27. März 2013

Zwischen Flatscreens und Tradition

Gastblog von Rahel Fischer*)

Zwischen Flatscreens und althergebrachten Traditionen, zwischen Familienloyalität und individuellen Lebensentwürfen, zwischen Islamisten und Sekulären, Afrika und Europa, zwischen Hoffnung und Besorgnis erleben wir in diesen Tagen ein mit sich ringendes, manchmal tief gespaltenes, aber auch extrem lebendiges Land.

 „Beginn Du mal… - ich ergänze dich dann“, meint die Leiterin einer Wahlbeobachtungs-NGO lachend zu ihrem Kollegen. Mittlerweile verstehen auch wir von der Schweizer Delegation diesen Treppenwitz der tunesischen Revolution und lachen mit. Die energische Frau mit dem blond gefärbten Lockenkopf spielt auf eine, über die letzten Monate heftig geführte Debatte in der verfassungsgebenden Versammlung an. Dort hatten die Islamisten den Vorschlag eingebracht, dass der Status der Frau in der Verfassung statt als „égalitaire“ (gleichberechtigt) als „complementaire“ (ergänzend) festzuschreiben sei. Die tunesischen Frauen- und Menschenrechtsorganisationen haben mit heftigem Protest auf dieses Vorhaben reagiert. Ihrem Widerstand ist es zu verdanken, dass die verfassungsmäßige „complementarité“ der Frauen vorerst vom Tisch ist. Doch ist allen klar: Die Stellung der Frau in der tunesischen Gesellschaft ist eine der zentralen Konfliktlinien im Streit um das neue - das postrevolutionäre - Gesellschaftssystem.

Nach dem Besuch bei der Assemblée constituante sind meine Kollegin und ich abends noch zu einer Hochzeit eingeladen. Dort erleben wir die Vielfältigkeit, aber auch die Zerrissenheit der Gesellschaft von „Grand Tunis“ noch einmal in ganz anderer Form. Ein Teil der rund 250 Gäste erscheint in traditionellen Gewändern, andere haben sich in durchaus gewagte – halbtransparente – Roben geworfen, während dritte in Sneakers und Kapuzenjacke ihre Nonchalance betonen. Die Braut sitzt etwas erhöht auf einer Art Thron und wartet auf ihren Zukünftigen, der kurz darauf mit seinem ganzen Familienclan im Schlepptau und mit Geschenken für die Schwiegereltern beladen den Saal betritt. Nach Ansprachen der beiden Väter unterschreiben Braut und Bräutigam - gefilmt von einer Kamera und für das Publikum live auf große Faltscreens übertragen – den Ehevertrag. Mit Fruchtsaft und Baklava stoßen wir anschließend auf das junge Paar an. „Die Heiraten nur so jung weil er einen deutschen Pass hat und sie gemeinsam ausreisen wollen“ flüstert mir ein Bekannter der Braut zu. Die Emigration ist ein Traum vieler junger Tunesier und Tunesierinnen.

Zwischen Flatscreens und althergebrachten Traditionen, zwischen Familienloyalität und individuellen Lebensentwürfen, zwischen Islamisten und Sekulären, Afrika und Europa, zwischen Hoffnung und Besorgnis erleben wir in diesen Tagen ein mit sich ringendes, manchmal tief gespaltenes, aber auch extrem lebendiges, farbiges und energetisches Land. Stoff für Diskussionen und Auseinandersetzungen gibt es hier wahrlich genug: Das Weltsozialforum 2013 in Tunis kann beginnen.

*) Rahel Fischer ist Mitglied des Vorstandes der Schweizer Sektion von Amnesty International. Ihren Beitrag übernehmen wir mit freundlicher Genehmigung aus dem Blog der Schweizer NGO-Arbeitsgemeinschaft alliance sud.

