26. April 2012

UNCTAD XIII endet erfolgreich mit Doha-Mandat

Für die Entwicklungsländer stand viel auf dem Spiel. Hätten sich die Industrieländer, vor allem die der JUSSCKANNZ-Gruppe (Japan, USA, Schweiz, Kanada, Südkorea, Australien, Norwegen, Neuseeland und Lichtenstein), durchgesetzt, hätten sie ein wichtiges Forum und Sprachrohr verloren, über das sie ihre Interessen gegenüber dem Norden deutlich machen können. Die Kritiker des ökonomischen Mainstreams mit seinen Hardcore-Institutionen wie IWF und Weltbank wären um eine starke Stimme ärmer gewesen. Doch jetzt hat sich der Pulverdampf gelichtet, und ein passables, ja ein gutes Ergebnis liegt auf dem Tisch, das „Doha Mandate“.

Die wichtigsten Absätze dieses Dokuments tragen die Nummern 17 und 18. Darin heißt es: „Der Accra-Akkord (das Ergebnis der UNCTAD-Konferenz von vor vier Jahren; RF) verfolgte eine konstruktive handels- und entwicklungspolitische Agenda und beruhte auf den drei Säulen von UNCTAD: politische Analyse, Konsensbildung und technische Zusammenarbeit. Die Ergebnisse von UNCTAD XIII bekräftigen den Accra-Akkord, der gültig und wichtig bleibt, und bauen darauf auf.“ Und: „UNCTAD bleibt der Fokus in den Vereinten Nationen für die integrierte Bearbeitung von Handel und Entwicklung sowie der damit zusammenhängenden Fragen in den Bereichen Finanzen, Technologie, Investitionen und nachhaltiger Entwicklung.“ Damit ist sichergestellt, dass das UNCTAD-Sekretariat seine erfolgreiche Arbeit der Analyse globaler wirtschaftlicher und finanzieller Entwicklungen, der Beratung vor allem der ärmsten Entwicklungsländer (LDCs) und der Förderung der Süd-Süd-Zusammenarbeit fortsetzen kann.

Es war ein kluger Schachzug, das Motto der „entwicklungszentrierten Globalisierung“ für diese XIII. Vollversammlung zu wählen. Es gestattete, die Debatte auf die zentralen Fragen der aktuellen multiplen Krise auszurichten – von der Finanzkrise über die Rezession der Industrieländer bis zur globalen Umweltkrise – und UNCTAD in diesen Bereichen präsent zu halten. Zu den wichtigsten Aussagen des „Doha-Mandats“ gehört die Forderung, dass „das Finanzsystem die reale Ökonomie unterstützen sollte, vor allem deren anhaltendes, inklusives und gerechtes wirtschaftliches Wachstum und die nachhaltige Entwicklung“. – Man wird die Ergebnisse sicherlich noch genauer bewerten müssen. Aber heute Nachmittag sieht es so aus, als seien die „Querdenker in Genf“ – so ein W&E-Titel vor einigen Jahren – mal wieder ein Stück weiter gekommen.

25. April 2012

UNCTAD XIII: Ende gut, alles gut?

Von Ska Keller, MdEP, z.Zt. Doha

Am vorletzten Tag der UNCTAD-Konferenz in Doha schienen sich die Wogen zu glätten. Viele kontroverse Absätze wurden geklärt. Eine Einigung wurde sowohl in der Frage der Referenz auf den Accra-Akkord als auch in Bezug auf die Kompetenz für Finanzfragen erreicht: beides bleibt im Outcome-Dokument. Über diese beiden Punkte hatten die USA, die Schweiz, Japan und andere, die sog. JUSSCKANNZ-Gruppe, monatelang mit der Gruppe der 77 und China gestritten. Doch auf einmal schien alles relativ einfach abzulaufen. Auch die Formulierungen zum Zugang zu erschwinglichen Medikamenten sind nicht mehr strittig; diese Stelle wurde sogar auf alle Aspekte der Gesundheitsversorgung ausgeweitet.

Weiterhin strittig sind wohl Technologietransfer – die Entwicklungsländer bestehen auf diesem Begriff; die reicheren Länder wollen "technology dissemination", weil das freiwilliger klingt; schließlich kann man Unternehmen schlecht zwingen – und Frauenrechte, gegen die sich, so hören wir, die Entwicklungsländer sperren. G77 und China G77 wollten zudem nicht von „good governance“ sprechen, sondern lieber von "effective government", konnten diesen Begriff aber nicht durchsetzen. Aber letztendlich ist nichts beschlossen, bevor nicht alles beschlossen ist.

Die EU legt Wert darauf, nicht in denselben Topf geworfen zu werden wie die die oben genannte Gruppe der USA, Schweiz, Japan, Kanada, New Zealand und andere. Man habe vielmehr eine Vermittlerrolle eingenommen, heißt es in der EU-Delegation.

