31. Januar 2011

Rainer Falk in SWR2 Kontext zu den Ergebnissen von Davos

Am 31. Januar brachte der SWR2 in seiner Sendung SWR2 Kontext eine Auswertung des diesjährigen Weltwirtschaftsforums in Davos, darunter ein Interview mit Rainer Falk. Die Sendung kann auch noch nach dem Sendetermin als SWR2-Podcast gehört werden:

>>> SWR2 Podcast

Nochmals Davos: Die neue Realität ist weitestgehend die alte

"Gemeinsame Normen für die Neue Realität“ wollte man suchen. Doch am Ende erwies sich diese „Neue Realität“ weitgehend als die alte. Allenfalls ist die Unkalkulierbarkeit von Entwicklungen bzw. die Unfähigkeit, bestimmte Ereignisse vorherzusagen, noch größer geworden. Die Aufstände in Nordafrika zeigen das. Halb Nordafrika brennt – doch das Thema kam im offiziellen Programm des diesjährigen Weltwirtschaftsforums überhaupt nicht vor. Auf den Gängen wurde darüber freilich umso mehr diskutiert.

Die neue Realität ist weitgehend die alte. Nirgendwo zeigte sich dies deutlicher als im thematischen Kernbereich des WEF. Die Freunde war groß darüber, dass sich die Wachstumszahlen nach dem tiefen Einbruch 2009 wieder in den positiven Bereich gedreht haben. Die Stimmung unter den Wirtschaftsführern hat sich eindeutig zum Optimismus gewendet, wie der vorab veröffentlichte internationale Geschäftsindex von Price Waterhouse Coopers demonstrierte und viele Beobachter dann vor Ort in Davos feststellen konnten. Die internationalen Großbanken brachten ihre neue Selbstzufriedenheit mit einer „Friedensinitiative“ der besonderen Art auf den Punkt: Es müsse endlich Schluss sein mit dem „Banker-Bashing“ und der „Regulierungswut“ gegenüber den Finanzmärkten. Die Staaten und die Finanzwelt müssten wieder Frieden schließen – als ob die Beziehung jemals zu einem „Krieg“ ausgeartet sei.

Die neue Realität war so sehr die alte und der Wunsch der Banker zur Normalität zurückzukehren so stark, dass selbst Angela Merkel sich veranlasst sah, vor zu viel Selbstzufriedenheit zu warnen. Noch sei man nicht gegen eine neue Finanzkrise gewappnet. Nach wie vor sei mehr Regulierung auf den Finanzmärkten notwendig, und bislang sei keineswegs jeder Akteur an den Finanzmärkten einer effizienten Aufsicht unterstellt. Noch deutlicher verwies der französische Präsident Nicolas Sarkozy in einer kämpferischen Rede auf die unerledigten Aufgaben der G20 bei der Finanzmarktregulierung und auf die neuen Risiken der weltwirtschaftlichen Entwicklung, wie die hohe Fluktuation der Währungen und die Volatilität der Rohstoffpreise, darunter der Preise für Nahrungsmittel, die auf eine neue Nahrungsmittelkrise deuten.

Es ist paradox: Auf kaum einem Weltwirtschaftsforum koexistierten der neu gewonnene Optimismus und die Hinweise auf die lange Liste der Risiken so sehr wie in diesem Jahr. Noch vor Beginn des Forums hatte der jüngste Risiko-Report des WEF darauf hingewiesen, dass die existierende, veraltete Global-Governance-Architektur nicht in der Lage ist, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen. Da es keinen einzigen konkreten Vorschlag gab, wie dies zu ändern sei, gehört zu dem alten Neuen nach wie vor auch diese Diskrepanz. Ein einziges Panel der Davoser Tage stand unter dem Motto „Redefining Sustainable Development“. Aber auch hier gab ein nur ein paar Bekenntnisse und Aufrufe zu mehr Ökoeffizienz, als könnte man der Umwelt- und Klimakrise mit rein technischen Lösungen begegnen.

28. Januar 2011

Neste Oil und AngloGold am Davoser Public-Eye-Pranger

In Sichtweite des Weltwirtschaftsforums (WEF) haben die Erklärung von Bern (EvB) und Greenpeace heute besonders krasse Menschenrechtsverstöße und Umweltsünden von Unternehmen gebrandmarkt. Den Jurypreis erhielt der südafrikanische Minenkonzern AngloGold/Ashanti. Der Publikumspreis ging via Internet-Voting an den finnischen Agrotreibstoffkonzern Neste Oil. An der Abstimmung, beteiligten sich über 50’000 Menschen. Und OpenLeaks-Mitgründer Daniel Domscheit-Berg forderte im Rahmen der Medienkonferenz von der Wirtschaftswelt mehr Transparenz und Ethik.

