28. Februar 2009

Bankenpaket für Osteuropa: Zu wenig, zu spät, zu konventionell

Rechtzeitig zum EU-Sondergipfel, der an diesem Sonntag auf Wunsch der tschechischen Präsidentschaft in Brüssel stattfindet, haben drei multilaterale Entwicklungsbanken, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Weltbank, ein Rettungspaket für osteuropäische Banken angekündigt. Osteuropäische Banken, das heißt im Wesentlichen Niederlassungen westeuropäischer Banken in Osteuropa. Doch ist mehr als fraglich, ob das auf zwei Jahre angelegte Kreditprogramm die Befürchtungen der europäischen Staats- und Regierungschefs beschwichtigen kann, die Ansteckungswirkungen der Krise in Osteuropa könnten schon bald auf Westeuropa übergreifen.

Dies nicht einmal nur deshalb, weil die 24,5 Mrd. €, die das neue Hilfspaket umfasst, angesichts der 1,7 Billionen Dollar, mit denen die osteuropäischen Länder bei westlichen Banken in der Kreide stehen, Peanuts sind, wie der Sprecher eine Großbank in London sagte. Das Paket kann nicht mehr als ein Anfang sein, wenn der Ruf des ungarischen Premierministers nach einem regionalen „Stabilisierungs- und Integrationsprogramm“ in Höhe von 230 Mrd. € nicht völlig aus der Luft gegriffen ist.

Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise ist inzwischen auch in Osteuropa voll entbrannt, wie Joachim Becker von der Wiener Wirtschaftsuniversität in einem neuen Artikel für den Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung analysiert. Vor allem werden die 24,5 Mrd. €, die ganz konventionell in Wertpapierinvestitionen (EBRD), mittelständische Unternehmen (EIB) und Infrastruktur und Handelskredite (Weltbank) fließen, nicht ausreichen, um den globalen Finanzsektor zur Wiederaufnahme seines „normalen“ Kreditengagement zu „ermutigen“. Wie Becker treffend schreibt, ist ja die aktuelle Malaise die Konsequenz einer verfehlten Entwicklungsstrategie, die vor allem die Außenabhängigkeit auf die Spitze trieb, und nicht einfach ein vorübergehender Unfall, nach dem man wie vorher weitermachen kann.

27. Februar 2009

Mit Bierdeckeln die Finanzkrise erklären

(K)ein Video von Friedrich Merz

Konjunkturprogramme im globalen Überblick: Unzureichend bis falsch

Der G20-Gipfel im vergangenen November und viele andere internationale Treffen und Institutionen haben dazu aufgerufen, die auf nationaler Ebene beschlossenen Konjunkturpakete international zu koordinieren und sicherzustellen, dass sie nicht prozyklisch wirken. Kevin P. Gallagher von der Universität Boston hat mit seinen postgraduierten Studierenden ein internationales Survey der seither verabschiedeten nationalen Konjunkturprogramme sowie der neuen IWF-Rettungspläne erstellt und ist dabei der Frage nachgegangen, ob diese den og. Versprechen gerecht werden. Das scheint nicht der Fall zu sein.

Die wichtigsten Erkenntnisse des Surveys, das in Form einer Übersichtstabelle zur Verfügung steht:
+ Bislang ist sowohl die Anzahl als auch der finanzielle Umfang der Konjunkturpakete relativ gering geblieben. Etwa 20 Länder haben Ausgaben in einer Gesamthöhe von 3 Billionen US-Dollar beschlossen, was 5,5% des globalen BIP ausmacht.
+ Die Struktur der Pakete ist sehr unterschiedlich. Einige legen den Schwerpunkt auf Infrastrukturausgaben und Steuersenkungen, andere auf die Stützung der Währung oder auf Bailouts für die Autoindustrie.
+ Mit wenigen Ausnahmen sind es Industrieländer oder größere Entwicklungsländer, die die Programme aufgelegt haben.
+ Die Konjunkturprogramme haben allesamt deutlich expansiven Charakter, die IWF-Pakete dagegen sind stark kontraktiv und gehen einher mit einer strengen Konditionalität.

