25. Oktober 2012

Austeritaet und Repression in Suedeuropa

Ein heute in Madrid vorgestellten Bericht von Amnesty International, Policing Demonstrations in the European Union, belegt die eskalierende Polizeigewalt in den von der Kürzungspolitik am stärksten betroffenen europäischen Ländern. Betroffen von den Übergriffen sind immer wieder auch Aktive des globalisierungskritischen Netzwerks Attac, die auf der Pressekonferenz von ihren Erfahrungen berichteten. Thanos Contargyris, Vertreter Griechenlands im europäischen Attac-Netzwerk, sagte: "Die Fakten des Amnesty-Reports bestätigen, was wir alle seit Mai 2010 bei den vielen Demonstrationen gegen die Kürzungspolitik beobachten. Polizeigewalt ist zum Regelfall geworden. Der zweimalige Tränengasangriff auf den populären 90-jährigen Widerstandskämpfer Manolis Glezos ist nur einer der bekanntesten Fälle. Die unveröffentlichten Übergriffe sind zahlreich und nehmen weiter zu. Ich selbst habe erlebt, wie es Polizisten von ihren Vorgesetzten überlassen wurde nach eigenem Ermessen gewaltsam gegen Demonstranten vorzugehen, Jene, die die Vorgesetzten auf diese Übergriffe hinwiesen wurden, verhaftet."

Auch Attac Spanien verurteilt die zahlreichen brutalen Polizeiaktionen bei friedlichen Demonstrationen. Vertreter von Attac Spanien sind zunehmender gewalttätiger Repression und Eskalation seitens der Polizei ausgesetzt – zuletzt bei den Großdemonstrationen im September 2012. Am 25. September wurden hunderte friedliche Demonstranten vor dem Parlament von über 1200 Polizisten verprügelt und verhaftet, wie zahlreiche Videos dokumentieren. Die gewaltsamen Übergriffe wurden sogar in U-Bahnstationen und Zügen fortgeführt. 64 Personen wurden dabei verletzt. Gleichzeitig plant die spanische Regierung eine Gesetzesänderung, mit der Videoaufnahmen von Polizisten "in Ausübung ihrer Funktion" verboten werden sollen. Dabei haben es genau diese Videos ermöglicht, die brutalen Interventionen der Polizisten zu beweisen. Diese Gesetzesänderung reiht sich in eine Folge von Maßnahmen, mit denen friedlicher Widerstand während Versammlungen und Demonstrationen strafbar gemacht werden soll.

"In den von der Troika überwachten Ländern zeigt der autoritäre Neoliberalismus sein wahres Gesicht", sagte Luis Bernado von Attac Portugal. "In Portugal werden zahlreiche soziale Bewegungen vom Geheimdienst überwacht und kriminalisiert. Die Polizei hat die Verfassungsrechte mehrfach verletzt, indem sie Demonstranten gefilmt und Journalisten geschlagen hat. Demonstranten wurden identifiziert sowie dazu gezwungen sich schuldig zu bekennen und unverhältnismäßige Strafen zu bezahlen. Gesetze gelten mittlerweile nicht mehr: In Portugal findet de facto ein Staatsstreich gegen die Verfassung statt. Nur ein gemeinsamer internationaler Aufschrei der Menschen in Europa kann die zunehmende Aushöhlung von Demokratie und Recht stoppen."



24. Oktober 2012

Peanuts-Minister Dirk Niebel


„Ergebnisorientierung“ lautet das neue Mantra der Entwicklungspolitik (>>>Ergebnisorientierung in der Entwicklungshilfe). Und der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel ist ein großer Fan davon. Auf seine eigenen Ergebnisse trifft allerdings eher der Begriff „Peanuts“ zu. Zwar erklärte Niebel in der letzten Woche bei den Beratungen des Einzelplans 23 (BMZ-Etat): „Der Etat des Entwicklungshilfeministerium konnte zum vierten Mal hintereinander erhöht werden.“ Der Regierungsentwurf sieht diesmal eine Erhöhung um ganze 37,5 Mio. € vor. Das ist laut Niebel sogar 600 Mio. € mehr als in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen war. Doch verglichen mit den Anstrengungen der konservativ-liberalen Regierung in London, die noch vor 2015 das 0,7%-Ziel erreichen wollen, sind dies Peanuts.

