29. März 2012

EZ: Bi- und multilaterales Geberchaos

Die durch eine Vielzahl von Gebern entstandene Fragmentierung der Entwicklungszusammenarbeit muss verringert werden. In dieser Forderung waren sich die in dieser Woche zu einer Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geladenen Experten weitgehend einig. Die Frage, ob dieses Ziel eher auf dem Wege der bilateralen oder der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit erreicht werden kann, konnte hingegen nicht klar beantwortet werden. Eine pauschale Bewertung sei nicht möglich, sagte Tobias Hauschild von der Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam Deutschland. Eine gut koordinierte bilaterale Entwicklungszusammenarbeit könne durchaus von Wert sein. Um die Wirksamkeit der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen, müsse sie „multilateralisiert“ werden, forderte er. Hauschild verwies auf die zunehmende Gebervielfalt, die zu immer höheren Transaktionskosten führe und die Partnerländer belaste. „Es herrscht die Tendenz, dass es immer mehr Geber mit immer weniger Geld gibt.“

Von einem „multilateralen Geberchaos“ sprach der OECD-Forschungsdirektor Helmut Reisen angesichts von 280 multilateralen Institutionen. Das führe zu „inneffizienten Dopplungen“, sagte er. Bei der Frage „bilateral oder multilateral“ müsse man abwägen zwischen dem Wunsch nach Kontrolle, Verantwortung und Sichtbarmachung auf der einen Seite und positiven Effekten bei der Präsens vor Ort auf der anderen Seite. Deutschland, so Reisens Forderung, müsse sich entscheiden, ob es mehr auf bilaterale Entwicklungszusammenarbeit setze oder stärker auf die multilateralen Prozesse einwirken wolle. Für Stephan Klingebiel, Leiter der Abteilung bi- und multilaterale Entwicklungspolitik beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), stellt sich nicht die Frage nach bilateral oder multilateral. „In der Realität haben wir es mit Sonder- und Mischformen zu tun“, sagte der Politologe. Die Frage, ob und welche Vorteile das eine oder das andere System hat, sollte vorrangig aus der Perspektive der Partnerseite bewertet werden, forderte Klingebiel. Wenn ein fragmentiertes System für die Partnerseite nachteilig sei, müsse viel grundsätzlicher über die Angebotsstruktur der Geberseite geredet werden.

Neben der Frage von Vorteilen der bilateralen und der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit wurde während der Anhörung auch über feste Quoten bei der Aufteilung von Geldern diskutiert. Die von Deutschland fixierte feste Quote für den Anteil der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit sei eine „selbst auferlegte Fessel“, sagte Thomas Fues, Leiter der Abteilung Ausbildung beim DIE. „Mit dieser Vorfestlegung wird das Pferd von hinten aufgezäumt“, sagte er. Wenn Deutschland seinen Einfluss in den internationalen Organisationen wahren und selbst Kooperationen zur Schaffung globaler Regelwerke mitgestalten wolle, müsse die Quote auf den Prüfstand, forderte der Ökonom. Auch Klaus Schilder von der Nichtregierungsorganisation Global Policy Forum Europe sprach sich gegen eine feste Quote aus. Durch sie bestehe die Gefahr, dass sinnvolle Maßnahmen aus Quotierungszwängen nicht oder nicht in ausreichendem Maße erfolgen könnten. Unter der durch die feste Quote bedingten Bevorzugung bilateraler Programme könne die politische Unterstützung Deutschlands für multilaterale Initiativen leiden, warnte er.

>>> Die Stellungnahmen zur Anhörung sind im Wortlaut hier verfügbar.

27. März 2012

Ein Aufruehrer als Chef der Weltbank?

In dem von ihm mit herausgegebenen Buch Dying for Growth hat der US-Kandidat für das Amt des Weltbank-Präsidenten, Jim Yong Kim schon im Jahr 2000 Dinge geschrieben, die noch vor kurzem für das ökonomische Establishment als Blasphemie galten. Er kritisierte den „Neoliberalismus“ und das konzerngesteuerte Wachstum („corarate-led growth“) und argumentierte, diese hätten den Armen in den Entwicklungsländern eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse gebracht. Jetzt geben sich viele Ökonomen, die vielleicht gerne einmal selbst für den Job vorgeschlagen werden würden, entrüstet.

