15. Dezember 2017

G20-Vorsitz: Argentiniens schlechter Start

Von Jörg Haas und Ingrid Wehr

Das hat es noch nie gegeben, noch nicht einmal 2001 in Katar: Argentinien als Gastgeber der WTO-Ministerkonferenz verweigerte die Akkreditierung und Einreise von 65 Vertreter/innen von etwa 20 Nichtregierungsorganisationen, Think Tanks und Gewerkschaften, darunter langjährige Beobachter der WTO-Verhandlungen. Betroffen waren auch deutsche Organisationen, darunter Ernst-Christoph Stolper, stellvertretender Vorsitzender des BUND und von 2011 bis 2012 grüner Staatssekretär in Rheinland-Pfalz. Die meisten betroffenen Organisationen sind im weltweiten Netzwerk “Our World ist not for Sale” organisiert, das schon seit vielen Jahren die globalen Handelsverhandlungen kritisch begleitet.


Das beispiellose Vorgehen wuchs sich zum PR-Desaster für die argentinische Regierung aus: Sowohl die Financial Times wie auch die New York Times kritisierten das Vorgehen der argentinischen Regierung. Die argentinischen Nichtregierungsorganisationen, darunter die von der Regierung selbst als C-20 Vorsitzende eingesetzte Organisation Poder Ciudadano, äußerten ihre Kritik in einem Offenen Brief an die Regierung. Die WTO-kritischen Nichtregierungsorganisationen erhielten plötzlich eine ungeahnte Aufmerksamkeit der internationalen Presse für ihre Stellungnahmen.

Zum PR-Desaster gesellte sich ein diplomatisches Debakel: Die EU-Handelskommissarin Malmström schrieb einen Brief an den argentinischen Außenminister, in dem sie die Rücknahme der Entscheidung forderte. Berichten zufolge protestierten die Botschaften Deutschlands, Frankreichs, Kanadas, Brasiliens und die EU-Delegation bei der argentinischen Regierung aufgrund der Zurücknahme der Akkreditierung ihrer Staatsbürger. 

Erwähnenswert, wenn auch eher symbolisch bedeutsam, ist in diesem Kontext, dass den Nichtregierungsorganisationen die Teilnahme an der offiziellen Eröffnung der Ministerkonferenz im Kongresszentrum von Buenos Aires verwehrt wurde. Deborah James, Koordinatorin des Netzwerks “Our world is not for sale” berichtet, dass üblicherweise in der Vergangenheit 50 Plätze in der Eröffnungssitzung für NGOs reserviert waren. Nun also Ausschluss - und die NGOs im mehrere Kilometer entfernten Konferenzgebäude “Centro Cultural Kirchner” wurden per Eil-Mail um 14:15 Uhr zum Verlassen des Gebäudes aufgefordert, um ab 15 Uhr die Vorbereitungen für einen hochrangigen Empfang in den Abendstunden zu ermöglichen. 

In Buenos Aires wird gerätselt, was das ausgesprochen plumpe Vorgehen der argentinischen Regierung motiviert, welches so offensichtlich das von Präsident Macri gepflegte Selbstbild eines weltoffenen Argentiniens demontiert. Ist es einfach nur Unfähigkeit der Sicherheitsorgane, die angesichts einer im Vorfeld geschürten Angst vor gewalttätigen Protesten blindlings jedwede Organisation unter Generalverdacht stellten, die sich schon einmal durch WTO-Kritik hervorgetan hat?

Das Geschehen rund um die WTO-Konferenz fügt sich jedenfalls ein in eine Serie von beunruhigenden Ereignissen der letzten Tage. Die Spielräume für die argentinische Zivilgesellschaft verschlechtern sich im zweiten Jahr von Macris Präsidentschaft spürbar. Während staatliche Institutionen im Jahr 2016 soziale Konflikte eher auf dem Verhandlungsweg zu lösen versuchten, verschärfte sich in diesem Jahr die Polizeigewalt, rechtlich abgefedert durch neue Sicherheitsprotokolle und Gesetzesentwürfe. Eine jüngere Studie des renommierten Instituts CELS spricht von besorgniserregenden Einschränkungen des Demonstrationsrechts.

Auch wenn nun letztlich ein Großteil der Zivilgesellschaft an den Aktivitäten im Rahmen der WTO-Konferenz teilnehmen kann, bleibt ein schlechter Nachgeschmack angesichts des willkürlichen Ausschlusses von mehr als 40 Vertreter/innen. Argentinien hat sich mit diesem Vorfall kräftig blamiert. Damit setzt das Land keine guten Vorzeichen für seine G20-Präsidentschaft, die es am 1. Dezember 2017 von Deutschland übernommen hat. Dass die als C-20 organisierte Zivilgesellschaft auch keinen Cent an Unterstützung erhalten soll, ist ein weiterer Pinselstrich im Bild einer Regierung, die mit zivilgesellschaftlicher Kritik auf Kriegsfuß steht und in zunehmendem Maße auf repressive Maßnahmen zurückgreift, um kritische Stimmen einzudämmen.

(gekürzt; Vollversion unter boell.de)

14. Dezember 2017

Nach dem Flop von Buenos Aires ist die Zukunft der WTO wieder offen

Gastblog von Tobias Reichert aus Buenos Aires

Die 11. Ministerkonferenz der WTO ist gestern pünktlich und praktisch ohne greifbares Ergebnis zu Ende gegangen. Der nach der Dauerkrise der Doha–Runde begonnene Trend (statt ein komplexes Verhandlungspaket zu vereinbaren, Abkommen zu begrenzten Einzelfragen zu treffen) ist damit zumindest unterbrochen. Am Ende konnten weder eine inhaltsfreie Ministererklärung und nicht einmal eine Zusammenfassung der Vorsitzenden präsentiert werden.


Aus Nachhaltigkeitssicht schienen mit Beschlüssen zu illegalen Fischereisubventionen und einer dauerhaften Vereinfachung für Lagerhaltung für Ernährungssicherheit zwei kleine Schritte in die richtige Richtung möglich. Beide sind gescheitert. Nachdem die USA einen Beschluss zur Lagerhaltung blockiert hatten, erklärte Indien – in nicht unüblicher Dickköpfigkeit – auch keine anderen Beschlüsse zuzulassen. Betroffen waren insbesondere die Fischereisubventionen, auch wenn ein umfassendes Abkommen in Buenos Aires ohnehin nicht mehr auf der Tagesordnung stand.