Und Niebel, der diese Peanuts verwalten darf, betont dazu auch noch, dass 67% seines Haushaltes „investiver“ Natur seien und dass ein Teil davon sogar wieder nach Deutschland zurückfließen wird. Da nützt es wenig, wenn sowohl die CDU/CSU-Fraktion als auch die FDP-Fraktion betonen, dass Deutschland seinen internationalen Verpflichtungen nachkomme, insbesondere bei der ODA-Quote (0,7% des Bruttoinlandeinkommens für Entwicklungshilfe). Bei dem derzeitigen Anteil von 0,4% wären wesentlich höhere Steigerungsraten vonnöten, um das Ziel bis 2015 zu erreichen.

Dies kritisierten in den diesjährigen Haushaltsberatungen auch wieder die Oppositionsfraktionen. In zahlreichen Änderungsanträgen forderten sie unter anderem, die Beiträge Deutschlands zur bilateralen finanziellen Zusammenarbeit zu erhöhen. Außerdem sollte der Beitrag Deutschlands an den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria erhöht werden. Alle Anträge wurden von der Mehrheit der Koalitionsabgeordneten abgelehnt. Dies ist ein Skandal erster Ordnung. Schließlich betonen derzeit alle relevanten internationalen Organisationen –von der UNO bis zur OECD und von der Weltbank bis zum IWF – dass die internationalen Anstrengungen zur Entwicklungsfinanzierung nicht auf dem Alter der Krisenbewältigung geopfert werden dürfen. In Deutschland geschieht freilich genau dies.

19. Oktober 2012

IWF: Alles nicht so gemeint?

Der IWF hat viel Lob erhalten für sein selbstkritisches Eingeständnis, dass er die negativen Konsequenzen fiskalischer Sparmaßnahmen für das Wachstum in der Vergangenheit unterschätzt habe. Auch das Plädoyer für eine vorsichtigere Ausbalancierung und Sequenzierung von fiskalischer Konsolidierung und konjunktureller Stimulierung wurde weitgehend positiv aufgenommen, vor allem auch in Krisenländern wie Griechenland und Portugal – gab es doch Anlass zur Hoffnung, die diesen Ländern aufoktroyierte Austeritäts- und Anpassungspolitik könnte gelockert werden.

Doch einstweilen lesen sich Stellungnahmen wie diejenige zum Abschluss der aktuellen Troika-Mission in Griechenland wie blanker Zynismus. Man habe „produktive Diskussionen“ mit den Verantwortlichen geführt, heißt es da, und über „die Politiken, die zur Wiederherstellung des Wachstums, der Beschäftigung und Konkurrenzfähigkeit, zur Sicherstellung fiskalischer Nachhaltigkeit in einer sozial ausgewogenen Weise und zur Stärkung des Finanzsystems notwendig seien“.

Gegenüber Portugal hat der IWF-Vertreter in der Troika, Abebe Selassie, in einer Note jetzt klargestellt, dass der Austeritätskurs der Regierung „ein Imperativ ist und fortgesetzt werden muss“. Fiskalische Anpassung sei notwendig in Ländern mit „einer hohen Schuldenlast und begrenztem Zugang zu Finanzen – eine Situation, in der Portugal sich befindet“. Die IWF-Intervention kommt in einer Situation, in der es wachsende Proteste gegen die Haushaltsplanung der konservativen Regierung gibt, die für 2013 u.a. eine Einkommenssteuererhöhung von bis zu 34% vorsieht. Um die „vollständige Erholung“ der portugiesischen Ökonomie zu sichern, müsse das Land seine Verschuldung eindämmen, meinte Selassie. Wie sagte noch einmal die Geschäftsführende IWF-Direktorin Christine Lagarde auf der Jahrestagung in Tokio? „Eine Lektion der Geschichte ist klar – die Reduzierung der öffentlichen Schulden ist unglaublich schwer ohne Wachstum. Umgekehrt machen es hohe Schulden härter, Wachstum zu bekommen.“

18. Oktober 2012

Soviel Armutsrhetorik war noch nie: Jim Yong Kims Schonfrist ist vorbei

Noch hat die Diskussion über die Nachfolgeforderungen zu den Millennium-Entwicklungszielen (MDGs), die 2015 auslaufen, gar nicht so recht begonnen, und schon wartet der neue Weltbank-Präsident Jim Yong Kim mit einer neuen Orientierung für die nächste Etappe auf: Nicht mehr um die bloße Reduzierung der Armut soll es gehen, sondern um nicht mehr und nicht weniger als ihre Beendigung. Soviel Armutsrhetorik war noch nie. Die jüngste Jahrestagung von IWF und Weltbank, die vom 9.-14. Oktober 2012 in Tokio stattfand, bot für den neuen Präsidenten der Weltbank eine ideale Plattform, um der Öffentlichkeit erste Elemente einer neuen Agenda der Armutsbekämpfung präsentieren zu können.

