rüstungsexporte deutet das Kapitel zur Außenwirtschaftsförderung auf eine Lockerung der bislang eher restriktiven, wenngleich schon stark durchlöcherten deutschen Praxis. Zwar redet der Vertrag von einer „verantwortungsbewussten Genehmigungspolitik“ bei Rüstungsexporten, plädiert aber für die Gewährleistung „fairer Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Wirtschaft“. Dazu solle die Harmonisierung mit der Genehmigungspolitik der anderen EU-Staaten „auf hohem Niveau angestrebt und auch die Praxis bei Dual-Use-Gütern angepasst werden.

Ausführliche Analysen der entwicklungspolitischen Aspekte des Koalitionsvertrags und der Perspektiven des BMZ unter Schwarz-Gelb finden sich >>> hier und >>> hier.

Abbildung: Spiegel-Titel von dieser Woche

22. Oktober 2009

Finanztransaktionssteuer: Task Force eingesetzt

Heute beginnt eine vom Internationalen Währungsfonds (IWF) eingesetzte Task Force in Paris ihre Arbeit zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT). Der Task Force gehören die Finanzminister zahlreicher Staaten an. Der IWF war auf dem G20-Gipfel in Pittsburgh beauftragt worden, bis zum nächsten G20-Treffen Vorschläge zu machen, wie die Finanzbranche substantiell zur Finanzierung der Krisenlasten beitragen kann (>>> Strauss-Kahn zur Tobin-Tax). Globalisierungskritiker fordern jetzt, dass mit der von ihnen seit langem geforderten Einführung einer FTT endlich Ernst gemacht wird. Attac z.B. tritt seit seiner Gründung 1998 in Frankreich für derartige Steuern ein.

Die Finanztransaktionssteuer sei im Euroraum „so problemlos einführbar wie die Gebühren für Girokonten", sagt etwa Peter Wahl von Attac Deutschland. Sie zu umgehen, wäre nur bei einem Verzicht auf elektronische Handelsplattformen und internationale Zahlungsausgleichssysteme möglich. Das aber käme letztendlich viel teurer als die Steuer selbst. Bei den gigantischen Umsätzen auf den Finanzmärkten würde laut Attac selbst ein Steuersatz von nur 0,1% helfen, die Staatshaushalte zu sanieren. Die Schuldigen für das Desaster, also Banken, Fonds und alle anderen Spieler, müssten zur Kasse gebeten werden und ihrer finanziellen und gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden, meint sein Mitstreiter Detlev von Larcher.

In der Tat würde eine FTT nicht nur Einnahmen bringen, sondern auch zur Schrumpfung der hypertrophen Finanzmärkte beitragen. Da für viele Spekulationsgeschäfte bereits Kursdifferenzen von einem 1/100% genutzt werden, würde schon ein minimaler Steuersatz den Großteil der spekulativen Geschäfte unrentabel machen. Doch selbst diejenigen Politiker, die sich öffentlich für die FTT einsetzen, lassen sich zahlreiche Hintertüren offen, beispielsweise indem sie die gleichzeitige Einführung der FTT auf globaler Ebene verlangen. Die Finanztransaktionssteuer funktioniert wie die Umsatzsteuer. Sie wird erhoben auf den Handel mit Aktien und allen Arten von Wertpapieren, Derivaten und Devisen - also alle Vermögenswerte, die in der Branche gehandelt werden.

7. Oktober 2009

Protest? Ohne Sinn und Ziel

Heute geht in Istanbul die Jahrestagung von IWF und Weltbank zu Ende. Doch von den gewaltsamen Scharmützeln, die gestern doch noch aufflammten, nahm – von den lokalen Medien abgesehen – kaum jemand Notiz. Dies ist nicht verwunderlich. Denn von der kontraproduktiven Funktion solcherlei Randale einmal abgesehen, lässt diese Form des „Protests“ immer weniger erkennen, worum es eigentlich geht. Dass die Randalierer in Istanbul ziemlich isoliert dastanden und sich nicht wie früher in einer beeindruckenden Menge von Demonstranten verstecken konnten (und folglich von dem martialischen türkischen Polizeiaufgebot sofort abgeräumt wurden), verweist aber auch auf ein anderes Problem.

NGOs und soziale Bewegungen sehen sich heute einer Mobilisierungsschwäche gegenüber, die mit mangelnder Einstellung auf die gewandelte Realität zu tun hat. Schon bei den G20-Gipfeln zeigte sich, dass Argumente, die vielleicht gegenüber der G7 oder G8 ihre Berechtigung hatten, immer weniger ziehen. Bei aller Kritik, die an der G20 möglich ist, sie ist ein anderes Gremium als das alte Direktorat der Weltwirtschaft namens G7. Und genauso wenig ist es heute mehr möglich, IWF und Weltbank einfach als „globale Agenturen des Neoliberalismus“ anzuprangern. Viel zu groß sind dafür die Veränderungen, die sich auch dort Bahn brechen. Auch wenn viele Elemente des überkommenen Washington Consensus‘ noch nicht überwunden sind – im Grundsatz hat sich diese Politik in der aktuellen Krise gründlich blamiert.