Die Strategie der – verallgemeinert – reichen Staaten auf dieser UNCTAD-Konferenz ist nicht ganz klar. Sie gingen mit Maximalforderungen in die Verhandlungen und haben zum Schluss – anscheinend – fast alles aufgegeben. Ob das ein Muskelzeigen war oder eine Fehlkalkulation, wird sich zeigen müssen. Auf jeden Fall scheint es noch einmal ziemlich glimpflich auszugehen. Vielleicht kann die UNCTAD sich jetzt wieder ihren Aufgaben widmen oder mal ein paar Reformen wagen - ein Audit-Bericht kritisiert das Management der UNCTAD ausführlich. Aber das wird ein anderes Mal diskutiert werden.

UNCTAD XIII: Das grosse Totschweigen

Da kämpft eine Spezialorganisation der UNO, die traditionell als Forum der Entwicklungsländer gilt, um das Überleben, und die Welt schaut weg. Was die Industrieländer in Doha betreiben, wäre an sich schon skandalös genug – ein neokolonialer Skandal klassischen Zuschnitts: Einer Organisation soll schlicht das Mandat genommen werden, das sie bisher zur Verteidigung der Interessen des Südens eingesetzt hat. Übertroffen wird dieser Skandal nur noch dadurch, dass bis heute so gut wie kein Medium darüber berichtet, von einigen kleinen Ausnahmen abgesehen. W&E und dieser Blog sind daher z.Zt. ganz oben, wenn nach UNCTAD XIII gegoogelt wird. Doch keines der großen deutschen oder internationalen Blätter brachte bislang auch nur einen Überblicksartikel über die seit Samstag tagende Konferenz, die klären soll, welche Aufgaben UNCTAD in der nächsten Zeit überhaupt noch wahrnehmen darf.

Man sollte meinen, dass die NGOs dieses große Totschweigen nicht mitmachen. Auf internationaler Ebene stimmt das auch. Nicht so jedoch in Deutschland. Hier war mit Ausnahme einer Pressemitteilung von Attac am Sonntag bis heute kein einziger Laut von Seiten der sich sonst so wichtig nehmenden Zivilgesellschaft zu vernehmen. Dabei galt UNCTAD einmal auch für deutsche NGOs als unbedingtes Muss – doch lang, lang ist’s her. Dabei ist die Organisation ein Beispiel dafür, wie sich auch in schwierigen Zeiten des neoliberalen Meinungsmonopols alternative Sichtweisen am Leben erhalten und entwickeln lassen. Ihr ausgerechnet jetzt durch Schweigen die Solidarität zu verweigern, ist nicht hinnehmbar. Es fragt, welcher unter all diesen Skandalen der schlimmste ist. Grund zur Empörung sind sie allemal.

24. April 2012

Deutsche Hardliner hinter den Kulissen

Von Ska Keller, MdEP, z.Zt. Doha

Auf der 13. UNCTAD-Konferenz gibt es Streit. Bei der Frage des Arbeitsplans der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung wollen die OECD-Länder einen wichtigen Teil herausstreichen (>>> Was auf dem Spiel steht). Bisher soll sich UNCTAD nämlich nicht nur um Handel und Entwicklung an sich kümmern, sondern auch um Themen, die mit beiden in Verbindung stehen, also zum Beispiel Finanzen und Investitionen. Bei den Fragen von Austerität, Investitionen etc. hat UNCTAD in der Vergangenheit oft ganz andere Positionen eingenommen als IWF und Weltbank. Gerade das macht UNCTAD bei Entwicklungsländern und NGOs so beliebt wie bei Europa und den USA unbeliebt. Die OECD-Länder argumentieren nun, IWF und Weltbank wären schon für das Finanzpolitische zuständig. Die andere Seite ist dagegen froh über alternative Sichtweisen.

Leider spielt die EU eine unrühmliche Rolle und unterstützt die Position der reichen Länder. Die deutsche Regierung gehört zu den Hardlinern hinter den Kulissen. Dabei sind sich die EU-Länder noch nicht einmal einig: Finnland zum Beispiel will das UNCTAD-Mandat erhalten und eher noch ausweiten.

Das Europäische Parlament wurde über die Haltung der Kommission noch nicht einmal informiert. Die Beamten der Generaldirektion Entwicklungszusammenarbeit verhandeln ohne demokratische Legitimation und auch ohne Kontrolle – die Delegation des Europäischen Parlamentes, die ebenfalls nach Doha gereist ist, darf nicht an den Briefings der EU mit den Mitgliedstaaten teilnehmen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als in bilateralen Treffen Druck zu machen und Briefe an die Kommission zu schreiben.

23. April 2012

UNCTAD XIII: Spannungen trotz gelungenem Auftakt

Eigentlich könnte man zufrieden sein. Die XIII. UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Doha erlebte am Wochenende einen fulminanten Auftakt mit beeindruckenden Reden und Kulturdarbietungen der Gastgeber. Neben einer langen Liste von zivilgesellschaftlichen Organisationen aus aller Welt erhielt sie starke Solidaritätserklärungen der Gruppe der ärmsten Länder (LDCs), der Gruppe der 77 (Entwicklungsländer) und China sowie schließlich auch der wirtschaftlichen einflussreichen BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika). Doch unter dieser Oberfläche war Unruhe und Nervosität spürbar, da bislang völlig unsicher ist, wie das Hauptergebnis der Konferenz, die Ministerdeklaration, aussehen wird, in der die kommenden Aufgaben und Funktionen festgelegt werden müssen.