Und in der Tat: Jim Kim wartete mit einigen neuen Akzenten auf, die aufhorchen ließen. Dennoch wird man abwarten müssen, was er in seinem neuen Amt verwirklichen und wie weit er sich gegenüber dem Establishment einer großen Bürokratie und mächtigen Shareholdern, die letztlich das Sagen haben, durchsetzen kann. Die ersten 100 Tage und die Auftritte von Tokio lassen in dieser Hinsicht eher ein gemischtes Bild zu, das ich in einem Artikel in der neuen Ausgabe von W&E analysiere >>> hier.

13. Oktober 2012

Ergebnisorientierung bei IWF und Weltbank? Fehlanzeige!

Wer bei dieser Jahrestagung von IWF und Weltbank, die derzeit in Tokio stattfindet, nach konkreten Beschlüssen sucht, der muss schon eine Lupe zur Hand nehmen. Eine dieser raren Entscheidungen besteht darin, dass 2,7 Mrd. Dollar an Windfallprofiten aus dem letzten Goldverkauf des IWF jetzt verwendet werden, um die „Poverty Reduction and Growth Trust Fund“ (PRGTF) des IWF zur Dauereinrichtung zu machen, die künftig über eigene Mechanismen der Mittelaufbringung verfügen soll. NGOs haben seit Jahren gefordert, Teile der Goldvorräte des IWF zur Tilgung der Schulden bei multilateralen Institutionen zu verwenden. Dass der IWF dies jetzt zur Aufbesserung seiner eigenen „Kriegskasse“ verwendet, ist bestenfalls ein Pyrrhussieg.

Ein ausgesprochen dunkles Kapitel der IWF-eigenen Reformbestrebungen dagegen ist, dass in Tokio erneut die schon 2010 beschlossene Ausweitung des Stimmenanteils der Schwellenländer nicht beschlossen werden konnte, weil  dafür immer noch nicht die erforderlichen 85% der Stimmrechte der Mitglieder zusammen sind (vor allem, weil die USA dies bislang noch nicht vor den Kongress gebracht haben). Mindestens genauso schwerwiegend ist, dass die Industrieländer einerseits und die Schwellen- und Entwicklungsländer andererseits über die grundsätzliche Neubewertung der Quoten im Fonds, die bis Januar 2014 unter Dach und Fach sein soll, uneinig sind. Die Schwellen- und Entwicklungsländer haben in Tokio nochmals betont, dass die Quotenveränderung das relative Gewicht der Mitgliedsländer in der Weltwirtschaft widerspiegeln müsse (so im Kommuniqué der G24). Dies läuft auf eine Aufwertung des Stellenwerts des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bei der Quotenberechnung hinaus, das gegenwärtig nur mit 50% zu Buche schlägt. Die Industrieländer wollen aber andere Faktoren, etwa die „finanzielle Offenheit“ einer Ökonomie stärker gewichten, was wegen der engen Kapitalverflechtung der Industrieländer untereinander zu ihren Gunsten wäre – eine absurde Position angesichts der Tatsache, dass der IWF seine Position in jüngster Zeit wieder zugunsten von Kapitalverkehrskontrollen geändert hat.

Wie so oft, sind Fortschritte auf dieser Jahrestagung noch am ehesten auf der Diskursebene zu erkennen. Zweifellos ist die Erkenntnis des IWF, dass die negativen Auswirkungen von Haushaltskürzungen und Steuererhöhungen auf das Wachstum in den letzten Jahren stark unterschätzt wurden, ein weiterer Meilenstein im Umdenken (und auch zur Selbstkorrektur) des Fonds. Die Frage ist allerdings, wie die IWF-Spitze das sorgfältige Auskalibrieren von fiskalischer Konsolidierung und Wachstumsorientierung (>>> Kommuniqué des Wirtschafts- und Finanzausschusses) beispielsweise in der Troika durchsetzen will, wenn die Hardliner in Europa, etwa Deutschland, anderer Meinung sind, von den fondsinternen Widerständen gegen einen Kurswechsel einmal abgesehen. Vielleicht gehört es zu den tragischsten Aspekten der aktuellen Entwicklung, dass ausgerechnet der IWF moderatere Positionen vertritt als die Europäische Union – und das in einer Zeit, in der letztere sogar den Friedensnobelpreis bekommen hat.