Und so fanden denn die interessanteren Diskussion diesmal innerhalb des Konferenzzentrums statt und nicht wie früher oftmals außerhalb. Es war schon immer unsinnig, offizielle Konferenzen vom Format der Jahrestagungen sprengen zu wollen. Doch diesmal mutet derartiges Unterfangen nur noch anachronistisch an.

6. Oktober 2009

5. Oktober 2009

Istanbul: The Show is over, doch die Debatte geht weiter


Eigentlich geht es noch heute und morgen weiter. Aber da die wichtigen Beschlüsse traditionsgemäß schon vorher gefasst werden, beschränkt sich der Rest – die eigentliche Gouverneursversammlung – auf die Schaufenster-Reden der Minister. Höchste Zeit, diese Baustelle der Globalisierung zu verlassen…

Dass das Wichtigste vorbei ist, heißt nicht, dass es nicht noch interessante Kommentare geben wird. Einer erscheint heute in der Financial Times. Alnoor Ebrahim von der Harvard Business School fordert darin, dass die Weltbank ihr Geschäftsmodell in Ordnung bringen soll. Dazu gehöre u.a., dass mit der Hauptaufgabe „Armutsbekämpfung“ endlich Ernst gemacht wird. Was den Kommentar von vielen anderen unterscheidet ist, dass er auf die inhärenten Widersprüche der gegenwärtigen Geschäftspolitik verweist, die hohe Kredite an große Länder belohnt, ebenso wie Großfinanzierungen für Großprojekt, deren Relevanz für die Armen oft zweifelhaft ist.

Was auch zu bearbeiten bleibt, ist die Frage, wie weit der IWF seine Konditionalität in der Krise wirklich geändert hat. In einem Papier, das er kurz vor der Jahrestagung herausbrachte, behauptet der Fonds, gerade seine Kredite an Niedrigeinkommensländer hätten deren „Policy Space“ erweitert und mehr Spielraum für antizyklische Wirtschaftspolitik geschaffen. Das Gegenteil behauptet das Centre for Economic Policy Research (CEPR) in einer Studie, die heute veröffentlicht wurde. Danach findet sich in den meisten der untersuchten IWF-Kredite an die Ärmsten der Armen die traditionelle prozyklische Konditionalität wieder, die in der Vergangenheit so viel Unheil angerichtet hat. Mehr dazu und vor allem, wer richtig liegt, wird demnächst in Weltwirtschaft & Entwicklung untersucht werden.

Weltbank-Finanzen: Vor dem großen Sprung – Stagnation auf hohem Niveau?

Die Jahrestagungen von IWF und Weltbank erfüllen nicht zuletzt die Funktion, die Finanzmittel für die beiden Bretton-Woods-Institutionen zu sichern. Nachdem der IWF bereits das ganze Jahr über den Geldsegen spürte, war es vor allem die Weltbank, die hier in Istanbul finanziell zu punkten suchte. Deswegen richteten sich viele Blicke auf die Ergebnisse des Gemeinsamen Entwicklungsausschuss, der heute tagte.

Das Kommuniqué berichtet zunächst von den Rekorden, die die Weltbank-Gruppe in den letzten Jahren erzielt hat. So hat die eigentliche Weltbank (IBRD) ihre Zusagen im laufenden Jahr auf 33 Mrd. Dollar verdreifacht; Nutznießer der Kredite sind vor Mitteleinkommensländer. Die Soft-Loan-Filiale IDA erreichte mit 14 Mrd. Dollar einen historischen Höchststand; dieses Geld fließt vor allem in die ärmeren Entwicklungsländer. Und die International Finance Corporation (IFC) vergab 10,5 Mrd. Dollar aus eigenen Mitteln und mobilisierte zusätzlich noch einmal 4 Mrd. durch Initiativen in den Bereichen Handelspolitik, Infrastruktur, Mikrokredit und Bankenkapitalisierung.

Nach den heutigen Beschlüssen soll dieses Ausleihniveau jetzt mit über 100 Mrd. Dollar über die nächsten drei Jahre stabilisiert werden. Darüber hinaus soll ein neuer Krisenreaktionsmechanismus für die IDA-Länder geschaffen werden, und der Entwicklungsausschuss unterstützte auch die Etablierung eines multilateralen, bei der Weltbank angesiedelten Trustfonds, um in Kooperation mit anderen multilateralen Einrichtungen (vor allem der FAO) die Initiative für Nahrungsmittelsicherheit in Ländern mit niedrigem Einkommen zu unterstützen. Dies hatte der G8-Gipfel in diesem Sommer in Italien angeregt.