Mit den Public Eye Awards 2011 prämieren die EvB und Greenpeace zwei Konzerne, die exemplarisch für jene WEF-Mitglieder und Unternehmen stehen, deren soziale und ökologische Vergehen die Kehrseite einer rein profitorientierten Globalisierung zeigen. Für die Vergiftung von Land und Menschen beim Goldabbau in Ghana erhält der südafrikanische Bergbaukonzern AngloGold Ashanti den von einer Fachjury verliehenen Public Eye Global Award. In seiner Davoser Laudatio berichtete Daniel Owusu-Koranteng, Präsident der Betroffenenorganisation WACAM, von „Minenabfällen, die Flüsse und Brunnen kontaminieren, aus denen ganze Dörfer trinken müssen.“ Zudem seien „in konzerneigenen Wachhäusern verschiedentlich Anwohner gefoltert“ worden, wobei es „auch schon Tote“ gab.

Den Web-basierten Public Eye People’s Award, der dieses Jahr mehr als doppelt so viele Menschen mobilisierte wie noch 2010, räumte mit 17.385 Stimmen Neste Oil ab und verwies damit BP (13.000) und Philip Morris (8.052) auf die Plätze. Der finnische Agrotreibstoffproduzent und bald schon weltgrößte Palmölabnehmer verkauft unter dem schamlosen Namen „Green Diesel“ europaweit Biodiesel. Die massiv steigende Palmöl-Nachfrage treibt die Regenwaldzerstörung in Indonesien und Malaysia, den letzten Refugien der vom Aussterben bedrohten Orang Utans zusätzlich an. Den sich immer deutlicher abzeichnenden Schmähpreis vor Augen, hat sich Finnair noch in letzter Minute von einem geplanten Großprojekt mit Neste-Kerosin zu distanzieren versucht.

Die Trägerorganisationen und Nominierenden der Public Eye Awards fordern von der Politik schon lange rechtlich verbindliche Regeln für mehr Unternehmensverantwortung. Die Zivilgesellschaft begrüßt deshalb die Richtlinien des UN-Sonderbeauftragten für Unternehmen und Menschenrechte, John Ruggie, die staatlichen Schutz, wirtschaftlichen Respekt und juristische Opferhilfe fordern und Mitte 2011 im Menschenrechtsrat verabschiedet werden. Laut Ruggie dürfen Konzerne nur durch konsequentes „Knowing and Showing“ künftig erwarten, öffentlichem „Naming and Shaming“ wie durchs Public Eye zu entgehen. Mehr Transparenz und Ethik bei Firmen möchte auch der Mitgründer des Projekts OpenLeaks, Daniel Domscheit-Berg, erreichen. „Beides entspricht einem schnell wachsenden gesellschaftlichen Bedürfnis“, meint der ehemalige WikiLeaks-Sprecher. Im Erfolg des digitalen Whistleblowings sieht Domscheit-Berg „ein eindringliches Signal an die Wirtschaftswelt. Wer Transparenz nicht proaktiv top-down etabliert, läuft zunehmend Gefahr, dass sie bottom-up durch Whistleblower geschaffen wird.“

Sarko und Schattenbanken: Putzmunter in Davos

Es gehört zu den Besonderheiten Frankreichs, dass die Academie Française auch den korrekten Sprachgebrauch des Präsidenten überwacht. So verwundert es nicht, dass Nicolas Sarkozy in seiner Rede in Davos nur einmal ein englisches Wort gebrauchte: „le shadow banking“. Die Pariser Sprachwächter werden es ihm nachsehen, denn für „Schattenbanken“ gibt es kein französisches Wort. Die Schattenbanken (Hedgefonds und andere „alternative“ Investment und Spekulationsfonds) sind auch in Davos wieder putzmunter beim Lobbying für ihre Interessen.

Interessant ist ein Schlagabtausch zwischen dem zweiten Mann von Goldman Sachs, Gary Cohn, und führenden Hedgefonds-Managern. Auf einer Podiumsdiskussion hatte Cohn davor gewarnt, dass Banken nicht zu stark reguliert werden sollten, weil die Investoren dann auf das System der Schattenbanken ausweichen würden. Die Hedgefonds-Manager reagierten, der Goldman-Sachs-Banker betreibe nur sein eigenes Konkurrenzgeschäft und sei im Übrigen auf zynische Weise darum bemüht, die Regulationsbestrebungen gegenüber dem Bankensektor zurückzudrängen und zu schwächen. Schließlich sei Goldman Sachs noch bis vor kurzem – bis zum Verbot des Eigenhandels – der größte Hedgefonds der Welt gewesen.