Die Versuche der EU, Japans, weiterer Industrie- und einiger Entwicklungsländer, die Verhandlungsagenda um neue Themen wie elektronischen Handel, „Investitionserleichterungen“ und die Vereinfachung des Handels für kleine und mittlere Unternehmen zu erweitern, scheiterten am Widerstand der großen Mehrheit der Entwicklungsländer. Zu allen Themen gab es Erklärungen von knapp der Hälfte der WTO-Mitglieder, die in informellen Arbeitsgruppen weiter diskutieren wollen, wie diese Themen in der WTO be- und verhandelt werden können. Die seit 1998 bestehende Arbeitsgruppe zu E-commerce, die kein Verhandlungsmandat besitzt, wurde von allen WTO Mitgliedern aufgefordert, ihre Diskussionen zu intensivieren. Angesichts der Tatsache, dass im letzten Jahr kein Treffen der Gruppe stattfand, sollte das nicht schwer umzusetzen sein.

Zwei seit langem bestehende Beschlüsse, wurden wie auf jeder Ministerkonferenz erneuert: Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, keine Zölle auf elektronische Transaktionen zu erheben und eine etwas obskure Klausel der WTO nicht auf das TRIPS-Abkommen anzuwenden. Danach kann ein Mitglied auch gegen einen Handelspartner, der die Verträge einhält, ein Streitschlichtungsverfahren beginnen, wenn es sich trotzdem benachteiligt fühlt. Was das im Kontext des TRIPS-Abkommens bedeuten könnte, ist völlig unklar, was dann zu beträchtlicher Unsicherheit geführt hätte.

In einem Tweet während des Abschlussplenums lobte der schon am Vortag abgereiste US-Handelsbeauftragte Lighthizer das Ergebnis der Konferenz: Pluritilaterale Initiativen zu ausgewählten Themen seien die Zukunft der WTO. Damit unterstreicht er den seit dem Antritt der Trump-Regierung noch verstärkten Widerstand der USA, an die bisherigen Verhandlungsergebnisse der multilateralen Doha Agenda anzuschließen. Die große Mehrheit der Entwicklungsländer besteht genau darauf. Wie der Konflikt gelöst werden kann ist nicht absehbar.

13. Dezember 2017

WTO wie immer: Blockade 5 vor 12

Gastblog von Tobias Reichert, z.Zt. Buenos Aires

Auch wenn sich das politische Umfeld durch die handels- und multilateralismusfeindliche Haltung der der Trump-Administration geändert hat, halten die WTO-Mitglieder in der Dramaturgie der Konferenzen an ihren Gewohnheiten fest. Zu den verschiedenen Verhandlungsthemen werden Arbeitsgruppen eingesetzt, in denen die Delegationen Kompromisse suchen sollen. Allen Appellen für mehr Flexibilität zum Trotz, wiederholen sie dann ein bis zwei Tage lang ihre bekannten Positionen. Echte Bewegung kommt frühestens am letzten Tag in die Diskussionen.


Bislang folgte auch die 11. Ministerkonferenz diesem Muster. Ein Durchbruch erfolgt, wenn überhaupt, erst am letzten Tag oder in der „Verlängerung“ am Tag nach dem offiziellen Konferenzende. In der Regel wurden die eigentlichen Verhandlungen dann in sog. „Green Rooms“ verlagert, wo eine begrenzte Zahl von Mitgliedern (USA, EU, Indien, Brasilien plus einige andere) zusammen mit Vorsitz und Generalsekretär hinter verschlossenen Türen Kompromisse sucht. Gelingt ihnen das, müssen die anderen Mitglieder zustimmen oder die Konferenz scheitern lassen. Bei den Delegationen außerhalb führt dies regelmäßig zu schlechter Stimmung. Daher hat die argentinische Vorsitzende – wie schon einige ihrer Vorgänger – versprochen, diesmal auf Green Rooms zu verzichten. Beim Herzensanliegen der argentinischen Regierung, zum Abschluss der Konferenz eine umfassende Ministererklärung zu verabschieden, wurde der Vorsatz schon gebrochen. Nachdem in einer ersten Diskussion der aus Genf mitgebrachte Entwurf von mehreren Mitgliedern, voran den USA weiter prinzipiell abgelehnt worden war, setzte die Vorsitzende eine Gruppe aus zehn Ländern ein, die einen neuen Text entwerfen soll.

Wie bei den Einzelfragen eine Einigung erzielt werden kann, ist offen. Bei der angestrebten dauerhaften Lösung der Frage der öffentlichen Lagerhaltung für Ernährungssicherheit, haben die USA erklärt, gar keinem Beschluss zustimmen zu wollen, der dauerhaft gilt. Und auch beim Abbau der Subventionen für illegale und unregulierte Fischerei liegen die Positionen noch extrem weit auseinander. Der Vorschlag, der die Subventionen am stärksten einschränken würde, geht manchen Mitgliedern noch nicht weit genug, während der unverbindlichste Vorschlag anderen noch zu strikt ist. Besonders Indien und China wollen sich nicht auf wirksame Vorgaben zum Subventionsabbau verpflichten.

Die Verhandlungen könnten damit zu einem ersten Test dafür werden, wie ernst die Regierungen die Ziele für nachhaltige Entwicklung zur Ernährungssicherheit und zum Schutz der Meere (und Fische) nehmen. Insbesondere die Weigerung der USA, einem Beschluss zur Lagerhaltung zuzustimmen, macht konkrete Beschlüsse in Buenos Aires zunehmend unwahrscheinlich. Noch ist nicht klar, ob am letzten Tag noch ein Anlauf unternommen wird.