Die Forscher um Gallagher betrachten ihre Untersuchung keineswegs als abgeschlossen und wollen die Übersicht fortlaufend aktualisieren. Deutlich identifizierbar sind jedoch heute schon die Fragen, die ihr Survey aufwirft: Ist das, was bislang beschlossen wurde, wirklich eine adäquate Antwort auf die Krise? Wie werden die ärmeren Länder in diesem Zusammenhang berücksichtigt? Schreibt der IWF seinen Klienten nach wie vor die falsche Politik vor? Die Antwort auf diese Fragen fällt nicht schwer …

26. Februar 2009

Globale Finanzkrise: Kein Fall für den Menschenrechtsrat?

Die Industrieländer sollten der Versuchung widerstehen, angesichts der globalen Finanzmarktkrise ihre Entwicklungshilfe-Zahlungen zu kürzen oder protektionistische Maßnahmen zu ergreifen. Die Zeit sei vielmehr reif, ein faireres internationales Wirtschaftssystem zu schaffen. So lautet die wesentliche Schlussfolgerung einer Sondersitzung, die der UN-Menschenrechtsrat (UNHRC) Anfang dieser Woche zur Bedeutung der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise für die Menschenrechte in Genf abhielt. Der Resolution stimmten 31 der insgesamt 47 Mitglieder des Rates zu, während sich die EU-Länder, Kanada, die Schweiz, Japan und Mexiko der Stimme enthielten.

Der derzeitige Präsident des UNHRC, der Nigerianer Martin Ukomoibhi, hob hervor, dass die Resolution eine wichtige Botschaft enthalte, indem sie hervorhebt, dass die globale Wirtschafts- und Finanzkrise keine Verringerung der Verantwortung der Staaten zur Gewährleistung der Menschenrechte darstelle. Für die EU-Mitgliedsländer begründete der deutsche Diplomat Reinhard Schweppe die Enthaltung damit, der Resolutionstext beziehe sich stark auf Fragen der internationalen Regulierung, des internationalen Handels und der Entwicklung statt auf die spezifischen Menschenrechtsbelange und das Mandat des UNHRC – gerade so als gäbe es da keine Zusammenhänge.

Schade. Wäre beispielsweise der ehemalige UN-Sonderbotschafter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, vor Ort gewesen, er hätte dem deutschen Diplomaten und auch seiner eigenen Schweizer Regierung viel darüber erzählen können, wie das weltweit dominierende Wirtschafts- und Finanzsystem täglich zur massiven Verletzung elementarster Menschenrechte – bis hin zum tausendfachen „Mord“ (Ziegler) – führt. Dem Süden eine gemeinsame Position in diesen Fragen zu verweigern, bezeugt nicht gerade eine aufgeklärte europäische Position. Viel eher nährt es den Verdacht, dass die EU immer noch nicht bereit ist, ihre Rolle als Profiteur der ungleichen Nord-Süd-Strukturen – man denke nur an die bis heute nicht eingestellten Exportsubventionen bei Agrarprodukten – zur Disposition zu stellen.

23. Februar 2009

Die Europäer vor dem G20-Gipfel: Gute Figur in Berlin

Auf ihrem Vorbereitungstreffen für den G20-Gipfel auf Einladung der deutschen Bundeskanzlerin haben die Europäer gestern in Berlin eine gute Figur gemacht. Das beginnt mit dem Bekenntnis, dass der Verschärfung der Regulierung der Finanzmärkte in der gegenwärtigen Situation Priorität zukommen müsse. Die Prinzipien, auf die sich Merkel, Sarkozy, Brown und andere dazu geeinigt haben, sind unbedingt unterstützenswert: Vor allem die umfassende Reichweite der Regulierung, die alle Finanzprodukte und alle Standorte und Juristiktionen (auch und vor allem die Steueroasen) umfassen muss, und die antizyklische Ausgestaltung der Rücklagesysteme der Banken sind von zentraler Bedeutung für jede künftige Finanzarchitektur.

