26. September 2012

IWF beklagt stockende Finanzmarkt-Reformen

Fünf Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise ist das globale Finanzsystem in keinem grundlegend besseren Zustand als zuvor, viele Reformen zur Herstellung von mehr Transparenz und weniger Komplexität stehen noch aus, und mit der Regulierung der Schattenbanken und der Lösung der Too-important-to-fail-Problematik ist noch gar nicht begonnen worden. So lässt sich eine bemerkenswert kritische Zwischenbilanz der Finanzmarkt-Reformen zusammenfassen, die der neueste Global Financial Stability Report (GFSR) des IWF enthält, dessen analytische Kapitel jetzt veröffentlicht wurden. Zwar heißt es in dem Interim Report on Progress Towards a Safer Financial System (= Kapitel 3 des GFSR), dass angestoßene Reformen durchaus in die richtige Richtung gingen, dass ein sichereres System von Finanzstrukturen aber erst noch geschaffen werden muss und einige komplizierte Fragen erst noch angegangen werden müssen.

Der IWF hebt hervor, dass das Finanzsystem in vielerlei Hinsicht verwundbar und überkomplex bleibt und sich die getroffenen Maßnahmen zu sehr auf große Institutionen konzentrieren. Der Hauptschwerpunkt habe bislang auf neuen Kapitalrücklagevorschriften für die Banken gelegen (Basel III), um die Kosten für risikoreiche Operationen anzuheben. Doch der Bericht weist darauf hin, dass die Banken bereits wieder dabei sind, neue sog. innovative Produkte zu entwickeln, um die neuen Regulierungen zu umgehen. Auch könnten die neuen Rücklagestandards dazu ermuntern, in den Nicht-Banken-Sektor, also zu den immer noch völlig unregulierten Schattenbanken, auszuweichen. „Wir sehen noch nicht die Konsequenzen der Reformen, sie haben lange Verzögerungen in der Umsetzung, und die Krise geht weiter“, sagt einer der Hauptautoren.

Der IWF fordert dazu auf, dass auf globaler Ebene endlich mit der Diskussion um direkte Restriktionen  für bestimmte Geschäftsaktivitäten der Banken begonnen wird, statt lediglich mehr Kapitalrücklagen zu fordern. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass riskante Operationen wie OTC-Derivate durch die Krise kaum betroffen wurden (s. Schaubild). Auch seien strenge Standards für Schattenbanken, wie Hedgefonds, erforderlich. Gebraucht würden einfachere Produkte und einfachere, durchschaubarere Organisationsstrukturen. Schließlich müssten Möglichkeiten geschaffen werden, große Institutionen im Falle finanzieller Schwierigkeiten, auch grenzübergreifend, abzuwickeln. – So deutlich der IWF die mangelnden Reregulierungsanstrengungen der letzten fünf Jahre kritisiert, so sehr macht er allerdings einen Bogen um Fragen, die eine grundlegende Umgestaltung des bestehenden Finanzsystems erfordern würden. Über Maßnahmen zur Eindämmung der anhaltenden Volatilität auf den Währungsmärkten findet sich in dem neuen GFSR kein Wort – kein Wunder, denn um solche Fragen hat auch die offizielle Debatte auf globaler Ebene bislang einen Bogen gemacht.

25. September 2012

Bundestagsenquete fordert Senkung des Rohstoffverbrauchs

Man müsse angesichts des Ausmaßes der Umweltbelastungen „den Ressourcenverbrauch deutlich senken“, es werde nicht ausreichen, den Rohstoffverbrauch im Sinne einer Entkopplung vom Wachstum in Zukunft weniger stark steigen zu lassen als die Wirtschaftsleistung: Dies bezeichnete Hermann Ott in dieser Woche zum Auftakt der Sitzung der Enquetekommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ als „Schlüsselbotschaft“ für die Ressourcenpolitik. Bei der Vorstellung des inzwischen fertiggestellten Teils des Berichts der Projektgruppe 3, die sich mit Rohstoffverbrauch und –reduzierung befasst, sagte deren Leiter, es könne „von entscheidender Bedeutung für die Menschheit sein“, dass die Verminderung des Ressourcenkonsums und des Schadstoffausstoßes tatsächlich gelingt.

