31. August 2011

Madame Lagardes Paukenschlag

Zwar nicht in der Natur und beim Wetter, aber auf den Finanzmärkten war dies ein heißer August, und zum Schluss haben wir mit der „Jungfernrede“ der IWF-Exekutivdirektorin Christine Lagarde in Jackson Hole noch etwas bekommen, womit so niemand gerechnet hätte, nicht einmal einer, der ihrer Kandidatur wie ich sehr aufgeschlossen gegenüber stand (>>> Warum ich unter diesen Bedingungen für Lagarde bin). Christine Lagarde hat vor den versammelten Zentralbankern Dinge gesagt, die keiner der Herrschaften des offiziellen Politik- und Finanzmanagements so über die Lippen gebracht hätte. Auch vier Tage nach der Rede hallt ihr Paukenschlag nach. Warum?

Erstens hat Lagarde auf unmissverständliche Weise darauf hingewiesen, dass wir uns derzeit in einer „neuen gefährlichen Phase“ der weltwirtschaftlichen Entwicklung befinden. Auch in Europa stehen die Zeichen auf Rückfall in eine erneute Rezession; und – wie der in der nächsten Woche erscheinende Trade & Development Report von UNCTAD deutlich machen wird – auch Schwellen- und Entwicklungsländer werden von dem Double-Dip nicht verschont werden. Zweitens hat die IWF-Chefin etwas gesagt, das keinem europäischen Offiziellen derzeit über die Lippen kommt (und leider auch vielen IWF-Missionen vor Ort nicht), dass es nämlich noch andere Politikoptionen gibt als die verallgemeinerte exzessive Austerität.

Drittens hat Lagarde an das absolute Dogma von der Geldwertstabilität gerührt, das die Zentralbanker wie eine Monstranz vor sich hertragen, indem sie davon sprach, dass gegenwärtig die Rezessionsgefahr höher ist als die Inflationsgefahr. Viertens hat sie darauf aufmerksam gemacht, dass die regulatorische Reform des internationalen Finanzsystems weitgehend unvollendet ist. Als Paradebeispiel wählte sie ausgerechnet die nach wie vor dringend notwendige Rekapitalisierung der europäischen Banken, d.h. ihre bessere Ausstattung mit Eigenkapital. Damit wischte sie implizit die Ergebnisse des sog. Banken-Stresstests vom Tisch, was sogleich die „europäischen Offiziellen“ auf den Plan rief, die meinen, alles wäre in Butter. Doch inzwischen geben mehr und mehr Institutionen, nicht zuletzt die Europäischen Bankenaufsicht, der IWF-Direktorin Recht. Und fünftens hat Lagarde darauf hingewiesen, dass die Überschussländer mehr beitragen müssen, um die Weltwirtschaft aus der Krise zu ziehen. Namen wie Deutschland und Japan sind zwar nicht gefallen. Aber die Debatte ist neu eröffnet.

Lagardes Rede war von erfrischender Offenheit. Sie hat offensichtlich das Talent, den Mut und die Kraft, auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen, was den Herren Finanzministern meistens abgeht, so selbst die Financial Times. Hier passt er ausnahmsweise einmal, der einfallslose Spruch der Konservativen: Weiter so, Madame Lagarde!

29. August 2011

Steuerwettbewerb – wozu?

In einem Leserbrief in der Financial Times von heute argumentiert Chris Jordan, der bei der britischen NGO ActionAid als Campaigner für Steuergerechtigkeit aktiv ist, dass von dem derzeit ausufernden Steuerwettbewerb eigentlich niemand wirkliche Vorteile hat. „Es ist schwer einzusehen“, so Jordan, „warum internationaler Steuerwettbewerb wünschenswert sein soll, „wenn er immer nur in eine Richtung führt, nämlich nach unten.“ Und:

„Der Begriff ‚Steuerwettbewerb‘ ist selber extrem irreführend, weil er impliziert, dass Länder ihre Steuersysteme ‚verkaufen‘ und Unternehmen sich dann ‚einkaufen‘, geradeso wie beim Wettbewerb zwischen Unternehmen auf dem Markt. Diese Analogie hinkt, weil die letztendliche Sanktion gegen ein Unternehmen, das aufhört wettbewerbsfähig zu sein, darin besteht, dass es vom Markt verschwindet. Wie jüngste Beispiele aus Griechenland und anderswo zeigen, ist dies im Falle von Staaten überhaupt nicht wünschenswert.