In anderer Hinsicht ist die jetzt beschlossene europäische Position, wie sie in einer Zusammenfassung der Bundeskanzlerin nachzulesen ist, weniger überzeugend. Die Schaffung von Aufsichtskollegien für international agierende Banken, die bereits angegangen wurde, ist sicher ein erster Schritt, bleibt aber insgesamt sehr lückenhaft. Überhaupt scheuen sich auch die Europäer, nationale Regulierungskompetenzen an wirklich globale Instanzen abzugeben. Das Plädoyer für eine Stärkung des IWF und des Forums für Finanzstabilität (FSF) bezieht sich lediglich auf solche Institutionen, in denen die Dominanz der Industrieländer ungebrochen ist. Die Forderung nach Frühwarnsystemen haben wir seit der mexikanischen Pesokrise 1994 jetzt schon so oft gehört, dass man daran nicht mehr glauben mag.

Überhaupt die Rede von der Stärkung des IWF: Natürlich braucht der Fonds mehr Geld, wenn er im drohenden Crash – etwa in Osteuropa und diversen Ländern des Südens – besser helfen soll. Doch ist es mehr als voreilig, dem IWF diese Mittel blanko auszuhändigen (wie unlängst die Japaner), ohne dass damit Reformen der Vergabepolitik einhergehen. Die Doppelstandards des IWF sind bislang auch unter dem Sozialisten Dominique Strauss-Kahn ungebrochen: Wer kein IWF-Geld braucht, dem rät der Fonds zu antizyklischen Maßnahmen in der Wirtschaftspolitik; wer auf finanzielle Stützungsmaßnahmen angewiesen ist, der muss sich nach wie vor einer wirtschaftspolitischen Konditionalität unterwerfen, die eine antizyklische Politik erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. Zwar enthalten die Stand-by-Pakete der jüngsten Generation allesamt die Ermahnung zur Aufrechterhaltung sozialer Sicherheitsnetze. Doch sind die geforderten Haushaltskürzungen oft so drastisch, dass sie ohne Streichungen bei den Sozialausgaben gar nicht zu verwirklichen sind.

21. Februar 2009

Vorab-Gipfel in Berlin: Nagelprobe für die Europäer

Gleich mehrere Spaltpilze sprießen derzeit in Europa. Weitgehend ungeklärt ist beispielsweise die inhaltliche Arbeitsteilung zwischen dem G20-Gipfel Anfang April in London und dem G8-Gipfel Anfang Juli in La Madallena. Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi ist peinlich genau darauf bedacht, dass die G20 den G8 (und damit ihm als Gastgeber) nicht die Schau stehlen. Deutschland und Frankreich scheinen ihren Streit um die Subventionierung ihrer Autoindustrien gerade noch rechtzeitig vor dem europäischen Vorbereitungsgipfel auf G20, der am Sonntag in Berlin stattfindet, gekittet zu haben. Doch Berlin und Paris hegen – nicht ohne Grund – den Verdacht, dass London derzeit vor allem zurückrudert, um die Reichweite der Beschlüsse zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte zu begrenzen.

Auffällig oft spricht der britische Premierminister Gordon Brown in den letzten Tagen von der Notwendigkeit von mehr und international besser koordinierten Konjunkturpaketen. Dieser Akzent auf die Wirtschaftskrise schiebt die Bewältigung der Finanzkrise, der eigentliche Anlass zu den G20-Gipfeln quasi automatisch in den Hintergrund. Tatsächlich versuchen die Briten alles zu vermeiden, was auf eine stärkere Regulierung von Hedgefonds und anderer sog. Finanzprodukte am Londoner Finanzplatz hinauslaufen könnte. Vor allem neuen internationalen Regeln steht London äußerst skeptisch gegenüber. Nach den Zielen des G20-Gipfels befragt, antwortete Londons Finanzminister Alistair Darling bezeichnend, „unser zweites Ziel muss sein, die Vorteile, die offene Finanzmärkte für die Weltwirtschaft mit sich bringen, aufrecht zu erhalten und darauf aufzubauen“.

