22. Juli 2011

Der neue Rettungsplan für Griechenland: Ein Durchbruch?

Mit den Beschlüssen des gestrigen EU-Gipfels zur Griechenland- und Eurokrise hätten die Europäer zumindest anerkannt, dass sie in einer veritablen Schuldenkrise stecken, dass es nicht nur ein griechisches, sondern auch ein europäisches Problem gibt, und dass es entscheidend ist, nicht nur den Schuldendienst der Griechen zu erleichtern, sondern auch das Wachstum in Griechenland durch ausländische Finanzmittel anzukurbeln. Das ist der Tenor eines Kommentars von

>> Joseph Stiglitz auf der Website der Financial Times.

Ähnlich vorsichtig optimistisch äußert sich

>> Niels Kraditzke in einer ersten Einschätzung auf den Nachdenk-Seiten.

„Wäre ein Programm mit den Parametern des gestern beschlossenen (neue Kredite mit Laufzeiten bis 30 Jahren und deutlich reduzierten Zinsen) bereits im Mai 2010 beschlossen worden, wäre es zu der dramatischen Lage im Juli 2011 wahrscheinlich gar nicht gekommen. Das ursprüngliche „Rettungsprogramm“ der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF hat nicht nur nicht funktioniert, sondern es hat sich selbst versenkt“, schreibt Kraditzke. „Dass es sich als „self-destructive“ erwiesen hat (wie man auf Englisch sagen würde) lag dabei nicht nur an seinen eigenen Konditionen und über-ehrgeizigen Sparzielen, sondern auch daran, dass es keinerlei Wachstumsimpulse vorsah.
Dass dies jetzt nachgeholt wird, ist der Aspekt der Brüsseler Beschlüsse, der immerhin eine gewisse Hoffnung weckt.“

Als problematisch gilt vielen Beobachtern weiterhin, wie der private Sektor (nicht) an den Kosten der Lösung beteiligt wird. Der Umfang der Beteiligung des Privatsektors sei ein schlechter Witz, heißt es in einer Attac-Stellungnahme. Das Rettungspaket habe ein Volumen von 120 Mrd. €. Lediglich 17 Mrd. davon sollen von Privaten getragen werden. Und dafür bekommen sie über den Rest noch staatliche Garantien. So blieben Banken und Spekulanten weiterhin die Gewinner der europäischen Krisenpolitik, während die Bürger Europas das Gros der Kosten zu tragen haben.

Hilfreich zur weiteren Einschätzung des neuen Rettungspakets sind folgende Originaldokumente:

>> Final Statement of the Eurozone Summit
>> Statement of Christine Lagarde, Managing Director of the IMF
>> Financing Offer of the International Institute of Finance (IIF)

8. Juli 2011

Interview mit Christine Lagarde

6. Juli 2011

Deutsches Exportmodell: Treuhand für Griechenland?

Nicht immer gelingt dem Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, sich als Everybody’s Darling zu präsentieren. Sein jüngster Vorschlag, für Griechenland nach deutschem Vorbild eine "regierungsunabhängige Privatisierungsagentur" zu schaffen, die "auch mit ausländischen Experten besetzt" werden soll, ist in Deutschland auf scharfe Kritik gestoßen, noch bevor die Griechen so richtig realisiert haben, was ihnen blühen könnte. Wie Attac Deutschland erklärt, ist die Treuhand so ungefähr die schlechteste mögliche Wahl: „Der griechische Staat braucht jetzt und langfristig stabile Einnahmen“, sagt Werner Rügemer vom Wissenschaftlichen Beitrat von Attac. „Das Privatisierungskonzept der Treuhand würde aber garantieren, dass immense Summen aus dem Land abfließen, weil das Eigentum ins Ausland verlagert und sich auch der Besteuerung weitgehend entziehen würde. In Ostdeutschland ist das sehr deutlich zu beobachten: Dort wird praktisch keine Erbschaftssteuer eingenommen."

Attac betont, dass die Regierungsunabhängigkeit der deutschen Treuhand in Wirklichkeit Investorenabhängigkeit bedeutet habe. Die wichtigsten Posten seien an "Leihmanager" vergeben worden, also an Manager westdeutscher Banken, Handels- und Versicherungs-, Energie- und Industriekonzerne. Die Regierung Kohl habe mit internationalen Firmen wie McKinsey, Price Waterhouse Coopers, KPMG und dem deutschen Imitat Roland Berger die neoliberale Investorenlobby an Bord geholt. Darüber hinaus garantierte die Bundesregierung die Geheimhaltung, selbst Bundestag und ostdeutsche Landtage erfuhren nichts. Die Regierung stellte die Manager von straf- und zivilrechtlicher Haftung frei und förderte damit im Interesse schneller Privatisierung die Korruption. Nach diesen Erfahrungen eine Treuhand als Medizin für Griechenland, das seit langem mit Korruption zu kämpfen hat, vorzuschlagen, ist für Attac eine haarsträubende Vorstellung.