12. Dezember 2017

Lighthizer: Wie Trumps Mann beim WTO-Ministerial agiert

US-Handesbeauftragter Lighthizer
Gastblog von Tobias Reichert, z.Zt. Buenos Aires 

Nach der mit großem Pomp und unter Anwesenheit aller Präsidenten des Mercosur abgehaltenen Eröffnungszeremonie begannen am gestrigen Montag die offiziellen Verhandlungen der 11. Ministerkonferenz. Das normalerweise bedeutungslose Plenum, in dem Handelsminister oder andere Delegationsleiter vorbereitete 3-Minuten-Statements verlesen, erhielt dabei ungewohnte Aufmerksamkeit. Der Grund dafür war, dass der US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer fast zu Beginn des Plenums zu Wort kam. Delegierte und Beobachter erwarteten Hinweise darauf, ob und wie weit die USA bereit sind, sich an den Verhandlungen in Buenos Aires und in Folge der WTO insgesamt zu beteiligen. Zumindest im Vergleich zu seinem direkten Vorgesetzten bemühte sich Lighthizer dabei um eher diplomatische Töne. Die WTO sei eine wichtige Organisation die viel Gutes für die Welt und die USA tun könne. Allerdings gebe es aus Sicht der USA auch eine Reihe von Problemen, die angegangen werden müssten, damit sie ihre Relevanz erhalten könnte. 

So habe sich die Funktion von den Verhandlungen auf den Klagemechanismus verschoben. Viele Länder erhofften sich von einer Beschwerde bei der WTO bessere Ergebnisse als von Verhandlungen. Der in der Rede nicht erwähnte Hintergrund ist der Vorwurf, insbesondere das Berufungsgremium (Appellate Body - AB) der WTO überschreite seine Kompetenzen und schaffe neue Rechtsnormen statt die bestehenden auszulegen. Daher blockieren die USA (schon in der Amtszeit Obamas) die Berufung neuer Mitglieder in den AB, was dessen Handlungsfähigkeit bedroht. Bei den anderen WTO-Mitgliedern löst das zunehmend Empörung aus.

Etwas inkonsistent (und darin ganz auf Trump-Linie) forderte Lighthizer zugleich, dass bestehende WTO-Regeln besser eingehalten werden müssten. Dabei hob er allerdings die Punkte Notifizierung und Transparenz hervor. In der Tat kommen viele Mitgliedstaaten ihrer Verpflichtung, Informationen über Zölle und Subventionen regelmäßig an die WTO zu übermitteln, oft nur mit großer Verspätung nach. Die USA haben sich dabei in der Vergangenheit selbst nicht als großes Vorbild hervorgetan. Was vor allem für Opposition sorgt, ist der nicht in Lighthizers Rede nicht enthaltene, aber in die Verhandlungen eingebrachte Vorschlag, wie die Transparenz verbessert werden soll. WTO-Mitglieder, die ihren Notifizierungspflichten wiederholt nicht nachkommen, sollen zunächst von Kooperationsprogrammen der WTO ausgeschlossen und dann Rede- und sogar Stimmrecht einbüßen. 

Ähnlich „explosiv“ – so ein Handelsdiplomat in Buenos Aires – sind die US-Forderungen zur Vorzugsbehandlung der Entwicklungsländer. Diese kommt – in verringertem Umfang – tatsächlich reichen Ölstaaten wie Qatar und Saudi-Arabien oder neu industrialisierten Ländern wie Südkorea, Singapur und Taiwan zu Gute – wobei letztere sie kaum in Anspruch nehmen. Den USA geht es aber vor allem darum, große und wirtschaftlich erfolgreiche Schwellenländer vor allem China, auch Brasilien und Indien, von jeglicher Vorzugsbehandlung auszuschließen. Die Tatsache, dass dort gerade in der Landwirtschaft noch massive von Armut und auch Unterernährung bestehen, ignorieren sie dabei bewusst. Ebenfalls auf China zielt die Forderung, die WTO solle sich wirksamer um Fragen wie Überkapazitäten und die Rolle von staatseigenen Unternehmen kümmern.

Anders als in anderen multilateralen Foren wie dem UN-Klimaabkommen bewegen sich die USA zumindest auf einer ähnlichen Faktengrundlage wie die übrigen Mitglieder. Die auch schon im Vorfeld der Ministerkonferenz eingebrachten Themen werden auch von anderen Ländern als reale Probleme anerkannt. Auf Ablehnung stößt, dass die USA fordern, dass sie zuerst gelöst werden müssten, bevor über die Prioritäten der anderen Mitglieder verhandelt wird. In den nächsten Tagen wird sich zeigen, wie hart die US-Delegation auf ihrer Linie besteht.

11. Dezember 2017

Die WTO in Argentinien: Grosse Krise oder weiter in kleinen Schritten?

Gastblog von Tobias Reichert aus Buenos Aires 

Die mit Krisen und Blockaden erfahrenen Delegierten der Welthandelsorganisation (WTO) haben gestern im argentinischen Buenos Aires die 11. Ministerkonferenz begonnen, die bis zum 13. Dezember andauern wird. Die Unsicherheiten sind dabei so groß wie selten. Zum einen ist seit der letzten Konferenz in Nairobi umstrittener denn je, ob und in welcher Form die sich seit 2001 hinziehende Doha-Verhandlungsrunde fortgesetzt werden soll. Zum anderen ist unklar, inwieweit die US-Delegation, der Abneigung des Präsidenten gegen multilaterale Abkommen folgend, versuchen wird, die Organisation weiter zu schwächen.

Einen Versuch, die Doha-Runde mit ihrem Mandat, den Handel mit Gütern und Dienstleistungen zu liberalisieren, Agrarsubventionen abzubauen und bestehende Regeln zu Subventionen und Anti-Dumping-Maßnahmen zu verschärfen, in einem Schritt abzuschließen, wird es nicht geben. Bei den letzten beiden Konferenzen war es gelungen, sich auf verbindliche Abkommen zu Einzelfragen aus dem Mandat zu einigen. Auch in Buenos Aires wird daher versucht werden, zu einigen spezifischen Punkten einen Konsens zu erreichen. Die Aussichten sind aufgrund der Haltung der USA nicht gut.

