31. Januar 2010

Kehraus in Davos: Was bleibt?

So, was bleibt nach diesem 40. Weltwirtschaftsforum, das heute zu Ende geht? War es bereits das „Ende von Davos“, wie Felix Lee in der taz forsch titelte? Sind die Tage des „Davos Man“ gezählt, wie James Vreeland im Blog der Brookings Institution schrieb. Beide Urteile sind verfrüht und die Argumente, auf die sie sich stützen, verfehlt. Ein amtierender US-Präsident ist lange nicht mehr in Davos gewesen, und so kann auch die Abwesenheit Obamas nicht als Beleg für den Abstieg des WEF gelten, wie Lee meint. Zumal Obama mit seinem jüngsten Vorstoß zur Bankenregulierung wie kaum ein anderer die Agenda von Davos bestimmt hat. Und auch dass das WEF mit seinem Aufruf zur Erneuerung der globalen Institutionen den neuen, regionalen Entwicklungen nicht gerecht wird (wie Vreeland meint), trifft die Sache nicht: Längst hat sich Davos zusätzliche regionale Foren zugelegt.

Was also bleibt? Umdenken? Umgestalten? Erneuern? Diesem Motto wurde wohl allenfalls der französische Präsident Sarkozy in seiner Eröffnungsansprache (s. Video im vorhergehenden Eintrag) gerecht. Doch hinter den Kulissen ging es im knallharten Lobbying der Banker vor allem darum, möglichst wenig Umgestaltung und Erneuerung im internationalen Finanzsystem zuzulassen. Um neue Trends aufzuspüren, wie die Herrschaften die sich stellenden Herausforderungen be- und verarbeiten, ist das Forum aber noch allemal gut.

Beispiel 1: Wenn sich Veränderungen schon nicht ganz verhindern lassen, dann aber maßvoll bitte! Und so äußerten sich einige prominente Bankenführer, darunter sogar Josef Ackermann (Deutsche Bank) und Bob Diamond (Barclays), am Ende doch positiv zu einer globalen Abgabe der Banken, mit der ein Rettungs- und Versicherungsfonds für künftige Finanzkrisen gespeist werden soll. Im Hintergrund die Überlegung: Solch eine einheitliche Regelung ist allemal besser als ein Flickenteppich unterschiedlicher nationaler Boni-Steuern und Sonderabgaben.

Beispiel 2: Dieses Kalkül gilt auch allgemein in Bezug auf die Re-Regulierung des Finanzsystems insgesamt. Statt einer nationalen Fragmentierung der globalen Regulierungsarchitektur pochte das bankeneigene Institute for International Finance auf kooperative und gemeinschaftliche Lösungen. Da ist was dran, das Argument hat aber auch seiner Kehrseite: Gemeinschaftliche, internationale Lösungen brauchen Zeit, und je mehr davon verstreicht, desto größer werden die Chancen, zum Business-as-usual zurückzukehren.

Beispiel 3: Wenn von globalen Abgaben die Rede ist, müssen wir künftig genau hinsehen, was gemeint ist. Um den Finanzsektor an den Kosten der Krisenbekämpfung zu beteiligen, untersucht der IWF derzeit eine Reihe von Optionen, darunter die globale Finanztransaktionssteuer und ein globales Versicherungsmodell. Wie es aussieht, bevorzugen die Finanzleute letzteres. Aber das ist nicht das Problem. Es ist schon unerhört, wie der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, (ohne die für April angekündigte Studie seines Hauses abzuwarten) in Davos eine Vorentscheidung zugunsten der weicheren Variante verkündete und der Finanztransaktionssteuer eine Absage erteilte. Gegen den Vorschlag Sarkozys, „exorbitante Profite des Finanzsektors zur Bekämpfung der Armut zu besteuern“, stellte der IWF-Chef klar, der kommende Bericht des Fonds werde solche Empfehlungen nicht aussprechen. Also nochmal: Bravo für Sarko, diesmal aber auch: Pfiffe für DSK!