Obwohl die Gruppe der 20 den ‚Anfang vom Ende der Steueroasen‘ gerühmt hat, sind die internationalen Politiker fortwährend daran gescheitert, gegen diejenigen Jurisdiktionen vorzugehen, die den internationalen Steuerwettlauf nach unten anführen. Die OECD schätzt, dass die Entwicklungsländer dreimal mehr an Steueroasen verlieren, als sie pro Jahr an internationaler Entwicklungshilfe bekommen. Gleichzeitig suchen die Industrieländer immer verzweifelter nach Einnahmen. Es ist also höchste Zeit, den Mythos vom vorteilhaften Steuerwettbewerb zu begraben.“

28. August 2011

Weltwirtschaft in gefährlicher neuer Phase

So brachte denn Jackson Hole doch noch eine kleine Überraschung: Kein führender Politiker hat bislang in so deutlichen Worten vor einem Rückfall in die Rezession und einer weiteren Verschärfung der globalen Finanzkrise gewarnt wie die neue IWF-Chefin Christine Lagarde auf dem Symposium der Zentralbank-Präsidenten in den Bergen von Wyoming. Die Ereignisse in diesem Sommer sind für sie ein klares Zeichen, dass „wir in einer gefährlichen neuen Phase sind“. Die globale Wirtschaft wachse zwar weiterhin, aber nicht genug; einige Ursachen der Krise von 2008 seien angegangen, aber nicht auf adäquate Weise. Wir beobachten sehenden Auges, wie „die fragile Erholung entgleist“. Und: Wenn die Industrieländer erneut in die Rezession fallen, „werden die aufstrebenden Märkte nicht entkommen“.

Interessanter noch als dieser nicht zu überhörende Warnruf ist die Position Lagardes, dass die Politik in der gegenwärtigen Situation „nicht ohne Optionen“ ist. So rief sie dringend zur Rekapitalisierung der europäischen Banken auf (möglichst als „verbindlichen Rekapitalisierung“), um in der europäischen Krise Ansteckungskanäle zu versperren. In puncto Konjunkturpolitik plädiert sie ausdrücklich gegen einen unmittelbaren und exzessiven Austeritätskurs, der den notwendigen Ausschwung abwürgen würde. Fiskalische Konsolidierung ja, aber eher in mittelfristiger Hinsicht; kurzfristig gehe es um die Ankurbelung des Wachstums, da ohne Wachstum auch jede Konsolidierung gefährdet bzw. „unglaubwürdig“ wäre. Gegen die EZB gewandt, sagte sie: „Auch die Geldpolitik sollte sehr anpassungsfähig bleiben, da das Rezessionsrisiko größer ist als das Inflationsrisiko.“

Die neue IWF-Direktorin hat auch das nach wie vor virulente Problem der globalen Ungleichgewichte nicht aus den Augen verloren. Das „Rebalancing“ sei längst noch nicht weit genug vorangekommen, da die Überschussländer nicht genug zur wirtschaftlichen Wiederbelebung beitragen. Da ist sie wieder, die Denkweise, die nicht übersieht, dass Anpassung nicht nur auf Kosten der Defizitländer stattfinden kann, und die den einfältigen deutschen Sparpolitikern ein Dorn im Auge ist.

Über die farblosen Reden von Fed-Chef Bernanke und EZB-Chef Trichet bleibt da kaum noch etwas zu sagen – sie fielen gegenüber Lagarde sichtlich ab. Während Bernanke kaum etwas Neues sagte, ließ Trichet jeden Hinweis darauf vermissen, dass die EZB ihren verfrühten zinspolitischen Kurs demnächst vielleicht korrigieren könnte. Blamiert ist er jedenfalls. Spätestens seit kürzlich die schlechten Konjunkturzahlen der Euro-Kernländer Deutschland und Frankreich bekannt wurden.