IWF spricht mit gespaltener Zunge


Wie schon in vielen Jahren zuvor, habe ich dem Neuen Deutschland wieder ein Interview zur Jahrestagung von IWF und Weltbank gegeben. Hier ist der Text:
 
FRAGE: 1975, 1982, 1991, 2008 – das waren die vier Rezessionsjahre der Weltwirtschaft in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Internationale Währungsfonds (IWF) befürchtet nun für 2013 die fünfte Weltrezession, gerade mal fünf Jahre nach der letzten. Mit Recht?

ANTWORT: Jedenfalls nicht zu Unrecht. Sicher ist auf alle Fälle, dass die letzte große Krise, die globale Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008, immer noch auf der Weltwirtschaft lastet. Die seitdem erlebte Erholung fiel wesentlich schwächer aus als die Erholungsprozesse nach früheren Rezessionen.

Woran liegt das?

Das hat damit zu tun, dass die Risikofaktoren nach wie vor stark sind und weiterhin die weltwirtschaftliche Entwicklung bedrohen. Die Problematik der globalen Ungleichgewichte, wie die extremen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands und die hohen Leistungsbilanzdefizite der USA, besteht nach wie vor. Hinzu kommen die regionalen Ungleichgewichte innerhalb der Euro-Zone. Die vollmundig angekündigte Reform des Weltfinanzsystems ist ihren Kinderschuhen noch nicht entwachsen. Das Maß an Reregulierung der Finanzmärkte ist vollkommen unzureichend, eine grundlegende Veränderung des Weltfinanzsystems steht nach wie vor aus.

Der IWF hält für Deutschland auf Grund der guten Arbeitsmarktlage höhere Löhne, höhere Inflation sowie höhere Vermögenswerte als globalen Stabilitätsbeitrag für angebracht. Das klingt eher keynesianisch und nicht wie nach den üblichen neoliberalen Austeritätsrezepten. Gibt es beim IWF einen Kurswandel?

Der IWF spricht seit einiger Zeit mit einer gespaltenen Zunge. Er predigt den einen nach wie brachiale Austerität, zum Beispiel für Südeuropa, und andere fordert er dazu auf, Wachstumsanreize per Staatsintervention zu setzen. Noch am Donnerstag hat Christine Lagarde, die Geschäftsführende Direktorin des IWF, sogar zu einer Pause bei der Sparpolitik in Südeuropa aufgerufen. Sie meinte, man müsse diesen Prozessen zwei Jahre mehr Zeit geben. Der IWF ist bei seinen Politikempfehlungen nicht mehr so eindimensional wie früher.

Und in der Praxis?

Da läuft vieles wie gehabt. Was von Lagarde und Co. deklariert wird, findet in der Umsetzung der IWF-Politik oft kein Gehör. Vor Ort wird oft noch die alte Politik der neoliberalen Strukturanpassung mit allen Indikatoren, die dazu gehören, praktiziert.

Brasiliens Finanzminister Guido Mantega kritisiert die EU, dass sie ihre Reformen wie die Bankenaufsicht und den Anleihenaufkauf durch die Europäische Zentralbankviel zu zaghaft und langsam vorantreibt und deswegen die Schwellenländer in Mitleidenschaft gezogen werden. Ist dieser Vorwurf berechtigt?

Der Vorwurf ist sicher berechtigt, wobei es nicht die EU als solche ist, sondern meist einzelne Länder, allen voran Deutschland, die im Bremserhäuschen sitzen. Deswegen kommen die Reformprozesse nur sehr schleppend voran. Im Übrigen geht es nicht nur um die Geschwindigkeit von Reformen, sondern um ihre inhaltliche Ausrichtung. Hier gibt es Nachholbedarf: Bei aller unbestrittenen Notwendigkeit, Politik stärker im europäischen Rahmen zu vergemeinschaften, sind die Wegweiser derzeit nach wie vor in eine neoliberale Richtung gestellt sind. Hier ist ein grundlegender Kurswechsel zu einem sozialen Europa notwendig.

Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht die EU-Staaten in Sachen Haushaltskonsolidierung mit Ausnahme Griechenlands auf gutem Reformkurs. Er sieht eher die USA und Japan in der Bringschuld. Ist diese Position von Schäuble nachvollziehbar?