Auffällig wenig geht den Briten in letzter Zeit auch der Begriff G20-Gipfel über die Lippen. Stattdessen reden die Gastgeber lieber vom „London Summit 2009“. Dort gehe es, wie der Offiziellen Website des Gipfels zu entnehmen ist, um einen „globalen Deal“, der „die Erholung der Weltwirtschaft beschleunigen“ wird. Dass dies ohne die Restrukturierung der Finanzmärkte nicht gehen wird, übersieht man in London nur allzu gern.

Ungeachtet dessen, so Bundeskanzlerin Merkel unentwegt auf ihrer Website (>>> www.bundeskanzlerin.de), arbeiten die G20 allerdings mit Hochdruck an der Umsetzung des 47 Punkte umfassenden Regulierungspaketes, das auf dem ersten G20-Gipfel in Washington beschlossen wurden. Desweiteren auf der Wunschliste der Kanzlerin für London: Eine „Charta nachhaltigen Wirtschaftens“ als Arbeitsgrundlage für den von Merkel geforderten Weltwirtschaftssicherheitsrat im Rahmen der UNO. – Inwieweit dies mehr als heiße Luft ist, werden wir schon am Sonntag Nachmittag wissen.

15. Februar 2009

G7-Finanzminister in Rom: Gute Nacht, G7, guten Morgen, G20!

Die Schlagezeilen über das Treffen der G7-Finanzminister am 13./14. Februar sind bestimmt von Bekenntnissen gegen Protektionismus, die in Rom zu Protokoll gegeben wurden, während daheim weitere marktverzerrende Maßnahmen auf den Weg gebracht wurden. Doch das eigentlich Bezeichnende dieses G7-Treffens liegt darin, dass es den grundlegenden Status- und Funktionsverlust der Gruppe der sieben wichtigsten Industriestaaten in einer veränderten Weltwirtschaft symbolisierte. Verglichen mit dem kurzen G7-Kommuniqué von Rom, in dem es von allgemeinen Prinzipien nur so wimmelt, ist die Deklaration des G20-Treffens vom letzten Dezember in Washington ein geradezu konkretes Aktionsprogramm.



Vor allem den Kontinentaleuropäern muss das Treffen vorkommen wie ein Déjà-Vue-Ereignis: Unter deutscher G7-Präsidentschaft hatte Finanzminister Peer Steinbrück beim G7-Treffen in Essen im Februar 2007 schon einmal versucht, eine Initiative zur Regulierung von Hedgefonds auf den Weg zu bringen und war damit an den Briten und den USA gescheitert. Diesmal schienen die Chancen besser. Die französische Finanzministerin Christine Lagarde hatte zuvor in einem Interview angekündigt, sie werde in Rom Druck für eine strengere Regulierung der Hedgefonds und der Finanzmärkte überhaupt machen – zum Frohlocken von Herrn Steinbrück, der sich mit den Franzosen in dieser Frage auf gleicher Wellenlänge sieht. Steinbrücks Staatssekretär Jörg Asmussen verkündete gegenüber der taz sogar, man stünde in Sachen Hedgefonds kurz vor einem Konsens.

Umso enttäuschender ist ein Blick in das Kommuniqué, das in Rom verabschiedet wurde. Nicht einmal das Wort Hedgefonds kommt dort vor. Zum Thema Finanzmärkte heißt es lediglich: „Die Krise hat grundlegende Schwächen im internationalen Finanzsystem und die Notwendigkeit dringender Reformen unterstrichen.“ Es folgt der Aufruf, einem „reformierten IWF“ mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen und ein Hinweis auf die Bedeutung einer intensivierten Zusammenarbeit zwischen dem IWF und dem Forum für Finanzstabilität (FSF) bei der Einschätzung künftiger Risiken. Wenn das ein „Meilenstein auf dem Weg zum G20-Gipfel“ in London im April gewesen sein sollte, wie der britische Finanzminister Alistair Darling sagte, dann kann man den G7 wirklich nur noch eines wünschen: Gute Nacht! Guten Morgen, G20!