25. März 2013

Mit diplomierten Erwerbslosen auf dem Weltsozialforum

Gastblog von Urs Sekinger*)

Was die Diplomierten Erwerbslosen – die Diplômés Chômeurs – vom Weltsozialforum in Tunis denn erwarteten, wird Belgacem Ben Abdallah, arbeitsloser Lehrer und Mitglied der nationalen Führung der Bewegung der „Diplômés Chômeurs“, zum Ende seiner Ausführungen vor der Delegation aus der Schweiz gefragt. Er sei noch nie an einem Sozialforum gewesen, antwortet er, aber er hoffe, dass die zehntausenden von Menschen, die in den nächsten Tagen hier zusammenkommen würden, ihre Erfahrungen austauschen und sich gegenseitig weiterbringen können. Die Arbeitslosigkeit beispielsweise sei kein nationales Problem, sondern ein globales, das gemeinsam angegangen werden müsse. Wir seien Weltbürger.

Es ist vielleicht eine Viertelstunde verstrichen, die mit Informationen zum Weltsozialforum bestens ausgefüllt waren, als Belgacem atemlos im Raum erscheint und sich vielmals für die Verspätung entschuldigt. Erwerbslose seien in Tunis eben zu Fuß unterwegs, ein Taxi liege nicht drin und die öffentlichen Verkehrsmittel seien schlecht. Doch dann legt er los: Über den Kampf der Diplômés Chômeurs gegen das Ben Ali-Regime, den Sieg im Januar 2011 und die Enttäuschung, dass unter der islamistischen Ennahdah-Regierung in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht alles weitergehe wie zuvor. Dabei müsste in der schwierigen Übergangszeit hier in Tunesien der Staat eine führende Rolle übernehmen und vor allem Arbeitsplätze schaffen. Insbesondere für die rund 40-Jährigen, die meist seit zehn und mehr Jahren erwerbslos sind und deren Chance auf eine Stelle mit jedem Tag sinkt. Aber die aktuelle Regierung hänge nach wie vor einer neoliberalen Wirtschaftspolitik an und verkaufe funktionierende Staatsbetriebe lieber ins Ausland, wodurch die Arbeitslosigkeit weiter zunehme.

Engagiert beantwortet Belgacem alle Fragen und strahlt dabei eine Freude auf das baldige Weltsozialforum und einen Optimismus aus, wo ich immer wieder staune, woher Menschen wie er diesen hernehmen. Er, der zu Fuß durch Tunis laufen muss, weil er an einer freien Schule arbeitet und 80 Dinar (40 €) verdient, was nicht zum Leben reicht.

Auf die Migration von jungen Menschen aus Tunesien nach Europa angesprochen, wird Belgacem nachdenklich, überlegt einen kurzen Augenblick und antwortet mit einer kleinen Geschichte: Kürzlich sei er an ein Treffen von Erwerbslosen nach Marseille eingeladen worden. Etwa 120 € habe allein das Visum gekostet. Bei der Einreise hätten die Beamten ihn gefragt, ob er ein Rückreisebillet habe, von wem genau er eingeladen sei, wo er wohne. Es sei ihm vorgekommen wie bei einem Polizeiverhör unter der Ben Ali-Diktatur, ohne jeglichen menschlichen Respekt. Sind wir WeltbürgerInnen? Belgacem, wir sind in Tunesien angekommen, danke!

*) Urs Sekinger ist Koordinator des Schweizer Solifonds. Seinen Beitrag übernehmen wir mit freundlicher Genehmigung aus dem Blog der Schweizer NGO-Arbeitsgemeinschaft alliance sud.

22. März 2013

Eurokrise 2.0: Europas Lehmanscher Augenblick?