Die Weltbank-Spitze will in nächster Zeit auch eine Kapitalerhöhung um 3 bis 5 Mrd. Dollar für die IBRD durchsetzen. Hier beschloss der Entwicklungsausschuss allerdings, bis zum Frühjahr 2010 erst einmal Klarheit über den Umfang der Erhöhung zu schaffen. Vor allem die USA machen ihre Zustimmung vom Fortgang der Reformen in der Weltbank abhängig. Frankreichs Christine Lagarde hält – ebenso wie die Britten – eine Kapitalerhöhung überhaupt nicht für nötig. Und in puncto Reform steht die Weltbank deutlich schlechter da als der IWF.

Doch Weltbank-Präsident Bob Zoellick hat den nächsten Geldsegen schon fest im Blick: „Die Weltbank hat versprochen, ihren Part unter der Führung der UNFCCC (Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen) und des Ausschusses der Vertragsparteien bei den UN zu spielen“, sagte Zoellick heute. Das ist jetzt wohl die Formel, die helfen soll, in Kopenhagen und danach möglichst viel Geld auf ihre Konten zu leiten.

G20 als Herausforderung für die NGOs

Viele NGOs haben Schwierigkeiten, sich auf die neue Situation, die mit der Ablösung der G8 durch die G20 entstanden ist, einzustellen. So ist denn auch auf so mancher der zahlreichen Strategiediskussionen, die hier in Istanbul stattfinden, nicht der IWF oder die Weltbank das Hauptthema, sondern unterschwellig die G20. Robert Wade von der London School of Economics, der gestern auf dem Böll-Forum auftrat, hält sie für ein Übergangsphänomen, einen „interim body“, der nicht lange Bestand haben wird.

Wades Hauptargument: Die G20 sei in ihrer Zusammensetzung zu starr und weise kein einziges Moment der Rotation auf, durch das auch mal andere Länder, außerhalb des Klubs, zum Zuge kommen könnten. Für ein funktionsfähiges zentrales Steuerungsgremium ökonomischer Global Governance seien überhaupt nur vier permanente Mitglieder erforderlich: die USA, die EU, China und Japan. Alle übrigen Mitgliedsländer könnten nach regionalem Proporz oder wirtschaftlichen Kriterien rotieren.

Robert Wade hat Recht, wenn er sagt, dass sich die Legitimität eines Gremiums nicht nur an seiner Zusammensetzung, sondern auch an seinem Zustandekommen entscheide, und gerade da bleibt die G20 ein Kind der G7. Wade rät den NGOs, künftig drei Schwerpunkte stärker zu berücksichtigen: Erstens sollten sie auf die weltweit wachsende Ungleichheit der Einkommen hinweisen. Zweitens sollten sie die Suche nach neuen Wachstumsmodellen vorantreiben. Und drittens sollten sie vor allem regionale Organisationen unterstützen. Schließlich steige für die zentralen bzw. globalen Einrichtungen, wie G20 oder auch IWF und Weltbank, der Druck zur Veränderung in dem Maße, wie sie regionale Konkurrenz bekämen. Einkommensungleichheit und neue Wachstumsmodelle seien nicht von ungefähr tabu an der Spitze der Global Governance.

Andererseits: Die G7/G8 waren erheblich weniger repräsentativ als die G20. Das hinderte sie aber nicht daran, gut drei Jahrzehnte an der Spitze der Global-Governance-Pyramide zu stehen. Zwischen dem Ölschock Mitte der 1970er Jahre, der ihr zum Leben verhalf, bis zur großen Finanzkrise, in der sie obsolet wurde, lag eine ganze weltökonomische Epoche – keine Übergangsetappe.

4. Oktober 2009

Wie Strauss-Kahn dem IMFC seinen Stempel aufdrückt

Die Jahrestagung der Bretton-Woods-Institutionen hier in Istanbul geht zwar noch bis Mittwoch, doch das Steering Committee des IWF, der Internationale Währungs- und Finanzausschuss (IMFC) hat heute schon mal seine Schlussfolgerungen gezogen. Das Kommuniqué enthält wenige Überraschungen für die aufmerksamen LeserInnen dieses Blogs. Doch drei Punkte verdienen es, hervorgehoben zu werden:

1. Im Lichte seiner Aufwertung in der Krise will der IWF jetzt auch sein Mandat überarbeiten. Über die ursprüngliche Aufgabe des Ausgleichs der Zahlungsbilanzen hinaus soll es sich künftig auf „das ganze Spektrum der makroökonomischen und finanziellen Sektorpolitiken erstrecken, die für die globale Stabilität von Belang sind“. Bis zur nächsten Jahrestagung soll dazu ein Bericht vorliegen.
2. Die in der jüngsten Krise geschaffene Flexible Kreditlinie (FCL), aus der die teilnehmenden Länder (derzeit Polen, Mexiko und Kolumbien) im Krisenfall einfach Geld ziehen können, soll ausgebaut werden, nach dem Willen von IWF-Chef Strauss-Kahn zu einem Pool von Währungsreserven, um künftig den Aufbau großer Währungsreserven auf nationaler Ebene und die damit verbundenen globalen Ungleichgewichte zu vermeiden. Die Mitglieder des Pools sollen dann im Krisenfall automatisch auf diese Finanzmittel zurückgreifen können.
3. Große Meinungsunterschiede bestehen unter den IWF-Mitgliedern, wie die Umschichtung der Quoten von derzeit unterrepräsentierten Ländern zu den überrepräsentierten Ländern bis Januar 2011 bewerkstelligt werden soll. Hier übernahm der IMFC die Vorgabe der G20, dass „mindestens 5%“ auf Schwellen- und Entwicklungsländer transferiert werden sollen. Die G24 hatte zwar gestern wie die BRICs 7% gefordert, aber bei der Bewertung des Kompromisses müsse auch berücksichtigt werden, das die Quotenerhöhung von 2,7% aus dem Jahr 2008 mitberücksichtigt werden müsse, so dass sich insgesamt 7,7% ergeben, meinte Strauss-Kahn.

