19. Juni 2013

Steuergerechtigkeit nach Lough Erne?



Die Deklaration von Lough Erne beginnt mit einem Kotau vor der Privatwirtschaft: „Private enterprise drives growth, reduces poverty, and creates jobs and prosperity for people around the world.“ Zu deutsch etwa: “Privates Unternehmertum schafft Wachstum, reduziert die Armut und schafft Arbeitsplätze und Wohlstand für Menschen überall auf der Welt.” Den Regierungen, so heißt es weiter, obliege die Schaffung geeigneter Regeln und die Förderung von Good Governance, womit wir bei der Frage von Tax and Transparency, von Steuern und Transparenz wären. Es ist dieses sehr klassische Verständnis der Arbeitsteilung zwischen Staat und Privatsektor, das für die britische G8-Präsidentschaft nie zur Disposition stand, als sie ihre drei Ts auf die Agenda des Gipfels setzte.

Immerhin verkündet der schmale 10-Punkte-Katalog der eine Seite kurzen Deklaration erstmals auf dieser Ebene zwei Prinzipien, die bislang das Herz der Protagonisten von Steuergerechtigkeit höher schlagen ließen: das Prinzip des automatischen Informationsaustauschs in Steuerfragen und das Prinzip der länderweisen Berichtspflicht für international tätige Konzerne („country-by-country reporting“). Doch statt klar zu formulieren, dass Konzerne darüber Auskunft geben sollten, wo sie welche Profite erzielen, heißt es: „Multinationale Konzerne sollten den Steuerbehörden berichten, welche Steuern sie wo zahlen.“ Und: „Konzerne sollten wissen, wem sie wirklich gehören, und Steuerbehörden sollten leichten Zugang zu diesen Informationen bekommen.“ Das von der britischen Regierung ins Gespräch gebrachte Firmenregister über die Eigentumsverhältnisse bei Unternehmen, Trusts und Briefkastenfirmen fehlt.

Überhaupt ist jeder dieser zehn Punkte im Stile einer bloßen Absichtserklärung formuliert; das am häufigsten vorkommende Wort ist das Wörtchen „sollte“ („should“). Und so fragen sich die Experten, warum die G8, die für die meiste Steuerflucht und -vermeidung selbst die Verantwortung tragen, nicht einfach festlegen, dass und wie dagegen vorzugehen ist. Dies hat mit den Interessenlagen der G8-Mitgliedsstaaten selbst zu tun. Die Londoner City ist noch immer das größte Steuerparadies der Welt. Und Großbritannien (einschließlich seiner Überseeterritorien) und die USA (Delaware!) beherbergen bei weitem die meisten Briefkastenfirmen, die die Multis zur Umsetzung ihrer Steuervermeidungsstrategien nutzen. Man wird deshalb genau beobachten müssen, was die einzelnen Mitgliedsstaaten der G8 aus den in Lough Erne verkündeten hehren Prinzipien machen, wenn es darum geht, sie in ihren eigenen Rechtsbereich zu übersetzen. 

Neben dem Umstand, dass die Deklaration mit ihren schönen Prinzipien vorerst ein ziemlich zahnloser Tiger bleibt, ist aus entwicklungspolitischer Sicht mehr als bedenklich, dass bislang nicht vorgesehen ist, die Firmenregister, so sie denn in dem einen oder anderen G8-Land, z.B. in Großbritannien, kommen, öffentlich zugänglich zu machen, so dass sie auch von Entwicklungsländern genutzt werden können, um gegen Steuerflucht vorzugehen. Es ist nichts als inhaltslose Rhetorik, wenn es in Punkt 4 heißt: „Entwicklungsländer sollten die Information und die Kapazität haben, die ihnen zustehenden Steuern zu erheben – und andere Länder haben eine Pflicht ihnen dabei zu helfen.“ Völlig zu Recht hat deshalb Oxfam nach dem Gipfel erklärt: „Wenn die armen Länder im Rennen um die Reform der Steuersysteme nicht abgehängt werden sollen, müssen die G8 nachbessern. Intransparenz und Geheimniskrämerei können nicht mit geheimen Listen und Registern bekämpft werden. Wenn der ,Goldstandard‘ des weltweiten automatischen Informationsaustausches jetzt schnell Realität wird, sind mehr als warme Worte nötig, um sicherzustellen, dass die armen Länder fair beteiligt werden.“

