28. Februar 2014

Multis und Menschenrechte in der EU: Neue Transparenzvorschriften

Börsennotierte Unternehmen aus Europa sollen künftig über Risiken ihrer Tätigkeit für Menschen- und Arbeitnehmerrechte sowie die Umwelt berichten müssen. Darauf einigten sich in dieser Woche Nachmittag die zuständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten in Brüssel nach zähen Verhandlungen. Trotz zahlreicher Zugeständnisse seitens des Europaparlaments, das strengere Vorschriften wollte, stimmte Deutschland dem Kompromissvorschlag nicht zu, sondern enthielt sich der Stimme. Bis Mai 2014 müssen das Europaparlament sowie der EU-Ministerrat diesem Vorschlag noch formal zustimmen. Danach erfolgt die nationale Umsetzung.  


Die Enthaltung Berlins stößt vor allem bei NGOs auf Kritik, den die Bundesregierung habe damit den Schutz von Menschenrechten und Umwelt hinter die Interessen von Unternehmen zurückgestellt, heißt es in einer Stellungnahme des CorA-Netzwerks für Unternehmensverantwortung und Germanwatch. „Ein schlechteres Zeichen hätte die neue Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt nicht setzen können. Verbindliche Offenlegungspflichten sind essentiell, damit Unternehmen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachweislich nachkommen“, so Germanwatch-Vorsitzender Klaus Milke.

Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission sah vor, dass große Unternehmen in ihren Lageberichten über Risiken für Umwelt, Menschenrechte und soziale Aspekte berichten müssen. In den nachfolgenden Verhandlungen mit EU-Kommission und Europaparlament hatten die alte und die neue Bundesregierung weitreichende Änderungen durchgesetzt, die die Anforderungen an Unternehmen gesenkt haben. So sollen nach dem jetzt vorliegenden Papier nur noch „Unternehmen von öffentlichem Interesse“ – gemeint sind börsennotierte Unternehmen sowie Banken und Versicherungen – berichten. Dies ist eine Einschränkung, die die Anzahl der betroffenen Unternehmen in der EU von ursprünglich 18.000 auf rund 6.000 reduziert. Ferner müssen die Informationen nicht mehr im Lagebericht veröffentlicht werden. Separate Berichte, die keiner Wirtschaftsprüfung unterliegen, sollen ausreichen. Dies verringert die Relevanz der Berichte.

Hinsichtlich der Reichweite der Berichtspflicht konnte sich die deutsche Position jedoch nicht umfänglich gegenüber dem Europaparlament durchsetzen. Der abgestimmte Kompromissvorschlag sieht vor, dass börsennotierte Unternehmen auch über Risiken für Mensch und Umwelt entlang ihrer Zulieferbeziehungen berichten müssen, zumindest, wenn diese relevant sind. Das heißt: Ölkonzerne müssten über das Abfackeln von Gas bei der Förderung berichten und Textilunternehmen die menschenrechtlichen Risiken in der Zulieferkette berücksichtigen. Die Bundesregierung ist trotz ihrer Enthaltung an den gefundenen Kompromiss gebunden. Von der EU-Kommission werden in den nächsten zwei Jahren Orientierungshilfen für Unternehmen für das Erstellen von Berichten erwartet. Eine Evaluation der Regelungen ist nach vier Jahren geplant.

27. Februar 2014

TTIP: Transparenz als Tarnkappe?

Die USA nutzen die derzeit laufenden Verhandlungen über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) mit aller Kraft, um ihren Konzernen künftig mehr Einfluss auf die europäische Wirtschaftsgesetzgebung zu verschaffen. Dies wurde während des letzten Wochenendes beim „Stock-taking“ zwischen den beiden Verhandlungsführern, dem US-Handelsbeauftragten Michael Froman und dem EU-Handelskommissar Karel De Gucht, deutlich, wie die Financial Times berichtete. Geht es nach Washington, sollen die US-Konzerne unter TTIP das Recht erhalten, gegen EU-Gesetze als „Handelsbarrieren“ vorzugehen.