Der letzte Entwurf dieser Erklärung datiert vom 21. April und macht durch zahlreiche eckige Klammern deutlich, wie drastisch die Angriffe der Industrieländer, vor allem der JUSSCKANNZ-Gruppe (Japan, USA, Schweiz, Kanada, Südkorea, Australien, Norwegen, Neuseeland und Lichtenstein), aber auch der EU, auf UNCTADs Rolle sind. Sie wollen den Text an zahlreichen Stellen entweder verwässern oder ganze Passagen streichen. Statt den Accra-Akkord von vor vier Jahren zu bekräftigen, wollen sie lediglich „darauf aufbauen“, was indirekt bedeutet, dass das derzeitige Mandat von UNCTAD bestritten wird. Die beiden Absätze zur Finanzkrise sollen ganz gestrichen werden. UNCTAD Beitrag zur Bearbeitung der Ursachen und Folgen der wirtschaftlichen Krise soll völlig verwässert werden. Die Absätze zur Arbeit von UNCTAD zu Schulden, Schuldenrestrukturierung und verantwortlicher Kreditvergabe sollen ebenfalls verwässert werden oder aus dem Dokument ganz verschwinden.

Besonders dreist ist der Versuch der JUSSCKANNZ-Gruppe, die Zuarbeit von UNCTAD für das Global System of Trade Preferences (GSTP) zu unterbinden, des System der Süd-Süd-Handelspräferenzen, das teilweise als Alternative zur Allround-Liberalisierung der WTO fungiert. Auch der Absatz zu intellektuellem Eigentum soll nach dem Willen der Industrieländer gestrichen werden, ebenso wie das Plädoyer zur Industriepolitik. Weitere umstrittene Punkte betreffen die UNCTAD-Arbeit zu Umwelt und nachhaltiger Entwicklung, zu Nahrungsmittel- und Agrarfragen, zu LDC-Präferenzen und Technologietransfer. – Die Auflistung lässt erkennen, wie viel in dieser Woche für die Entwicklungsländer in Doha auf dem Spiel steht. Es sieht so aus, als wollten die Industrieländer noch einmal deutlich zeigen, wer der Herr im Hause ist, bevor sich ihr Abstieg in einer „neuen Konstellation der Weltwirtschaft“ weiter fortsetzt.

22. April 2012

IWF-Rhetorik: Von Kriegskassen und Brandmauern

G20/IMFC- Pressekonferenz
Die Beschlüsse der G20-Finanzminister und des Internationalen Währungs- und Finanzausschusses (IMFC) des IWF von diesem Wochenende lesen sich wie aus einem Kriegstagebuch: Die ‚Kriegskasse‘ des IWF wurde um mehr als 430 Mrd. US-Dollar nahezu verdoppelt; die globale ‚Brandmauer‘ des Fonds gegen Krisen ist damit jetzt etwa so hoch wie die europäische in Form des sog. kombinierten Rettungsschirms aus EFSF und ESM. Doch wer angesichts dieser bellizistischen Rhetorik auf die Idee kommen sollte, hier werde ein Krieg gegen die Finanzmärkte geführt, der täuscht sich. In Wirklichkeit tun die politischen Akteure alles, um das ‚Vertrauen‘ der Finanzmärkte zu gewinnen. Diesen wird suggeriert, dass im Krisenfall stets genug Geld zur Verfügung stehen wird, um Banken und andere Finanzinstitutionen zu retten.

Interessant an den Beschlüssen der IWF-Frühjahrstagung ist zweierlei: Zum einen sind bei den über 430 Mrd. Dollar erstmals auch Zusagen der Schwellen- und Entwicklungsländer dabei. Zwischen 90 und 110 Mrd. Dollar sollen von Ländern wie Brasilien, China, Russland, Indonesien, Malaysia und Thailand kommen, deren genaue Aufteilung jedoch erst nach Beratungen in den Heimatländern festgelegt werden soll. Ungeklärt ist auch, unter welchen Bedingungen die Kreditmittel dem Fonds zur Verfügung gestellt werden. Die BRICS wollen eine Beschleunigung der derzeit laufenden Quotenüberprüfung, die eine geringfügige Umverteilung der Stimmrechte zu ihren Gunsten vorsieht und eine zügige Inangriffnahme der nächsten Quotenüberprüfung, die ihnen weiteren Einfluss bringen soll. Doch die USA blockieren derzeit aus wahlkampfpolitischen Gründen. Und andere Governance-Modelle jenseits des Prinzips „Eine Dollar – eine Stimme“, etwa ein System der doppelten Mehrheiten, stehen derzeit nicht zur Diskussion.