29. Januar 2010

Davos: Angst vor Währungsturbulenzen

Heute Morgen meinte ein BBC-Korrespondent, die Sarkozy-Rede (>>> Bravo, Sarko!) sei nur der Versuch, sich nach dem Vorstoß von Präsident Obama in der letzten Woche wieder als oberster Reformer der Weltwirtschaft zu positionieren. Na und? Es ist doch großartig, wenn die Herrschaften einmal um die besten Reformvorschläge konkurrieren, anstatt den Wettlauf in den Abgrund zu organisieren! Sarkozy hatte in seiner Eröffnungsrede auch die letzten Äußerungen Gordon Browns zu Managerboni und Finanztransaktionssteuer unterstützt. Den Chefkommentator der Financial Times (FT), Martin Wolf, veranlasste das zu der Feststellung: Wenn die französische und die britische Regierung in solchen Fragen einmal übereinstimmen, wissen wir, dass wir in einer neuen Zeit angekommen sind.


Die FT-Kolumnistin Gillian Tett attestierte dem französischen Präsidenten mit seiner Forderung nach einem neuen Weltwährungssystem sogar einen besonderen Instinkt für die kommenden Themen. In 2010/2011 werde es nicht mehr so sehr um Bonuszahlungen gehen, als vielmehr um die Volatilität der Währungen. Zur Unterstützung zitierte sie den Stellvertretenden Gouverneur der chinesischen Zentralbank, Zhu Min: „Für mich ist das größte Risiko in diesem Jahr der Carry Trade mit dem Dollar. Schätzungen zufolge beläuft sich dieser Handel inzwischen auf massive 1.500 Mrd. Dollar – viel mehr als der Carry Trade mit dem Yen (im letzten Jahrzehnt).“

In der Tat könnte das enorme Wachstum des Carry Trade auf die nächste Blase hindeuten, deren Platzen erhebliche Währungsturbulenzen auslösen dürfte. Bei der aktuellen Carry-Trade-Welle borgen sich die Anleger massenweise US-Dollars zu niedrigen Zinsen, um sie andernorts, meist in Schwellenländern wie Brasilien, mit höherer Rendite anzulegen. Die Differenz zwischen den unterschiedlichen Renditen ist ein fast todsicherer Spekulationsgewinn. Kritisch wird es allerdings dann, wenn sich die Verhältnisse ändern, z.B. wenn der Dollar-Kurs wieder steigt (was er seit ein paar Wochen bereits tut) oder wenn die amerikanische Notenbank von ihrem Niedrigzinskurs abgeht. Dann setzt der große Run zurück in den Dollar ein. – 2011 würde dann ziemlich sicher zum Jahr der Währungsvolatilität.

28. Januar 2010

Finanztransaktionssteuer im Bundestag

Mit weitgehend gleichlautenden, aber separat eingebrachten Bundestagsanträgen versuchen Ende dieser Woche die SPD und die LINKE, den Druck auf die Bundesregierung zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTS) zu erhöhen. Die Bundesregierung solle alles in ihrer Macht stehende tun, um auf eine möglichst zügige internationale Einführung einer Finanztransaktionssteuer hinzuwirken. Im Vorfeld des nächsten G20-Gipfels im Juni 2010 müssten innerhalb der EU abgestimmte Vorschläge vorgelegt werden, fordert die SPD-Fraktion (Antrag 17/527).

Die Linksfraktion fordert in ihrem Antrag (17/518), die FTS auf alle börslichen und außerbörslichen Wertpapierumsätze, Derivate- und Devisenumsätze zu erheben. Der Steuersatz soll mindestens 0,05% betragen. Parallel dazu soll die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen, der die Einführung einer nationalen Finanztransaktionssteuer regelt. Die Einnahmen aus der FTS sollen zu gleichen Teilen für den sozial-ökologischen Umbau der Industriegesellschaft und den internationalen Umwelt- und Klimaschutz sowie für die Finanzierung von Entwicklung verwendet werden. Mit ihrer Lenkungswirkung könne eine Finanztransaktionssteuer einer Aufblähung und Verselbstständigung der Finanzmärkte wirksam entgegensteuern. Die Profitabilität kurzfristiger und häufig spekulativer Finanzgeschäfte werde gemindert, viele Geschäfte würden unprofitabel und daher gar nicht mehr stattfinden. Es werde danach geringere Schwankungen bei Wechselkursen, Rohstoffpreisen und Wertpapierkursen geben. Die Steuer sei damit ein wichtiger Baustein einer Re-Regulierung der Weltwirtschaft. Angesichts des zunächst sehr niedrigen Steuersatzes von 0,01% auf nationaler Ebene seien Standortverlagerungen von Finanzmarktakteuren nicht zu erwarten. Es könne Einnahmen von 10-13 Mrd. Euro gerechnet werden, schreibt die Linksfraktion unter Berufung auf Berechnungen des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (>>> W&E-Hintergrund Dezember 2009).