Der Vorstoß, der US-Unternehmen Inventionsrechte in alle einschlägigen EU-Verfahren, die dem Erlass von Bestimmungen und Regulierungen der europäischen Wirtschaft dienen, geben soll, kommt ironischerweise im Gewand der Forderung nach mehr Transparenz daher. Die USA beklagen, dass die gegenwärtigen Verfahren ihren Unternehmen zu wenig Gelegenheit geben, Regulierungsvorschläge vor ihrer Fertigstellung einzusehen und zu kommentieren; sie fühlen sich faktisch ausgeschlossen, während europäische Unternehmen einschlägige Texte in den USA offen einsehen und kommentieren könnten. Folglich fordert Washington, dass die EU künftig die Texte für neue Regulierungen vorab publizieren und zur Kommentierung zulassen soll.

Die US-Regierung und die US-Konzerne also in einer Phalanx mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in Europa, die schon lange mehr Transparenz in Handelsverhandlungen fordern? So gut das klingt, so einfach ist es jedoch nicht. Faktisch dürfte der Vorschlag, sollte er sich durchsetzen, vor allem das Heer der Industrielobbyisten in Brüssel kräftig vergrößern – um die Vertreter der US-Konzerne eben. Im Grunde genommen verhandeln die USA und die EU im Rahmen von TTIP schon länger über die Einrichtung eines permanenten Konsultationsmechanismus zu Regulierungsfragen, der neue Gesetze und Bestimmungen an die Bedürfnisse der Konzerne anpassen soll (>>> Der Pseudo-Rückzug der Kommission).

Immer wenn etwas tatsächlich oder vorgeblich gegen die Freihandelsinteressen verstößt, sollen die Konzerne also Einspruchsmöglichkeiten bekommen. Das ist freilich etwas anderes als die alte zivilgesellschaftliche Forderung nach Veröffentlichung der Verhandlungsmandate. Diese kommen, wie jüngst das TTIP-Verhandlungsmandat der Kommission, meist nur durch Zufall, hintenherum oder durch gezieltes „Durchsickern“ ans Tageslicht. Immerhin: Das TTIP-Verhandlungsmandat der EU-Kommission kann seit heute auf zeit-online im Wortlaut nachgelesen werden.

26. Februar 2014

UN-Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte: Umsetzung in Deutschland mangelhaft

Deutsche Unternehmen geraten im Ausland immer wieder in Konflikt mit den Menschenrechten. Importe von Kupfer aus Peru, Steinkohle aus Kolumbien und Textilien aus Bangladesch sind nur einige von vielen Beispielen, die ein heute vorgelegter Prüfbericht von Germanwatch und Misereor (GlobalesWirtschaften und Menschenrechte. Deutschland auf dem Prüfstand) dokumentiert. Mitverantwortlich ist nach Ansicht der Autoren auch die Politik. Der deutsche Staat werde seiner völkerrechtlichen Verpflichtung bislang nicht gerecht, die Menschenrechte vor Verstößen durch deutsche Unternehmen im Ausland effektiv zu schützen.


Kritisiert wird auch, dass Deutschland fast drei Jahre nach Verabschiedung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte immer noch keinen Aktionsplan zur Umsetzung erarbeitet hat. Zwar bekennt sich der Koalitionsvertrag bekennt sich zu den Leitprinzipien - aber bis heute hat die Bundesregierung nicht geklärt, welches Ministerium für die Koordination eines Aktionsplans zuständig ist. Aktuell versucht die Bundesregierung die neue Transparenzrichtlinie der EU zu verwässern, die Unternehmen verpflichten soll, in ihren Lageberichten auch über soziale, ökologische und menschenrechtliche Probleme im Ausland zu berichten. Das Kanzleramt selbst stehe hier auf der Bremse, kritisieren die Autoren.

Auf Grundlage einer Umfrage unter den DAX-30-Unternehmen kommen Germanwatch und Misereor zu einem insgesamt ernüchternden Befund. Bei einem Teil der Unternehmen gäbe es gewisse Fortschritte. Aber die meisten DAX-30-Unternehmen erfüllten ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten bislang allenfalls in Ansätzen. Abgesehen von Fresenius und Fresenius Medical Care bekennen sich zwar alle DAX-Unternehmen öffentlich zu den Menschenrechten; die menschenrechtlichen Folgen ihrer Aktivitäten und Geschäftsbeziehungen im Ausland untersuchen sie bislang aber nur oberflächlich. Inwieweit sich ihre Einkaufspraktiken negativ auf Arbeitsstandards bei ihren Zulieferern auswirken, scheint bislang kein Unternehmen systematisch zu überprüfen und erst recht nicht zu verändern.