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Jackson Hole: Die Reden im Wortlaut

>>> Ben Bernanke: The near- and longer-term prospects for the U.S. economy
>>> Christine Lagarde: Global risks are rising, but there is a path to recovery
>>> Jean-Claude Trichet: Achieving maximum long-term growth

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26. August 2011

Jackson Hole: Überschätztes Bankertreffen

Viele Augen in der Finanzwelt sind jetzt wieder auf Jackson Hole gerichtet. Dabei ist das alljährliche Symposium der Zentralbankchefs, das heute beginnt, das vielleicht am meisten überschätzte Wirtschaftstreffen unserer Zeit. Die dort gehaltenen Diskussionsbeiträge bewegen sich zwischen Beweihräucherung und Banalität. Um ein Beispiel zu nennen: 2005 sagten dort Alan Blinder und Ricardo Reis von der Princeton University, Alan Greenspan nehme zu Recht für sich in Anspruch, „der größte Zentralbanker zu sein, der jemals gelebt hat“. Heute wissen wir, dass er vielleicht der Zentralbanker war, der mit seinem blinden Vertrauen in „die Märkte“ den größten wirtschaftlichen Schaden angerichtet hat.

Von Greenspans Nachfolger Ben Bernanke (s. Photo) schreibt das Handelsblatt: „Seine Worte an diesem Freitag werden die Märkte bewegen.“ Wirklich? Die zweite Runde der geldpolitischen Lockerung („quantitative easing“), die der Chef der US-Notenbank Fed auf dem letztjährigen Treffen vorsichtig ankündigte, hat jedenfalls die Aktienkurse nach oben bewegt und den Carry Trade angeheizt; doch das jüngste Beben an den Börsen hat die Kursgewinne bereits wieder weitgehend zunichte gemacht. Realwirtschaftlich ist die Angst vor einer „Double-Dip“-Rezession heute eher größer als vor einem Jahr, als sie ebenfalls schon im Raume stand (>>> Jackson Hole: Angst, Konfusion, Ratlosigkeit).

Ob Bernanke in diesem Jahr eine dritte Runde des Quantitative Easing (QE3) ankündigen wird, ist eher zweifelhaft, obwohl es dutzende von Ratschlägen in dieser Hinsicht gibt. Denn mit jeder neuen Runde des Aufkaufs von Anleihen und der Flutung der Märkte mit neuem Geld nimmt die Wirksamkeit derartiger Maßnahmen ab. Zwar meinte Nobelpreisträger Jo Stiglitz kürzlich, die Fed sollte es dennoch tun. Doch im Grunde genommen wäre es derzeit nicht an den Zentralbanken, sondern an den Regierungen, die konjunkturpolitischen Kohlen aus dem Feuer zu holen. Dies gilt auch und gerade für Europa, wo die selbsternannten deutschen Sparkommissare und Fahnenträger der Orthodoxie jetzt sogar über die EZB herfallen. Auch EZB-Chef Jean-Claude Trichet wird in Jackson Hole eine Rede halten. Spannend könnte die Frage werden, ob diese eher eine geldpolitische Annäherung an die USA oder eine weitere Divergenz signalisieren wird.

25. August 2011

Stehaufmännchen: Noch eine Facility für den IWF?

Über der Welt hängt eine neue Finanzkrise, die in Wirklichkeit die alte ist (>>> Warum die Krise immer noch kein Ende findet), die USA und möglicherweise auch Europa stehen vor einem Rückfall in die Rezession, und die Befürchtungen werden stärker, dass das Arsenal der konventionellen Wirtschaftspolitik erschöpft sein könnte. Das schafft ein ideales Umfeld für ehemalige IWF-Direktoren, mit neuen Vorschlägen an die Öffentlichkeit zu treten, die das Gewicht des Fonds ein weiteres Mal stärken können. Nein, diesmal geht es nicht um Dominique Strauss-Kahn, dessen Vergewaltigungsverfahren in dieser Woche in New York eingestellt wurde, sondern um Hendrikus Johannes Witteveen. Letzterer war von 1973-1978 Geschäftsführender Direktor des IWF, also in jenem Jahrzehnt, als die Weichen für das gestellt wurden, was man später „neoliberale Offensive“ nannte.

„Unkonventionelle Probleme erfordern unkonventionelle Lösungen“, schreibt Witteveen in dieser Woche und unterbreitet den Vorschlag, der IWF möge eine neue Fazilität, eine „Schuldenfazilität“, schaffen. Diese solle nach dem Muster der in seiner Amtszeit kreierten Ölkrisenfazilität (1973) und Suplementary Facility (1977) konstruiert sein. Diese Facilities, also Kreditfenster, ermöglichen dem IWF, sich – über den Bestand der Sonderziehungsrechte hinaus – Finanzmittel zu beschaffen, die er dann an Krisenländer weiterverleihen kann. Im Grunde genommen leiht sich der IWF bei den Überschussländern Geld, das er dann – zu seinen Bedingungen, versteht sich – an Defizitländer weiterreicht. „Solch eine Fazilität würde es möglich machen, die hohen Zentralbankreserven Chinas, Japans oder des Mittleren Ostens anzuzapfen, neben denen Europas, beispielsweise Deutschlands“, schreibt Witteveen.