Nein. Schäuble ist aus globaler Sicht ein einsamer Rufer in der Wüste. Fakt ist, dass die USA nach wie vor höheres Wachstum als die Eurozone, die jetzt in der Rezession ist, aufweisen, dass auch Japan gewisse Erholungsanzeichen aufweist und dass Europa mit der Euro-Zone nach wie vor das Epizentrum der aktuellen Krise ist. Deswegen stehen objektiv vor allen Dingen die Europäer in der Pflicht, ihre eigenen Probleme in den Griff zu bekommen, um die negativen Auswirkungen, die von Europa derzeit auf die Weltwirtschaft ausgehen, zu beheben.

Ist von der IWF-Herbsttagung eine konzertierte Aktion gegen die heraufziehende Krise zu erwarten? Eine drohende Weltrezession ist ja keine Kleinigkeit...

Konzertierte Aktion? Schön wär's. Der Schwung der Zusammenarbeit im Rahmen der G20 nach der Krise 2008 hat viel an Kraft verloren. Inzwischen treten die Interessengegensätze wieder stärker in den Vordergrund. Es mangelt an Kooperation und Kooperationsbereitschaft mangelt. Die Jahrestagung in Tokio wird daran kaum etwas ändern. Vor den Wahlen in den USA wird sich in diesem Sinne sowieso nichts bewegen.

 

11. Oktober 2012

Jahrestagung von IWF und Weltbank: Nachrichten aus Tokio

Die Geschäftsführende Direktorin des IWF, Christine Lagarde, hat die Europäer in Sachen Sparpolitik zur Mäßigung aufgerufen. Der neue Weltbank-Präsident nutzt die Zusammenkunft, um seine neue Agenda der Armutsbekämpfung zu präsentieren. Und die Gruppe der 24 (Entwicklungsländer im IWF) beklagt sich bitterlich darüber, dass die Quoten- und Governance-Reformen im Fonds nicht so recht vorankommen. Die bis zum Sonntag dauernde Jahrestagung der beiden Bretton-Woods-Zwillinge, zu der in Tokio zehntausende Finanz- und Entwicklungsminister, Privatbanker und Notenbankchefs zusammengekommen sind, zeigt, wie bruchstückhaft die Fortschritte sind, die in den Jahren seit der großen Finanzkrise – wenn überhaupt – erreicht wurden.

Schon in seinem World Economic Outlook, der am Mittwoch vollständig vorgestellt wurde, stellte der IWF heraus, dass die Regierungen die negativen Auswirkungen der Austeritätspolitik auf das Wirtschaftswachstum stark unterschätzt hatten und eine Sparpause notwendig sei, um die Weltwirtschaft wieder in Gang zu bringen. Als Lagarde dann heute dazu aufrief, sich bei der Umsetzung der eingeschlagenen Sparkurse mehr Zeit zu nehmen, wurde dies allgemein als Unterstützung Griechenlands verstanden. Der Fonds vertritt schon länger eine differenzierte Position in der Frage, wie, wann und in welcher Situation die Länder auf fiskalische Konsolidierung (wie die Austerität gerne vornehm umschrieben wird) oder auf konjunkturpolitische Stimulierung setzen sollten. Diese Position passt ganz und gar nicht zu dem einseitig-brachialen Austeritätskurs, wie ihn vor allem die deutsche Bundesregierung den anderen Europäern aufzwingen will. Entsprechend kühl war die Reaktion Schäubles in Tokio auf Lagarde.

Der neue Weltbank-Präsident Jim Yong Kim ist in Tokio gerade mal etwas über 100 Tage im Amt und hat eine Initiative angestoßen, die darauf hinausläuft, die absolute Armut in der Welt schneller zu beseitigen als gegenwärtig vorausgesagt wird, also in den nächsten 20 bis 25 Jahren. Bemerkenswert daran ist, dass Kim nicht wie bislang üblich von Armutsminderung oder –reduzierung, sondern explizit von der Beendigung der Armut spricht. Andererseits bringt Kim auffallend häufig den Privatsektor ins Spiel, wenn es um den Kampf gegen die Armut geht, z.B. bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, die das Thema des neuen Weltentwicklungsberichts der Weltbank sind (>>> W&E-Hintergrund Oktober 2012). Zu den Positiva hingegen gehört zweifellos, dass Kim darauf insistiert, die Weltbank habe sich um die globalen öffentlichen Güter zu kümmern und müsse sich „viel ernsthafter“ beispielsweise im internationalen Klimaschutz engagieren. Dass er dabei auftritt wie ein überzeugter Vertreter der „Green Economy“ und auch hier die Privatwirtschaft für den entscheidenden Faktor hält, mag in Europa kritisch gesehen werden, für einen Weltbank-Präsidenten mit US-amerikanischem Pass ist es ein Fortschritt.