Diese Mängel unterstreichen laut Germanwatch und Misereor den politischen Handlungsbedarf auf bundesdeutscher und EU-Ebene. U..a. dürfe die Bundesregierung die Achtung der Menschenrechte im Ausland nicht länger als eine freiwillige Angelegenheit der Unternehmen behandeln, sondern müsse menschenrechtliche Sorgfaltspflichten verbindlich vorschreiben. Die deutsche Regierung setzt auch in der EU-Handelspolitik bisher einseitig auf die Erschließung ausländischer Märkte und Rohstoffe, ohne Rücksicht auf die Folgen für die Menschenrechte zu nehmen.

24. Februar 2014

G20 weiter auf dem Weg in die Irrelevanz?

Offizielles Gruppenfoto der G20 Finanzminister
Der Print-Ausgabe der Financial Times war das Finanzministertreffen der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20), das an diesem Wochenende in Sydney stattfand, heuten Morgen nicht einmal mehr einen Artikel wert. Dabei haben sich die G20 erstmals darauf geeinigt, sich für die kommenden fünf Jahre ein gemeinsames Wachstumsziel zu setzen. Die Wirtschaftsleistung ihrer Länder, so hält es das verabschiedete Kommuniqué fest, soll in dem kommenden Jahrfünft um zusätzlich 2% wachsen. Dies entspräche 2 Billionen US-Dollar und würde „deutlich zusätzliche Jobs“ bringen.


Die Akzentsetzung aufs Wachstum wurde gelegentlich als politischer Schwenk interpretiert, nachdem auf den letzten G20-Konferenzen schwerpunktmäßig von Austeritätsmaßnahmen und von fiskalischer Konsolidierung die Rede war. Doch dies übersieht nicht nur den weitgehenden symbolischen Charakter der Ankündigung. Die Wachstumsorientierung dieses Wochenendes beruht nämlich auf einem IWF-Szenario, wonach ihre Realisierung „aggressive Reformen“ in den G20-Ländern zur Voraussetzung haben. Dazu sollen u.a. ein Abbau der Regulierungen der Dienstleistungsindustrie und eine Rückführung der Arbeitsschutzgesetze „um 20%“ gehören sowie die Einführung der freien Konvertibilität der chinesischen Währung, allerdings auch mehr Investitionen in Überschussländern wie Deutschland.

Es ist grundsätzlich zu bezweifeln, ob mit einem Programm, dessen neoliberale Züge nicht zu übersehen sind, zusätzliches Wachstum erzielt werden kann (einmal ganz unabhängig von der prinzipiellen Wünschbarkeit). Wichtig ist auch das Wörtchen „zusätzlich“. Denn die bisherigen Projektionen des IWF sehen bereits ein durchschnittliches globales Wachstum von 3,25% für dieses Jahr und 4% für 2015 vor – und dies inmitten einer Welt von Risiken. Es könnte deshalb gut sein, dass das Finanzministertreffen von Sydney – wie die gesamte australische G20-Präsidentschaft überhaupt – nur eine weitere Station auf dem Weg der G20 in die Irrelevanz gewesen sein wird (>>> Wie G20-Initiativen verdampfen). Schadenfreude darüber wäre jedoch fehl am Platze. Denn wenn der G20-Motor stottert, steht derzeit leider kein ähnlich breit akzeptierter Kooperationsmechanismus für Wirtschafts- und Währungsfragen zur Verfügung.

19. Februar 2014

20 Jahre NAFTA: Amigo-Gipfel ohne Grund zum Feiern

Heute findet der Gipfel von Toluca/Mexiko statt. Es ist ein mehr oder weniger reguläres Treffen der Regierungschefs der USA, Kanadas und Mexikos, um den Stand der Integration im Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) zu besprechen. Heuer ist es der 20. Jahrestag von NAFTA, doch die drei Amigos, Barack Obama, Stephen Harper und Mexikos Enrique Peña Nieto haben wenig zu feiern. NAFTA gilt als Flop, vor allem für Mexiko, das den Erwartungen zufolge zum Industrieland aufsteigen sollte, was bekanntlich nicht gelang. Stattdessen beträgt sein Pro-Kopf-Einkommen immer noch ein des der USA, wie schon 1994 bei Abschluss des Vertrags.