Mögliche Ergebnisse: Mehr öffentliche Lagerhaltung für Ernährungssicherheit… 

Nach Einschätzung von WTO-Generalsekretär Azevedo und vieler Mitglieder könnte es eine Einigung bei der Frage geben, ob Entwicklungsländern zusätzlicher Spielraum für öffentliche Lagerhaltung für die Ernährungssicherheit eingeräumt werden soll. Das Problem besteht darin, dass die bestehenden WTO-Regeln Ausgaben für öffentliche Lagerhaltung von Lebensmitteln in unbegrenzter Höhe nur dann zulassen, wenn der Ankauf zu Marktpreisen erfolgt. Legt dagegen die Regierung den Preis fest, werden die Programme als „handelsverzerrende“ Unterstützung der Landwirtschaft gewertet. Dafür besteht eine Obergrenze, in die auch andere Maßnahmen wie der vergünstigte Verkauf von Düngern und Saatgut eingerechnet werden.

Viele Entwicklungsländer kaufen Agrargüter zu festgelegten Preisen an, um damit gleichzeitig die Einkommen der kleinbäuerlichen Bevölkerung zu stabilisieren. Indien hat die Unterstützung seiner Landwirtschaft so weit ausgebaut, dass es durch einen weiteren Ausbau der Lagerhaltung die geltende WTO-Obergrenze für „handelsverzerrende Maßnahmen“ zu überschreiten droht. Die von der G33-Gruppe um Indien und Indonesien schon länger erhobene Forderung, die Lagerhaltung nicht mehr als handelsverzerrend einzustufen, erhielt damit bei der WTO-Konferenz in Bali neue Dringlichkeit. Die Ausgaben für ähnliche Programme in anderen Entwicklungsländern liegen derzeit unterhalb der Grenzen für handelsverzerrende Maßnahmen. In Bali wurde eine sog. "Friedensklausel", beschlossen, die mögliche Beschwerden gegen das Agrarabkommen aussetzt, wenn sie aus bereits 2013 bestehenden Programmen resultieren. Sie gilt, bis eine dauerhafte Lösung vereinbart ist, kommt aber faktisch nur Indien zu Gute.

Eine Reihe von Ländern, darunter auch Entwicklungsländer, befürchtet, dass Lebensmittel aus den öffentlichen Lagern auf indirektem Weg auf den Weltmarkt gelangen. Das hätte dann eine ähnliche Wirkung wie die jetzt verbotenen Exportsubventionen. Um das zu vermeiden, sei als Vorsichtsmaßnahme größere Transparenz darüber notwendig, welche Menge von welchen Produkten angekauft und eingelagert werden, was davon wiederverkauft wird und an wen. Die G33 stimmt dem im Prinzip zu, will aber verhindern, dass die Abläufe administrativ so aufwändig werden, dass sie den Einsatz der Lagerhaltung erschweren.

In einem gemeinsamen Vorschlag mit Brasilien, Kolumbien, Peru und Uruguay fordert die EU nicht nur weitgehende Berichtspflichten, sondern auch eine Obergrenze.  Die Ausgaben für die angekauften Lebensmittel dürften 10% des gesamten Produktionswerts des jeweiligen Produkts nicht überschreiten. Zudem müssten sich die Programme auf „traditionelle Grundnahrungsmittel“ beschränken. Dies ist für die Ernährungssicherheit nicht sinnvoll, da es sich dabei meist um überwiegend stärkehaltige Produkte wie Reis oder Weizen handelt. Eiweiß- und Vitaminreichere Produkte wie Hülsenfrüchte, Milchprodukte oder Obst und Gemüse, mit denen auch Mangelernährung besser begegnet werden kann, wären dagegen ausgeschlossen.  Die G33 lehnt diese Beschränkungen mit Unterstützung vieler anderer Entwicklungsländer ab. 

… und weniger Subventionen für illegale Fischerei 

Möglich erscheinen auch Fortschritte bei der Begrenzung der Fischereisubventionen. Insbesondere könnten Subventionen für illegale, unregulierte und undokumentierte (IUU) Fischerei verboten werden. Die WTO sieht sich hier auch einer im Rahmen der (freiwilligen) globalen Ziele nachhaltiger Entwicklung gemachten Vorgabe gegenüber. Danach sollen bis 2020 schädliche Fischereisubventionen abgeschafft werden. Weltweit sind nach Schätzung der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO fast ein Drittel aller Fischbestände überfischt. Es werden also mehr Fische gefangen, als nachwachsen, so dass die Bestände mittelfristig zu verschwinden drohen. Mehr als die Hälfte wird voll genutzt, so dass größere Fangmengen zur Überfischung führen würden, und nur etwa ein Zehntel wird weniger befischt als nachhaltig möglich. Um dem Problem der Übernutzung zu begegnen, regulieren Länder die Fischerei in ihren Hoheitsgewässern und in umgebenden Gewässern durch nationale Gesetzgebung und zunehmend durch regionale Fischmanagementabkommen (RFMO), die sich auch internationale Gewässer beziehen können.

Diese Regeln und Abkommen werden allerdings in großem Umfang verletzt. Es wird geschätzt, dass zwischen 13 und 30% aller Fische illegal (durch Schiffe aus Ländern, die einem RFMO angehören, aber die Regeln verletzen), unreguliert (durch Schiffe, die einem RFMO nicht angehören, aber trotzdem in der erfassten Region fischen) oder undokumentiert (Fänge werden der zuständigen Regierung oder RFMO nicht oder unvollständig mitgeteilt) gefangen werden. In westafrikanischen Gewässern sollen etwa 37% aller Fische unter IUU-Bedingungen gefangen werden.

Die wirtschaftlichen Verluste für ganz Afrika in Form entgangener Lizenzgebühren oder geringerer Einkommen für einheimische Fischer werden auf 6-7 Mrd. € geschätzt. Wie hoch die Subventionen für die Fischerei insgesamt sind, ist unklar, auch deswegen, weil keine allgemein anerkannte Definition existiert. Das South Centre schließt aus einer umfassenden Literaturrecherche, dass die Subventionen wahrscheinlich um die 35 Mrd. US-$ pro Jahr betragen. Das entspricht 30-40% des Werts des jährlich wild gefangenen Fischs.