18. Juni 2013

Jeffrey D. Sachs: Wachstum reicht nicht



Für den Gastgeber des G8-Gipfels in Lough Erne, David Cameron ist die Sache klar. Die Ursachen von Unterentwicklung und Armut liegen in „dem erschreckenden Maß an Korruption und Missmanagement der Ressourcen“ und der „von Grund auf schlechten Regierungsführung“. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass der Bericht des von ihm geleiteten Hochrangigen Panels stark auf die „Eigenverantwortung“ der Entwicklungsländer und darauf setzt, dass „good business“ schon den Weg aus der Armut bereiten wird (>>> Hochrangiges Panel bringt hochgradige Verwässerung).

Weniger beachtet wurde demgegenüber ein anderer Bericht eines ebenfalls von UN-Generalsekretär einberufenen anderen Panels, des Sustainable Development Solutions Network (SDSN). Dessen ebenfalls kürzlich vorgestellte Action Agenda for Sustainable Development klammert im Unterschied zu Post-2015-Panel Umverteilungsfragen nicht aus. Der Leiter des SDSN, Jeffrey D. Sachs, sagte bei der Vorstellung des neuen Aktionsprogramms für die Zeit nach den Millennium-Entwicklungszielen 2015: 

„Es reicht nicht länger aus, dass Volkswirtschaften lediglich wachsen. Wir müssen zugleich die extreme Armut beenden – ein Ziel, das sich bis 2030 erreichen ließe. Wir müssen die Wirtschaft steuern, um die Umwelt zu schützen statt sie zu zerstören. Und wir müssen statt einer Gesellschaft, die in die ganz Reichen und die ganz Armen gespalten ist, eine fairere Verteilung des Wohlstands fördern.“ Genau in diesem Sinne verwende der Bericht den Begriff „nachhaltige Entwicklung“, „zur Bezeichnung eines Wirtschaftswachstums, das die extreme Armut beendet, die soziale Teilhabe ausweitet und das ökologisch gesund ist. Leider ist die Welt völlig vom Kurs abgekommen.“ – Man mag einwenden, dass auch nachhaltiges Wachstum immer noch Wachstum ist. Doch mit der Diagnose der Welt, die völlig vom Kurs abgekommen ist, hat Sachs sicherlich recht.


* Die vollständige Vorstellung des SDSN-Berichts lesen Sie >>> hier.

G8-Obsession: Wachstum und Freihandel



Immer wenn eine Verhandlungsrunde über ein neues Freihandelsabkommen eingeläutet werden soll, erklingt ein Chor von Vorhersagen, wie segensreich und wohlfahrtsfördernd das neue Abkommen sein wird. So ist es auch diesmal wieder. Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), für dessen Aushandlung die G8 soeben den Startschuss gegeben haben, soll laut einer Studie der EU-Kommission die Wirtschaftsleistung in Europa um 119 Mrd. € pro Jahr und in den USA um 95 Mrd. € pro Jahr erhöhen. Schon heute entfällt auf die USA und die EU zusammengenommen rund die Hälfte des globalen Outputs und ein Drittel des Welthandels. Die Botschaft ist klar: Seht her, wir geben dem Wachstum einen kräftigen Schub.