In einer Studie mit dem Titel „Did NAFTA Help Mexico?“ hat das Washingtoner Center for Economic and Policy Research (CEPR) jetzt die wirtschaftliche Entwicklung Mexikos unter NAFTA untersucht und dabei für die letzten 20 Jahre eine Verlangsamung des Wachstums, niedrigere Löhne und keinerlei Fortschritte bei der Armutsbekämpfung festgestellt. U.a. gelangen die Autoren zu folgenden Erkenntnissen:

* Von 1960-1980 hatte sich das mexikanische Pro-Kopf-Einkommen um 98,7% erhöht, also fast verdoppelt. In den letzten 20 Jahren ist es gerade mal um 18,7% gewachsen. Das ist nur halb so viel wie im Rest Lateinamerikas.

* Nach der offiziellen mexikanischen Statistik betrug Mexikos Armutsrate 2012 52,3% und ist damit fast identisch mit der des Jahres 1994. Unterdessen verzeichnete der Rest Lateinamerikas einen Rückgang der Armut, der über zweieinhalbmal so schnell wie der Mexikos war.

* Die inflationsbereinigten Reallöhne waren im Jahre 2012 fast genau so niedrig wie 1994, gerade mal 2,3% höher als vor 18 Jahren. Die Arbeitslosigkeit in Mexiko liegt heute bei 5%, verglichen mit durchschnittlich 3,1% in den Jahren 1990-1994 und einem Tiefpunkt von 2,2% in 2000. Diese Zahlen unterschätzen den wahren Arbeitsplatzmangel dramatisch, zeigen aber eine deutliche Verschlechterung der Arbeitsmarktbedingungen während der NAFTA-Jahre.

Dabei tat Mexiko alles, was Washington wirtschaftspolitisch wollte. Doch 20 Jahre später ist ziemlich klar, dass das mexikanische Volk verloren hat, während einige Milliardäre bemerkenswert gut gefahren sind. Allerdings läuft NAFTA für die US-Administration unter „ferner liefen“, seit mit dem Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) und der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) zwei Mega-Deals in greifbare Nähe geraten sind. Deren gegenüber NAFTA deutlich höheren Wert für Washington beschrieb die ehemalige Handelsbeauftragte Carla Hills kürzlich so: „Mit der Transpazifischen Partnerschaft haben wir eine wundervolle Gelegenheit. Wir brauchen NAFTA nicht neu zu eröffnen – unsere beiden Partner sitzen mit uns am Tisch, und worauf immer wir uns bei TTP einigen – es ist das Leitdokument, durch das auch NAFTA verändert, aufgewertet oder ergänzt wird.“

Wie sehr allerdings TTP die politischen Fehler von NAFTA wiederholt und die Interessen der Multinationalen Konzerne stärkt, zeigt jetzt eine neue Studie des Public Citizen. Die kritischen Seiten von TTIP stehen im Mittelpunkt der neuen Ausgabe des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung (>>> W&E 02/Februar 2014):



G20-Finanzminister gespalten in Sydney

Wenn die G20-Finanzminister am kommenden Wochenende erstmals in Sydney unter australischer Präsidentschaft zusammenkommen, wird auch die neue US-Notenbank-Präsidenten Janet Yellen erstmals Gelegenheit haben, in direkter Konfrontation die Klagen zu hören, die viele Vertreter der Schwellenländer inzwischen über die Auswirkungen der Rückführung der lockeren Geldpolitik in den USA („Tapering“) vorzutragen haben. Als Yellen in der letzten Woche unmissverständlich klarmachte, dass das Tapering ausschließlich durch die Interessen der US-Ökonomie bestimmt werde, bestätigte sie damit ihren indischen Kollegen Raghuram Rajan. Dieser hatte vor einigen Wochen angesichts des geldpolitischen Alleingangs der USA den Zusammenbruch der internationalen währungspolitischen Zusammenarbeit beklagt.


Die durch das Tapering ausgelösten Währungsturbulenzen vieler Schwellenländer (>>> 3. Akt der Finanzkrise) werden voraussichtlich das Hauptthema des Treffens der Finanzminister und Zentralbankchefs der G20 in Sydney sein. Die wachsende Konsterniertheit unter den südlichen Mitgliedern der G20 über die mangelnde Kooperationsbereitschaft der alten Industrieländern wird noch verstärkt durch das Scheitern der US-Regierung, die jüngste Quotenerhöhung des IWF und damit die leichte Erhöhung der Stimmrechte für die Schwellenländer zu ratifizieren (>>> Wie G20-Initiativen verdampfen). Insgesamt scheint es, als habe der Norden angesichts der Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Lage und der erneuten Verschiebung der Finanzkrise in den Süden das Interesse an einer G20 verloren, die mehr als Deklarationen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zustande bringt.