14. Februar 2009

13. Februar 2009

Tarp II oder Plan N? Verstaatlicht die Banken!

Ziemlich vernichtend fiel die Kritik an dem neuesten Rettungsplan für die Banken aus, den Obamas Finanzminister Tim Geithner Mitte dieser Woche vorstellte, nicht nur an „den Märkten“, die weiter nach unten sackten. Auch die renommierte Wirtschaftspublizistik zeigte sich enttäuscht. Als „Sohn, der den Fußstapfen seines Vaters folgt“ wurde dieses zweite Troubled Asset Relief Program (Tarp II) bezeichnet – als bloße Variante des von Bushs Finanzminister Hank Paulson entwickelten Tarp I-Rettungsprogramms. Der Chefökonom der Financial Times, Martin Wolf, titelte umgehend: „Warum Obamas neuer Tarp scheitern wird“.


Wolf diagnostiziert, dass das neue Programm denselben Fehler wie das alte macht, indem es von der Prämisse ausgeht, es handele sich in der aktuellen Finanzkrise um ein Liquiditätsproblem der Banken und nicht um eine Insolvenzkrise, d.h. eine strukturelle Zahlungsunfähigkeit. Obwohl die Autoren von Tarp II es eigentlich besser wissen müssten. Wolf unterstellt – wohl nicht ganz zu Unrecht – die Obama-Leute hätten sich bei der Entwicklung von Tarp II selbst drei Restriktionen auferlegt: keine Nationalisierung, keine Verluste für die sog. Anleger und keine weiteren Finanzmittel mehr vom Kongress! Das passt zusammen mit der Apeasement-Politik der neuen Administration gegenüber den Republikanern, die schon bei der Aushandlung des neuen Konjunkturprogramms zu jeder Art von Verwässerungen geführt hat.

Der Ökonom Nouriel Roubini argumentiert, der neue Plan Geithners könne bestenfalls als eine Kombination von Maßnahmen verstanden werden, einerseits die Schrottpapiere aus den Bilanzen der Banken zu nehmen und andererseits staatliche Garantien für eine öffentlich-private Bad Bank bzw. für die privaten Investoren bereitzustellen, die die Schrottpapiere kaufen sollen (>>> Video). Das wird nie und nimmer funktionieren. Somit ist es Zeit, über einen „Plan N“ nachzudenken, der insolvente Bankensysteme nationalisiert bzw. verstaatlicht, um dann die Bankbilanzen von den „toxic assets“ säubern zu können, ohne Rücksicht auf die Marktbewertungen nehmen zu müssen. Wenn diese dann zu einem späteren Zeitpunkt wieder in den Markt recycelt werden können, um so besser für die vielzitierten Steuerzahler.

Das beschwerliche Gezerre um die adäquaten Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsektors wird so lange weitergehen, bis ein klarer Bruch mit dem angloamerikanischen Aufsichts- und Regulierungsmodell erfolgt. Wie Roubini treffend formuliert, beruhte dieses „auf Selbstregulierung, was im Endeffekt keine Regulierung bedeutete, auf Marktdisziplin, die es nicht gibt, wenn dort Euphorie und irrationaler Überschwang herrschen, und auf internen Risikomanagement-Modellen, die scheitern müssen, weil, wie es ein ehemaliger Chef der Citi-Bank formulierte, alle aufstehen und tanzen, wenn die Musik spielt“.