Signifikant ist, dass der IMFC auch in Bezug auf die künftige Rolle des IWF in der sog. multilateralen Surveillance die Vorgaben der G20 einfach übernommen hat. Früher kamen derartige Vorgaben in der Regel von der G7. Noch ein Beispiel dafür, wie dramatisch die Neuformatierung der ökonomischen Global Governance ist, die sich vor unseren Augen abspielt.

>>> Die Karikatur ist der Financial Times von diesem Wochenende entnommen, die Strauss-Kahn eine Ausgabe ihrer Serie Man in the News gewidmet hat.

3. Oktober 2009

G7: The last supper?

Dieses Kommuniqué hätten sie sich wirklich schenken können, die Finanzminister der G7. Oder zumindest hätte man sich auf den letzten Satz beschränken können: „Wir geloben zu führen, indem wir beispielhaft zu den Beschlüssen der G20-Führer in Washington, London und Pittsburgh stehen.“ Der Rest ist reine Wiederholung von Pittsburgh. Nur die explizite währungspolitische Kritik an China wäre im G20-Kreis nicht durchgekommen – ein letztes Hurra der G7, wie Chris Giles im Money-Supply-Blog der Financial Times schreibt.

Seit gestern macht hier in Istanbul die Rede von den Todesglocken für G7 die Runde. IWF-Chef Strauss-Kahn feixte schon auf seiner Pressekonferenz über „the late G7“. Und auch die derzeitige und künftige G7/8-Präsidentschaft Italien und Kanada wussten nicht so richtig zu erklären, wohin die Reise gehen soll. Italiens Finanzminister Tremonti bestätigte auf Nachfrage, dass die G7 heute keinen einzigen konkreten Beschluss gefasst haben. Kanadas Finanzminister Flaherty kündigte ein nächstes Finanzministertreffen der G7 für das Frühjahr an. Aber man wird sich wohl nur noch gelegentlich in diesem Kreis treffen. Es sei denn, es entsteht demnächst eine Bewegung zur Rettung der G7. Aber das glaubt wohl keiner.

Ringen um Stimmrechte intensiviert sich

Eine Verdoppelung der Gesamtquoten bei gleichzeitiger Verschiebung von 7% der Stimmrechte auf die Entwicklungsländer fordert die Gruppe der 24, die die Dritte Welt in IWF und Weltbank vertritt. Ein solches politisches „Commmitment“ soll der Steuerungsausschuss IMFC (Internationaler Währungs- und Finanzausschuss) auf seiner morgigen Sitzung für die laufende Quotenrevision beschließen. So jedenfalls steht es im heute veröffentlichten G24-Kommuniqué. In Bezug auf die Reform der Weltbank-Governance erwarten die G24 einen Transfer von 6% der Stimmrechte von den Industrie- zu den Entwicklungsländern.

Damit gehen die Entwicklungsländer bewusst über die Empfehlungen des Pittsburgh-Gipfels hinaus, der 5% für den IWF und 3% für die Weltbank in seine Abschlusserklärung geschrieben hatte. Die Forderungen der G24 nehmen sich ein bisschen so aus wie das Pokern der Gewerkschaften in Tarifverhandlungen. Wahrscheinlich trägt dies aber dazu bei, dass es am Ende rund 5% sein werden, um die sich die Stimmrechtsverteilung zugunsten der Entwicklungsländer verändert haben werden, wenn die Quotenreform bzw. die Kapitalneuzuteilung im Januar 2011 ausgehandelt sein wird. Weltbank-Präsident Zoellick hat schon von sich aus 5% für sein Haus ins Spiel gebracht.

5% hört sich nicht sonderlich hoch an. Doch würde auf diese Weise in beiden Bretton-Woods-Institutionen die symbolisch wichtige Parität zwischen den Industrieländern und dem Rest der Welt erreicht. Das gäbe zwar Raum für neue Koalitionen und neue Mehrheiten; weder am Vetorecht der Amerikaner noch an der Überrepräsentanz der Europäer würde dies aber automatisch etwas ändern. Eine wirklich durchschlagende Veränderung wäre nur die Einführung eines doppelten Stimmrechtsmodells, wie es beispielsweise unter dem Montreal-Protokoll oder in der Globalen Umweltfazilität GEF praktiziert wird. Dadurch würde an die Stelle der Verhinderungsmacht der wirtschaftlich Stärksten ein Einigungszwang zwischen Gläubiger- und Schuldnerstaaten treten, da auch letztere wichtige Entscheidungen blockieren könnten. Dominique Strauss-Kahn hat eine solche Option bei seiner Bewerbung um den IWF-Chefsessel nicht ausgeschlossen. Man sollte ihn jetzt beim Wort nehmen.