Angesichts dieser sich seit Jahren verschärfenden Problematik, wurde bereits im Mandat für die Doha-Runde festgelegt, über strengere Regeln für Fischereisubventionen zu verhandeln. Wie für die meisten Themen der Runde bislang ohne konkretes Ergebnis. In den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDG) wird der Ansatz allerdings aufgegriffen. Im Ziel 14 zum Schutz der Meere wird in Unterziel 6 gefordert:  Bis 2020 … bestimmte Formen der Fischereisubventionen [zu] untersagen, die zu Überkapazitäten und Überfischung beitragen, … zu illegaler, ungemeldeter und unregulierter Fischerei beitragen, und keine neuen derartigen Subventionen einführen.“ Die Verhandlungen darüber sollen in der WTO stattfinden, und eine geeignete und wirksame besondere und differenzierte Behandlung der Entwicklungsländer und der am wenigsten entwickelten Länder sicherstellen. In den letzten zwei Jahren wurde auch deswegen wieder intensiver in der WTO über Fischereisubventionen verhandelt.

Dabei haben Länder wie Russland und China klargemacht, dass sie nicht bereit sind, über den Abbau von Subventionen zu sprechen, die zu Überkapazitäten führen. Die Verhandlungen konzentrieren sich daher auf Subventionen, die IUU-Fischerei befördern. Darüber ob diese sofort verboten werden sollen, oder die Mitglieder darauf hinarbeiten, sie abzubauen, konnte aber im Vorfeld keine Einigung erzielt werden. Auch zur entwicklungspolitisch wichtigen Frage, wie und ob Kleinfischer weiter unterstützt werden sollen, auch wenn sie oft undokumentiert fischen und damit technisch unter die IUU-Kategorie fallen, ist weiter offen. Ein mögliches Ergebnis in Buenos Aires könnte daher sein, Punkte, bei denen sich ein Konsens erzielen lässt, in einer Ministererklärung festzuhalten und zu versprechen, bei der nächsten Ministerkonferenz 2019 ein Abkommen zu schließen, was dem in den SDGs vorgegebenen Zeitplan gerade noch entsprechen würde.

***

Überschattet wird die gesamte Konferenz von der Haltung der USA, die in Genf die Verhandlungen über eine gemeinsame Ministererklärung blockiert haben. Die wäre allerdings nicht nötig, um Ministerentscheidungen zu einzelnen Themen zu treffen. Der argentinische Präsident Macri hat angekündigt, während der Konferenz noch einen Anlauf für eine Ministererklärung zu machen. Ob die USA dies zum Anlass nehmen könnten, die Konferenz insgesamt zu blockieren, ist offen.


5. Dezember 2017

Argentinien: Der Neoliberalismus an der Spitze der G20

Argentiniens Präsident Mauricio Macri, der zum 1. Dezember die G20-Präsidentschaft von Deutschland übernahm, gilt als eingefleischter Neoliberaler. Wie die von ihm vorgestellte Agenda und die darin verankerten Prioritäten für das kommende Jahr jedoch wieder einmal zeigen, schmücken sich auch gerne eingefleischte Neoliberale mit wohlklingender Nachhaltigkeitsprosa. Als Motto ihrer G20-Präsidentschaft hat sich die argentinische Regierung „Konsensbildung für gerechte und nachhaltige Entwicklung“ auserkoren. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Agenda-Prioritäten recht nahtlos zu der gegenwärtig über das Land rollenden Welle neoliberaler Reformen (von einer Steuer- und Rentenreform bis zu einer höchstumstrittenen Arbeitsmarktreform) passen, die gemeinhin als tiefgreifendste wirtschaftspolitische Systemveränderung in der jüngeren Geschichte Argentiniens gelten.

Die drei Prioritäten der argentinischen Agenda (Zukunft der Arbeit, Infrastruktur für Entwicklung und Ernährungssicherheit für eine nachhaltige Zukunft) stehen teilweise in der Kontinuität der jüngerer G20-Agenden, bewegen sich aber insgesamt noch weiter weg von den eigentlichen Kernaufgaben, wie der wirksamen Reregulierung der Finanzmärkte, die an entscheidenden Stellen immer noch unvollendet ist. In der argentinischen G20-Agenda kommt sie jedoch kaum noch vor. Stattdessen wird an erster Stelle die Anpassung des Bildungsniveaus an die technologischen Veränderungen propagiert: „Wir müssen sicherstellen, dass jede neue Welle technologischer Veränderungen so inklusiv wie möglich ist, und dies erfordert beträchtliche Investitionen in Ausbildung, so dass die Bürger die Fähigkeiten bekommen, die sie für Arbeit und Leben brauchen“, so Macri beim Start der G20-Präsidentschaft. Was jedoch wie ein harmloses Weiterbildungsprogramm klingt, ist das Komplement für die Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die derzeit die argentinische Gesellschaft zerreißen.

Die stärkste Kontinuität zu den vorhergehenden G20-Präsidentschaften weist sicherlich der zweite Schwerpunkt der argentinischen Agenda auf, die Infrastrukturentwicklung. Doch hier wird eine Tendenz noch stärker vorangetrieben, die Infrastrukturinvestitionen nicht einfach nur als Instrument für Wachstum und Produktivität sieht, sondern als Weg zu noch größerer „Partizipation des privaten Sektors“. Als besonderen Clou hat Argentinien hier die Entwicklung einer Anlageklasse für Infrastrukturinvestitionen angekündigt, die diese attraktiv für Großinvestoren machen soll. 

Und auch für den dritten Schwerpunkt, die Ernährungssicherung, sollen die G20 die „Grundarbeit für mehr öffentlich-private Partnerschaften“ leisten. Unter den argentinischen Verhältnissen des Großgrundbesitzes und der Agroindustrie kann dies nur heißen: noch engere Einbeziehung von multinationalen Agro-Konzernen in die Produktion von Nahrungsmitteln und den Handel damit. – Insgesamt gesehen verspricht sich die argentinische Regierung von ihrer G20-Präsidentschaft also vor allem die eigene Profilierung und die internationale Beförderung ihrer eigenen Politik und Interessen. Dies ist an und für sich kein Novum, aber neu ist schon, mit welcher Chuzpe eine Regierung, die eben erst vor den Geierfonds (mit den hässlichsten Ausgeburten des internationalen Finanzkapitalismus >>> Argentinien: Sieg der Geier?) kapituliert hat, sich anschickt, das internationale Renommee aufzupolieren.