Die SPD-Fraktion warnt in ihrer Antragsbegründung vor einem Vertrauensverlust in die Politik, „wenn sie es nicht schafft, auch die Verursacher der Krise mit in die Haftung zu nehmen“. 2006 sei auf den internationalen Finanzmärkten das 70-fache des weltweiten nominellen Bruttoinlandsprodukts umgesetzt worden. Damit habe sich der Wert im Vergleich mit dem Jahr 1990 mehr als vervierfacht. „Beinahe das gesamte Wachstum des Transaktionsvolumens geht auf die Expansion des Derivatehandels zurück, bei dem Wetten auf Preise der Zukunft abgeschlossen werden“, schreibt die Fraktion. Solche Transaktionen müssten ihren Teil zu den staatlichen Einnahmen beitragen. Zugleich sei eine Finanztransaktionssteuer ein Beitrag zur Eindämmung der Spekulation.

Steuern auf Finanztransaktionen werden bereits in einer Reihe von Staaten erhoben. Die SPD-Fraktion zählt u.a. die Schweiz, Großbritannien, Belgien, Griechenland, Irland, Polen und Indien auf. In Großbritannien lag das Steueraufkommen der Stempelsteuer (”stamp duty“) zwischen 2000 und 2007 bei 3,7 Mrd. Euro jährlich. Die Steuer beträgt 0,5-1,5% des Transaktionswerts.

Die SPD-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, sich für die Einführung einer EU-weiten Finanztransaktionssteuer einzusetzen, falls im Rahmen der G20 keine Einigung erzielt werden könne. Sollte sich auch innerhalb der EU keine Einigung erzielen lassen, fordert die Fraktion einen Gesetzentwurf, der „die Einführung einer nationalen Börsenumsatzsteuer in Deutschland zum Ziel hat und sich bei der Bemessungsgrundlage und der Höhe der Steuer am britischen Vorbild der ‚stamp duty‘ orientiert“.

Revisionisten in Berlin: Kehrtwende bei Exportbürgschaften

Gestern Abend hat der Haushaltsausschuss des Bundestages eine geplante Bürgschaft für das brasilianische Atomkraftwerk Angra 3 genehmigt. Damit wird eine zentrale Reform der deutschen Exportförderung aus der Zeit der rot-grünen Koalition zurückgenommen. Bürgschaften für Atomkraftwerke in Entwicklungs- und Schwellenländern werden wieder möglich. Damit zeige die Bundesregierung ihr wahres atomfreundliches Gesicht, urteilt die Nichtregierungsorganisation „urgewald“. Die Empörung ist berechtigt. Denn in Angra soll eine veraltete Technologie aus den 1980er Jahren an einem erdbebengefährdeten Standort in einem Land mit niedrigen Sicherheitsstandards und ohne unabhängige Atomaufsicht zum Einsatz kommen. Zudem gibt es für die Lagerung des Atommülls keinerlei angemessene Lösung.

Profitieren werden von den schwarz-gelben Revisionisten vor allem Großkunden wie Siemens, die wieder auf Bürgschaften für Großprojekte aller Art in Schwellen- und Entwicklungsländern hoffen dürfen. Areva NP (34% Siemens) hat kurz nach der Bundestagswahl einen Bürgschaftsantrag für Exporte zum Bau des brasilianischen Atomkraftwerks Angra 3 gestellt, den die Bundesregierung zum Anlass genommen hat, um das seit 2001 existierende Ausschlusskriterium für Atomexportbürgschaften abzuschaffen. Hermesbürgschaften werden Unternehmen gewährt, um diese in sog. schwierigen Märkten, besonders Entwicklungs- und Schwellenländern, gegen die Zahlungsunfähigkeit lokaler Besteller abzusichern.