Vor der unter dem Vorsitz von Daniela Kolbe (SPD) tagenden Kommission betonte der Grünen-Abgeordnete, in einigen Bereichen wie dem Klimawandel, der Artenvielfalt und der Stickstoffbelastung natürlicher Kreisläufe seien die „Grenzen der Umweltnutzung bereits überschritten“. Ott sprach von global „unabsehbaren Folgen“, wenn etwa das arktische Meer als „fragiles Ökosystem“ als Folge des Klimawandels im Sommer komplett eisfrei werden sollte. Noch nicht verabschiedet hat die Projektgruppe 3 den Forderungskatalog, der sich als Konsequenz aus der alarmierenden Bestandsaufnahme in Form von „Handlungsempfehlungen“ an die künftige Politik richten soll: „Da liegt einiges an Zunder drin“, so der Grünen-Politiker.

Ott warnte vor der Annahme, das Problem werde sich allein deshalb entschärfen, weil die Rohstoffvorkommen immer weiter abnehmen: Dies werde nicht der Fall sein, da viele Vorräte etwa bei der Kohle noch sehr lange Zeit reichen würden. Man müsse vielmehr dem Ressourcenverbrauch „politisch Grenzen zu setzen“. Ein ökologischer Umbau kann aus Sicht des Abgeordneten jedoch nur gelingen, wenn die sozialen Auswirkungen einer solchen Strategie bedacht werden: Man müsse „soziale Leitplanken“ einziehen und die Sozialsysteme „vernünftig ausgestalten“.

Als großes Hindernis auf dem Weg hin zu einer Reduzierung des Rohstoffkonsums bezeichnete Ott den sogenannten „Rebound-Effekt“, der größer sei als bislang gedacht. Dieser Fachbegriff beschreibt den Umstand, dass technische Effizienzsteigerungen einerseits zu einer Verminderung des Ressourcenverbrauchs führen, andererseits aber solche Einsparungen durch Mehrkonsum wieder neutralisiert werden. Als Beispiel nannte der Grünen-Politiker Autos: Die Motoren würden heutzutage weitaus weniger Benzin benötigen als früher, doch werde dies durch mehr Fahrkilometer oder schnellere Fahrzeuge wieder wettgemacht. Ein anderes von Ott erwähntes Beispiel: Ein Hausbesitzer spart Geld durch die Wärmedämmung seines Gebäudes und investiert diesen Gewinn dann in ökologisch problematische Flugreisen.

Der von der Unionsfraktion benannte Sachverständige Marc Oliver Bettzüge zog aus den Erkenntnissen der Projektgruppe 3 die Schlussfolgerung, dass die Probleme des Rohstoffverbrauchs nicht mehr allein auf nationaler Ebene angepackt werden könnten, gefordert sei vielmehr die Kooperationsbereitschaft der einzelnen Staaten. Für SPD-Obfrau Edelgard Bulmahn illustriert der Bericht die „Dringlichkeit“ des Handlungsdrucks, die vielen noch nicht bewusst sei. Der FDP-Abgeordnete Florian Bernschneider warnte dagegen vor „Wachstumsfeindlichkeit“, die keine Antwort auf die Herausforderungen sein könne, auch dürfe man bei der Senkung des Ressourcenkonsums nicht nur auf technische Lösungen setzen. Der von der Linksfraktion berufene Experte Ulrich Brand kritisierte, dass hierzulande bislang der Wille zur Verminderung des Rohstoffverbrauchs fehle. Im Namen der Grünen bezeichnete es der Sachverständige Uwe Schneidewind als „entscheidende Herausforderung“, ein ökologisches Umsteuern unter den Bedingungen der Globalisierung zu organisieren.

Abkoppelung von der Weltkonjunktur? Fehlanzeige


Fast täglich wird nun deutlicher, dass die Hoffnung, die Entwicklungsländer könnten sich vom internationalen Konjunkturverlauf quasi abkoppeln und sich gegenüber den Auswirkungen der Krisentendenzen im Norden gleichsam immunisieren, auf tönernen Füßen steht (>>>W&E-Dossier Der große Abschwung). Gestern hat die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) drei Fallstudien veröffentlicht (zu Sambia, Benin und Kambodscha). Diese weisen darauf hin, dass die globale Wirtschafts- und Finanzkrise auch in den ärmsten Ländern der Welt die Wachstumstrends der letzten Zeit umgekehrt hat.

In Sambia beispielsweise führte der Einbruch bei Produktion und Export von Bergbauprodukten zwischen 2009 und 2010 zum Rückgang der Staatseinnahmen um 22%. In Kambodscha gingen in der Textilindustrie zwischen Juni 2008 und Juni 2009 63.000 Arbeitsplätze verloren. In Benin stieg der Anteil der Menschen, die in absoluter Armut leben müssen, erneut an, und zwar zwischen 2007 und 2009 von 33,4 auf 34,4%. Die Autoren ziehen aus diesen Zahlen die Schlussfolgerung, dass das erst letztes Jahr auf der LDC-Konferenz in Istanbul beschlossene Aktionsprogramm akut gefährdet ist. Danach sollte die Hälfte der 48 am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) bis zum Ende des Jahrzehnts aus dieser Kategorie herauswachsen.