Wie ein Blitz hat der geplatzte Zyperndeal die trügerische Gewissheit zerstört, das Gröbste der Eurokrise sei vorbei. Während erstmals ein Parlament des Euroraums Nein zu einem Hilfspaket aus Brüssel sagte, beschädigt der Dilettantismus der Krisenmanager weiter das Vertrauen in die Eurozone. Gleich mit erledigt wurde dabei fürs erste die Hoffnung, dass die Eurozone einheitlich handeln und ihre Banken unter ein einziges und robustes Regulierungssystem bringen könnte. Mit dem italienischen Wahlergebnis und dem Nein aus Zypern tritt die Eurokrise in eine neue Phase. Sie ist durch zahlreiche unfertige Baustellen gekennzeichnet.

Als erstes dürfte die Zypernkrise die Rezession, in der die Eurozone steckt, bis auf weiteres verlängern. Wenn sich die Spaltungen in Europa vertiefen, bleibt kaum noch Raum für die Entwicklung einer gemeinsamen und aktiven Konjunkturpolitik, an der einige, allen voran Berlin, ohnehin kein Interesse haben. Wenn die Europäische Zentralbank, wie angedroht, Zypern am kommenden Montag tatsächlich den Geldhahn (in Form der Notfall-Liquiditätshilfe ELA) abdreht, wäre das so etwas wie Europas Lehman’scher Moment. Während mit der Verweigerung der Rettung der Lehman-Bank durch die US-Regierung die Finanzkrise erst so richtig losgetreten wurde, wäre es im Falle Zypern das erste Mal, dass einem Euro-Mitgliedsland die Rettung verweigert wird. Wegen der geringen relativen Größe der zyprischen Ökonomie im Euroraum ist allerdings unklar, wie groß das Beben dann wäre.

Eine zweite Baustelle ist das Projekt der Schaffung einer Europäischen Bankenunion. Mit dem versuchten Griff Brüssels nach einem Teil der Spareinlagen in zyprischen Banken (von anderen Guthaben, die reiche Steuerflüchtlinge in der Regel bevorzugen, wie Fonds, Einlagen in Trusts und Immobilieninvestitionen, war gar nicht erst die Rede) wurde ein zentraler Daseinszweck der geplanten Bankunion in Frage gestellt: die Garantie von Bankeinlagen.

Nicht alles freilich, was derzeit in der Eurozone geschieht, fällt unter die Kategorien „Krisen-Dilettantismus“ oder „Unfähigkeit zur Reform“. Nach dem Beschluss, die Boni der Banker zu kappen, sollen jetzt auch Fonds-Manager nicht mehr in Form von Boni bekommen dürfen als sie als reguläres Gehalt erhalten. (Bereits jetzt formiert sich der lobbyistische Widerstand dagegen in Fonds-Hochburgen wie Frankreich, Luxemburg und Irland.) Und mit der Einführung der Finanztransaktionssteuer (FTT) geht eine wirtschaftsstarke Gruppe von Euroländern den Weg von Vorreitern bei der Heranziehung des Finanzsektors zur Bewältigung der Krisenkosten. Warum eigentlich verlangt die Eurogruppe von Zypern nicht die Einführung der FTT oder die Etablierung eines wirksamen Systems progressiver Besteuerung von Finanzeinkünften und riskiert lieber die Eurokrise 2.0?

* Wie die neue Phase der Eurokrise durch die Unfähigkeit der Politik, eine einheitliche und entschlossene Antwort Europas auf die Krise zu finden, vorbereitet wurde, wurde in diesem Blog und im Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung immer wieder analysiert und kommentiert. Wir haben die wichtigsten Beiträge in einem neuen W&E-Dossier zusammengefasst >>> hier.