Die Vorteile? Witteveen geht davon aus, dass es für die Überschussländer attraktiver wäre, das Geld über den IWF zur Verfügung zu stellen als direkt. Denn die Rückzahlung der Schulden beim IWF hat gegenüber allen anderen Gläubigern stets Priorität. Und: Letztlich würde dies „große Länder wie Italien und Spanien unter die IWF-Konditionalität bringen“. Der IWF könnte also die Arbeit der Europäischen Zentralbank übernehmen; er wäre auch die geeignete Instanz, um auf eine „solide“ Haushaltspolitik der Länder zu drängen. – Der Vorschlag klingt nicht ganz dumm, denn er appelliert an die zahlreichen Kritiker der diversen Rettungspakete für die Länder an der Peripherie der Eurozone. Auf der anderen Seite könnte er die – aus der europäischen Rivalität mit den USA gespeisten – Bemühungen um einen Europäischen Währungsfonds (EWF) beflügeln. Dieser müsste dann aber ein deutlich anderes wirtschaftspolitisches und soziales Profil aufweisen als der gegenwärtige IWF. Bislang ist es freilich eher so, dass die Europäer in Berlin, Paris und Brüssel es darauf anlegen, den IWF in puncto Sparpolitik zu übertrumpfen.

17. August 2011

Merkel-Sarkozy-Gipfel: Zweifelhafte Mischung

Fernab von dem politischen Schlagabtausch, der jetzt um die Ergebnisse des Mini-Gipfels von Merkel und Sarkozy begonnen hat, wird man sagen müssen, diese sind im wahrsten Sinne des Wortes „gemischt“: Die Wirtschaftsregierung für die Eurozone ist sicher notwendig, keineswegs jedoch eine neue Idee, auch wenn sie jetzt als „wirkliche Wirtschaftsregierung“ daher kommen soll. Dass das Gremium vom gegenwärtigen Ratspräsidenten van Rompuy geführt werden soll, ist ein klares Zeichen, dass an ein wirklich starkes Gremium nicht gedacht ist. Eindeutig negativ ist der „Vorschlag“, den restlichen Euroländern eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild aufzuzwingen. Das engt den Spielraum für eine aktive Konjunkturpolitik genau in dem Moment ein, in dem sich in ganz Europa die wirtschaftliche Flaute breitmacht (>>> Double-Dip-Rezession ante portas).

Der erneute Ruf nach der Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT) in der Eurozone ist hingegen geeignet, eine laufende Debatte (>>> Die EU-Debatte um die Finanztransaktionssteuer) in die richtige Richtung voranzutreiben. Bereits im nächsten Monat will die Europäische Kommission dazu eine Machbarkeitsstudie vorlegen. Ob die FTT allerdings ausreicht, um die Konsequenzen des europaweiten Spardiktats zu kompensieren, wird man abwarten müssen. Ungeklärt sind auch noch einige andere Punkte: Nicht nur, wohin die Steuereinnahmen letztlich fließen werden (in den EU-Etat oder die nationalen Haushalte), sondern auch, wozu sie verwendet werden (für das Stopfen von Haushaltslöchern oder für die Aufstockung der Entwicklungs- und Umweltausgaben).

Geradezu kurios ist inzwischen der Eiertanz, den Merkel und ihr Compagnon Sarko aufführen, um sich vor der Einführung gemeinsamer Euro-Anleihen (sog. Eurobonds) zu drücken. Inzwischen kommt sogar der Eindruck auf, als seien die Finanzmärkte hier weiter als die Politik: Während von „den Märkten“ die Einführung solcher Anleihen erwartet wird, sitzt die Politik im Bremserhäuschen. In der Financial Times von heute findet sich sogar ein Plädoyer, die restlichen Euroländer sollten Eurobonds notfalls ohne Deutschland und Frankreich auflegen. Unter dem Aspekt der Marktgröße wären sie durchaus in der Lage, den Dollar- und Yen-Anleihen Konkurrenz zu machen. Vielleicht merken Berlin und Paris ja dann, wie weit sie sich inzwischen im Abseits befinden.