Zum anderen ist der Umstand bemerkenswert, dass die G20-Finanzminister und der IMFC in Washington erstmals gemeinsam getagt und beschlossen haben (>>> Joint G20/IMFC Statement). Dies symbolisiert zweifellos eine noch engere Verzahnung der G20 mit dem IWF. Schon bislang hat der IWF, der seine finanzielle Stärkung in den letzten Jahren durchweg der G20 verdankt, als eine Art G20-Sekretariat agiert. Neben dem Rat für Finanzstabilität war er die wichtigste Institution, der Expertise und Entscheidungshilfen für die G20 bereit gestellt hat. In mancherlei Hinsicht entwickelt sich der IWF unter der Hand zu einem Exekutivorgan der G20 – eine Entwicklung, die schwerlich in Übereinstimmung zu bringen ist mit der Rede seiner Chefin, Christine Lagarde, wonach der Fonds für alle Mitglieder in gleicher Weise da sei. Einige sind eben doch gleicher als die andern (>>> Der IWF auf dem Weg zum Superfonds).

20. April 2012

Fruehjahrstagung von IWF und Weltbank: Risikobeschwoerung

Die Frühjahrs- und Jahrestagungen der Bretton-Woods-Zwillinge sind stets auch Anlässe zur Bilanzierung der weltwirtschaftlichen Entwicklung und der Aufstellung neuer Prognosen. Seit Ausbruch der großen Finanz- und Wirtschaftskrise im letzten Jahrzehnt gleichen sie immer stärker einem großen Theater der Risikobeschwörung. Der Ablauf folgt einem festen Procedere, fast schon einem Ritual: Erst wird der neue World Economic Outlook vorgestellt, dann der neue Financial Stability Report, dann kommen die Pressekonferenzen der Chefs der beiden Organisationen, dann die Treffen der politisch entscheidenden Leitungsausschüsse und zum Abschluss das Plenum mit den Schaufenster-Reden der Gouverneure, d.h. der von den Mitgliedsländern entsandten MinisterInnen und Zentralbankchefs.

Das diesjährige Frühjahrstreffen, das heute in Washington begann, macht da keinen Unterschied, höchstens vielleicht, dass die Risikobeschwörung noch ein wenig an Intensität zugenommen hat. Die Geschäftsführende Direktorin des IWF, Christine Lagarde, sagt, „einer schüchternen Erholung stehen hohe Risiken gegenüber“. Der diesjährige Frühjahrsoutlook sieht die drei größten Risiken für die Weltwirtschaft in der Krisenentwicklung Europas, den stark steigenden Ölpreisen und – interessanterweise! – in einer zu scharfen fiskalischen Konsolidierungspolitik, d.h. in einem quer durch die Länder verfolgten brachialen Sparkurs. Zu diesen Problemen kommen die anhaltenden weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte, die starke Volatilität auf den Finanz- und Rohstoffmärkten und eskalierende Überschuldungstendenzen hinzu, diesmal vor allem (aber nicht nur) in den Industrieländern.


W&E-Hintergrund April 2012
Während der IWF krampfhaft und in immer neuen Anläufen danach sucht, wo vielleicht noch ein paar Spielräume für konjunkturstimulierende Maßnahmen gegeben sind (das neue Schlagwort lautet „Kalibrierung“), geht die neue Ausgabe der W&E-Vierteljahresberichte, die an diesem Wochenende erscheint (s. Abb.), grundsätzlicher an das Problem heran. Sie diagnostiziert einen grundlegenden Kurswechsel in den politischen Zielen nach Ausbruch der Finanzkrise: Während zunächst die Rede von der Kontrolle der Finanzmärkte die Debatten beherrschte, steht inzwischen das Bestreben im Mittelpunkt, den Finanzmärkten Vertrauen einzuflößen – keine schlechte Voraussetzung für die weitere Ausbreitung der Diktatur der Finanzmärkte. Wem das Bild von der Diktatur nicht passt: Andersherum könnte man von auch einer Unterwerfung der Politik unter die Finanzmärkte sprechen. Aus dieser Sicht ist die Agglomeration der Krisenfaktoren in der Weltwirtschaft, die der eigentlich fälligen Erholung entgegen stehen, ein deutliches Zeichen dafür, dass wir es mit einer nachhaltigen Störung des Zyklus von Krise und Aufschwung zu tun haben. Daran wird auch die Massenzusammenkunft von Finanzministern und Notenbankchefs an diesem Wochenende in Washington nichts ändern.

LDCs stehen hinter UNCTAD und ihrem Beratungsansatz


In einer Deklaration zum Abschluss eines Treffens am Vorabend von UNCTAD XIII (s. Foto) haben die derzeit 48 am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) die Stärkung der Organisation und ihrer Forschungs-, Beratungs- und Konsensbildungskapazitäten gefordert. Zugleich wird in der Erklärung das seit einigen Jahren vom UNCTAD-Sekretariat propagierte Konzept des „Entwicklungsstaates“. Auch der von UNCTAD vertretene entwicklungspolitische Fokus auf den Ausbau der produktiven Kapazitäten in den LDCs wird unterstützt.

Beide Konzepte stehen quer zu dem Schwerpunkt, wie ihn sich beispielsweise die Bundesregierung, und hier besonders das zuständige Bundeswirtschaftsministerium, für die LDC-Arbeit von UNCTAD wünscht. Ginge es danach, würde den LDCs vor allem weitere Liberalisierung und die Anlockung ausländischer Direktinvestitionen (FDI) plus „good governance“ empfohlen. In ihrer Deklaration von Doha stellen die LDCs jedoch illusionslos fest, dass in ihren Ländern die meisten FDI in den Rohstoffsektor, wo sie nur wenige Arbeitsplätze schaffen und auch keine breite wirtschaftliche Entwicklung in die Wege leiten.