Londons Entwicklungspolitik: Lautstarke Dominanz-Possen

Eine Kommentar von Stephan Klingebiel*)
 
Es ist nicht ganz neu, dass Großbritannien sich vielfach in einer besonderen Stellung in den internationalen Beziehungen sieht, und diese Haltung wird durch die dort laufende europakritische Debatte noch verstärkt. Die vergangenen Monate haben weitere Beispiele geliefert. Premierminister Cameron etwa war im vergangenen Jahr einer Nominierung durch den UN-Generalsekretär zuvorgekommen, weil er unterstellte, dass Ban Ki Moon ihn als einen der drei Ko-Leiter des hochrangigen Panels (High Level Panel) vorschlagen werde, das über ein Folgeabkommen der Millenniumentwicklungsziele („Post-2015“) beraten soll. Führungsansprüche in internationalen Debatten meldete der britische Premier dann deutlich im vergangenen November im Wall Street Journal an.

Ohne falsche Bescheidenheit positioniert Cameron dort die Rolle Großbritanniens in Sachen globaler Armutsbekämpfung und Entwicklungszusammenarbeit als herausragend und fordert „Britian’s leadership“ auch zukünftig ein: „Unsere Erfahrung mit Entwicklungszusammenarbeit gibt uns auch die Legitimität, einen völlig neuen Ansatz zur Bekämpfung der Ursachen von Armut anzuführen.“

Großbritannien hat sich in den vergangenen Jahren in der Entwicklungspolitik durchaus Verdienste erworben. Die britische Entwicklungsagentur DFID zählt international zu den „am besten aufgestellten“ und schlagkräftigsten Organisationen ihrer Art. Großbritannien liegt bei den Leistungen für Entwicklungszusammenarbeit durchaus im „vorderen Bereich“. Das Land ist unter den Gebern – derzeit nach den USA und Deutschland – der drittgrößte Zahler für Entwicklungszusammenarbeit; gemessen an seiner wirtschaftlichen Leistungskraft belegt das Land den sechsten Platz unter den Gebern. Und in der Debatte über die Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit („aid effectiveness“) hat Großbritannien in früheren Jahren entscheidende Impulse gegeben. Uneigennützig ist die britische Hilfe dabei nicht, sie dient etwa dem Erhalt britischer Einflusssphären. Und dort, wo sie einen wichtigen Beitrag für mehr Wirksamkeit leisten könnte – nämlich bei der Überwindung zersplitterter Geberstrukturen durch eine stärkere Europäisierung der Entwicklungszusammenarbeit – folgt die britische Hilfe dem europaskeptischen Gesamtkurs der britischen Politik und bremst so eine effektivere, gemeinsame Hilfe aus…

* Den vollständigen Kommentar lesen Sie >>> hier.

Dr. Stephan Klingebiel ist wissenschaftliche Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn.

 

12. März 2013

Post-2015: Was heisst hier Good Governance?

Bei der jüngsten Konsultation zur Post-2015-Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen, die kürzlich in Südafrika zum Thema „Governance“ stattfand, haben die NGOs bzw. „zivilgesellschaftliche Organisationen“ dafür plädiert, Good Governance als explizites Ziel in den Katalog der Entwicklungsziele für die Zeit nach 2015, wenn die Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) auslaufen, aufzunehmen. Dies zeigt wie kaum etwas anderes, wie sehr die NGOs inzwischen in das System der offiziellen internationalen Entwicklungspolitik inkorporiert sind.

Der Begriff „Good Governance“ ist ein Kind der Systemwende von Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre. Unter Margaret Thatcher wurde er vom britischen Außenministerium in die Welt gesetzt, weil man die Chance witterte, sich nach dem Ende der Systemkonkurrenz sich der zwar bislang nützlichen, aber im Grunde genommen doch missliebigen Kollaborateure und Regime im Süden zu entledigen. Präzise definiert wurde der Begriff Good Governance seither nicht. Das hinderte ihn freilich nicht daran, zumal in entwicklungspolitischen Kreisen eine fulminante Karriere hinzulegen.