2. Oktober 2009

Strauss-Kahn zur Tobin-Tax – Zoellick als Präsident der G186

Nicht für die simple alte Tobin-Tax sei er, wohl aber dafür, die Finanzmarktakteure an den Kosten der Stabilisierung des Finanzsystems zu beteiligen. Genau mit der Entwicklung eines solchen Mechanismus sei der IWF von der G20 beauftragt worden, sagte IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn auf der Eröffnungspressekonferenz des Fonds (>>> Video-Link) hier in Istanbul. Im Mittelpunkt dieser Konferenz stand aber die Vorstellung von Prinzipien, wie sich Strauss-Kahn die Gestaltung der Welt nach der Krise vorstellt: Die nachhaltige wirtschaftliche Koordination müsse unbedingt fortgesetzt werden; die finanzielle Stabilität durch bessere Regulierung und Aufsicht verbessert werden; und ein stabileres internationales Währungssystem sei unbedingte Aufgabe des IWF mit seiner Lender-of-Last-Resort-Funktion.

Nach Strauss-Kahn braucht der IWF kein neues Mandat; ein neuer IWF könne sich aber auf die Aufgaben rückbesinnen, die ihm bei der Gründung zugeteilt worden waren. Und dazu gehört offensichtlich die lange vernachlässigte währungspolitische Stabilisierung. Wenn die Länder Reserven anhäufen, um ihre Währung vor spekulativen Attacken zu schützen, könne man ihnen keinen Vorwurf machen. Die Frage sei jedoch, ob ein multilaterales Pooling der Währungsreserven nicht das effektivere Mittel sei. Auch das muss berücksichtigt werden, wenn über den Abbau der globalen Ungleichgewichte diskutiert wird. Und schon wieder ist der IWF im Spiel.

Was immer Strauss-Kahn derzeit anpackt (oder was ihm durch die Krise zufällt) – es ist Wasser auf seine Mühlen, und dafür ist er nicht einmal zu kritisieren. Der Wiederaufstieg des IWF ist so beeindruckend, dass sein Direktor schon mal sagen kann: Der Fonds sei doch keine Bank, die auf Kundenfang gehen müsse.

Eine solch komfortable Position hat Strauss-Kahns Kollege Bob Zoellick, der Weltbank-Präsident, nicht ganz. Als er heute Morgen (>>> Video-Link) ausgerechnet die Weltbank als eine Organisation der „G186“ (so viel Mitglieder hat die Bank) darstellte, zog dies sogleich die Kritik von Oxfam International nach sich: Das könne doch wohl nicht wahr sein, wenn 47 Länder Subsahara-Afrika nur 5% der Stimmen haben.

* Die Weltbank als ‚Bad Bank‘

Die Weltbank ist eine Bank, seit neuestem sogar eine Art „Bad Bank“: Die jüngste gemeinsame Initiative mit ihrer Tochter IFC (International Finance Corporation), über die hier diskutiert wird, läuft darauf hinaus, toxische Papiere oder faule Schuldtitel im Wert von 5,5 Mrd. Dollar in Entwicklungs- und Schwellenländern aufzukaufen, um sie „reformiert“ wieder in den Markt zu recyceln. Das sage noch einer, die Weltbank werde nicht gebraucht!

1. Oktober 2009

Istanbul: Skeptische Prognosen und Schuhe auf Strauss-Kahn

Eine Werbetafel am Flughafen verkündet hoffnungsfroh: „Wenn die Krise vorüber ist – kreative Ideen in Istanbul!“ Ja, wenn! Der gestern vorgestellte Financial Stability Report (FSR) des IWF ist eine offene Warnung, dass die Finanzkrise eben nicht vorbei ist. Und der heute präsentierte World Economic Outlook (WEO) sagt zwar für 2010 wieder positive Wachstumsraten voraus, aber der Aufschwung dürfte wesentlich schwächer ausfallen als in bisherigen Erholungsphasen. Letzteres hänge damit zusammen, so der IWF, dass irgendwann in der nächsten Zeit private und binnenwirtschaftliche Nachfrage an die Stelle der staatlichen Konjunkturprogramme treten muss, die aber nirgendwo in Sicht ist. Bemerkenswert wie die Überschussländer wie Deutschland, China und Japan immer schärfer vom IWF ins Visier genommen werden.