12. Februar 2009

Finanzkrise: Dramatische Auswirkungen im Süden

Die globale Finanzkrise trifft auch die Entwicklungs- und Schwellenländer schwer. Das berichteten Sachverständige gestern in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AWZ) im Deutschen Bundestag. Allerdings seien nicht alle Länder gleichermaßen betroffen, betonten sie, da diese unterschiedlich in den globalen Handel und die Finanzmärkte integriert seien. Peter Wolff vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn bezeichnete die Krise als "außergewöhnlich". Man könne davon ausgehen, dass sich die Wachstumsraten in den Entwicklungs- und Schwellenländern in diesem Jahr "in etwa halbieren" werden. Die Gründe seien vielfältig. Zum einen hätten sich die Finanzierungsmöglichkeiten für diese Länder auf den internationalen Kapitalmärkten drastisch verschlechtert. Die Risikoaufschläge seien deutlich erhöht worden und ausländische Direktinvestitionen gingen zurück. Diese Probleme träfen vor allem Schwellenländer, weil sie sich stärker auf den Kapitalmärkten refinanzierten. Zum anderen gebe es einen starken, weltweiten Nachfragerückgang, der besonders jene Länder massiv treffe, die stark in den Welthandel integriert seien und Rohstoffe exportierten. "Bei den ostasiatischen Ländern gibt es mit 30-40% die größten Rückgänge", so Wolff.

Louis Kasekende von der Afrikanischen Entwicklungsbank in Tunis betonte, viele afrikanische Länder hätten in den vergangenen Jahren vom weltweiten Handel profitiert. Nun seien viele Preise, etwa für Öl, Kaffee, Diamanten und Grunderzeugnisse, gesunken. Daher habe die Krise große Auswirkungen etwa auf ölexportierende Länder wie Angola und Nigeria. Aber auch Ägypten, Kenia, Südafrika und Uganda "leiden sehr", so Kasekende. Nicht zuletzt ginge vielerorts der Tourismus stark zurück und Investoren würden Projekte aufschieben. "All das ist mit enormen Arbeitsplatzverlusten verbunden", sagte Kasekende. Yash Tandon vom South Center in Genf warf den westlichen Industrieländern vor, die Krise habe sehr viel mit der "Finanzialisierung der Produktion" in den letzten 30 Jahren zu tun. Bankgeschäfte und Finanzen seien wichtiger gewesen als Arbeitsplätze und Produktion. Als Beispiel nannte er die Spekulationen auf Nahrungsmittel, die zu den im vergangenen Jahr massiv gestiegenen Nahrungsmittelpreisen geführt hätten.

Wolfgang Kroh von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beurteilte die Situation als nicht ganz so dramatisch. Bisher seien die Entwicklungsländer im Vergleich zu den Industrieländern "noch relativ gering betroffen". Vielen von ihnen hätten in den vergangenen Jahren ein hohes Wachstum erzielt, hätten ihre Entschuldung vorangetrieben und Reformen durchgeführt, die zu einer stärkeren institutionellen Handlungsfähigkeit geführt haben. "Die Entwicklungsländer sind daher heute besser gewappnet als noch vor einigen Jahren", sagte Kroh. Dem widersprach Peter Wahl von "Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung" (WEED) ausdrücklich. "Wenn man sich einmal die Stellungnahmen von führenden Finanzpolitikern und führenden Repräsentanten der Finanzindustrie ansieht, dann ist das eine einzige Kette von Irrtümern, Unterschätzungen und Gesundrederei", sagte Wahl. Die Krise schwappe gerade in vollem Maße in die Entwicklungsländer über, die Prognosen seien dramatisch.

Ein Teil der Stellungsnahmen findet sich unter folgendem >>> Link.

9. Februar 2009

Trotz Finanzkrise: Entwicklungspolitische Versprechen halten!

Als erste deutsche NGO hat heute die entwicklungspolitische Lobbyorganisation ONE ihre Kampagne für das bevorstehende Superwahlwahr 2009 eröffnet. Gemeinsam mit Bob Geldof und Campino („Die Toten Hosen“) präsentierte die von dem Rockstar Bono (U2) mit gegründete Organisation ihr Motto „Be ONE of us“, unter dem von der künftigen Bundesregierung mehr und bessere Hilfe für die ärmsten Länder der Welt gefordert werden kann. Laut Campino sollen die Deutschen die Forderung nach mehr und besserer Entwicklungshilfe in den nächsten Koalitionsvertrag befördern.