Aber auch in wirtschaftlich stärkeren Ländern des Südens stocken die Aufholprozesse in der Krise. Wie dem neuen Monatsbriefing der UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (DESA) zu entnehmen ist, ist das Wirtschaftswachstum in Brasilien fast zu Erliegen gekommen: Im zweiten Quartal 2012 betrug das Wachstum dort nur noch 0,4% (gegenüber dem Quartal zuvor). Auch die Exporte waren stark rückläufig in der Folge der abnehmenden weltweiten Nachfrage und dem sich abschwächenden Boom der Rohstoffpreise. Vor allem das rezessive Umfeld in Europa, so schlussfolgern die UN-Autoren trifft jetzt direkt die Wachstumsaussichten vieler Entwicklungsländer. Das europäische Importvolumen lag im zweiten Quartal 2012 insgesamt 4,2% niedriger als ein Jahr zuvor.

Am härtesten wurde Asien von dieser Entwicklung getroffen. Die Auswirkungen vor allem in Ostasien sind allerdings differenziert zu sehen: Während sich die Ökonomien in Indonesien, Malaysia, den Philippinen und Thailand im zweiten Quartal 2012 noch recht widerstandsfähig erwiesen, litten die stärker exportabhängigen Länder der Region, wie Hongkong, Südkorea, Singapur oder Taiwan, erheblich unter dem doppelten Effekt der europäischen Rezession und der Abschwächung des Wachstums in China. Vor allem die chinesischen Exporte gingen bemerkenswert stark zurück: um 20% gegenüber Indien, 18% gegenüber Deutschland und 15% gegenüber den Niederlanden.

19. September 2012

Stiglitz und Charlton fordern Recht auf Handel

Joseph E. Stiglitz
Wenn die Welthandelsorgani-sation (WTO) auf ihrem diesjährigen Public Forum in Genf den Ursachen für die Krise des Multilateralismus nachgeht, wäre sie gut beraten, auf einen Vorschlag zu hören, den Joseph Stiglitz von der Columbia University und Andrew Charlton von der London School of Economics kürzlich unterbreitet haben. In einem gemeinsamen Report für das Commonwealth-Sekretariat fordern die beiden Wirtschaftswissenschaftler die Verankerung eines „Rechts auf Handel“ im Streitschlichtungssystem der WTO und die Errichtung einer Global Trade Facility (GTF), um vor allem Entwicklungsländer bei der Durchsetzung neuer Marktzugangsrechte zu unterstützen und sie für handelspolitische Verluste zu entschädigen.

Der Report „The Right to Trade” geht explizit davon aus, dass sich die mit der bisherigen Aid-for-Trade-Politik im Rahmen der WTO verbundenen Hoffnungen nicht erfüllt haben. Die in diesem Zusammenhang bereitgestellten Mittel waren weder zusätzlich (zur regulären Entwicklungshilfe) noch vorhersagbar und effizient. Ohne Zusätzlichkeit sei Aid-for-Trade jedoch lediglich eine andere Form der Konditionalität, die die Wirksamkeit von Hilfsprogrammen behindere. Mehr noch: Aid-for-Trade sei zu einem Ersatz für eine wirkliche Reform der Welthandelssystems geworden.

Nach Stiglitz und Charton muss eine entwicklungsorientierte multilaterale Liberalisierungsagenda einen alternativen Mechanismus schaffen, der Ungleichgewichte im globalen Handelssystem beseitigt und dafür sorgt, dass dieses System im Interesse der Menschen zu funktionieren. Dies könne erreicht werden, wenn die WTO ihren Streitschlichtungsmechanismus durch ein „Recht auf Handel“ ergänzt. Ein solcher Mechanismus würde gegen ein fortgeschrittenes Land in Anwendung gebracht, sobald drei Bedingungen erfüllt sind:

* wenn eine Gruppe von armen Menschen in einem Entwicklungsland identifiziert werden kann, die von einer besonderen Handels- oder handelsbezogenen Politik spürbar und direkt betroffen ist;

* wenn diese Politik die wirtschaftliche Entwicklung dieser Gruppe nachweisbar behindert; und

* wenn diese Politik die Fähigkeit der Gruppe einschränkt, Handel zu treiben oder Vorteile aus dem Handel zu ziehen.