Die Bundesregierung soll den Bürgschaftsantrag von Siemens/Areva für den Bau des Atomkraftwerks Angra 3 in Brasilien ablehnen, fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einem Antrag (17/540), der heute im Bundestag auf der Tagesordnung steht. Die Exportförderung von Atomtechnologie müsse grundsätzlich ausgeschlossen bleiben, wie es 2001 beschlossen worden war. Seitdem wurden bei der Prüfung von Anträgen neben den OECD-Leitlinien zur Umwelt auch die nationalen Hermes-Leitlinien angewendet, die eine Förderung von Atomexporten ausschließen. Die Mitte-Rechts-Koalition aus CDU/CSU und FDP will dies ändern und nur noch die OECD-Leitlinien anwenden, die kein Verbot der Exportförderung von Atomanlagen enthalten – ein weiteres Beispiel dafür, wie rasant Schwarz-Gelb in der Dritte-Welt-Politik neue Tatsachen schafft bzw. ganz alte Verhältnisse wieder herstellt.

Bravo, Sarko!

Normalerweise werden in diesem Blog konservative Staatsmänner nicht gelobt. Diesmal ist es anders. Der französische Präsident, Nicolas Sarkozy, hat in Davos eine starke Rede gehalten. Er forderte ein neues Weltwährungssystem, sprach von der Notwendigkeit eines „neuen Bretton Woods“ und der Besteuerung von exzessiven Profiten, Spekulationsgewinnen und Finanztransaktionen. Er verlangte, das System der Global Governance so zu reformieren, dass Arbeitsrecht, Umweltrecht und Gesundheitsrechte mit dem Handelsrecht auf eine Stufe gestellt werden. Und er unterstützte die jüngsten Regulierungspläne von US-Präsident Obama gegenüber dem Finanzsektor.

Das waren klare Worte, die den versammelten Bankern und Industriekapitänen schrill in den Ohren geklungen haben müssen. Das Kuriose aber ist, dass der Eröffnungsredner des diesjährigen Weltwirtschaftsforum im Kontext der Gesamtversammlung eher wie ein einsamer Rufer in der Wüste wirkt. Das sagt etwas aus darüber, wie wenig die „Davos People“ wirklich auf der Höhe der Zeit sind. In Davos überwiegen die Bedenkenträger, die aus durchsichtigen Gründung schon wieder vor einer „Überregulierung“ des Finanzsektors warnen, etwa das bankeneigene International Institute for Finance (IFF), das zum Auftakt des WEF die Befürchtung äußerte, ein Zuviel an Regulierung könnte das zarten Pflänzchen der wieder anspringenden Konjunktur abwürgen. Deutsche-Bank-Chef Ackermann wird nicht müde zu unterstreichen, dass die anstehenden Finanzmarktreformen „ausgewogen“ sein müssten und die „besten Talente“ im Bankensektor nicht durch höhere Steuern angeschreckt werden dürften.

Dennoch sind Stimmen wie die Sarkozys keine Marginalien, sondern können – wie schon die jüngsten Vorschläge Obamas – neuen Schwung in die Debatte um die Reform des globalen Finanzsystems bringen. Auf den kommenden Gipfelkonferenzen werden wir noch von ihm hören. Sarkozys Rede sei deshalb wärmstens zur Lektüre empfohlen. Hier ist sie in Englisch, hier in Französisch. Und hier sind einige Highlights daraus in Deutsch:

„… Finanzen, freier Handel und Wettbewerb sind nur Mittel, keine Ziele. Von dem Moment an, in dem wir die Idee akzeptierten, dass der Markt immer Recht hat und dass keine ihm entgegen wirkenden Faktoren berücksichtigt werden müssen, geriet die Globalisierung außer Kontrolle…

Wir werden Hunger, Armut und Elend in der Welt niemals ein Ende setzen, wenn wir nicht erfolgreich die Rohstoffpreise stabilisieren, die derzeit völlig erratisch sind. Das ist nicht nur etwas für Experten. Das geht uns alle an.

Wir werden die Zukunft unseres Planeten nicht retten, wenn wir nicht den wahren Preis der Knappheit bezahlen. Das ist nicht nur etwas für Experten. Das geht uns alle an…

Wir müssen ein regelloses System beenden, das alle nach unten zieht, und es durch ein System ersetzen, das es allen besser gehen lässt…

Wie können wir akzeptieren, dass rund 50 Mitgliedsländer der ILO die acht Konventionen noch nicht ratifiziert haben, in denen die grundlegenden Arbeitsrechte definiert werden? …

Es wäre ein entscheidender Fortschritt, wenn wir das Umweltrecht, das Arbeitsrecht und das Gesundheitsrecht auf eine Stufe mit dem Handelsrecht stellen würden…