Ausgerechnet der Weltbank-Dissident und jetzige Professor an der New York University, William Easterly, gab zum Beispiel folgendes zum Besten: „Dr. Kim wäre der erste Weltbank-Präsident, der ein Wachstumsgegner ist. Sogar die schärfsten Weltbank-Kritiker wie ich denken, dass ökonomisches Wachstum das ist, was wir wollen.“ Die Financial Times schreibt in ihrer heutigen Ausgabe, Kims Buch enthalte „mehrere aufrührerische Zeilen“. Zum Beispiel in der Einleitung, die Kim mit zwei weiteren Kollegen geschrieben hat, heiße es: „Die Studien in diesem Buch präsentieren Belege, dass das Streben nach BIP-Wachstum und Konzernprofiten in der Tat die Lebensverhältnisse von Millionen Männern und Frauen verschlechtert hat.“

Doch was ist daran „aufrührerisch“, fragt zum Beispiel James Galbraith, der Sohn des großen US-Ökonomen Kenneth Galbraith, unter Dutzenden von ähnlichen Reaktionen auf den Artikel. Es ist wirklich weder aufrührerisch noch sonst irgendwie misslich, wenn wir einen Weltbank-Präsidenten bekommen, der wachstums- und konzernkritisch ist. Die viel wichtigere Frage lautet: Hält er diesen Standpunkt durch an der Spitze einer Organisation, die es bis heute nicht vermocht hat, sich aus dem ökonomischen Mainstream zu lösen und dem Neoliberalismus auf immer adé zu sagen.

Dying for Growth: Global Inequality and the Health of the Poor

25. März 2012

Weltbank: Mit wem gelingt der Reformschub?

Mit seiner Nominierung von Jim Yong Kim für den Posten des neuen Weltbank-Präsidenten hat Obama gezeigt, dass er immer noch für eine Überraschung gut ist. Zugleich hat er damit übers Wochenende aber auch echte Kontroversen provoziert. Da sind natürlich diejenigen, die beklagen, dass Kim kein echter Ökonom ist und seine Nominierung deshalb eine Peinlichkeit für die USA. Doch wie Obama in seiner kurzen Vorstellung Kims treffend sagte, ist die Weltbank weit mehr als eine Bank, sondern „unser wirksamstes Instrument der Armutsbekämpfung weltweit“. Ich würde zwar sagen: Sie sollte ein solches Instrument sein. Aber im Kern ist es gut und nicht schlecht, für die Leitung dieser Agentur keinen Banker, Ökonomen oder Politcrony zu nominieren, sondern einen Gesundheitsfachmann, der weiß, welche Rolle das gesellschaftliche und ökonomische Umfeld für seine Aktivitäten spielt. So einer ist Jim Yong Kim.

Apropos Bank: Ich habe – mit Keynes – schon immer argumentiert, wir brauchen die Weltbank eigentlich nicht als Bank, sondern als Entwicklungsfonds (so wie wir den IWF nicht als Fonds, sondern als Bank, als Weltzentralbank, brauchen). Die Ökonomen reden jetzt davon, dass die Weltbank unter Kim zu einem altfränkischen Modell der Entwicklungshilfe zurückkehren könnte. Aber großzügige und kostenlose Gesundheits- und Bildungssysteme in aller Welt sind ebenso wenig ein altfränkisches Modell wie ehrgeizige und flächendeckende Programme zur Bekämpfung von HIV/AIDS, Tuberkulose und anderen Massenkrankheiten in der Dritten Welt oder angepasste Infrastrukturprogramme, die für eine gezielte und gleichberechtigte Integration in die Weltwirtschaft unverzichtbar sind.

Apropos Ökonomen: Keine Zunft hat in ihrer Mehrheit in den letzten Jahren so kläglich versagt wie diese. Auch das ist ein Grund dafür, die Leitung der immer noch wichtigsten internationalen Entwicklungsagentur einmal keinem Ökonomen, sondern einem entwicklungspolitischen Aktivisten anzuvertrauen. Dass dieser – wie alle Weltbank-Chefs bisher – aus den USA kommt, ist als Argument nur sehr bedingt stichhaltig. Auch ich weiß nicht (wie mein Freund Peter Bosshard), warum man nur deshalb für einen Bewerber sein sollte, weil dieser wie José Antonio Ocampo und Ngozi Okonjo-Iweala aus dem Süden kommt, ansonsten aber für den Status quo steht. Für Okonjo-Iwela, die derzeitige nigerianische Finanzministerin, trifft dies sicher zu, für Ocampo sicher nicht. Deshalb hat irgendwie auch Kevin Gallagher recht, der dessen Qualitäten als kreativer Entwicklungsökonom hervorhebt (>>> Kim or Ocampo: Who can reinvent the World Bank?). Diese Option ist freilich nicht sehr realitätsnah.