Umso erstaunlicher ist es, dass dieses Wischi-Waschi-Konzept jetzt auch großen Teilen der NGO-Community als wohlfeiles Catchword dient. Dabei ist das Konzept schlichtweg überflüssig: Wenn darunter die Forderung nach Einhaltung elementarer Menschenrechte verstanden wird, ist der Begriff ebenso wenig notwendig wie wenn es um die Garantie von Rechtsstaatlichkeit oder den Kampf gegen die Korruption oder die Herstellung von Transparenz geht. Alles dies sind höchst unterstützenswerte Anliegen, deren konkreter Inhalt aber leider verschwimmt, wenn über sie das Allerweltswort Good Governance gelegt wird, einmal ganz davon abgesehen, dass die Verhältnisse globaler Governance in der Regel gar nicht mehr erwähnt werden, wenn sich die Akteure auf die Missstände in nationalstaatlichen Zusammenhängen eingeschossen haben.

So wenig das Gerede von der Good Governance dazu taugt, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Transparenz zu befördern, so nützlich ist es freilich als Tarnkappe für andere Zwecke. Seit seiner Geburt wurde Good Governance abwechselnd als Synonym für die Einhaltung der neoliberalen Prinzipien des Washington Consensus oder als westlicher Kampfbegriff zur globalen Durchsetzung der Westminster-Demokratie genutzt. Einigen am Rande der eingangs erwähnten Konsultation über die Post-2015-Ziele fiel sogar auf, dass einflussreiche Politiker Good Governance einfach mit einer kruden Wachstumsstrategie gleichsetzen. Die NGOs sollten sich also in Acht nehmen und die Schlüsselbegriffe des herrschenden Diskurses nicht unbesehen nachplappern.

8. März 2013

Frauenpolitik. Ein weltweiter Imperativ!

Ein Kommentar von Barbara Unmüßig und Ute Koczy zum Internationalen Frauentag

Gewalt gegen Frauen ist Alltag – überall auf der Welt. Das Attentat auf eine Schülerin in Pakistan oder die brutale Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Frau in Indien schaffen es ab und an in die Schlagzeilen der Weltöffentlichkeit. Doch viel zu oft folgt auf den medialen Aufschrei: Nichts. Viel zu wenig werden die strukturellen Ursachen von Armut und Gewalt, die Machtunterschiede und Dominanzverhältnisse thematisiert. Mangelnde Rechte, kaum Zugang zu Ressourcen oder fehlende politische Partizipation von Frauen blockieren die Wege zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft. Ein Zustand, der auch die deutsche Entwicklungspolitik zum energischen Handeln auffordert.

Armut ist weiblich

Frauen stellen mit 70 Prozent das Gros der weltweit 1,4 Milliarden armen Menschen. Sie haben einen schlechteren Zugang zu Bildung, ihre rechtliche Stellung ist vielerorts prekär und sie leben unter unsichereren Einkommensverhältnissen – allesamt Ursachen, aber auch Wirkung von Armut. In der Politik sind sie unterrepräsentiert, auch wenn in vielen Ländern Quoten die politische Partizipation von Frauen verbessert haben. Frauen leisten laut UNICEF mit 66 Prozent den größeren Anteil der Arbeit weltweit und produzieren 50 Prozent der Nahrungsmittel, in Entwicklungsländern ist diese Zahl sogar noch höher. Doch gleichzeitig besitzen Frauen nur zehn Prozent des weltweiten Einkommens und verfügen über lediglich ein Prozent des globalen Zugangs zu Ressourcen, inklusive zu Land und Krediten. Das betrifft Ressourcen, wie Saatgut und Dünger, aber auch Dienstleistungen, wie landwirtschaftliche Beratung.

