30. September 2018

Fehlleistung: Infrastruktur als Anlageklasse

Neben einer Kritik an Hyperglobalisierung, Handelskriegen und Freihandelswahn feuert der letzte Woche veröffentlichte Trade and Development Report der UNCTAD (>>> Von der Hyperglobalisierung zum Handelskrieg?) auch eine Breitseite auf das derzeit favorisierte Muster an Infrastrukturinvestitionen ab. Diese seien nicht notwendigerweise geeignet, die Entwicklungsländer bei der Transformation ihrer Ökonomien und der Erlangung nachhaltigen Wohlergehens zu unterstützen. Eine Analyse von über 40 Entwicklungsplänen von Entwicklungsländern und LDCs (den ärmsten Ländern) hat ergeben, dass die Betonung in der Regel zu sehr auf Infrastruktur als einer Geschäftsmöglichkeit liegt und zu wenig auf der Verbindung mit struktureller Transformation bzw. Umgestaltung.


Trotz der Darstellung von Infrastrukturausgaben als Instrument für traditionelle öffentliche Güter wie Fernstraßen, Häfen und Schulen, verunglimpft die politische Debatte oft den öffentlichen Sektor und preist die Rolle des Privatkapitals sowie die (oft undurchsichtigen) Finanzierungsmethoden, so der Bericht. Es sei ein langer Weg bis zu der Erzählung, die Infrastruktur zum zentralen Baustein erfolgreicher Industrialisierung macht, vom Großbritannien des 18. Jahrhunderts bis zum China des 21. Jahrhunderts. Dieser entscheidende Link zwischen Infrastruktur und Industrialisierung sei im Diskurs über die „Bankfähigkeit“ („bankability“) von Projekten untergegangen, während die Umformung der Infrastruktur zu einer finanziellen Anlageklasse für internationale institutionelle Investoren (wie es derzeit das Projekt der argentinischen G20-Präsidentschaft ist) den Bereich für renditesuchendes Verhalten geöffnet habe.

Der Bericht stellt fest, dass Bankfähigkeit die Finanzierungslücke für wirtschaftliche Infrastrukturinvestitionen nicht schließen wird, die sich derzeit auf 4,6 bis 7,9 Billionen Dollar weltweit pro Jahr beläuft. Ebenso vermeidet der Bankfähigkeitsansatz die Schlüsselfrage, wie Infrastruktur zu einer Kraft der produktivitätsfördernden strukturellen Transformation werden kann und den äußerst notwendigen wirtschaftlichen und sozialen Wandel in der Entwicklungswelt befördern kann. In der Tat müssten die Investitionen in Infrastrukturprojekte in Entwicklungsländern von derzeit weniger als 3% des BIP auf 6% gesteigert werden, wenn sie irgendeinen Umgestaltungseffekt erzielen sollen. Ohne eine wesentliche Steigerung öffentlicher Ausgaben dürfte dies ebenso wenig erreichbar sein wie ohne die Wiedereinsetzung des öffentlichen Sektors in seine wesentlichen Funktionen.

12. September 2018

10 Jahre globale Finanzkrise: Viel bleibt zu tun

Zehn Jahre nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers häufen sich die Fragen, wie real die Gefahr einer neuen Finanzkrise ist. „Braut sich eine neue Finanzkrise bereits zusammen?“, fragt sich heute beispielsweise Nouriel Roubini, der die letzte große Krise vorhersagte. „Die Banken sind sicherer, aber die Schulden bleiben eine Gefahr“, meint Adair Turner, der ehemalige Leiter der britischen Finanzmarktaufsicht. Einiges hat sich getan, etwa in Bezug auf die Verpflichtung der Banken zur Rücklagenbildung. Doch vieles bleibt zu tun. Dies zeigt ein Bündel von Maßnahmen, das die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag eingebracht hat, um eine neue Finanzkrise zu verhindern. In einem Antrag fordern die Abgeordneten besonders eine stärkere Fusionskontrolle, damit verhindert wird, "dass Kreditinstitute zu groß zum Scheitern werden. Sind sie bereits zu groß, sollen sie entflochten werden." Ein Trennbankengesetz soll dafür sorgen, dass Einlagen- und Handelsgeschäft getrennt werden. Für Banken soll es zudem eine Schuldenbremse geben.

Weitere Forderungen sind die Einführung einer Finanztransaktionssteuer zur Entschleunigung des Handels mit Finanzprodukten, die Schaffung eines geordneten Staateninsolvenzverfahrens sowie die Ausbremsung finanzmarktgetriebener Immobilienspekulationen. Förderpolitik und Kapitalanlagen des Bundes sollen auf die Ziele der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie ausgerichtet werden.

In dem Antrag wird darauf hingewiesen, dass die Finanzkrise zehn Jahre nach dem Lehman-Desaster weiter schwele. Der weltweite Schuldenberg sei seit 2008 um rund 80.000 Milliarden Dollar auf über 318% der globalen Wirtschaftsleistung gestiegen: „Was als Bankenkrise begann, sich zur Finanzkrise auswuchs, dann die Lebensversicherer und Bausparkassen destabilisierte, greift zunehmend auf Rente und Wohnen über.“ Zur Situation der Lebensversicherungen und Pensionskassen heißt es, die bisher getroffenen Maßnahmen würden zu kurz greifen und einseitig die Versicherten belasten.