Rügemer: "Im Endeffekt wurde das Staatsvermögen Ostdeutschlands innerhalb weniger Jahre weit unter Wert verscherbelt. Es wurde keine Marktwirtschaft eingerichtet, sondern eine ausgelagerte Werkbank für Westunternehmen. Niedrigere Löhne, höhere Arbeitslosigkeit als in Westdeutschland sind auch heute nach zwei Jahrzehnten die Folge." Zahlreiche, vor allem jüngere Menschen sind auf Suche nach Arbeit ausgewandert. Eine bisher unbekannte Altersarmut bahnt sich an. Ostdeutsche Unternehmen leben bis heute von staatlichen Subventionen. Eine neue Welle von Landverkäufen durch die Treuhand-Nachfolgegesellschaft hat begonnen. - Was absolut nicht zu verstehen ist, warum Juncker entgangen ist, dass es inzwischen wahrlich genug antideutsche Ressentiments in Griechenland gibt, die nur noch schlimmer werden könnten angesichts des neuesten Exportvorschlags.

1. Juli 2011

Schweres Erbe: Von Strauss-Kahn zu Lagarde

Am kommenden Dienstag, den 5. Juli, tritt Christine Lagarde ihr neues Amt als Geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds an. In diesem Blog habe ich keinen Hehl daraus gemacht, dass ich sie unter den gegebenen Umständen für die beste Kandidatin hielt (>>> Warum ich unter diesen Bedingungen für Madame Lagarde bin). Sie übernimmt das Zepter von Dominique Strauss-Kahn, der sich in seiner Amtszeit als „Reformdirektor“ profilierte. Jetzt, wo die Anklage der New Yorker Staatsanwaltschaft gegen ihn zusammenbricht, ist ein guter Zeitpunkt, sich daran zu erinnern, welche Meilensteine er gesetzt hat und welches Erbe Lagarde damit übernimmt.

Ich meine nicht so sehr die Tatsache, dass Strauss-Kahn den IWF aus seiner annähernden Bedeutungslosigkeit herausgeholt hat und der Fonds jetzt über so hohe Finanzmittel verfügt wie noch nie in seiner Geschichte. Viel wichtiger waren die inhaltlich-diskursiven Akzente, die er gesetzt hat (>>> Der neue IWF. Zwischen Glasnost und Beharren). Das begann in der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise mit einer Kehrtwende hin zu einer antizyklischen Konjunkturpolitik, wenngleich sich diese vor allem in Bezug auf die Krisenbekämpfung im Norden zeigte. Kurz vor seiner Verhaftung erklärte Strauss-Kahn, dass der Washington Consensus „jetzt hinter uns liegt“, jenes simple Mantra also, dass Deregulierung und Liberalisierung, Privatisierung und Inflationsbekämpfung schon dazu führen würden, dass mit der Globalisierung das Wohlergehen aller verbunden sei. Im Gegensatz dazu forderte Strauss-Kahn eine neue Globalisierung mit sozialer Inklusion und Kohäsion und eine neue Global Governance, die auf multilaterale Kooperation setzt und damit die wichtigste Lehre aus der Finanzkrise und der anschließenden Großen Rezession zieht. So etwas hatte man von einem so herausragenden Vertreter der Funktionseliten des internationalen Systems bis dahin noch nicht gehört.

Christine Lagarde übernimmt also ein schweres Erbe, wenn sie am kommenden Dienstag die Nachfolge des Dominique Strauss-Kahn antritt. Aber sie kann diesem Erbe gerecht werden und den begonnenen Reformkurs des IWF fortsetzen – wenn sie will und dabei genug Verbündete innerhalb des Fonds findet. Diese sitzen nach Lage der Dinge weniger in Europa, das sie auf den Schirm gehoben hat, sondern eher in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Doch auch sie müssen den bislang mangelnden politischen Willen aufbringen, den Fonds zu verändern. Wie die Herausforderungen, vor denen Madame Lagarde steht, im Einzelnen aussehen, habe ich mit Barbara Unmüßig in einem Gastkommentar formuliert, der heute auf Zeit-online (>>> hier) erschienen ist.