4. Dezember 2017

EU-Afrika-Gipfel: Verpasste Chance

Beim EU-Afrika-Gipfel in der letzten Woche in Abidjan/Elfenbeinküste ist die Chance für eine grundlegende Neuausrichtung der europäisch-afrikanischen Wirtschaftsbeziehungen vertan worden. Das zeigt sich vor allem daran, dass viel über Migrationskrisenmanagment, etwas weniger viel über die neue Investitionsinitiative der EU auf dem afrikanischen Kontinent, aber so gut wie nicht über die Handelsbeziehungen geredet wurde. Dabei sind die sog. Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs), die Brüssel den afrikanischen Staaten seit über zehn Jahren aufdrücken will, ein Haupthindernis für mehr wirtschaftspolitischen Spielraum der Länder. Sie fordern von den Afrikanern eine Liberalisierung des Handels bis zu 80% und verhindern damit die Entwicklung wirksamer Industrialisierungsstrategien sowie Fortschritte in der afrikanischen Binnenintegration.

Statt diese Politik zu beenden und die EPAs auf eine neue Basis zu stellen, legt die EU seit kurzem den Schwerpunkt auf eine neue Investitionspolitik. Dazu hat sie im September einen External Investment Plan (EIP) verabschiedet, der über einen neuen Fonds, European Fund for Sustainable Investment (EFSD) genannt, vor allem private Investitionen nach Afrika mobilisieren will. Insgesamt sollen bis 2020 mit 4,1 Mrd. an öffentlichen Mitteln (Entwicklungshilfe) 44 Mrd. € an privaten Investitionen, vor allem im Infrastrukturbereich, aufgebracht werden. Vordergründig wird davon gesprochen, dass dies Migrationsursachen beseitigen soll. Im Kern geht es jedoch um andere handfeste wirtschaftliche Interessen. Während die EPAs die afrikanischen Märkte für europäische Handelsoffensiven öffnen, soll der EIP eine Expansionsoffensive europäischer Investoren anstoßen, deren entwicklungspolitische Effekte zumindest zweifelhaft sind.

Der Einsatz öffentlicher Finanzmittel für private Investitionen wird im Fachjargon „Blending“ genannt. Der Trend hierzu wird immer stärker, auch bei der Weltbank und anderen Entwicklungsbanken. Die Kehrseite: Je mehr Entwicklungshilfemittel für Blending eingesetzt werden, je weniger stehen für genuin entwicklungspolitische Zwecke zur Verfügung. Von den ungeklärten Modalitäten, unter denen die Vergabe erfolgt, wie mangelnde Transparenz, Bevorzugung von großen Investitionsprojekten, unzureichender Beitrag zur Armutsreduzierung, gar nicht zu reden. Unter diesen Bedingungen bleibt eigentlich nur eine strikte und kritische Beobachtung der Umsetzung des EIP durch die Zivilgesellschaft (>>>European External Investment Plan: Key issues to watch during implementation). Was das Schicksal der EPAs betrifft, könnte eine Lösung allerdings schon bald aus Afrika selbst kommen. Nachdem sich viele afrikanische Partner bislang der Unterzeichnung von EPAs widersetzt haben (>>> Nigerias und Tansanias Nein gegen die EPAs), wird jetzt vermutet, dass der Handelskommissar der Afrikanischen Union (AU) schon bald ein Moratorium über alle EPAs ankündigen könnte. Verständnis könnte er erwarten, selbst vom Afrika-Beauftragten der deutschen Bundeskanzlerin Gunther Nooke (>>> Uncertain Future for ‚Diabolic‘ Free Trade Pacts Between EU and Afrikca).

27. November 2017

Ruf nach ILO-Konvention gegen geschlechterbasierte Gewalt

Den Tag der Vereinten Nationen zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen am vergangenen Samstag haben Gewerkschaften und Frauengruppen dazu genutzt, für eine starke ILO-Konvention gegen genderbasierte Gewalt zu mobilisieren. Ein solches Rahmenwerk mit internationalen Arbeitsstandards zur Beendigung von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz soll auf der Internationalen Arbeitskonferenz der ILO im Juni nächsten Jahres entwickelt werden. Während die erniedrigende Behandlung von Frauen in der Unterhaltungsindustrie und sogar in nationalen Parlamenten inzwischen in die Schlagzeilen gelangt ist, gebühre der grassierenden Gewalt in anderen Bereichen der Arbeitswelt die gleiche Aufmerksamkeit.


Mehr als ein Drittel der Frauen weltweit erfahren Gewalt am Arbeitsplatz, zu Hause oder in der Gemeinde, wobei dem Handeln in der Arbeitswelt eine Schlüsselrolle im Kampf gegen die Gewalt zukommt. „Frauen in jedem Beschäftigungssektor sind Gewalt und Belästigungen in großem Maßstab ausgesetzt“, sagt die Generalsekretärin des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB bzw. ITUC) Sharan Burrow, „und wo sie des gewerkschaftlichen Schutzes beraubt sind, ist die Situation noch schlimmer. Die Gewalt ist offenkundig in den Lieferketten, in denen Nahrungsmittel und Kleidung und andere Fertigwaren produziert werden. Frauen im Transport-, Gesundheits- Bildungssektor und anderen öffentlichen Dienstleistungen sowie in der Unterhaltungsindustrie erfahren Gewalt, und es ist an der Zeit, dass Regierungen und Arbeitgeber ihre Verantwortung anerkennen und mit dem Gewerkschaften zusammenarbeiten, um dies zu beenden. Es ist ein Skandal, dass sexuelle Übergriffe, Belästigungen und andere Formen der Gewalt am Arbeitsplatz nicht nur toleriert, sondern auch dazu benutzt werden, um Frauen dem Interesse des Konzerngewinns zu unterwerfen.“

Im Kampf gegen genderbasierte Gewalt werden Bildungs- und Bewusstseinskampagnen geführt. In Tarifverhandlungen wird versucht, Bestimmungen durchzusetzen, die Frauen gegen Gewalt schützen und denjenigen Entschädigungen zu zahlen, die zu Opfern von Gewalt werden. Eine ILO-Konvention wäre sicher kein Allheilmittel, könnte solchen Bestrebungen aber günstigere Rahmenbedingungen geben und nicht zuletzt auch stärkere nationale Gesetze zum Schutz vor Gewalt anregen. Interessante Websites zu gewerkschaftlichen Kampagnen gibt es übrigens beim IGB (>>> hier) und bei der ILO (>>> hier).