Einen weiteren Schwerpunkt des Antrags stellt die Anlageberatung dar. Mit Blick auf den Zusammenbruch von Lehman Brothers erinnert die Fraktion, dass vielen, insbesondere unkundigen und älteren Menschen Lehman-Zertifikate verkauft worden seien, als sich bei der Bank bereits Schwierigkeiten abzeichneten. Hintergrund seien die hohen Provisionen für den Vertrieb gewesen. Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, „aus der provisionsgetriebenen Finanzberatung auszusteigen, die Honorarberatung zu stärken und ein öffentlich verwaltetes, einfaches und kostengünstiges Basisprodukt für die kapitalgedeckte Altersvorsorge anzubieten“. Aktuell werden zu viele schlechte Riester-Produkte mit einer staatlichen Förderung subventioniert, begründet die Fraktion ihre Forderung.

6. September 2018

9-Punkte-Plan von G20-Arbeitsministern gefordert

Inmitten der schwersten Krise des Landes seit 20 Jahren kommen heute und morgen die Arbeitsminister der G20 in Mendoza/Argentinien zu ihrem regulären Treffen zusammen. Im Vorfeld der Konferenz wies der Internationale Gewerkschaftsdachverband ITUC darauf hin, dass die große Mehrheit der Weltbevölkerung immer noch auf mehr Arbeitsplatzsicherheit, höhere Löhne und universelle soziale Sicherung wartet. Die Ungleichheit sei auf einem historischen Höhepunkt und wachse weiter, die Löhne der abhängig Beschäftigten stagnierten, während Produktivität und Profite in die Höhe schnellten. Gleichzeitig wächst die Vermögenskonzentration, wobei 50 Konzerne ein Gesamtvermögen halten, das dem Reichtum von bis zu 100 Ländern entspricht. Das derzeitige Wirtschaftsmodell habe zur Abnahme des Arbeitseinkommens am Gesamteinkommen geführt, während die Löhne systematisch hinter dem Produktivitätswachstum zurückblieben.

Vor diesem Hintergrund rufen die Gewerkschaften der G20-Länder (L20) die Arbeitsminister dazu auf, einen 9-Punkte-Plan anzunehmen, der ihre Selbstverpflichtungen aus vorigen Treffen vertieft und darüber hinaus geht:

* Sicherung von Mindestlöhnen, die sich an den Lebenshaltungskosten orientieren;

* Förderung der Assoziationsfreiheit und der Tarifautonomie, vor allem bei Löhnen;

* Verstärkung und Investitionen in universelle soziale Sicherungssysteme;

* Überwindung von Prekarität, Informalität, Sklaven- und Kinderarbeit in globalen Lieferketten und Gewährleistung, dass Unternehmen die Verantwortung für ihre Verpflichtung gegenüber den Arbeitsnehmern übernehmen, einschließlich der Beachtung der Menschenrechte bei ihren Operationen;

* Bekämpfung des Klimawandels und Realisierung der Ziele des Pariser Klimaabkommens durch Förderung und Umsetzung von Strategien für einen „gerechten Übergang“ zu einer Ökonomie mit niedrigem CO2-Ausstoß;

* Vorbereitung der Arbeitskräfte auf einen „gerechten Übergang“ zur Digitalisierung der Arbeitswelt;

* Förderung gleicher Bezahlung der Geschlechter und Nichtdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt; massive Investitionen in die Sorgewirtschaft und in die Ausbildung in neuen, kreativen Berufen; Befreiung von Millionen Menschen aus der Informalität; Kampf gegen Gewalt am Arbeitsplatz und im Hause;

* Vorgehen gegen die anhaltende hohe Jugendarbeitslosigkeit, u.a. durch aktive Arbeitsmarktpolitik und Investitionen in formelle Ausbildung;

* Planung der Integration von Flüchtlingen und Migranten sowie Überwindung der Barrieren gegen soziale Inklusion.

„Im letzten Jahr haben die G20-Arbeitsminister erklärt, dass die Verletzung von Arbeitnehmerrechten kein Wettbewerbsfaktor sein dürfe. Das muss in die Tat umgesetzt werden“, fordert die Vorsitzende von ITUC Sharan Burrow. „Alle Arbeitgeber müssen die Verantwortung für menschenwürdige Arbeit aller ihrer Beschäftigten übernehmen, ungeachtet ob sie direkt beschäftigt sind oder bei Auftragsfirmen in Lieferketten arbeiten.“ Das ist durchaus nicht selbstverständlich, wie der jüngste „Walk Free Slavery Index“ zeigt. Danach importieren die G20 jährlich sog. Risikoprodukte im Wert von 354 Mrd. US-Dollar, die in Sektoren und Ländern hergestellt wurden, in denen Menschen der Zwangsarbeit ausgesetzt sind.



* Ein L20-Statement an die G20-Arbeitsminister findet sich >>> hier.