Während die Autoren des WEO nicht an eine „Dubble-Dip Recession“ glauben, können die Warnungen des FSR durchaus so verstanden werden: Seine Verfasser streichen heraus, dass aufgrund der bislang mangelhaften Säuberung der Bankenbilanzen von toxischen Papieren und der anhaltenden Zurückhaltung bei der Kreditvergabe durchaus die Gefahr eines weiteren Rückfalls in die Rezession besteht. Immerhin haben die Banken nach IWF-Schätzungen erst rund die Hälfte ihrer jetzt auf 2.800 Mrd. US-Dollar geschätzten Verluste offiziell abgeschrieben – der Rest kommt noch. Und der ungedeckte Rekapitalisierungsbedarf der Geldhäuser ist insbesondere in Europa hoch.



Spektakuläres Ereignis am Rande: Der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, der ein diskussionsfreudiger Mann ist, hielt heute zum Auftakt seines Istanbul-Parcours einen Vortrag vor Studierenden der hiesigen Bilgi-Universität. Er wurde dabei von einem Schuhwerfer mit den Rufen unterbrochen „Haut ab, Ihr Diebe vom IWF!“ Das kommt hier gut an: Selbst in der schwersten Rezessionszeiten haben die tonangebenden Kräfte des Landes immer Nein zum IWF gesagt.

Strauss-Kahns Reaktion auf die Veranstaltung: Die türkischen Studenten seien sehr höflich; die kritischen Fragen stellten sie ganz zum Schluss. Toleranz der Macht oder Langeweile? Eines ist jedenfalls sicher: Langweilig wird es bestimmt nicht werden, wenn am Samstag die Heinrich-Böll-Stiftung mit ihrer Critical Debate on WB and IMF am selben Ort die Szene belebt.

30. September 2009

Noch einmal: Drei zentrale Herausforderungen für die G20

Der Direktor des Earth Institute an der Columbia-Universität in New York, Jeffrey Sachs, hat ohne Zweifel das Talent, ungelöste Probleme beim Namen zu nennen. In der heutigen Financial Times schreibt er, bei allem Fortschritt, den die G20 gegenüber G8 und G1 (d.h. der unumstrittenen Führung durch eine Supermacht, die USA) repräsentierten, müsste sie drei Probleme noch lösen, wenn sie effektiv und erfolgreich sein möchte:

„Während sie (die G20) 4,2 Milliarden Menschen repräsentiert, weit mehr die rund 900 Millionen, für die die G8 stand, lässt sie 2,6 meist verarmte Menschen einfach außen vor, die auch integriert werden sollten. Ihre Einbeziehung ist wesentlich für die Problemlösung in einer Reihe zentraler globaler Fragen. Zweitens ist die G20 zwar das zentrale Wirtschaftsforum, aber keine Gruppe, die internationales Recht setzt oder Verträge abschließt. Nur die Vereinten Nationen können globales Recht schaffen und globale Verträge durchsetzen. Drittens brauchen die G20 eine Vertiefung ihrer Problemlösungskapazität, und zwar durch systematischen Aufbau von Expertise in den Bereichen Energiesicherheit, Klimawandel und Finanzmarktregulierung.“

Auch wenn Sachs mit dem letzten Punkt dezent und nicht ganz uneigennützig auf ein potentielles neues Aufgabenfeld für sich selbst hinweist, sind das die zentralen Herausforderungen, vor den die G20 in den nächsten Jahren stehen wird, wenn sie eine solide Legitimitätsbasis entwickeln und der Gefahr entgehen will, eine neue Dreiteilung der Welt in entwickelte, emerging und arme Länder zu zementieren (>>> Die Selbstinthronisierung der G20 in Pittsburgh).

26. September 2009

Nach der Selbstetablierung der G20: Von Pittsburgh nach Istanbul

Der G20-Gipfel in Pittsburgh ist vorbei. Der Zirkus der Wirtschafts- und Finanzdiplomatie zieht jetzt weiter zur nächsten Baustelle, nach Istanbul, wo in der kommenden Woche die Jahrestagung von IWF und Weltbank beginnt. Derweil sitzen die Analysten aller Länder über dem umfänglichen Kommuniqué, das die Staats- und Regierungschefs gestern verabschiedet haben. Es ist detaillierter als erwartet und substantieller als so manches Dokument, das die G7/G8 in der Vergangenheit produziert haben.


Dennoch ist es ein typischer Kompromiss: Um Amerikaner und Briten zu erfreuen, kommen die Begriffe ‚framework‘ und ‚compact‘ vor. Um die Deutschen und die Schwellenländer nicht zu verprellen, fehlen bindende Mechanismen, die die Mitgliedsländer zwingen könnten, die Beschlüsse der G20 künftig zu befolgen. In Bezug auf den IWF wurde beschlossen, 5% der Stimmrechte an die Schwellen- und Entwicklungsländer zu transferieren; der Konflikt um die Direktorenposten im Vorstand (>>> Stunde der Wahrheit für Europa) wurde vorerst unter den Teppich gekehrt. Ob mit Pittsburgh wirklich ein neues Zeitalter der ökonomischen Kooperation eröffnet und der Durchbruch zu einer neuen Weltfinanzordnung geschafft wurde, wie alle schnell und vollmundig betonen? Wahrscheinlich selbst dann nicht, wenn die zahlreichen Ankündigungen des Abschlussdokuments diesmal nicht im Sande verlaufen würden.