Namentlich das Konzept des Entwicklungsstaates steht gegen die dominierende ökonomische Orthodoxie der letzten Jahrzehnte. Diese rief die Regierungen zum Rückzug auf und behauptete, dass freie Märkte per se das Wirtschaftswachstum beflügeln würden. Mehrere UNCTAD-Berichte der letzten Jahre – W&E berichtete über die meisten (>>>  Stichwort UNCTAD) – wiesen nach, dass dieser Ansatz der neoliberalen Ökonomie nicht funktioniert. In den jüngsten UNCTAD-Reports, z.B. im LDC-Bericht von 2011, wurden den LDCs geraten, unmittelbar über staatliche Anreize stabiles, dauerndes und beschäftigungsintensives Wachstum anzukurbeln. In ihrer Deklaration fordern die LDCs dien Geber auf, „den Rohstoffsektor unserer Länder zu unterstützen, einschließlich durch Diversifizierung und höhere Wertschöpfung“, um sie zu befähigen, besser und auf gleichberechtigter Basis an globalen Wertschöpfungsketten zu partizipieren.

Ganz anders als viele westliche Regierungsvertreter sind die LDCs – eine der Hauptgruppen bei UNCTAD – also sichtlich zufrieden mit dem Beratungsansatz der Organisation. Er bringt Alternativen ins Spiel, wo ansonsten wieder die Eintönigkeit des „One-fits-all“ Einzug halten würde.

19. April 2012

Nord-Sued-Zusammenprall vor UNCTAD XIII

Erstmals seit den Hochzeiten des Kampfes um eine Neue Weltwirtschaftsordnung hat die Gruppe der 77 (Entwicklungsländer) und China mit einer kontroversen Abstimmung auf der am Samstag in Doha beginnenden XIII. UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) gedroht. Die Gruppe der 77 besteht auf der Bekräftigung des sog. Accra-Akkords von vor vier Jahren und damit auf der Bekräftigung des UNCTAD-Mandats, das die Analyse und Beratung zu Fragen von Handel und Entwicklung sowie verwandter Themenbereiche wie Finanzen einschließt. Im Unterschied zu IWF und Weltbank, wo die Industrieländer ihre Mehrheit durch Kapitalstärke sichern, laufen Abstimmungen bei UNCTAD, die ein Sonderorgan der UN-Vollversammlung ist, nach dem Prinzip „Ein Land – eine Stimme“ ab. Somit wäre auch ohne Konsens mit den Industrieländern eine Mehrheit für den Süden gesichert, wenn es zur Abstimmung käme.

In einer im Vorfeld der Doha-Konferenz verbreiteten Erklärung sagten die Gruppe der 77 und China, die Versuche der Industrieländer, UNCTAD zu schwächen und ihr Mandat zu beschneiden (>>> Bedrohtes Mandat: UNCTAD unter starkem Druck), erinnerten sie an die „dunkelsten Tage der Nord-Süd-Spaltung“ und seien Zeichen für die Wiederentstehung eines „neuen Neokolonialismus“: „Wir können und wir werden das nicht akzeptieren.“ Die Frage sei nicht, ob es ein nichtssagendes oder überhaupt kein Ergebnisdokument geben werde, es werde ein Dokument geben, in dem das bisherige Mandat von UNCTAD bekräftigt wird. Ihre Bereitschaft, nach wie vor den Konsens zu suchen, dürfe nicht als Schwäche ausgelegt werden.

Auch die Vertreter der Zivilgesellschaft, die sich zu einem NGO-Forum im Vorfeld von Doha versammelt haben, verhalten sich in dieser Streitfrage, wie ich es mir wünsche. In einer Mitteilung drückten sie ihre Besorgnis über die westlichen Obstruktionsversuche gegenüber UNCTAD aus und forderten ebenfalls die Bekräftigung des Accra-Akkords. „UNCTAD dient als wichtiges Gegenforum, wo die Interessen der Entwicklungsländer die Oberhand behalten können, wenn Handel, Entwicklung und verwandte Themen diskutiert werden.“ Der umgehende Dank von UNCTAD-Generalsekretär Supachai für die starke Unterstützung war ihnen sicher. – UNCTAD-Sekretariat, G77 und Zivilgesellschaft ziehen also in einer wichtigen Frage an einem Strang. So könnte es möglich sein, auf UNCTAD XIII doch noch einen Durchbruch und einen Bruch mit den Gewissheiten aus der Zeit vor dem Ausbruch der globalen Finanzkrise zu erreichen (>>> Primat der Entwicklung oder der Finanzmärkte?).