Die UN-Agrarorganisation (FAO) stellt in ihrem Jahresbericht (2010/11) „The State of Food and Agriculture“ fest, dass eine Balance der Geschlechterverhältnisse dazu führen könnte, dass Frauen den Ertrag auf ihren Farmen um 20 bis 30 Prozent steigern. In Entwicklungsländern würde dies die Produktivität in der Landwirtschaft um 2,5 bis 4 Prozent erhöhen. Allein dadurch könnte die Zahl der Menschen, die weltweit Hunger leiden, um 12 bis 17 Prozent reduziert werden. Deswegen müssen Strategien, die Armut überwinden sollen, darauf abzielen, die Rechte von Frauen zu stärken, ihre (Zugangs-)Chancen zu erhöhen und die Machtunterschiede zwischen den Geschlechtern zu verringern.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat sich die Bekämpfung der Armut, die Förderung der Demokratie und den Einsatz für Menschenrechte als Kernziele auf die Fahnen geschrieben. Die Bundesregierung gibt über sechs Milliarden Euro pro Jahr für Entwicklungszusammenarbeit aus. Doch nimmt sie dabei die massive Geschlechterungleichheit in den Fokus? Forciert sie Programme, die helfen die Rechte von Frauen zu verbessern? Will sie die politische und ökonomische Partizipation von Frauen stärken? Wenn es doch offensichtlich ist, dass Armut weiblich ist, dann müssen die Ursachen deutlich angeprangert und Frauen- und Geschlechterpolitik zum Imperativ einer menschenrechtsorientierten Entwicklungspolitik werden.

BMZ: Ignoranz und Verschleppung statt Priorisierung

Als der jetzige Entwicklungsminister Niebel sein Amt antrat, nahm dieser Imperativ gerade ein wenig Gestalt an – um flugs wieder versenkt zu werden. Bereits im ersten Jahr kürzte Niebel ausgerechnet die Mittelzusagen, die auf Gleichberechtigung in Entwicklungs- und Schwellenländern abzielen, um über 30 Millionen auf 55,4 Millionen. Eine bis 2010 existierende Vorgabe im BMZ-Haushalt, die bestimmte Mittelzusagen für die Umsetzung von Gender-Mainstreaming und Frauenförderung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit festlegte, schaffte er wieder ab. Einiges blieb einfach liegen: Ende vergangenen Jahres ist der Genderaktionsplan für die Entwicklungspolitik abgelaufen – eine Neuauflage lässt auf sich warten…

* Den vollständigen Beitrag lesen Sie >>> hier.

 

One Woman: A Song for UN Woman

6. März 2013

Die Botschaft des italienischen Wahlergebnisses

Ein Kommentar von Joseph Stiglitz

Der Ausgang der italienischen Wahlen sollte den politischen Führern Europas eine klare Botschaft vermitteln: Die Wähler wollen die von ihnen verfolgte Sparpolitik nicht. Das europäische Projekt – so idealistisch es war – war immer ein Unterfangen von oben. Doch es ist etwas ganz anderes, unter scheinbarer Umgehung der demokratischen Prozesse Technokraten zu ermutigen, die Führung ihrer Länder zu übernehmen und diesen eine Politik aufzuzwingen, die zu öffentlichem Elend auf breiter Front führt.

Auch wenn Europas Führungen es vermeiden, den Begriff in den Mund zu nehmen: In Wahrheit herrscht in großen Teilen der Europäischen Union eine Depression. Der Produktionsrückgang in Italien seit Beginn der Krise ist so groß wie in den 1930er Jahren. In Griechenland liegt die Arbeitslosenquote unter den jungen Leuten inzwischen bei über 60%; in Spanien sind es über 50%. Angesichts dieser Zerstörung von Humankapital zerbricht das soziale Gefüge Europas, und seine Zukunft ist zunehmend gefährdet.

Die Wirtschaftsdoktoren sagen, dass der Patient die Behandlung bis zum Ende fortsetzen müsse. Politiker, die etwas anderes vorschlagen, werden zu Populisten erklärt. Die Wahrheit ist freilich, dass die Behandlung nicht anschlägt und dass keine Hoffnung besteht, dass sie es wird – bzw. dass sie es wird, ohne dass die Behandlungsfolgen schlimmer sind als die Krankheit. Tatsächlich wird es mindestens ein Jahrzehnt dauern, den im Rahmen dieses Sparprozesses erlittenen Schaden wieder gutzumachen…

* Lesen Sie den vollständigen Kommentar >>> hier.