Das wichtigste Ergebnis von Pittsburgh ist wohl, dass sich die G20 selbst etabliert haben als das zentrale Machtzentrum, in dem künftig die internationale Koordinierung von Wirtschafts- und Finanzpolitik stattfindet. Die Rolle der G8 wurde damit definitiv besiegelt. Das entspricht den globalen ökonomischen Kräfteverschiebungen der letzten Jahre, ist aber kein inklusives Global-Governance-Modell. Während die G20 zwar 85% der Weltwirtschaftsleistung repräsentieren, sind die restlichen 85% der Staaten auf die Vereinten Nationen als Plattform der Kooperation verwiesen. Das ist nicht das einzige Problem, das der institutionelle Fortschritt hin zur G20 aufwirft. G20 bedeutet auch eine neue Dreiteilung der Welt: die entwickelten, die aufstrebenden und die wirklich armen Länder. Viel Stoff für Analyse und Diskussion fürwahr…

25. September 2009

IWF-Reform: Stunde der Wahrheit für Europa

Bislang konnten sich die Europäer stets hinter den USA verstecken, wenn es um die Reform der Governance-Strukturen bei IWF und Weltbank ging. Doch jetzt haben die USA umgeschwenkt, um den lauter werdenden Forderungen der Schwellen- und Entwicklungsländer nach einem größeren Stimmenanteil entgegenzukommen. Ihr neuester Vorschlag sieht vor, im Rahmen der laufenden Quotenüberprüfung des IWF 5% der Stimmrechte an die Entwicklungsländer zu transferieren und das Leitungsgremium, den Executive Bord, von 24 auf 20 Sitze zu verkleinern. Letzteres liefe darauf hinaus, dass die ohnehin überrepräsentierten Europäer auf Direktorenposten verzichten müssten. Und schon läuten vor allem in London und Paris die Alarmglocken.

In Pittsburgh, spätestens jedoch auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank Anfang Oktober in Istanbul, werden die Europäer Farbe bekennen müssen, wie Ernst es ihnen mit der Reform der Bretton-Woods-Institutionen wirklich ist. Sind sie bereit, Einfluss abzugeben, oder folgen sie einer traditionellen Machtpolitik, die sich an überkommene nationalstaatliche Positionen klammert? Jetzt wäre auch die Gelegenheit, mit der Vergemeinschaftung in Europa Ernst zu machen: Ein gemeinsamer Sitz für die EU in Washington könnte das Gewicht Europas sogar noch erhöhen, selbst wenn bei den formalen Stimmrechten Abstriche erfolgten.

Doch was wir aus den europäischen Hauptstädten hören, sind nichts als Ausflüchte. Wenn die Europäer auf Einfluss verzichten, müssten auch die USA von ihrer Sperrminorität Abstand nehmen, lautet das beliebteste Argument. Tatsächlich können die USA mit ihren derzeit 17% in allen wichtigen Fragen, bei denen 85% der Stimmen erforderlich sind, blockieren. Nur: Gemessen am weltwirtschaftlichen Gewicht, das für die Quotenregelung im IWF maßgeblich ist, sind die USA im Vergleich zu Europa eher unterrepräsentiert. Auch aus diesem Grund schlägt für die Europäer jetzt die Stunde der Wahrheit. Es sei denn sie ringen sich doch noch zu einer ganz neuen Politik durch, die das überkommene One-Dollar-One-Vote-System durch ein System der doppelten Mehrheiten zu ersetzen, bei dem sich Gläubiger und Schuldner in wesentlichen Fragen ohnehin nicht überstimmen können. Doch die jüngsten Verlautbarungen stimmen da nicht gerade hoffnungsfroh.

24. September 2009

Die Schwächen der Agenda von Pittsburgh

Heute morgen hat ZEIT ONLINE einen Kommentar von mir und Barbara Unmüßig zur Agenda von Pittsburgh veröffentlicht. Hier ist der Text:

Die Pläne der G 20 greifen zu kurz. Um neue Exzesse zu verhindern, müssen die Staaten die schädlichen Spekulationen an den Finanzmärkten stoppen. Ein Gastkommentar von Rainer Falk und Barbara Unmüßig.

Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise ist alles andere als überwunden. Vielmehr erleben wir gerade ihre vierte Welle. Nach dem Ausbruch der Finanzkrise in den USA und Europa griff sie zunächst auf die Realwirtschaft über. Dann kam die Ansteckung der südlichen Staaten des Globus. Jetzt wird die Ausbreitung der Massenarbeitslosigkeit in den Industrieländern erwartet. Viel zu kurz greift da die Mikroregulierung, um die in Pittsburgh gerungen wird.