In Ergänzung dazu soll die vorgeschlagene Global Trade Facility, die durch Geldmittel aller Geberländer gespeist würde, Ressourcen bereitstellen, um die Entwicklungsländer bei der Nutzung des Streitschlichtungsmechanismus zu unterstützen und optimale Vorteile aus der Durchsetzung von Marktzugangsrechten zu ziehen. Das Finanzierungsvolumen soll 0,05% des BIP der fortgeschrittenen Industrieländer betragen, was gerade mal 7% der insgesamt versprochenen Entwicklungshilfe (0,7% des BIP) wäre. Institutionell soll der Fonds bei der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) angesiedelt werden. Ähnlich wie die Globale Umweltfazilität (GEF) bei der Weltbank ist jedoch daran gedacht, dass das GTF-Sekretariat völlig unabhängig von der UNCTAD agieren kann.

Vorschläge dieser Art sollten sehr willkommen sein, da mit der Sackgasse der Doha-Runde innerhalb der WTO auch die Diskussion über die Reform des multilateralen Handelssystems ins Stocken geraten ist. Auch von dem diesjährigen Public Forum der WTO dürften jedoch kaum Impulse zur Wiederbelebung dieser Debatte ausgehen.

10. September 2012

Soros contra Deutschland: Fuehren oder den Euro verlassen

Deutschland solle den Euro verlassen oder sich wie ein wohlwollender Hegemon verhalten. Dies fordert der Finanzmagnat George Soros in seinem jüngsten Kommentar. Hier ist der Wortlaut:

" Europa steckt seit 2007 in einer Finanzkrise. Als der Bankrott von Lehman Brothers die Kreditlage der Finanzinstitute gefährdete, wurden private durch staatliche Kredite ersetzt, wodurch ein bisher unerkannter Konstruktionsfehler des Euro deutlich wurde. Durch Übertragung ihres Rechts, Geld zu drucken, an die Europäische Zentralbank (EZB) setzten sich die Mitgliedsländer einem Ausfallrisiko aus – so wie Länder der Dritten Welt, die hoch in Fremdwährungen verschuldet sind. Handelsbanken, die sich stark mit Staatsanleihen schwächerer Länder eingedeckt hatten, wurden dadurch potenziell insolvent.

Es gibt eine Parallele zwischen der derzeitigen Eurokrise und der internationalen Bankenkrise von 1982. Damals rettete der Internationale Währungsfonds das globale Bankensystem, indem er hoch verschuldeten Ländern gerade genug Geld lieh; so wurde deren Ausfall vermieden, wenn auch auf Kosten einer anhaltenden Depression. Lateinamerika durchlitt ein verlorenes Jahrzehnt.
 
Deutschland spielt heute dieselbe Rolle wie damals der IWF. Die Umstände unterschieden sich, doch der Effekt ist derselbe. Die Kreditgeber verlagern die gesamte Last der Anpassungen auf die Schuldnerländer und weichen ihrer eigenen Verantwortung aus...
 
... Fortsetzung des Kommentars >>> hier.

5. September 2012

Whatever it takes? EZB an ihren Grenzen

Was immer EZB-Chef Mario Draghi morgen Nachmittag auf der Pressekonferenz verkünden wird – ein neues mehr oder weniger weitreichendes Bondaufkaufprogramm für Länder mit hohen Zinslasten – es wird nichts an den strukturellen Faktoren ändern, die die Finanzkrise in der Eurozone so langwierig machen. Wie das Weltwirtschaftsforum in seinem heute veröffentlichten neuen Global Competitiveness Report berichtet, entwickelt sich die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Länder immer weiter auseinander: Während die Schweiz (Platz 1) sowie die Länder Nordeuropas (Finnland, Schweden, die Niederlande und Deutschland Platz 3, 4, 5 und 6) ihre starke Wettbewerbsposition seit der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 konsolidieren konnten, leiden die Länder in Südeuropa, namentlich Portugal an 49., Spanien an 36., Italien an 42. und insbesondere Griechenland an 96. Stelle nach wie vor an einer Wettbewerbsschwäche „angesichts makroökonomischer Ungleichgewichte, ungenügender Finanzierungsmöglichkeiten, rigiden Arbeitsmärkten und Innovationsrückstand“.