Eigentlich sollte im Mittelpunkt dieser erstmaligen G20-Präsidentschaft Australiens die Vollendung der internationalen Finanzmarktreformen (Too-big-to-fail-Problematik, Schattenbankenregulierung) stehen. Doch jetzt stellt sich plötzlich „nicht nur“ das Problem der ständigen Verwässerung dieser Reregulierungsbestrebungen. Denn wie sollte eine beherzte Reform des internationalen Finanzsystems möglich sein, wenn dies der derzeit federführenden G20-Regierung ohnehin gegen den Strich geht. Die Rolle der G20-Finanzminister, so meinte jetzt der australische Kollege, Joe Hockey, sei es, „das Joch der Regulierung, der Bürokratie, der Besteuerung und der zentralisierten Kontrolle zu lüften“. Bei so viel neoliberaler Chuzpe könnte selbst eingefleischten Beobachtern die Spucke wegbleiben.

18. Februar 2014

Kampf um Tobin-Steuer spitzt sich zu

Die Auseinandersetzung um die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT) durch elf Mitgliedsländer spitzt sich zu. Angesichts der drohenden Verwässerung der Finanztransaktionssteuer haben in einer europaweiten Aktion über 300 zivilgesellschaftliche Organisationen offene Briefe (>>> Wortlaut) an Regierungschefs geschrieben. Adressaten waren neben Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vize-Kanzler Sigmar Gabriel, Finanzminister Wolfgang Schäuble und Frankreichs Präsident François Hollande die spanischen und italienischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy und Enrico Letta sowie Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann. 

Anlässlich der morgen stattfindenden deutsch-französischen Regierungskonsultationen in Paris, bei der die Besteuerung von Derivaten thematisiert werden wird, warnen die Organisationen vor einem faulen Kompromiss und fordern eine umfassende Finanztransaktionssteuer. Die französische Regierung will die Derivate von der Besteuerung ausnehmen, während die Bundesregierung möglichst alle Derivate besteuern will. Wenn Derivate unversteuert bleiben würden, würde der deutsche Staat anstatt der jährlich möglichen 12 Mrd. nur 4,5 Mrd. € aus der Finanztransaktionssteuer einnehmen. Das wäre ein Einnahmeverlust von 60%. Dies geht aus einer aktuellen Berechnung des Aktionsbündnisses Steuer gegen Armut hervor. 

Die NGOs fordern eine breit angelegte Steuer auf Aktien, Anleihen und Derivate. Alles andere wäre in ihren Augen ein Feigenblatt ohne echte Wirkung. Bei Ausnahmen für Derivate würden diese genutzt, um Steuern auf Aktien und Anleihen zu umgehen. Unterdessen wartete die City of London Corporation, ein Lobbyorgan der Finanzbranche, gestern mit besonders abenteuerlichen Zahlen auf. Nach ihren Angaben drohen für „deutsche Privathaushalte“ Vermögensverluste von 150 Mrd. €, wenn die Steuer eingeführt wird, weil dies den Marktwert der besteuerten Papiere nach unten drücken würde. Fragt sich nur, welche Privathaushalten mit solchen Papieren spekulieren… 

Um für eine breite Finanztransaktionssteuer zu mobilisieren hat Oxfam, ebenfalls Mitglied des Aktionsbündnisses Steuer gegen Armut, heute einen Kurzfilm (s. Video unten) veröffentlicht. Darin wirken neben Heike Makatsch weitere Filmstars wie Bill Nighy, Andrew Lincoln, Javier Cámara und Clémence Poesy mit. Der dreiminütige Spot "Future News" unter der Regie von David Yates (Harry Potter-Filme) stellt die Verwendung zukünftiger Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer für die Armutsbekämpfung und den Klimaschutz in den Mittelpunkt. „Einnahmen aus der Steuer werden dringend für die weltweite Armutsbekämpfung gebraucht. Frankreich will einen gewichtigen Teil für die Entwicklungszusammenarbeit nutzen. Es wird Zeit, dass die Bundesregierung handelt und sich in Paris zur Verwendung der FTS-Gelder für Entwicklung bekennt“, forderte Tobias Hauschild von Oxfam Deutschland.

Kurzfilm zur Finanztransaktionssteuer