Ganz auf Sand gebaut ist die Kampagne nicht. Wie eine aktuelle Umfrage belegt, wünscht sich die Mehrheit der Deutschen eine höhere Priorität für entwicklungspolitische Anliegen. Klaus-Peter Schöppner vom Meinungsforschungsinstitut tns emnid fasst die Ergebnisse der von ONE in Auftrag gegebenen Umfrage zusammen: „Auch in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise bleibt Armutsbekämpfung für die Deutschen ein entscheidendes Thema. Eine deutliche Mehrheit fordert die Einhaltung des Versprechens der Bundesregierung, die Entwicklungshilfe zu erhöhen; sogar dann, wenn dies Mehrbelastungen für die Bürger bedeutet. Daran hängt für 67% der Befragten auch die Glaubwürdigkeit der Bundeskanzlerin.“

Der Direktor des Human Develolpment Report Office in New York, Kevin Watkins, meint sogar, in der aktuellen Finanzkrise sei ein Rettungsprogramm für die UN-Millenniumsziele (u.a. Halbierung der globalen Armut bis 2015) angesagt. In einem Beitrag für den Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung schreibt Watkins, gerade in der gegenwärtigen Situation seien Gebermüdigkeit und „entwicklungspolitischer Lehnstuhl-Zynismus“ völlig fehl am Platz. Derlei Verhalten liefe darauf hinaus, wieder einmal die Ärmsten der Armen die Zeche einer vom Norden verursachten Krise bezahlen zu lassen.

Auf dem Foto: Klaus-Peter Schöppner, Cherno Jobatey, Bob Geldof, Campino. Alfred Biolek, Tobias Kahler (v.l.n.r.)

Fataler Mangel an Koordination und Kooperation in der Krise

Alle Welt – vom IWF bis zur Financial Times, von der UNCTAD bis zur Weltbank – beklagt den eklatanten Mangel an Kooperation und Koordination zwischen den großen Nationalstaaten in der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise. Eine neue Breitseite gegen „unsere lethargischen Führer“ feuert die FT in ihrer heutigen Ausgabe ab. In seiner Kolumne wettert Wolfgang Münchau:

„Wenn man den Beginn der gegenwärtigen Phase der Krise auf den Bankrott von Lehman Brothers Mitte September datiert, haben die Politiker fast fünf Monate verschwendet, während der die Debatte meist um die Größe und die Entwicklung nationaler Konjunkturprogramme kreiste. In mehreren Ländern treten diese nicht einmal vor der zweiten Hälfte dieses Jahres in Kraft.
Der Welt würde es viel besser gehen mit einem schnelleren, vielleicht kleineren, aber global koordinierten Paket, das den nationalen Konsum in China, Japan und der Eurozone ermutigt hätte, mit einen Schwerpunkt auf Investitionen im öffentlichen Sektor in den USA, Hilfe für verzweifelte Schuldner und einem global koordinierten Programm zur Restrukturierung des Finanzsektors…
Der nächste wichtige globale Gipfel im Rahmen der G20 findet nicht vor April statt. Das sind weitere zwei Monate, in denen die Weltwirtschaft schrumpfen kann.“

In der Tat: So Schlag auf Schlag, wie derzeit Hiobsbotschaften über rückläufige Produktionszahlen, steigendende Arbeitslosigkeit, einen schrumpfenden Welthandel und den Einbruch des weltweiten Transports eintreffen, sollte man meinen, dass die führenden Politiker der Industrieländer ununterbrochen zusammensitzen, um ihre Haushalts-, Währungs- und Wechselkurspolitik aufeinander abzustimmen, und sei es nur, um der eigenen Öffentlichkeit die eigene Besorgnis zu demonstrieren. Staatdessen dominieren nationale Alleingänge nach dem alten Sinatra-Motto „I do it my way“. Besonders fatal ist der Umstand, auf den der IWF kürzlich zu Recht hingewiesen hat: All die schönen Konjunkturprogramme werden nichts nützen, wenn nicht endlich entscheidende Fortschritte bei der Restrukturierung des Finanz- und Bankensektors gemacht werden. Das ist derzeit in der Tat der Engpass, an dem alles stagniert. Nachdem zig Milliarden Dollar in den Rettungspaketen für die Banken verbrannt wurden, ist der Finanzsektor immer noch in der gleichen prekären Lage wie vorher. Und noch fataler: Abhilfe ist nicht in Sicht.