Naturschützer für fundamentalen Kurswechsel gegenüber Finanzmärkten

Zur Bewältigung der Finanzkrise hat der Deutsche Naturschutzring (DNR) soeben ein Sieben-Punkte-Papier vorgelegt, das in vielerlei Hinsicht bemerkenswert ist. Danach sind die Regulierung der Finanzmärkte, der ökologische Umbau der Wirtschaft und die Wende zu einer nachhaltigen Haushalts- und Finanzpolitik überfällig. Die Welt befinde sich in der härtesten Krise der Nachkriegszeit. Die Situation sei mit dem historischen Jahr 1989 vergleichbar. „Obwohl für die Banken und den Finanzsektor milliardenschwere Rettungsschirme aufgespannt wurden, spitzt sich die Krise zu, auch weil nach wie vor den Finanzexperten die Bewältigung der vom Finanzsystem ausgelösten Krise überlassen wird. Bekämpft werden die Folgen, aber nicht die Ursachen“, erklärte das Präsidiumsmitglied des DNR und Bundesvorsitzender der Naturfreunde, Michael Müller.

Mehr als ein Jahrzehnt lang haben aus Sicht des DNR die Politiker alle Forderungen nach demokratischer Kontrolle der Finanzmärkte und ökologischer Modernisierung der Wirtschaft ignoriert. Um Banken und Finanzmärkte an der Tilgung der Staatsschulden, am Umbau der Wirtschaft, an der Bekämpfung der Armut und beim Klima- und Umweltschutz zu beteiligen, plädiert der DNR für eine europäische Finanztransaktionssteuer von zunächst 0,05% auf den Handel mit Devisen, Aktien, festverzinslichen Wertpapieren und Derivaten. Zur Überwindung der Staatsschulden darf es nach Meinung des DNR keine Kürzungspolitik im sozialen oder Umweltbereich geben, wie jetzt in den USA geplant. Stattdessen sind, so der DNR, neue Quellen für Staatseinnahmen durch Steuern auf Kapitalerträge, Vermögen und höchste Einkommen zu erschließen.

Die heutige Krise ist für DNR nicht vom Himmel gefallen, sondern hat eine längere Vorgeschichte, die in die 1970er Jahre zurückreicht. Damals wurde, als die Wachstumsraten vor allem in den USA und Großbritannien zurückgingen, die Weichen für Neoliberalismus und Finanzkapitalismus gestellt. Die Macht über wirtschaftliche Entwicklungen wurde Zug um Zug den Investmentbanken übertragen. Die Haupttäter dieser Entmoralisierung der Wirtschaftsordnung hießen nach Meinung des DNR Margret Thatcher und Ronald Reagan. "Sie haben als erste die Kapitalmärkte dereguliert und liberalisiert, damit sie die Unternehmen ,aufmischen' und die Wirtschaft zu höheren Wachstumsraten antreiben und damit ihre Länder neue Stärke erreichen", so die DNR-Vertreter.

Der Finanzkapitalismus dürfe keine Zukunft haben, fordert der DNR. „Die Politik läuft den ökonomischen Umbrüchen atemlos hinterher, das Krisenmanagement der Bundesregierung, der Eurostaaten oder der USA kann nicht überzeugen. Es ist Zeit für einen fundamentalen Kurswechsel, weg vom Diktat der Wall Street und des Finanzzentrums London, die nicht länger die Regeln der Wirtschaft zum eigenen Vorteil diktieren dürfen.“

Aus Sicht des DNR heißen die vier wichtigsten Ziele für eine Neuordnung:
1. Die Finanzmärkte müssen der Wirtschaft und Gesellschaft dienen, sie dürfen nicht länger über sie herrschen.
2. Der Umbau in eine nachhaltige Ordnung muss mit Nachdruck vorangetrieben werden, die Grundlage dafür ist eine grüne Wirtschaft.
3. Die Europäische Union muss zur Nachhaltigkeitsunion werden.
4. Wir brauchen mehr Demokratie, um aus der Geiselhaft des Finanzkapitalismus herauszukommen und die kreativen Potenziale der Gesellschaft zu nutzen.