21. November 2017

COP23: (Wie) geht es weiter?

Gastblog von Gabriele Köhler*)


Zwei bedeutsame Erfolge... Die 23. Klimakonferenz ging am 17. November zu Ende. Manches ist erreicht worden – maßgeblich durch den immensen und kreativen Druck der Zivilgesellschaft. Dazu gehören ein Gender-Aktions-Plan und eine Plattform zu den Rechten indigener Völker. Die zwei Beschlüsse machen bewusst, dass vor allem in einkommensarmen Ländern, Frauen und indigene Gruppen erheblich stärker von den Folgen des Klimawandels und dem Raubbau an Ressourcen betroffen sind als dominante Gruppen.  Positiv gewendet weisen sie darauf hin, dass geschlechtergerechte Politik dem Klimawandel Einhalt gebieten kann, und die indigenen Völker schon immer in Einklang mit den planetaren Grenzen gelebt und gewirtschaftet haben.

... und nach wie vor viel zu tun: Aber die Konferenz hat vieles - noch – nicht erreicht. Die derzeitigen Vorgaben zum Einhalt der Vereinbarungen von Paris (Nationally Determined Contributions) genügen bekanntlich nicht, um die C02-Emissionen, wie 2015 in Paris eigentlich vereinbart, einzuhegen, und die Vertragspartner haben ihre Zusagen nicht, wie für die COP23 geplant, nachgebessert.

Auch in der Finanzierungsfrage ging es nicht voran. Die horrenden Verwüstungen durch Klimakatastrophen intensiveren sich in den letzten Jahren. Betroffene Länder und Gruppen verlangen seit langem, dass Verluste und Schäden finanziell entschädigt werden. Die unendliche Trauer, Familienmitglieder z. B. in einem Hurrikan zu verlieren, oder das Trauma, seine Erwerbsgrundlage als Kleinbäuerin oder Fischer zerstört zu sehen, kann mit keinem Geld wiedergutgemacht werden. Aber die Produktionsmittel, die Wohnhäuser, die Straßen und Wege müssen wiederhergestellt werden, und dafür müssten die heute wohlhabenden  Länder als die historischen Verursacher des globalen Klimawandels aufkommen. Hierfür gab es keine Mehrheit bei EU- und anderen einkommensreichen OECD-Ländern. Geeinigt hat man sich lediglich auf eine vage Formel, genügend Finanzmittel mobilisieren zu wollen. Wir wissen, dass da vorerst  wenig zu erwarten ist, zumindest ist das die Lehre aus dem Bereich der  Nothilfe, wo die humanitären Appelle der Vereinten Nationen (consolidated appeals) bislang chronisch unterfinanziert blieben.

Im Nachgang der Konferenz ist auch angesagt, echte von falschen Freunden zu unterscheiden…

… der vollständige Kommentar findet sich >>> hier.

*) Gabiele Köhler ist Entwicklungsökonomin und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen. Ein Beitrag mit Impressionen von der COP23 erschien bei W&E >>> hier.

14. November 2017

Paradise Papers: Welche Konsequenzen?

Aktion gegen Steueroasen in London
Die Paradise Papers der vergangenen Woche zeigen nur die Spitze des Eisbergs internationaler Steuervermeidung. Hinweise auf das Ausmaß der Verbreitung dieser Strategie transnationaler Konzerne gab es in der Vergangenheit immer wieder, etwa durch die Entwicklungs- und Nothilfeorganisation Oxfam: So hatten US-Konzerne 2012 allein in Bermuda Gewinne von über 80 Mrd. US-Dollar gemeldet – mehr als in Japan, China, Deutschland und Frankreich zusammen (>>> hier). Eine Analyse von 200 weltweit führenden Unternehmen zeigte, dass neun von zehn mindestens eine Niederlassung in einer Steueroase haben (>>> hier). Auf den Britischen Jungferninseln stehen 830.000 registrierten Unternehmen gerade einmal 27.000 Einwohner gegenüber (>>> hier). 2015 haben europäische Banken Millionenprofite in Steueroasen angemeldet, in denen sie nicht einmal Personal beschäftigen. So will etwa die französische Bank BNP Paribas ohne einen Angestellten vor Ort 134 Mio. € auf den Kaimaninseln verdient haben (>>> hier).


Das schlechte Beispiel der Steueroasen macht Schule und befeuert den internationalen Steuerwettbewerb: Betrug der durchschnittliche Unternehmenssteuersatz in den G20-Ländern vor 25 Jahren noch 40%, so liegt er heute unter 30. „Es kann nicht angehen, dass internationale Konzerne und reiche Einzelpersonen sich Jahr für Jahr um ihren fairen Beitrag zum Gemeinwohl drücken“, kommentiert deshalb Oxfam-Steuerexperte Tobias Hauschild. Um Abhilfe zu schaffen, hat Oxfam jetzt eine Fünf-Punkte-Strategie gegen Steuervermeidung vorgelegt. Der Aktionsplan „Stopping the Scandals: Five ways Governments can end tax avoidance” zeigt auf, was Regierungen konkret tun müssen, um die Steuervermeidung von Konzernen und reichen Einzelpersonen zu beenden und benennt die politischen Hürden, die dabei zu überwinden sind:

1. Es braucht Schwarze Listen von Steueroasen, die anhand klarer Kriterien erstellt werden müssen; die darauf geführten Länder müssen mit scharfen Sanktionen belegt werden.
2. Konzerne müssen zur öffentlichen länderbezogenen Berichterstattung über Gewinne und darauf gezahlte Steuern verpflichtet werden.
3. Briefkastenfirmen, Treuhandunternehmen und Stiftungen müssen in einem zentralen, öffentlichen Register erfasst werden, sodass ihre Besitzer und Nutznießer zugeordnet werden können.
4. Steuerabkommen müssen auch mit Entwicklungsländern fair gestaltet werden.
5. Ein globales Steuergremium ist zu schaffen, in dem alle Länder auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Die internationalen Steuerregeln werden derzeit vor allem in der OECD gemacht, d.h. in einem exklusiven Club der Industrieländer. Entwicklungsländer und ihre Interessen bleiben damit außen vor.