17. April 2012

Doch Kim ist anders als die andern

Erwartungsgemäß hat das Exekutivkomitee der Weltbank den US-amerikanischen Mediziner und Anthropologen Jim Yong Kim zum nächsten Präsidenten der Weltbank bestimmt. Das archaische Prinzip, wonach ein Amerikaner die Bank führt (und ein/e Europäer/in den Fonds) wurde damit noch einmal gerettet. Doch erstmals nominierten die Entwicklungsländer zwei Gegenkandidaten und machten damit deutlich, dass bei gleicher oder sogar überlegender Qualifikation letztlich Kapitalstärke und Macht zählen. Aber, was vielleicht noch wichtiger ist und das Einzigartige dieser Wahl ausmacht: Kim ist anders als die andern – erstmals kein Wall Street-Banker, erstmals kein Mann aus dem politischen Establishment Washingtons, sondern erstmals einer, der für das hohe entwicklungspolitische Amt wirklich qualifiziert ist.

Es gab im Vorfeld dieser Wahl viele, die dies bestritten haben, Linke und Rechte gleichermaßen und immer von der arroganten Position der Ökonomen aus, die meinen, ohne sie in der Führungsrolle könne Entwicklung nicht gelingen. Doch es ist gut, dass an der Spitze der Weltbank erstmals einer stehen wird, die nicht aus dieser Zunft steht, die gerade in den letzten Jahren keine so gute Figur gemacht haben (siehe Finanzkrise). Und es sind Sätze wie dieser, die zählen und eine Öffnung der Weltbank zu ernsten Reformen ermöglichen können: „Wenn ich mit der Verantwortung betraut werde, diese Institution zu führen, werden Sie in mir einen finden, der harte Fragen zum Status quo stellt und keine Angst davor hat, die bestehende Orthodoxie in Frage zu stellen“, sagte Kim in seiner Vorstellungsrede vor seiner Wahl. Kein Weltbank-Präsident hat jemals so gesprochen.

Dieser Blog steht nicht in dem Ruf, zur Lektüre der Reden der Weltbank-Chefs aufzurufen. Im Falle der Bewerbungsrede Kims tun wir es. Und wir empfehlen, ihn beim Wort zu nehmen.

11. April 2012

Bedrohtes Mandat: UNCTAD unter starkem Druck

„Bis heute hat UNCTAD zwar eine bemerkenswerte Selbstbehauptungsfähigkeit bewiesen. Doch vor Rückschlägen ist auch diese Organisation nicht gefeit“, schrieb ich in meiner Vorschau auf die XIII. UN-Konferenz für Handel und Entwicklung in W&E 03/2012. Nach den Vorverhandlungen über das Abschluss-Dokument der vom 21.-26. April in Doha/Katar tagenden Vollversammlung sieht es danach aus, als könnte diese Befürchtung eher früher als später Wirklichkeit werden.

Die auf Initiative der Entwicklungsländer vor fast 50 Jahren gegründete UNCTAD war den westlichen Mitgliedsländern schon immer ein Dorn im Auge. Nachdem es dem Westen Anfang der 1990er Jahre gelungen war, der Organisation das Verhandlungsmandat zu nehmen, herrschte in den letzten Jahren eine Art Waffenstillstand, basierend auf der Neuformulierung des Mandats, das UNCTAD die Rolle als „Focal Point“ innerhalb des UN-Systems zubilligte, wo Probleme der Entwicklung und verwandte Themen aus den Bereichen Handel, Finanzen, Technologie, Investitionen und nachhaltige Entwicklung auf integrierte Weise behandelt werden können. Geht es nach den USA und anderen westlichen Ländern, soll UNCTAD künftig zu makro-ökonomischen Themen gar nicht mehr Stellung nehmen, nicht einmal Analysen anfertigen können.

Der Versuch, das Abschlussdokument von Doha entsprechend umzuformulieren, zielt nicht zuletzt darauf, das Deutungsmonopol von IWF und Weltbank weiter zu festigen, das die unkonventionellen und vorausschauenden Analysen von UNCTAD in den letzten Jahren immer wieder herausgefordert hatten. Der Angriff, der einer inhaltlich-politischen Strangulierung vor allem des UNCTAD-Sekretariats gleichkommt, hat jetzt 49 ehemalige Mitarbeiter von UNCTAD veranlasst, sich mit einem Statement öffentlich hinter die Organisation zu stellen (>>> Silencing the message or the messenger – or both). Sie werfen den OECD-Ländern vor, die Meinungsfreiheit in UNCTAD ausgerechnet zu einer Zeit zu bedrohen, in der andernorts im multilateralen System der Wert des Pluralismus langsam wiedererkannt wird. „Wenn nicht diejenigen, die stolz waren, für UNCTAD arbeiten zu dürfen, jetzt ihre Stimme erheben, wer dann?“

Das Statement verweist auf die – im Unterschied zu den Bretton-Woods-Institutionen – gute Leistungsbilanz der analytischen Arbeit von UNCTAD, die sich u.a. in der Vorhersage diverser Finanzkrisen der letzten Zeit gezeigt hat. Jetzt wo die Krise im Norden angekommen ist, hat dieser allerdings umso weniger Interesse daran, dass ein mehrheitlich von Süden bestimmtes Organ sich mit unabhängigen Positionen hierzu zu Wort meldet. Als jüngstes Beispiel für eine solche Wortmeldung könnte der vorbereitende Bericht von UNCTAD-Generalsekretär Supachai Panitchpakdi für UNCTAD XIII gelten, in dessen Mittelpunkt die Gefahren des finanzgetriebenen Kapitalismus stehen (>>> Primat der Entwicklung oder der Finanzmärkte?). Angesichts der Nachrichten aus Genf können wir können nur hoffen, dass dies nicht das letzte Beispiel für eine solche Wortmeldung war.