1. Februar 2009

WEF 2009: Nichts Neues auf dem Zauberberg

Dass es keine einzige neue Idee gab beim diesjährigen World Economic Forum (WEF) in Davos, ist schon ein bemerkenswertes Armutszeugnis für eine Veranstaltung, die unter dem großspurigen Motto stand „Shaping the Post-Crisis World“ – „Die Welt nach der Krise gestalten“. Gewiss – die deutsche Bundeskanzlerin rief erneut dazu auf, einen Weltwirtschaftsrat zu schaffen, um die notwendige Überholung der globalen Wirtschaftsordnung zu überwachen; der UN-Generalsekretär forderte einen „New Green Deal“; und der Erfinder des WEF, Klaus Schwab, sprach in einem Interview von der notwendigen Transformation des Systems „vom Ego-Kapitalismus zum Öko-Kapitalismus“. Aber um diesen Forderungen, so sinnvoll sie im einzelnen sein mögen, eine Plattform zu bieten, hätte man das gigantische Forum mit seinen Rekord-Besucherzahlen nicht gebraucht. In der Welt waren sie schon vorher.

Überhaupt täuscht das Hantieren mit den Besucherzahlen (mehr als 40 Staats- und Regierungschefs zum Beispiel waren in Davos) über einen qualitativen Aspekt völlig hinweg: Besonders die Hauptklientel des WEF, die Supermanager der Banken und der Wirtschaft, waren entweder im Zuge der Finanzkrise von der Bildfläche verschwunden oder wollten dem befürchteten Manager-Bashing durch Fernbleiben entgehen – etliche jedenfalls. Und die, die gekommen waren, blieben eigenartig still, so dass die wenigen, die wie der US-Ökonom Nouriel Roubini die Krise rechtzeitig vorhersagten, mit neuen düsteren Prognosen in Davos endgültig zu den neuen Stars avancierten.

Überhaupt: Der „kreative Kapitalismus“ – so das von Bill Gates im letzten Jahr kreierte Schlagwort – ließ auf dem Zauberberg in diesem Jahr wohl mehr als zu wünschen übrig. Der Slogan mag dazu dienlich sein, gewisse Kapriolen des kapitalistischen Philanthropismus zu beweihräuchern. Wenn es um die Überwindung der systemischen Gebrechen des globalen Finanzsystems oder auch nur ihre Reparatur geht, taugt er nichts. So zeigte Davos in diesem Jahr vor allem, wie ratlos die kapitalistische Klasse heuer geworden ist. Sofern ihre Vertreter nicht darauf hoffen, dass alles bald schon wieder vorbei sein wird, setzen sie ihre Erwartungen in die Staaten. So gab das WEF in diesem Jahr den Regierungen und Governance-Institutionen seine Unterstützung, vor allem der G20, obwohl noch völlig offen ist, was auf deren Gipfel am 2. April in Londen herauskommen wird. Das wichtigste Ergebnis des diesjährigen Treffens sehen die WEF-Organisatoren allerdings darin, dass „trotz der ökonomischen Turbulenzen“ so viele gekommen waren, „um die Ernsthaftigkeit der globalen Herausforderungen zu reflektieren“, wie es im offiziellen Outcome-Papier heißt. Nun denn – der Zauberberg war früher einmal ein Sanatorium, vielleicht wird er ja künftig zur Psychotherapiestation.