>>> Wortlaut des Papiers unter: http://www.dnr.de/downloads/DNR-7-Punkte-Papier.pdf

16. August 2011

„Double-Dip“-Rezession ante portas

Wenn Pessimisten wie Nouriel Roubini bislang vor einem Rückfall in die Rezession, also vor dem „Double-Dip“, warnten, dann galt das vielleicht für andere, keinesfalls jedoch für Deutschland, dessen Politiker ihr Land gerne als Star-Performer feiern ließen (s. Brüderles „XXL-Konjunktur“). Doch jetzt droht auch hierzulande die Doppelrezession: Wie das Statistische Bundesamt soeben bekannt gab, wuchs die deutsche Wirtschaft im zweiten Vierteljahr 2011 nur noch um 0,1% (gegenüber dem ersten Quartal), was einer Stagnation gleichkommt. Für das 1. Vierteljahr korrigierten die Statistiker das Wachstum von 1,5 auf 1,3% nach unten. Auch das Wachstum in der Eurozone ist im zweiten Quartal auf 0,2% abgesackt.

Die neuen Daten zeigen, dass Deutschland alles andere als unabhängig ist von der Weltkonjunktur. Und dass die Turbulenzen an den Börsen, die die Schlagzeilen der letzten beiden Wochenenden beherrschten, nicht völlig abgehoben von der Entwicklung der realen Ökonomie sind. In vielen Weltregionen hat das Wachstum seit Jahresbeginn rapide abgenommen. Weltweit stagniert inzwischen die Verarbeitende Industrie, der Konjunkturmotor par excellence – die globale Industrieproduktion hat ihren Schwung verloren; der Global Manufacturing Index von JPMorgan stand im Juli nur noch bei 50,6, was den faktischen Stillstand bei Neuaufträgen anzeigt.

Wie ich jedoch in einer Analyse für den neuen Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung zeige (>>> Warum die Krise immer noch kein Ende findet), wäre es völlig abwegig, die derzeitige Krise nur in den Kategorien einer normalen Konjunkturentwicklung zu denken. Sie ist in Wirklichkeit immer noch eine Finanzkrise, deren tieferliegende Ursachen nicht von heute auf morgen überwunden werden können, zumal wenn die Politiker sind hartnäckig weigern, die notwendigen Lehren zu ziehen und die regulatorischen Voraussetzungen für die Vermeidung neuer Finanzcrashs zu schaffen. In der heutigen Financial Times weist übrigens auch die neue IWF-Chefin Christine Lagarde darauf hin, dass die derzeit viel kolportierte Meinung, es gäbe in der gegenwärtigen Situation keine politischen Optionen mehr, falsch ist. Der Ausweg, so Lagarde, liege in einer klugen Kombination eines mittelfristigen Konsolidierungskurses mit der Nutzung aller kurzfristigen Maßnahmen zur Ankurbelung des Wachstums. Die Botschaft ist klar: Die Konsolidierung darf nicht dazu führen, die Konjunktur abzuwürgen. Eben das passiert derzeit allerdings, sowohl in den USA als auch in Europa.

15. August 2011

Leerverkäufe: Kein Objekt für Halbherzigkeiten

Der Umfang, in dem am Wochenende über das Verbot von Leerverkäufen („short selling“) berichtet wurde, steht in umgekehrt proportionalem Verhältnis zur Polemik über die angebliche Wirkungslosigkeit dieser Maßnahme. Seit Freitagmorgen sind in vier EU-Ländern „Shorts“ mit den Aktien von rund 60 Banken verboten. Das Verbot verhängten Frankreich, Italien, Belgien und Spanien – auch europäisches „Quartett“ genannt. Schon zuvor hatten Griechenland, die Türkei und Südkorea Leerverkaufsverbote verhängt. In Deutschland gilt schon seit geraumer Zeit ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe („naked shorts“).

Während bei Leerverkäufen generell Spekulanten mit geliehenen Papieren auf deren Kursverfall wetten, um diese zu einem geringeren Wert wieder zurückzukaufen, halten die Händler bei ungedeckten Leerverkäufen die Papiere nicht einmal leihweise. Die ganze Praxis nimmt sich letztlich so aus, als würde ich eine Feuerversicherung auf das Haus meines Nachbarn abschließen und dann im Brandfall die Prämie einstreichen.

Die neuerlichen Verbote können zunächst einmal als Beleg dafür genommen werden, wie relativ problemlos ein Verbot problematischer Handelspraktiken möglich ist, wenn nur der entsprechende politische Wille vorhanden ist. Dass es die neue Börsenaufsichtsbehörde der EU nicht schaffte, ein EU- oder zumindest Eurozonen-weites Verbot durchzusetzen, belegt lediglich einen mangelnden Willen innerhalb Europas zu einheitlichem Vorgehen an den Finanzmärkten, nicht das Vorhandensein irgendwelcher Technikalitäten. Soweit so gut bzw. schlecht.