10. April 2012

Weltbank-Kandidaten: Neue Unuebersichtlichkeit

Inzwischen haben alle Kandidaten für den Chefposten der Weltbank ihr Bewerbungsschreiben auch in Form eines Financial Times-Kommentars abgegeben, der von den USA nominierte Arzt Jim Yong Kim, der Kandidat der Lateinamerikaner José Antonio Ocampo und die Kandidatin der Afrikaner Ngozi Okonjo-Iweala. Es ist das erste Mal, dass eine wirkliche Konkurrenz von Kandidaten für das Amt des Weltbank-Präsidenten stattfindet, zumindest im Grundsatz. Denn nach wie vor sind die Kräfteverhältnisse ja so, dass der US-Kandidat die meisten Stimmen auf sich vereinigen wird, vor allem da sich die Europäer für die Unterstützung ihrer IWF-Kandidatin Lagarde durch die USA bedanken dürften. Ansonsten aber herrscht eine neue Unübersichtlichkeit.

Ginge es nicht nach dem alten feudalistischen Auswahlprinzip, sondern danach, wer am besten den Mainstream repräsentiert, wäre Ngozi Okonjo-Iweala die passendste Kandidatin. Sie ist für die Schaffung von Arbeitsplätzen als die wichtigste Aufgabe der Bank (wer wäre da schon nicht dafür?), für die Investition in Humankapital (vor allem Gesundheit und Bildung) und den Aufbau „geeigneter Institutionen“ mit Eigentumsrechten und Vertragssicherheit, Good Governance und einem günstigen Umfeld für Privatinitiative. Und natürlich darf in dieser Kollektion der derzeit beliebtesten entwicklungspolitischen Catchwords auch der Kampf gegen die Korruption nicht fehlen. Kein Wunder deshalb, dass Leute wie der Investmentbanker Mohamed A. El-Erian (PIMCO) Obama bereits dazu aufgerufen haben, seinen eigenen Kandidaten zugunsten der Nigerianerin fallen zu lassen.

Die anderen beiden Kandidaten passen nicht so recht in das Bild des Mainstreams. Sie beherrschen zwar auch die Klaviatur der zeitgemäßen Entwicklungssprache, plädieren aber beide nachhaltig dafür, dass die Weltbank an ihrem Kernmandat der Armutsbekämpfung festhalten sollte. Ocampo spricht sich nicht nur für Wachstum und Arbeitsplätze, sondern auch für die Bekämpfung der Ungleichheit aus und plädiert für kleinbäuerliche Landwirtschaft und angepasste Infrastruktur, für ein Minimum an sozialer Sicherung und die zentrale Rolle der Geschlechtergleichheit. Was Ocampo und Kim eint, ist die Rede von der Inklusion, die die Weltbank-Kultur bestimmen müsse; sie wollen die Bank auch als Plattform für den Wettbewerb der Ideen und die Kooperation ihrer diversen „Stakeholder“. Beide leben seit langem in den USA, wenngleich Ocampo im Unterschied zu Kim keine US-Staatsbürgerschaft hat. Was sie unterscheidet: Kim ist Arzt, Ocampo Ökonom.

Ocampo hat in den letzten Jahren intensiv mit Wirtschaftswissenschaftlern wie Jo Stiglitz und Stephany Griffith-Jones zusammengearbeitet. Da verwundert es nicht, dass er inzwischen die Unterstützung von über 100 zumeist progressiven Ökonomen aus aller Welt hat. Was jedoch stört ist, dass sich anscheinend alle Ökonomen – ob nun dem Mainstream oder eher den Heterodoxen zuzurechnen – nur einen Ökonomen an der Spitze der Weltbank vorstellen können. Natürlich spricht viel für Ocampo. Aber die Weltbank hat genug Ökonomen in ihrem Apparat, und ein Mediziner und Sozialwissenschaftler wie Kim, der als Abteilungsleiter bei der WHO an vorderster Front gegen HIV/Aids kämpfte, wäre vielleicht schon deshalb geeignet, frischen Wind in die Weltbank zu bringen. Selbst wenn die Bank ein Drittel oder die Hälfte ihrer Ökonomen entlassen, durch Sozialwissenschaftler, Ethnologen und Anthropologen ersetzen oder die Stellen vakant lassen sollte, könnte sie – und dies vielleicht besser als jemals zuvor – einen herausragenden Beitrag zum Kampf gegen die Armut leisten.