Die Frage der innovativen Finanzierung ist von zentraler Bedeutung. Wir dürfen der Debatte um die Besteuerung der Spekulation nicht ausweichen. Ob es um die Einschränkung der Unbotmäßigkeit der Finanzmärkte geht oder darum, die armen Länder für den Kampf gegen den Klimawandel zu gewinnen – alles läuft auf die Besteuerung der Finanztransaktionen hinaus…

Heute brauchen wir ein neues Bretton Woods. Wir können nicht auf der einen Seite eine multipolare Welt haben wollen und auf der anderen Seite bei einer einzigen Leitwährung für die ganze Welt bleiben. Wir können nicht auf der einen Seite Freihandel predigen und auf der anderen Seite Währungsdumping akzeptieren. Frankreich, das 2011 sowohl den G8- als auch den G20-Vorsitz inne haben wird, wird die Reform des internationalen Währungssystems auf die Agenda setzen…“

27. Januar 2010

Willkommen zurück in der Wachstumswelt

Rechtzeitig zum Weltwirtschaftsforum in Davos warten der IWF und die ILO mit einer frohen und einer traurigen Wachstumsbotschaft auf. Der IWF hat in seinem Globalen Outlook die Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft im Jahre 2010 auf fast 4% nach oben korrigiert und rechnet für 2011 gar mit 4,3%. Mit seiner Vorhersage von 3,9% für 2010 (auf der Basis von Kaufkraftparität – PPP) liegt der IWF fast einen Prozentpunkt höher als im letzten Oktober, weit über der Prognose der Vereinten Nationen, aber auch der Weltbank (>>> Wirtschaftsprognose 2010). Damit ist er zwar Weltmeister in Optimismus – in den anderen Aussagen zur gegenwärtigen Konjunktur (ungleiche Entwicklung in den Emerging Economies und der dahin dümpelnden alten Welt, Bedeutung der staatlichen Konjunkturprogramme für den Aufschwung) unterscheidet er sich aber nicht.

Wachstum verzeichnet auch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in ihren neuen Global Employment Trends. Allerdings wird hier das Wachstum der Arbeitslosigkeit im Gefolge der Wirtschafts- und Finanzkrise dokumentiert. Diese erreichte im Jahr 2009 weltweit fast 212 Millionen und stieg damit gegenüber 2007, dem Jahr des Ausbruchs der globalen Krise um 34 Millionen. Da die Arbeitslosigkeit auch 2010 weiter steigen soll, ist bereits wieder von einer "Jobless recovery", einer Erholung ohne Arbeitsülätze, die Rede. Die ILO fordert daher von der in Davos versammelten „Elite“, künftig genauso viel Kraft, Anstrengungen und finanzielle Ressourcen wie für die Rettung der Banken für den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zu verwenden. Doch dies scheint kaum mehr als ein frommer Wunsch.

Es ist deshalb nur begrüßenswert, wenn die in Davos anwesenden 14 internationalen Gewerkschaftsführer in einer zum Auftakt verteilten Erklärung eine Kehrtwende in der internationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik verlangen. Als Orientierungsrahmen dafür haben die Gewerkschafter das offizielle Konferenzmotto einfach umgedreht. Über ihrer Erklärung steht: „Regulate, redistribute, and return to social values and decency” (etwa: Regulieren, umvereilen und zu sozialen Werten und Anstand zurückkehren). Damit lässt sich mehr anfangen als mit dem nichtssagenden „Umdenken, umgestalten und erneuern“, das sich die Veranstalter gegeben haben (s. vorheriger Eintrag).

26. Januar 2010

40. World Economic Forum: Lobbyismus im Schnee

Das 40. Weltwirtschaftsforum, das morgen in Davos beginnt, steht in diesem Jahr unter dem Motto „Improve the State of the World: Rethink, Reshape, Rebuild“ („Verbessert den Zustand der Welt: Umdenken, umgestalten, erneuern“). Doch im Wesentlichen geht es diesmal wieder nicht um Weltbesserung. Die wohlklingende Rhetorik ist lediglich der rosarote Vorhang, hinter dem vor allem eines stattfindet: ein intensives Lobbying der Vertreter der globalen Finanzindustrie, das nur eines zum Ziel hat: die derzeitigen Versuche, neue Regulierungen in die Finanzmärkte einzuziehen und die Macht und Gefährlichkeit der Finanzmarktakteure selbst zu beschränken, möglichst klein zu kochen.