5. März 2013

Boni-Debatte: Mehr Schweiz wagen oder Emmentaler essen?

Eigentlich hätte man noch ein Pressestatement von Attac erwarten dürfen. Denn selten waren die SprecherInnen links von der politischen Mitte so voll des Lobes für die Schweiz. Ausgerechnet die Schweiz! Da forderte die Linke „Mehr Schweiz wagen“. Die grünen Sprecher verlangten auch hierzulande eine strengere Regulierung der Managervergütungen. Und selbst der SPD-Kanzlerkandidat fand lobende Worte für die Schweiz. Dabei ist das Referendum vom Sonntag, in dem eine Mehrheit der SchweizerInnen für die Deckelung von Managergehältern, ein Verbot von Begrüßungsgeldern und Abfindungen und die jährliche Wahl der Direktoren durch die Aktionäre stimmte, vor allem ein Zeichen des Diskurs- und Stimmungswandels. Substanziell wird sich noch erweisen müssen, ob es sich um den Beginn einer neuen Ära handelt oder unter der Rubrik „Schweizer Käse“ abgehakt werden muss.

Verglichen mit dem EU-Kompromiss von letzter Woche, in der sich Parlament und Kommission auf die Begrenzung der Banker-Boni, zusätzliche Eigenkapitalpuffer und eine länderbezogene Berichtspflicht für Bankprofite, Steuern und Subventionen einigten, ist das Schweizer Modell insofern weitreichender, als es sich auf alle Wirtschaftsunternehmen bezieht, während die anvisierte EU-Regelung nicht einmal den gesamten Finanzsektor einbezieht. Andererseits wird die geplante EU-Regulierung, so sie denn nicht durch die Finanzlobby erneut verwässert wird, die Vergütung der Bankmanager einer verbindlichen und direkten gesetzlichen Regelung unterwerfen, während nach der Schweizer Initiative dies „die Aktionäre“ beschließen sollen. Letzteres ist der Pferdefuß, den die Marktanhänger aller Couleur sofort erkannt haben. Wenn Aktionäre entscheiden, entscheidet nicht „der Kleinaktionär“, sondern die großen Anteilseigner. „Und keine Krähe hackt der anderen ein Auge aus“, wie ein Berichterstatter von der Frankfurter Börse süffisant kommentierte.

Aber nicht nur das Schweizer Modell hat Schlupflöcher wie der sprichwörtliche Käse. Kurz nach Bekanntwerden des EU-Kompromisses kolportierten die Lex-Kolumnisten der Financial Times genüsslich, wie in den Großbanken alle Star-Banker neue Arbeitsverträge erhalten, die dem Umstand Rechnung tragen, dass die Boni der Banker künftig nur in Ausnahmefällen das Festgehalt übersteigen dürfen. Unter dem Strich ändert sich nach diesem Modell an den Bezügen der Top-Banker gar nichts. Und wenn schon die Finanzjournaille auf solche Ideen kommt – wie ausgeklügelt dürften dann die Tricks sein, mit denen die Branche die neuen Regulierungen umgehen kann?

Dennoch wäre die Umsetzung der neuen EU-Richtlinien ein Fortschritt, an dem man ansetzen könnte: Die Boni-Regelung könnte man nicht nur auf Hedgefonds und Aktienfonds, sondern auf alle Aktienkonzerne ausdehnen. Auch die länderweise Berichtspflicht sollte für alle Transnationalen Konzerne durchgesetzt werden. Und auf Basel III (Eigenkapitalbestimmungen) könnte Basel IV folgen. Je mehr in dieser Richtung umgesetzt wird, desto weniger wird ein Rückfall in die Ära der vollständigen Deregulierung möglich.