Auch wenn die Wohlfahrtswirkungen nach einem anderenGutachten, das das Münchner ifo-Institut gestern veröffentlichte, genau andersherum verteilt sein werden und die USA mehr als die EU profitieren werden, während die Umlenkungseffekte im Handel zu Lasten der Entwicklungs- und Schwellenländer gehen werden, das zusätzliche Wachstum ist allemal groß genug, um das hochgelobte Freihandelsprinzip vor kritischen Fragen abzuschirmen. Dabei wird bei solchen Zahlenspielen geflissentlich „übersehen“, dass es sich um pure Hypothesen handelt, da die eigentlichen Verhandlungen zum Zeitpunkt der Durchführung der Studien noch gar nicht begonnen haben, und über die tatsächlich erreichbaren Verhandlungsergebnisse nur spekuliert werden kann.

Auch die qualitativen Seiten werden durch den Wachstums- und Freihandelswahn stets unter den Teppich gekehrt, seien es die Folgen für den Verbaucherschutz, für die Umwelt oder die Bewegungsfreiheit der Konzerne, wenn wie jetzt geplant, Standards einfach gegenseitig anerkannt statt auf hohem harmonisiert oder Unternehmen Klagerechte gegen Staaten eingeräumt werden. Von der grundsätzlichen Frage, wie viel zusätzliches Wachstum der Planet eigentlich verträgt, ist schon gar keine Rede mehr, wenn die Besessenheit von Wachstum und Freihandel wie jetzt wieder in Lough Erne die Oberhand gewinnt.

17. Juni 2013

Oxfam: G8-Skandale in Zahlen



Mit beeindruckenden Zahlen wartet die internationale Entwicklungsorganisation Oxfam zum heutigen Auftakt des G8-Gipfels in Nordirland auf. Während der zwei Tage des Gipfels werden 2,2 Mrd. Dollar illegal aus Entwicklungsländern in Steuerparadiese geflossen sein, und eine Landfläche in der eineinhalbfachen Größe Manhattens wird an ausländische Investoren verkauft worden sein. Die Berechnungen basieren auf der jüngsten Schätzung von Global Financial Integrity (>>> The Absorption of IllicitFinancial Flows from Developing Countries: 2002-2006) und den Beobachtungen von Land Matrix Partnership. Das um sich greifende Landgrabbing setzt mehr und mehr Menschen dem Risiko des Verlustes ihrer Lebensgrundlagen aus, ohne dafür entschädigt zu werden. Und mit den 2,2 Mrd. Dollar illegaler Finanzflüsse aus Entwicklungsländern könnte der komplette Bildungshaushalt in Kenia und Tansania zusammen finanziert werden.

Die beiden Themen stehen nicht zufällig auf der Agenda des diesjährigen G8-Treffens. Von den insgesamt schätzungsweise 18,5 Billionen Dollar, die reiche Individuen in Steuerparadiesen versteckt haben, entfallen schätzungsweise 40% auf solche, die unter der Jurisdiktion von G8-Staaten stehen. Dies verdeutlicht die Mitverantwortung der G8 – rund 66 Mrd. Dollar an Steuereinnahmen gehen verloren, weil die G8 die ihnen unterstehenden Steuerparadiese nicht dichtmachen. Und G8-Konzerne und –Investoren sollen seit 2004 Land in der Größe Irlands aufgekauft haben – genug um Nahrungsmittel für 96 Millionen Menschen anzubauen.

Die Messlatte an den G8-Gipfel, die sich daraus ergibt, ist einfach: Nur ein Steuerhilfeabkommen, das die Steuerfluchthäfen und die Entwicklungsländer einschließt, und nur ein öffentliches Register für Firmen und Trust wurde es allen Ländern auf der Welt ermöglichen, Unternehmen und Individuen fair zu besteuern. Und nur wenn die G8 beginnen, die eigenen Unternehmen nach den UN-Richtlinien zum Landgrabbing zu regulieren und sicherzustellen, dass die Betroffenen vorher gehört werden, können sie sich glaubwürdig Transparenzprinzipien auf die Fahnen schreiben. Es mag ein Fortschritt sein, dass auf G8-Gipfeln inzwischen über solche Themen geredet wird. Handels wäre besser.