In Europa ist man schon fleißig dabei, die Entwürfe der Kommission zu Hedge- und Privat Equity-Fonds bis zur Unkenntlichkeit zu verwässern. Die neue Herausforderung in diesem Jahr ist der Volcker-Obama-Plan von letzter Woche, der den hoch spekulativen Eigenhandel der Banken beschränken, ihnen die Beteiligung an Hedge- und Private Equity-Fonds untersagen und ihre Größe auf ein vernünftiges Maß zurückstutzen will. Seit dieser neue „Glass-Steagall-Geist“ aus der Flasche ist, laufen die Lobbyisten des Finanzkapitals Sturm. Ihre Argumente (etwa dass das alles nicht zu einer Stabilisierung des Finanzsystems beitragen würde) können freilich nicht darüber hinweg täuschen, dass sie vor allem eines bewegt: die Angst davor, dass die Profite von Banken und Finanzunternehmen künftig etwas kleiner ausfallen könnten.

Die Financial Times hat schon einmal berechnet, wie groß die Gewinnabstriche aus dem Volcker-Obama-Plan werden könnten: Für Goldman Sachs geht es um 4,7 Mrd. Dollar pro Jahr, für Credit Suisse um 2,3, für Morgan Stanley um 2,1, für die Deutsche Bank ebenfalls um 2,1 und für UBS um 1,9 Mrd. Dollar. Peanuts? Jedenfalls passt es gut, dass der Vorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, in diesem Jahr höchstpersönlich im Vorstand des Weltwirtschaftsforums sitzt. In einem Video, das auf der Website des WEF zu finden ist, hat er jetzt nochmal die „Notwendigkeit einer effektiveren globalen Kooperation“ beschworen. Zu wessen Nutzen wohl? Wer genau hin hört, wird feststellen, dass es ihm vor allem um eines geht: so schnell wie möglich zum Business-as-usual zurückzukehren.

24. Januar 2010

Gerald Epstein über den Obama-Volcker-Plan


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Wirtschaftsprognose 2010: Weltbank folgt UNO

Erstaunlich einig ist sich der jetzt erschienene Weltbank-Bericht Global Economic Prospects 2010 (GEP) mit dem kurz zuvor publizierten Bericht der UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (>>> World Economic Situation and Prospects 2010 – WESP). In die gleiche Richtung gehen sowohl die Wachstumsprognosen als auch die Diagose der weltwirtschaftlichen Lage und die Politikempfehlungen. Der WESP, den ich meinem eigenen Ausblick auf die Weltwirtschaft im Jahr 2010 zugrunde gelegt habe (>>> W&E 01/Januar 2010 – s. Abb.), schätzt das durchschnittliche globale Wachstum 2009 auf -2,9% und rechnet für 2010 mit durchschnittlich 2,4%. Der GEP erwartet für 2009 -2,2% und 2,7% für 2010. Es lässt sich also allenfalls sagen, dass die Weltbank-Ökonomen bei dem für letztes Jahr erwarteten Rückgang etwas weniger pessimistisch und für dieses Jahr etwas optimistischer sind als die UN-Ökonomen.

Interessant ist, dass die UN-Prognose in einer Vorabveröffentlichung des Ausblicks schon Anfang Dezember letzten Jahres vorgelegen hat, während mit dem GEP erst jetzt die erste Weltbank-Prognose für 2010 erschienen ist. Vielleicht erklärt dies etwas, vielleicht auch nichts. Unisono warnen beide Berichte jedenfalls vor einer vorzeitigen Rücknahme der Konjunkturpakete und vor der Möglichkeit einer erneuten Rezession („double-dip recession“) in diesem Fall. Wesentlich weiter geht allerdings der UN-Bericht bei den Vorschlägen zur Rückführung der globalen Ungleichgewichte. Hier unterstreicht der WESP vor allem die Notwendigkeit, die Nachfrage innerhalb der betroffenen Länder neu auszubalancieren. Und natürlich betont der UN-Bericht die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Reform der Global Governance und der Bretton-Woods-Institutionen, worüber sich der Weltbank-Report ausschweigt.