Natürlich ändert ein neuer Präsident noch nicht die Politik eines Supertankers wie der Weltbank. Doch mit Jim Yong Kim steht die Bank vor spannenden Zeiten.

>>> Der Titel eines von Kim mitherausgegebenen Buches lautet: Dying for Growth: Global Inequality and the Health of the Poor.

23. März 2012

Jim Yong - wer? Noch ein Reform-Kandidat

Die Überraschung war perfekt. Kurz vor Bewerbungsschluss nominierte Obama den Gesundheitsexperten Dr. Jim Yong Kim (s. Foto) zum nächsten Präsidenten der Weltbank. Dr. Wer, werden viele fragen. Doch so unbekannt Kim für viele ist – verglichen mit den bisherigen Weltbank-Chefs aus den USA, die alle entweder von der Wall Street kamen oder Insider des Washingtoner Politik-Establishments waren, ist die Nominierung Kims ein Sieg der Reform. Kim leitete mehrere Jahre lang die HIV/AIDS-Abteilung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf, eine UN-Organisation, die in Washington nicht gerade zu den beliebtesten gehört. Er gründete die NGO „Partners in Health“ und sammelte entwicklungspolitische Erfahrungen in zahlreichen Ländern – von Haiti und Peru über Ruanda und Malawi bis nach Russland und die USA.

Sicher – mit der Nominierung Kims (und der sehr wahrscheinlichen Wahl) haben die USA ihr Privileg, die Weltbank-Führung zu bestimmen noch nicht aufgegeben. Aber mit Kim haben sie jetzt das Tor weit aufgestoßen für einen überfälligen Reformprozess in der Bank, der diese Institution endlich zu einem Instrument machen könnte, das die Armutsbekämpfung nicht nur im Munde führt, sondern vor Ort in die Tat umsetzt. Verschiedene Faktoren haben dazu beigetragen.

Nicht unterschätzt werden darf, dass sich die Schwellenländer doch noch zur Nominierung zweier glaubwürdiger Kandidaten durchringen konnten: der nigerianischen Finanzministerin Ngozi Okongo-Iwela (durch Südafrika, Nigeria und Angola) und des früheren kolumbianischen Finanzministers und UN-Untergeneralsekretärs José Antonio Ocampo (durch Brasilien, auch wenn ihm zuletzt aufgrund taktischer Überlegungen seines Herkunftslandes der lateinamerikanische Rückhalt fehlte).

Von Bedeutung war auch die „Eigenkandidatur“ von Jeffrey Sachs (>>> Jeffrey Sachs als Weltbank-Präsident?). Er trat mit einer Reformagenda an wie kein anderer Kandidat aus den USA vorher. Immerhin wurde seine Kandidatur zuletzt von 13 Ländern aus dem Süden unterstützt (Bhutan, Malaysia, Kenia, Jordanien, Namibia, Osttimor, Uganda, Costa Rica, Honduras, Guatemala, Ghana, Chile, Haiti). Dass jetzt aller Voraussicht nach ein anderer „Reform-Kandidat“ das Rennen macht, kann Sachs leicht verschmerzen: Kim sei ein „ausgezeichneter Kandidat“, sagte er kurz nach Bekanntwerden der Nominierung.

Obama nominiert Jim Yong Kim

15. März 2012

Wer wird neuer Chef der Weltbank?

Eigenartig ruhig geworden ist es um die Frage, wer Nachfolger des ausscheidenden Robert Zoellick an der Spitze der Weltbank wird. Nach dessen Ankündigung, für keine zweite Amtsperiode zur Verfügung zu stehen, hat die US-Administration schnell klar gemacht, dass sie den Posten erneut mit einem Amerikaner zu besetzen gedenkt, transparentes und qualifikationsbestimmtes Auswahlverfahren hin oder her. Finanzminister Timothy Geitner kündigte an, in den nächsten Wochen einen geeigneten Kandidaten benennen zu wollen. Das Washingtoner Festhalten an dem archaischen Brauch, das Auswahlmonopol über die Weltbank-Führung auszuüben, war so abschreckend, dass es bis heute kein einziger Kandidat aus dem Süden gewagt hat, seinen Hut in den Ring zu werfen. Und dies, obwohl auch diesmal mehrere Schwellenländer wie bei der Suche nach einem Kandidaten für den IWF-Chefposten im letzten Sommer mehr Mitsprache angemahnt haben.