Was bei der ganzen Aufregung freilich nicht übersehen werden darf, ist die Begrenztheit der jetzigen Maßnahmen, die sich nicht nur lediglich auf Finanztitel beziehen (wobei das Schattenbankensystem noch nicht einmal einbezogen ist), sondern auch lediglich für 15 Tage in Kraft bleiben sollen. (Dass ein so kurzfristiges Verbot keine nachhaltige Wirkung erzielen kann, was das Hauptargument der Verbotskritiker ist, sollte niemanden verwundern.) Neben einer umfassenderen und unbefristeten Anlage des Verbots an den Börsen wäre es jedoch ungleich wichtiger, den ungedeckten Handel mit Kreditausfall-Swaps (CDS) ins Visier zu nehmen, die heute noch als probates Wettinstrument gegen ganze Staaten gelten. Die Bundesregierung leistet sich in dieser Situation einmal wieder eine reichlich widersprüchliche Position: Während sie dem europäischen Quartett die Unterstützung verweigert, plädiert sie im Kreis der EU-Finanzminister seit Mai dieses Jahres für ein weitreichendes Verbot von ungedeckten CDS-Verkäufen.

11. August 2011

Steuerabkommen: Milde für deutsche Steuersünder und Schützenhilfe für Luxemburg

Das gestern paraphierte Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz ist zweifellos ein notwendiger Schritt in Richtung von mehr Steuergerechtigkeit und Transparenz. Nach Ansicht der Aktion Finanzplatz Schweiz (AFP) in Basel sind die Steuersätze in dem Abkommen aber zu niedrig: Eine Vergangenheitsbesteuerung von 19-34% des Vermögensbestandes liegt, ebenso wie die geplante Abgeltungssteuer von 26%, deutlich unter dem, was reiche Bürger in Deutschland an Steuern (zuzüglich Verzugszinsen und Strafen) zu entrichten hätten. Für Spitzenverdiener gilt in Deutschland ein Steuersatz von 45 %. Mit dem nun unterzeichneten Abkommen kommen die deutschen Steuersünder also zu gut weg.

Die im Rahmen des Abkommens vorgesehene Weitergabe von Daten mutmaßlicher Steuerflüchtlinge auf Anfrage durch die Schweiz zeige, dass das Schweizer Bankgeheimnis weiter bröckelt und in seiner jetzigen Form nicht mehr zu halten ist. Die AFP fordert daher Regierung und Parlament auf, die nötigen gesetzlichen Änderungen vorzunehmen, insbesondere hinsichtlich der Abschaffung der willkürlichen Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. Künftig muss die Amts- und Rechtshilfe sowohl bei Steuerbetrug als auch bei schwerer Steuerhinterziehung generell möglich sein. Auf längere Sicht befürwortet die AFP die Einführung des automatischen Informationsaustauschs, wie ihn die meisten EU-Staaten kennen.

Wie die ersten Reaktionen in Luxemburg zeigen, taugt das Abkommen jedoch gerade als Vorwand gegen die Einführung des automatischen Informationsaustauschs. Luxemburger Banken und Behörden sehen es als argumentative Schützenhilfe, um im Rahmen der EU nicht auf das eigene Bankgeheimnis verzichten zu müssen. Was große Länder wie Deutschland und Großbritannien Staaten außerhalb der EU zugestehen, könnten sie EU-Mitgliedsländern wie Luxemburg nicht verwehren, heißt es.

Desweiteren kritisiert die AFP, dass die Schweiz mit ihren neuen Doppelbesteuerungsabkommen eine sehr selektive und interessengebundene Politik der Ausweitung ihrer Amtshilfe in Steuersachen betreibt. Entwicklungsländer kommen bislang nicht in den Genuss von Doppelbesteuerungsabkommen mit erweiterter Amtshilfe. Somit bleibt die Schweiz für die reichen Eliten dieser Länder eine attraktive Destination für Steuerfluchtgelder. Dabei würden die Entwicklungsländer dieses Geld für die Armutsbekämpfung dringend benötigen. Es wäre zu prüfen, ob die Abgeltungssteuer mit verbessertem Informationszugang nicht auch für diese Länder eine gute Lösung wäre, solange der automatische Informationsaustausch nicht realisiert werden kann.

10. August 2011

Ach, Sarko!