Einig ist man sich dann wieder in der Beurteilung der regionalen Entwicklung. Alles in allem hat der Süden nach der Finanzkrise mit höheren Kreditkosten und reduzierten internationalen Kapitalzuflüssen zu tun, wobei es aber große regionale Unterschiede gibt. Eindeutig führt Südostasien den weltweiten Wiederaufschwung an, während auch in Lateinamerika die Erholung wegen verbesserter „Fundamentaldaten“ erstaunlich robust ist. Sorgen bereiten dagegen die Risikoentwicklung in Osteuropa und die länger anhaltenden Auswirkungen der Finanzkrise auf Subsahara-Afrika. Bemerkenswert: Insgesamt verblassen die unmittelbaren Erholungstrends der Industrieländer gegenüber dem kräftigen „Rebound“ im Süden des Globus.

22. Januar 2010

21. Januar 2010

Finanzmarktreform: Vom Guten, das so schwer zu machen ist

Die Briten und die Franzosen haben die Bonus-Tax. Die Amerikaner haben Barack Obama, der „unser Geld zurück“ will und sich anschickt, den Banken eine Sonderabgabe aufzuerlegen und ihre Größe auf ein vernünftiges Maß zu beschränken. Und die Deutschen? Die haben eine Regierung, deren größerer Teil (einschließlich von Seehofers CSU) sich in letzter Zeit tapfer zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer bekennt – in der fröhlichen Gewissheit, dass ihr „Wunschkoalitionspartner“ von der FDP schon dafür sorgt, dass aus all dem nichts werden wird.

Tatsächlich hat sich inzwischen auch die CDU in ihrer „Berliner Erklärung“ vom 15.1.2010 zur Finanztransaktionssteuer (FTS) bekannt. Damit sind jetzt außer den (Neo-)Liberalen alle im Bundestag vertretenen Parteien mit im Boot. Doch die Supermehrheit bleibt theoretisch und kommt nicht zum Zuge. Wie Attac und die Kampagne „Steuer gegen Armut“ (>>> Offener Brief) dieser Tage forderten, wäre ein verbindlicher Beschluss des Bundestages zur Einführung der FTS erforderlich, notfalls als erster Schritt innerhalb des Euro-Raumes. Ähnliches haben die Parlamente in Belgien und Frankreich schon vor ein paar Jahren gefordert. Zwar gibt es Initiativen einzelner Fraktionen. So hat die Linkspartei heute einen Antrag zur Einführung einer Bonus-Steuer nach französischem und britischem Vorbild eingebracht. Aber an der Zeit wäre eine fraktionsübergreifende Initiative.

Im Vergleich zur deutschen Trostlosigkeit könnte die Entwicklung anderswo hoffnungsfroher stimmen. Z.B. wenn sich die Obama-Administration doch noch dazu durchringen könnte, ihren „Geburtsfehler“ – die Symbiose mit der Wall Street – zu überwinden. Wenn sie die Größe der Banken und die Risikoträchtigkeit ihrer Geschäfte ernsthaft begrenzen sollte, etwa durch die Trennung der Investitions- von den Geschäftsbanken und die Einrichtung von „Firewalls“ zwischen ihnen, wäre schon viel erreicht. Eine weiterer wichtiger Gradmesser für den Veränderungswillen dürfte durch den Bericht markiert werden, den der IWF derzeit zur Frage vorbereitet, wie die Banken künftig zur Krisenfinanzierung herangezogen können. Der IWF hat dazu jetzt sogar einen öffentlichen Konsultationsprozess eingeleitet. Doch auch hier zeigt sich wieder einmal, wie gut die Interessenvertreter der Finanzindustrie organisiert sind: Die bisherige Resonanz wird vor allem von erregten Warnrufen gegen die Tobin-Steuer dominiert.

3. Januar 2010

Das Jahrzehnt, in dem die Globalisierung an Grenzen stieß

Die Globalisierung brach sich auch im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends Bahn, allerdings nahm ihre Krisenhaftigkeit deutlich zu. Insgesamt war es ein Jahrzehnt, in dem die Globalisierung auch ökonomisch an Grenzen stieß. Am Ende der „00er“ stand zugleich das Ende des jüngsten Globalisierungsbooms. Im Weg aus der Krise treten erste Verschiebungen in der Machtstruktur der Weltwirtschaft zutage.