Die Europäer wollen vor allem die Deckelung der Boni an Manager verhandeln; die US-Amerikaner plädieren dafür, die Schuldenhebel zu begrenzen, mit denen die Banken operieren. Hinzu kommt der Plan, die Eigenkapitalhinterlegung der Banken aufzustocken. In allen drei Fällen lautet die Argumentation: Eine Hauptursache der Finanzmarktkrise war die übermäßige Risikobereitschaft, geboren aus Gier und Übermut der Finanzmarktakteure. Um eine Wiederholung der Krise zu verhindern, müssten diese Verhaltensweisen gezähmt werden.

Ganz falsch ist die Argumentation nicht. Doch Gier und Risikobereitschaft sind das eine – das regulatorische Umfeld, in dem sich diese entwickeln können (oder nicht), ist das andere. Solange also der Mangel an Disziplinierungsmechanismen auf den Finanzmärkten fortbesteht, wird auch die Lust zum Risiko nicht abebben. Um die Tendenz zur übermäßigen Verschuldung und das prozyklische Herdenverhalten der Finanzmarktakteure – die Hauptursachen der systemischem Instabilität auf den Finanzmärkten – in den Griff zu bekommen, bräuchte es zusätzlich und ergänzend makroökonomische Regulierungen. Gerade solche Schritte sind im G-20-Kreis bislang kaum angedacht worden.

Alle Welt beklagte zwar, dass den Banken aus dem Too big to fail ein gewaltiges Erpressungspotenzial gegenüber den Staaten erwächst. Aber inzwischen sind die Banken noch größer geworden und die Schuldenhebel sind durchweg gewachsen. Die Krise hat einen Konzentrations- und Zentralisationsprozess in der Finanzbranche ausgelöst, in dem viele insolvente Konkurrenten geschluckt wurden. Doch nur ganz wenige – wie der Chef der britischen Finanzaufsicht, Lord Turner – geben zu, dass der Finanzsektor zu groß geworden ist und viele seiner Aktivitäten nur von minimalem oder gar keinem gesellschaftlichen Nutzen sind.

Nehmen wir ein anderes Problemfeld, die grassierende Spekulation mit Währungen und Rohstoffen. Von einem entschlossenen Vorgehen gegen diese destabilisierenden Faktoren kann bislang keine Rede sein. Das Thema ist nach wie vor nicht einmal auf der Agenda der G 20.

Dabei gibt es durchaus diskutable Vorschläge: So ließe sich der US-Dollar als bislang einzige globale Reservewährung durch einen Währungskorb unter Einschluss einer aufgewerteten Rolle der Sonderziehungsrechte beim IWF, wie von der Stiglitz-Kommission und China ins Gespräch gebracht, ersetzen. Oder es könnte ein neues Wechselkursregime ausgehandelt werden, wie es gerade wieder die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) vorgeschlagen hat.

Das Thema Reservewährungen und Wechselkurse ist nicht zuletzt deshalb ein großes Tabu, weil der herrschende Status quo dafür sorgt, dass im Falle von Krisen sämtliche Anpassungslasten nur den Defizitländern aufgebürdet werden, die USA als Defizitland, das die globale Reservewährung selbst druckt, selbstredend ausgenommen. Die herrschende Governance-Struktur im IWF mit ihrem One-Dollar-One-Vote-Prinzip garantiert eine ungleiche Machtverteilung, unter der den Schuldnerländern nach wie vor prozyklische Sparmaßnahmen aufgezwungen werden können, während sich die Industrieländer und einige Schwellenländer großzügige Konjunkturpakete genehmigen.

Man kann das Bail-out der Banken und die Konjunkturprogramme in vielerlei Hinsicht kritisieren. So ist es verheerend, dass die Banken nicht an den Kosten ihrer Rettung beteiligt wurden – ein Versäumnis, das einige jetzt mit der neu ins Gespräch gebrachten Kapitaltransaktionssteuer wettmachen wollen. Unerträglich ist auch, wie wenig die Konjunkturprogramme mit den Erfordernissen eines klima- und ökologiepolitischen Umbaus (Stichwort Green New Deal) abgestimmt wurden. Dennoch wäre es ein großer Fehler, in der gegenwärtigen Situation, in der spärliche Erholungstendenzen – wenn überhaupt – fast ausschließlich durch staatliche Programme getragen werden, bereits wieder zur Rücknahme aktiver Konjunkturpolitik zu blasen.

Aber auch im Süden brauchen wir mehr und nicht weniger Liquidität: zum Ausgleich der aktuellen Krisenfolgen; um bei den unerledigten Ausgaben im Bereich der Armutsbekämpfung weiterzukommen; mit eingerechnet werden müssen drittens die klimapolitischen Kosten von Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen im Süden, die im Rahmen eines ökologischen Lastenausgleichs vornehmlich vom Norden übernommen werden müssen.

Deshalb muss der G-20-Gipfel auch ein Zeichen für mehr finanzielle Großzügigkeit gegenüber denen setzen, die in Pittsburgh nicht mit am Verhandlungstisch sitzen.

Hinweis: Eine ausführliche Version dieses Beitrags finden Sie >>> hier.