… wie angeschossene Hasen lassen sich die Regierungen von „den Märkten“ vor sich hertreiben“, hieß es gestern in diesem Blog. Und als wolle er eine Steilvorlage für diese These abliefern, eilte der französische Präsident Nicolas Sarkozy sogleich aus seinem Urlaubsort an der Cote d’Azur nach Paris, um im engeren Ministerkreis ein neues Sparpaket auf den Weg zu bringen. Dieses soll „die Märkte“ und ihre Rating-Agenturen davon überzeugen, dass das Triple-A Frankreichs unbedingt erhalten werden muss.

Nur vage Gerüchte wie das, die Leute von Standard & Poor’s könnten nach den USA auch Frankreich auf AA+ herabstufen, reichen also aus, um einen europäischen Spitzenpolitiker in Marsch zu setzen. Dabei ist Sarkozy Präsident nicht nur Frankreichs, sondern auch der G20, und war Anfang des Jahres angetreten, um das Management der internationalen Kapitalströme zu verbessern und die Volatilität der Märkte einzudämmen. Noch ist es freilich zu früh für eine Bilanz der französischen G20-Präsidentschaft. Doch wir wollen nicht hoffen, dass das Beispiel Schule macht und „die Märkte“ einfach den Spieß herumdrehen… Dann müsste es nicht nur heißen: Ach, Sarko! Sondern auch: Arme G20!

9. August 2011

Was macht eigentlich die G20?

Die Welt steht erneut am Abgrund einer Finanzkrise. Doch von der G20, die sich vorletztes Jahr als „das führende Forum für unsere internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit“ selbst inthronisiert hat, ist weit und breit nichts zu sehen. Fast nichts, um gerecht zu sein. Denn im Ergebnis des hektischen Telefon-Krisenmanagements vom Wochenende fabrizierten auch die Finanzminister und Notenbankpräsidenten der G20-Länder ein klitzekleines Statement, wonach sie „alle notwendigen Initiativen ergreifen“ würden, um die Stabilität der Weltwirtschaft auf koordinierte Weise sicherzustellen. Das Statement war noch kürzer als eine ähnliche Stellungnahme, die die G7-Finanzminister kurz zuvor abgegeben hatten.

Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Statur und das Gewicht unserer real existierenden Global Governance, dass „die Märkte“, wie das Finanzystem in fast mystischer Verbrämung seit geraumer Zeit genannt wird, weder von der einen noch von der anderen Erklärung irgendwie beeindruckt waren. Die entscheidenden Akteure auf der internationalen Bühne sind denn auch andere. Zum Beispiel die Rating-Agenturen, wie Standard & Poor: Deren Herabstufung der US-Bonität von AAA auf AA+ hat nicht nur den Abwärtstrend an den Weltbörsen erneut beschleunigt, sondern gilt auch (ungeachtet seiner Berechtigung) als weiterer Beleg für den langfristigen Abstieg der USA als führender Wirtschaftsmacht. Oder auch die Europäische Zentralbank (EZB): Deren neues Bond-Aufkaufprogramm brachte (zumindest vorübergehend) deutliche Erleichterung für Spanien und Frankreich in dem Bemühen, den staatlichen Schuldendienst in Grenzen zu halten.

Es ist mehr als bemerkenswert, dass bis heute keiner außer dem Internationalen Gewerkschaftsbund die Einberufung eines Sondergipfels der G20 gefordert hat. Ein solcher Gipfel hätte durchaus einiges an Unerledigtem zu erledigen: Niemals mehr wollten sich die G20-Regierungen, so proklamierten sie vor knapp zwei Jahren in Pittsburgh, in eine Situation bringen lassen, in der die Finanzmärkte ihnen die Wirtschaftspolitik diktieren. Kein Bereich der Finanzmärkte sollte unreguliert bleiben. Rating-Agenturen sollten in ihrer Macht eingeschränkt werden. Und heute? Wie angeschossene Hasen lassen sich die Regierungen von „den Märkten“ vor sich hertreiben. CDOs, CDSs und Leerverkäufe feiern nach wie vor fröhliche Urständ‘ als Wettinstrumente gegen ganze Staaten. Weite Teile des Schattenbanken-System entziehen sich nach wie vor jeder staatlichen Regulierung. Die Liste ließe sich verlängern. Doch die Krise muss wahrscheinlich noch tiefer werden, damit die Liste endlich abgearbeitet wird.