* Die 00er im Lichte der weltwirtschaftlichen Statistik

Der Welthandel wies fast durch das gesamte Jahrzehnt hindurch ein rapides Wachstum auf, bevor die internationale Nachfrage im Zeichen von Finanzkrise und Rezession am Ende der Dekade jäh zusammenbrach. Der Rückgang des Welthandelsvolumens Ende 2008/Anfang 2009 war der schärfste seit den 1930er Jahren. Seit Mitte 2009 steigt der internationale Handel wieder (>>> Neue Hoffnung für den Welthandel?).

Die Expansion der ausländischen Direktinvestitionen (FDI) – der zweite Indikator der Internationalisierung – verlief in zwei Phasen, wobei ein erster Tiefpunkt 2004/2005 erreicht wurde. Auf einen Boom in der zweiten Hälfte der Dekade folgte 2008/2009 ein tiefer Absturz. Die weiteren Aussichten beurteilt die UNCTAD in ihrem neuen globalen FDI-Index sehr vorsichtig.

Den krassesten Anstieg während des Jahrzehnts verzeichneten die internationalen Finanzinvestitionen, hier gemessen an der globalen Ausgabe von Collateral Debt Obligations (CDOs). Der Höhepunkt des Booms fiel in die Jahre 2006 und 2007. Danach war es dann erst einmal vorbei mit dem Höhenflug im Überschwang. Nach gigantischen Rettungspaketen der Regierungen lautet die große Frage jetzt: Werden die Staaten in der Lage sein, sich einen Teil dieser Gelder über neue Formen der Besteuerung, z.B. die viel diskutierte Finanztransaktionssteuer (>>> Alles über die Finanztransaktionssteuer), zurückzuholen?

* Das Jahrzehnt der Blasen…

... begann mit der Internet- oder Dotcom-Blase. Die Aktien von Internet- und Technologiefirmen purzelten gleich zu Beginn des Jahrzehnts und erreichten seither nie mehr die Höhen der späten 1990er und frühen 00er Jahre.

Auf die Internetblase folgte die Immobilienblase, vor allem in den USA. Dass die Entwicklung der Preise bei Häusern und Wohnungen nicht ewig so weitergehen konnte, war absehbar. Weniger klar war vielen Beobachtern, in welchem Ausmaß Banken und Investmentfirmen Immobilientitel neu verpackt und als „innovative Finanzprodukte“ weltweit in Umlauf gesetzt hatten. So brachte das Platzen der Immobilienblase die gesamte Finanzbranche nahe an den Abgrund (>>> Die jüngste globale Finanzkrise).

Rohstoffinvestitionen und Rohstoffpreise zogen vor allem im Zeichen der Finanzkrise stark an, nachdem die Spekulation mit Finanztiteln zusammengebrochen war und die „Anleger“ in Rohstofftiteln ihr Heil, d.h. Gewinn, suchten. Von dem darauf folgenden Absturz haben sich die Rohstoffpreise bis heute nicht wieder erholt, was vor allem Entwicklungländer trifft (>>> Warum die Nahrungsmittelkrise nicht vorbei ist).

* Tektonische Verschiebungen zeichnen sich ab

Eine der wichtigsten neuen Entwicklungen im zurückliegenden Jahrzehnt besteht im Aufstieg der Schwellenländer, vor allem Chinas, aber auch Indiens und Brasiliens. In der Folge steigt der Anteil der Schwellen- und Entwicklungsländer am globalen BIP (gemessen in Kaufkraftparität) kontinuierlich an. Setzt sich diese Entwicklung fort, dürften wir bereits im nächsten Jahrzehnt erleben, wie sich die beiden Kurven kreuzen und sich das ökonomische Gravitätszentrum definitiv nach Süden bzw. Osten verschieben wird (>>> Die Selbstinthronisierung der G20).

Eine der wichtigsten offenen Fragen ist die künftige Gestalt des Weltwährungssystems. Schon im vergangenen Jahrzehnt haben der Euro und der Renminbi gegenüber dem US-Dollar an Wert gewonnen. Anhaltende globale Ungleichgewichte zwischen Defizit- und Überschussländern stellen – zusammen mit politischen Umbrüchen – die Leitwährungsfunktion des Dollars in Frage. Immer häufiger werden die Vorschläge, das Dollarsystem durch ein neues Reservesystem zu ersetzen, in dem der Dollar durch einen Währungskorb oder aufgewertete Sonderziehungsrechte ersetzt wird (>>> Der Bericht der Stiglitz-Kommission).

(Quelle der Grafiken, wenn nicht anders erwähnt: FT.com)