9. April 2012

Appell: Schäuble soll Spekulation mit Nahrungsmitteln stoppen


Angesichts einer Milliarde Hungernder auf der Welt fordert ein neuartig-breites Bündnis aus Hilfs- und Kampagnenorganisationen jetzt ein Einschreiten der Bundesregierung, um der maßlosen Spekulation mit Nahrungsmitteln einen Riegel vorzuschieben. Oxfam Deutschland, die Welthungerhilfe, Misereor, Attac, Campact, WEED und das Südwind-Institut starten heute die Protestaktion "Mit Essen spielt man nicht!". Sie richtet sich an Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der dazu beitragen soll, die Geschäfte mit dem Hunger zu stoppen. Die Spekulation mit Agrarrohstoffen an den Finanzmärkten sei mitverantwortlich für extreme Preisschwankungen und -steigerungen bei Nahrungsmitteln und trage so zu globalen Hungerkrisen bei, sagt Marion Lieser, Geschäftsführerin von Oxfam Deutschland.

Familien in Entwicklungsländern geben oft mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus. Als Folge der Preisexplosion bei Nahrungsmitteln im zweiten Halbjahr 2010 sind nach Angaben der Weltbank zusätzlich 44 Millionen Menschen verarmt und unterernährt. Das Bündnis der sieben Organisationen fordert Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble auf, sich bei der anstehenden EU-Finanzmarktreform für eine stärkere Regulierung der Warentermingeschäfte einzusetzen. Dazu gehört mehr Transparenz an den Rohstoffbörsen. Investmentfonds sollten komplett von den Agrarrohstoffbörsen verbannt werden.

Wolfgang Jamann, Generalsekretär der Welthungerhilfe, weist darauf hin, dass die Zeit drängt. „Wenn die Getreidespeicher leer sind, dann müssen verarmte Länder zu astronomischen Summen Nahrungsmittel auf den Weltmärkten zukaufen. Weitere Millionen werden in den Hunger getrieben.“ Auf europäischer Ebene besteht jetzt die Chance, das Geschäft mit dem Hunger zu stoppen. Das Recht auf Nahrung müsse Vorrang haben vor den kurzfristigen Gewinninteressen der Finanzmarktakteure, so Jutta Sundermann, Mitglied des Attac Koordinierungskreises. Bei der Protestaktion sammelt das Bündnis unter dem Motto "Mit Essen spielt man nicht!" über seine Netzwerke online und offline Unterschriften. Im Herbst 2012 sollen die gesammelten Unterschriften in einer symbolischen Aktion an Bundesfinanzminister Schäuble übergeben werden.

* Möglichkeiten zur Teilnahme an der Petition bestehen beispielsweise >>> hier.

5. April 2012

Wissensbank kennt eigene Zahlen nicht

Die Weltbank hat mit der Überarbeitung ihrer Sozial- und Umweltstandards begonnen. In diesem zwei Jahre dauernden Prozess wird auch ihre Politikrichtlinie zu Zwangsumsiedlungen geändert. Allerdings scheint die Weltbank, die sich gern als „knowledge bank“ (Wissensbank) bezeichnet, keine Angaben darüber machen zu können, wie viele Menschen in von ihr finanzierten Projekten von Zwangsumsiedlungen betroffen sind.

Bei der Evaluierung der Umwelt- und Sozialstandards, die der Überarbeitung vorgelagert war, musste sich die hausinterne Evaluierungsabteilung (Independent Evaluation Group/IEG) der Weltbank wegen fehlender Daten auf Stichproben stützen. Sie schätzt, dass insgesamt mehr als eine Million Menschen von Zwangsumsiedlung betroffen sind. Für Knud Vöcking, Weltbank-Referent der deutschen Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald, ist das „eine konservative Schätzung“. Die letzte Weltbank-Studie zu Zwangsumsiedlungen von 1994 sprach von zwei Millionen Betroffenen über einen Zeitraum von acht Jahren.

Zwangsumsiedlungen betreffen zumeist die Armen in den Projektgebieten und ziehen die Lebensgrundlagen und den Zusammenhalts von Gemeinschaften in Mitleidenschaft. „Völlige Verarmung als unbeabsichtigtes Resultat von Entwicklungsprojekten dürfte nicht vor kommen“, sagt Korinna Horta, Menschenrechts-Expertin bei urgewald. „Aber in der Praxis herrschen Missbrauch von Geldern, Einschüchterung der Betroffenen und soziale Ungerechtigkeit bei Zwangsumsiedlungen.“ Gerade in Zeiten stetig steigender Investitionen in Infrastrukturprojekte müsse alles getan werden, dass es erst gar nicht zu Zwangsumsiedlungen kommt. Mit Entwicklungsgeldern Lebensgrundlagen zu zerstören ist für die meisten NGOs nicht akzeptabel.

In einem Schreiben an „Dear Mr. Zoellick“ fordern jetzt Organisationen aus 25 Ländern, dass die Weltbank das Ausmaß der von ihr unterstützten Zwangsumsiedlungen untersucht und bekannt macht. Außerdem soll sie eine unabhängige Studie zu deren Auswirkungen und den von der Weltbank daraus gezogenen Lehren in Auftrag geben. Nur auf solch einer Grundlage könne eine sinnvolle Überarbeitung der Weltbank-Richtlinien stattfinden. Man sieht: Auf den neuen Präsidenten der Bank, der bis zur kommenden Frühjahrstagung der Bretton-Woods-Zwillinge feststehen soll, wartet einiges an Arbeit.