Nur eine kleine Gruppe von bis dato sieben Entwicklungsländern, darunter Malaysia und Kenia, hat sich entschlossen, die Herausforderung anzunehmen und einen eigenen Kandidaten zu nominieren. Ironischerweise handelt es sich dabei aber nicht um einen der Ihren, sondern wieder um einen Amerikaner, jedoch um einen, der sich vom Saulus zum Paulus gewandelt hat: Jeffrey D. Sachs, der Anfang der 1990er Jahre am brachialen Umbau vom Kommunismus zum Kapitalismus in Osteuropa beteiligt war, aber heute als Chef des Earth Institute und Berater des UN-Generalsekretärs einer der entschiedensten Verfechter der Millennium-Entwicklungsziele ist und für die Konzentration einer kräftig aufgestockten Entwicklungshilfe auf ländliche und soziale Sektoren eintritt. Von Sachs stammt mit die bissigste Kritik an so manchen Praktiken, die die Weltbank im Zeichen der Strukturanpassungspolitik einführte – etwa am Unsinn, von den Ärmsten Nutzungsgebühren für soziale Grunddienste und Grundbildung zu fordern (>>> Jeffrey Sachs als Weltbank-Präsident? Ein Reformkandidat).

Dennoch stehen die Zeichen schlecht für Jeffrey Sachs‘ Kandidatur. Denn die Obama-Administration scheint fest entschlossen, eine Person ihres Vertrauens an die Spitze der Bank zu hieven. Neben Hillary Clinton (die bereits abgewunken hat) werden Susan Rice (die US-Botschafterin bei der UNO), Lael Brainard (ein Top-Beamter des US-Finanzministerium), Indra Nooyi (Pepsi Cola) und Laura Tyson (ehemalige Beraterin von Präsident Clinton) gehandelt. Als aussichtsreichster Kandidat gilt freilich Larry Summers, der bereits Top-Berater von Obama, Finanzminister und auch Chefökonom der Weltbank war und sein Interesse an dem Job angemeldet hat. Der Kandidat hat allerdings gravierende Schönheitsfehler: Er gilt als notorischer Zyniker und rückte nur zögerlich vom neoliberalen Mainstream der letzten drei Jahrzehnte ab. Bis heute hängt ihm ein Anfang der 90er Jahre verfasstes Memorandum an, in dem er die Entwicklungsländer als „unterverschmutzt“ bezeichnete. Und als Präsident der Harvard University gab er zum Besten, dass Frauen in den Natur- und Ingenieurwissenschaften fehl am Platze, weil auf diesen Gebieten minderbemittelt, seien.

7. März 2012

G8 verkriechen sich

Schon der Tagungsort für das G20-Gipfeltreffen am 18./19. Juni – Los Cabos im Süden der Halbinsel Baja California – ist so gewählt, dass sich kaum ein Demonstrant dorthin verirren dürfte. Jetzt hat US-Präsident Barak Obama auch das Gipfeltreffen der führenden Industrieländer und Russlands (G8) von Chicago nach Camp David verlegt – das traditionelle Refugium der US-Präsidenten in den Bergen nördlich von Washington.

Die Verlegung des Tagungsorts mag mit der Absicht begründet werden, den alten Charakter der ungestörten Kamingespräche zwischen den selbsternannten Weltenlenkern wieder herzustellen. Doch erstaunlich ist es schon, dass Obama ausgerechnet im Wahljahr auf die Austragung eines glamourösen Gipfels in seiner politischen Heimatstadt verzichtet. Der ausschlaggebende Faktor dürfte ein anderer sein: Nachdem die Aktivisten der Occupy-Bewegung in nahezu allen US-Städten von der Polizei abgeräumt wurden, hatten sie verkündet, am 18./19. Mai, wenn der Gipfel stattfindet, zu Tausenden nach Chicago kommen zu wollen, um gegen die wachsende Jugendarbeitslosigkeit in Europa und den USA zu demonstrieren.

Weder das Thema Arbeitslosigkeit noch eine Polizeieskalation à la Seattle, die möglicherweise zu erwarten gewesen wäre, ist etwas, das der US-Präsident derzeit gebrauchen kann. Und so verzieht er sich mitsamt der ganzen G8-Truppe in das traditionell gut bewachte und abseits gelegene Camp David. Oder sollte man sagen: Die G8 verkriechen sich vor dem Volk? Dass sie dabei dem mexikanischen Arrangement für G20 folgen, macht die Sache nicht besser.