Dass bei den beiden Bretton-Woods-Institutionen vieles nicht zum Besten läuft, belegt der mangelhafte Stand der Stimmrechtsreform, vor allem im IWF. Mit großer Sorge vermerkt die Gruppe der 24 heue in ihrem Kommuniqué, dass selbst für die Quotenreform von 2010, die bis zu dieser Jahrestagung hätte abgeschlossen sein sollen, noch immer nicht die erforderliche Mehrheit zusammen ist. Das könnte sich zu einem ernsthaften Risiko für das Ansehen des Fonds auswachsen, zumal die Reformen von 2010 erst der Anfang eines längeren Prozesses sein sollten. – Der Fonds und die Bank bleiben uns also als Beobachtungsgegenstand erhalten. Z.Zt. ist die Entwicklung in der Weltbank besonders spannend, weil ihr neuer Präsident viel Überkommenes auf den Prüfstand stellen will. Der IWF ist im Wandel, kein Zweifel, aber unklar ist immer noch, wie weit er die teilweise neue Rhetorik in der Praxis durchhalten kann und auch seine Politik „on the ground“, z.B. in der Troika, daran ausrichtet.

2. Oktober 2012

Schaulaufen gegen die Banken

Ein neues Schaulaufen gegen die Finanzmärkte hat begonnen. Während die Bundesregierung mit einem Gesetzentwurf zur besseren Regulierung des Hochfrequenzhandels Handlungsfähigkeit demonstrieren will, wartete Peer Steinbrück kurz vor seiner Kür zum SPD-Kanzlerkandidaten mit einem Papier zur Bändigung der Finanzmärkte auf. Unterdessen hat auf europäischer Ebene die Liikanen-Gruppe ähnliche Ideen vorgelegt (>>> Report). Doch während der Gesetzentwurf der Regierung für den Hochfrequenzhandel weder eine Geschwindigkeitsbegrenzung noch wirksame Verbote vorsieht, stehen das Steinbrück-Papier wie die Liikanen-Vorschläge unter Konsultationsvorbehalt.

Was dies konkret bedeutet, lässt sich derzeit gut auf der europäischen Ebene beobachten. So fordert die von EU-Kommissar Michel Barnier schon vor einem Jahr eingesetzte Liikanen-Gruppe ähnlich wie Steinbrücks „Neuanlauf zur Bändigung der Finanzmärkte“ bei den Banken die Abtrennung riskanter Geschäfte und des Eigenhandels vom normalen Einlagengeschäft. Noch bevor der Bericht jedoch offiziell vorgestellt wurde, war schon bekannt geworden, dass aus der ursprünglichen Überlegung, von den Banken dieses „Ringfencing“ zu verlangen, sobald die riskanten Handelsoperationen 5% der gesamten Bilanzsumme überschreiten, nichts wird. Inzwischen ist diese Schwelle auf 15-25% angehoben worden. Und kommt das Trennbankenmodell nach dem Bericht nur für Großbanken in Frage, bei denen der Eigenhandel sich auf mindestens 100 Mrd. € beläuft.

Hinzu kommt: Bevor auch nur einer der Liikanen-Vorschläge in Gesetzesform gegossen werden kann (neben der Trennung des Bankengeschäfts wird u.a. die Auszahlung von Banker-Boni in Form von Schuldtiteln, etwa Anleihen, statt in Aktien oder Barmitteln vorgeschlagen), ist ein weitreichender Konsultationsprozess vorgesehen, der auf ein Jahr angelegt ist. Dies öffnet nicht zuletzt der Bankenlobby, wie bei anderen Gesetzgebungsverfahren auch, Tor und Tor für die Beeinflussung des Prozesses mit dem Ziel, effektiven Regulierungsbestimmungen durch Verwässerung den Zahn zu ziehen. Wenn schon ein offizieller Beratungsprozess in Brüssel vor solcherlei Einflussnahme nicht gefeit ist, wie sehr muss man dann erst damit rechnen, dass das Papier eines deutschen Kanzlerkandidaten, sofern es denn je das Stadium der politischen Umsetzung erreicht, gnadenlos kleingekocht werden wird. Eine Gallionsfigur der Finanzlobby, Josef Ackermann, hat Steinbrücks Konzept schon einmal zugestimmt – „im Grundsatz“, versteht sich. An den Details muss noch gearbeitet werden.