29. Oktober 2017

Umstrittener UN-Vertrag zu Multinationalen Konzernen

Auf einer UN-Konferenz in der vergangenen Woche in Genf haben die Vertreter der Wirtschaft Fortschritte zu einem UN-Vertrag blockiert, der die internationalen Operationen Multinationaler Konzerne (MNK) verbindlichen Rechtsgrundsätzen unterwerden könnte. Das Treffen war vom UN-Büro für Menschenrechte organisiert worden, um die Details des vorgeschlagenen „internationalen Instruments zur Regulierung der Aktivitäten Transnationaler Konzerne und anderer Wirtschaftsunternehmen nach dem internationalen Menschenrechtsbestimmungen“ weiter auszuarbeiten.

Die Vertreter der Internationalen Handelskammer und der Internationalen Organisation der Arbeitnehmer lehnen letztlich sogar die bloße Idee eines rechtlich bindenden Instruments ab. Für den Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) hingegen wäre ein UN-Vertrag mit internationaler Durchsetzungskraft „ein großer Schritt vorwärts in dem Bemühen der Regierungen, die MNK rechtlicher Verantwortlung zu unterstellen“, so IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow. Sie verwies darauf, dass ein solcher Vertrag auf nationalen Beispielen wie dem Compact der Niederlande und dem Vigilance Law Frankreichs aufbauen und einen Beitrag zur Beseitigung des Missbrauchs und der Ausbeutung von Arbeitern leisten könnte.

Die Multimilliarden schwere Industrie mit ihrer freiwilligen „sozialen Unternehmensverantwortung“ ('corporate social responsibility') habe bislang für die Millionen und Abermillionen ArbeiterInnen in den globalen Lieferketten nichts gebracht. „Das globale Lieferkettenmodell ist durch ungesunde und unsichere Arbeit gekennzeichnet, und während die Multinationalen Konzerne von allen möglichen Formen des rechtlichen Schutzes profitieren, lehnen es zu viele von ihnen ab, sich selbst der rechtlichen Verantwortung zu unterstellen, vor allem für diejenigen, deren Arbeit die Profite schafft, die sie machen“, so Burrow.

Die Konferenzserie unter dem UN-Menschenrechtsorgan ist ein Versuch, die jahrzehntelange Debatte um die Kontrolle von MNK neu zu beleben, nachdem ähnliche Versuche wie ein UN-Verhaltenskodex seit Anfang der 1990er Jahre unter die Räder der neoliberalen Offensive geraten waren. Eine ausführliche Stellungnahme des IGB und des Internationalen Transportarbeiterbundes zu dem neuen Vertragsentwurf findet sich >>> hier.

19. Oktober 2017

Geistiges Eigentum contra oder pro Entwicklung?

Gastblog von Joseph E. Stiglitz, Dean Baker und Arjun Jayadev


Es gab während der vergangenen zwei Jahrzehnte erheblichen Widerstand aus den Entwicklungsländern gegen das derzeitige Regelwerk zum geistigen Eigentum. Dies ist primär auf Versuche der reichen Länder zurückzuführen, der Welt ein Einheitsmodell aufzuzwingen, indem sie den Rechtssetzungsprozess der Welthandelsorganisation (WTO) beeinflussten und anderen über Handelsabkommen ihren Willen aufzwangen.

Die von den hochentwickelten Ländern bevorzugten Normen in Bezug auf geistiges Eigentum sind in der Regel nicht darauf ausgelegt, Innovation und wissenschaftlichen Fortschritt im größtmöglichen Maße zu fördern, sondern sollen die Gewinne der großen Pharmakonzerne und anderer, die imstande sind, die Handelsverhandlungen zu beeinflussen, maximieren. Es überrascht daher nicht, dass große Entwicklungsländer mit starker industrieller Basis – wie Südafrika, Indien und Brasilien – den Gegenangriff anführen.

Diese Länder nehmen dabei vor allem die offensichtlichste Manifestierung der Ungerechtigkeit des aktuellen Systems ins Visier: die Zugriffsmöglichkeit auf lebenswichtige Medikamente. In Indien schuf 2005 eine Gesetzesnovelle einen einzigartigen Mechanismus, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, wieder für Fairness bei den Patentierungsrichtlinien zu sorgen und so den Zugriff auf Medikamente zu gewährleisten. Das Gesetz wurde in mehreren nationalen und internationalen Gerichtsverfahren als WTO-konform eingestuft. In Brasilien führten frühzeitige Maßnahmen der Regierung zur Behandlung von Menschen mit HIV/AIDS mehrfach zu erfolgreichen Verhandlungen, durch die die Preise beträchtlich gesenkt wurden.

Diese Länder haben jedes Recht, Widerstand gegen ein System zu leisten, das weder gerecht noch effizient ist. Wir haben in einem neuen Paper (s. Hinweis) die Argumente zur Rolle des geistigen Eigentums im Prozess der Entwicklung überprüft. Wir haben gezeigt, dass die theoretischen und empirischen Belege überwiegend darauf hindeuten, dass die wirtschaftlichen Institutionen und Gesetze zum Schutze von Wissen in den hochentwickelten Ländern zunehmend unzureichend sind, um die globale Wirtschaftsaktivität zu regeln, und dass sie schlecht geeignet sind, um die Bedürfnisse der Entwicklungsländer und Schwellenmärkte zu erfüllen. Tatsächlich sind sie der Erfüllung grundlegender menschlicher Bedürfnisse wie einer angemessenen Gesundheitsversorgung abträglich.

Das zentrale Problem ist, dass Wissen ein (globales) öffentliches Gut ist, und zwar sowohl in dem technischen Sinne, dass die Grenzkosten für jemanden, der es verwendet, null sind, und in dem allgemeineren Sinne, dass eine Ausweitung des Wissens das Wohl der Menschen weltweit steigert. Angesichts dieser Tatsache besteht die Befürchtung, dass der Markt nicht genug Wissen zur Verfügung stellt und dass keine ausreichenden Anreize zur Forschung gesetzt werden…

… der vollständige Kommentar findet sich >>> hier. Das zitierte Paper („Innovation, Intellectual Property, and Development. A Better Set of Approaches for the 21st Century”) steht >>> hier zum Download bereit.