Man mag die Methodologie, mit der das WEF Wettbewerbsfähigkeit misst, und die Begründung in Zweifel ziehen – in diesem Punkt liegen sie richtig, die Wirtschaftsforscher aus Genf. Die Eurokrise ist im Kern keine Staatsschulden- und Liquiditäts-, sondern eine Wettbewerbskrise. Und insofern läuft das Interventionspotential, wie immer man es interpretieren mag, der EZB ins Leere. Mehr als ein gewisser Zeitgewinn kann nicht erwartet werden. Solange sich die Wettbewerbsfähigkeit auseinander entwickelt und die Ungleichgewichte zunehmen (mit den deutschen Exportüberschüssen auf der einen und den spiegelbildlichen Finanzierungsproblemen in den südlichen Defizitländern auf der anderen Seite), bleibt die Währungsunion gefährdet und vom Zusammenbruch bedroht.

Soweit sind sich die Beobachter auch auf der politischen Linken einig, nicht jedoch, was die daraus zu ziehenden Konsequenzen betrifft. In einem lesenswerten Beitrag hat kürzlich der linke französische Wirtschaftswissenschafter Jacques Sapir (>>> Europäische Union oder Eurozone?) für den geordneten Rückzug plädiert, d.h. für eine ordentliche Abwicklung des Euro, um die Europäische Union selbst zu retten. Rudolf Hickel und Axel Troost (MdB, Die Linke) von der deutschen Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik kommen in einem längeren Papier (>>> Eurozone vor dem Ende?) jedoch zu einer anderen Schlussfolgerung. Sie sehen die Alternative (immer noch?) in der Erhaltung und Erneuerung des heutigen Euro-Währungsraums. Dies setze aber voraus, dass mit den Irrtümern und Fehlern der Vergangenheit gebrochen wird. Die Mainstream-Politik und ihre konservativen Ökonomen müssten endlich ihren Irrglauben aufgeben, dass eine Währungsunion von sich aus schon dafür sorge, dass sich die beteiligten Ökonomien einander angleichen und zusammenwachsen. Die Eurokrise zeige, dass die Wirtschafts-, Lohn-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der einzelnen Länder unbedingt aufeinander abgestimmt werden müssen, weil sich ein Währungsraum sonst eben immer weiter auseinander entwickelt. – Wer hier Recht hat lässt sich schwer sagen. Wie dem auch sei - wieder einmal zeigt sich: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

1. September 2012

Der IWF als Hilfspolizei der EZB in Europa?

Die vollmundige Ankündigung von EZB-Chef Mario Draghi, die Europäische Zentralbank werde „alles Notwendige tun, um den Euro zu bewahren“, hatte schon viel von ihrem Glanz verloren, als er wenige Tage später hinzufügte, selbstverständlich kämen nur solche Länder für den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB in Frage, die zuvor Reformen mit der Europäischen Kommission in Brüssel vereinbart hätten. Jetzt hat Jörg Asmussen, Mitglied im EZB-Vorstand, hinzugefügt, dass bei der Überwachung der Umsetzung dieser Reformen der Internationale Währungsfonds einbezogen werden müsse.

Nun ist das mit den „Reformen“ so eine Sache, wenn sie wie derzeit auf die Verschärfung rezessiver Tendenzen hinauslaufen, etwa die Spar- und Entlassungsauflagen und Privatisierungsvorschriften für Griechenland. Doch es gibt auch ganz pragmatische Probleme, wenn Bond-Aufkaufprogramme, das ja die Zinslasten der Staaten nach unten drücken soll, mit wirtschaftspolitischer Konditionalität verknüpft werden. Was ist beispielsweise, wenn die wirtschaftspolitischen Bedingungen nicht eingehalten werden? Soll die EZB dann von ihrer ursprünglichen Forderung abrücken und weiter Staatsanleihen kaufen, weil es ja um die Senkung der Zinsbelastung geht? Oder soll sie die Aufkäufe sofort einstellen, was umgehend zu Zinssteigerungen und damit zu einer weiteren Verschärfung der wirtschaftlichen Probleme des betreffenden Landes führen würde? Aus diesen Gründen ist es durchaus nicht sicher, was der EZB-Rat in der kommenden Woche beschließen wird.

Es lohnt sich jedoch, die Forderung Asmussens genauer anzusehen. „Aus meiner Sicht bedeutet dies, dass der IWF in die Entwicklung der wirtschaftlichen Anpassungsprogramme einbezogen wird, weil der IWF natürlich einzigartiges Know-how und hohes Gewicht als ein externer Polizist in diesen Fällen hat“, heißt es in seiner Rede in Potsdam am vergangenen Donnerstag. Da ist sie wieder, die deutsche Zuchtmeisterlogik, die die EZB und den IWF gleich mit für die Aufherrschung deutscher Sparpolitik gegenüber dem Rest Europas instrumentalisieren möchte. Die Frage ist nur, ob sich ein sich wandelnder IWF für diese Rolle missbrauchen lassen sollte.