Der Schlagabtausch ist nicht so sehr wegen der Argumente der Beteiligten interessant. Er illustriert aber, dass die Hedgefonds nicht nur in Davos aktiv sind, sondern dass bislang sehr wenig von dem umgesetzt wurde, was die G20 im vorletzten Jahr versprochen hatten, dass nämlich künftig kein Markt, keine Branche und kein Produkt von der staatlichen Regulierung ausgenommen sein dürfe. So gesehen ist die Auseinandersetzung eigentlich eine Steilvorlage für die unerledigten Aufgaben, die Frankreich während seiner G20-Präsidentschaft angehen will. Sarkozys Rede – nicht so zugespitzt wie im letzten Jahr (>>> Bravo, Sarko!) – war allerdings eher der Versuch, die Skeptiker für den Dialog über die französische Agenda zu gewinnen, als eine Präsentation konkreter Vorschläge. Von einem Burgfrieden mit dem Finanzsektor hält der französische Präsident aber nichts: Auf die Frage von Jamie Dimon, dem derzeitigen CEO von Morgan Sachs, ob Banken und öffentliche Behörden nicht endlich Frieden schließen sollten, antwortete Sarkozy mit dem kompletten Kanon der Kritik an Bonus-Praktiken, Derivate-Handel und Offshore-Finanzzentren.

27. Januar 2011

Celebrating IndiaInclusive in Davos?

Seit zwei Tagen sind sie jetzt auf der Suche nach der „Neuen Realität“, wie die Aufgabe auf dem diesjährigen World Economic Forum lautet. Doch schlüssige Antworten, worin das Neue besteht, gibt es noch nicht. Irgendwie, so betonen viele, hat es was zu tun mit dem Aufstieg der neuen Schwellenmächte in der Weltwirtschaft, allen voran China und Indien. Andere, wie die Delegation des Internationalen Gewerkschaftsbunds (ITUC) in einem vorbereiteten Papier, betonen eher, dass das Neue doch sehr stark wie das Alte aussieht – mit der unerledigten Reform des Finanzsystems, der immer noch hohen Arbeitslosigkeit und der Rückkehr vieler Regierungen zur internationalen „Konkurrenzfähigkeit“ als oberster Maxime ihrer Länder.

Neu ist immerhin, dass Indien diesmal mit einer starken 135-köpfigen Delegation vertreten ist. Deren Aufgabe: zu vermitteln, dass Indien und seine Ökonomie anders ist. Die Delegation gruppiert sich um eine Kampagne der Confederation of Indian Industry. Unter dem Motto „india !nclusive“ haben sie Großanzeigen in der internationalen Finanzpresse geschaltet (s. Abbildung; Vergrößerung durch Anklicken) und einen Reigen von Podiumsdiskussionen, Banketten und Partys organisiert – Davos als „India Inclusive celebrations“, an denen alle teilnehmen und den Indian way of life kennenlernen sollen. Dieser besteht nach dem Anzeigentext aus „Wachstum für alle“, „Chancen für alle“ und „Märkten für alle“. „Mit einem BIP-Wachstum, das auf 4 Billionen US-Dollar zugeht und das Hinterland in den nationalen Mainstream integriert, gibt es Gelegenheiten für alle“, wird gesagt.

Doch die Realität sieht anders aus, vor allem ökonomisch. Die „wirkliche Wachstumsgeschichte Indiens“ ist der Hunger und die Akkumulation von ungeheurer Armut neben schier unbeschreiblichen Reichtum, wie Aniruddha Bonnerje und Gabriele Koehler in einem neuen Special Report (>>> Hunger – The true growth story of India) für die englische Ausgabe des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung schreiben. Indien ist ein beredtes Beispiel dafür, dass hohe Wachstumsraten nicht automatisch aus der Massenarmut führen, aber auch Beispiel für ein Land, dass 50% seiner Armut aus eigener Kraft beseitigen könnte, wie in den Millennium-Entwicklungsziele vorgesehen ist. Aber solcherlei Realität findet in den Davoser Hallen kaum Gehör.

Mikrooptimismus: Davos in neuem Stimmungshoch

Fast scheint es so als sei gar nichts gewesen. In seinem diesjährigen Survey – einer Art internationaler Geschäftsindex – sieht PriceWaterhouse Coopers PWC) die Stimmungswerte der rund 1200 befragten Topmanager fast schon wieder auf dem Niveau von vor der Finanzkrise. Auch in Davos herrscht unter den annähernd 2500 Teilnehmern („by invitation only“) erstaunlich viel Optimismus. Dieser wurde kurz vor dem Treffen noch beflügelt durch die neueste Aktualisierung des World Economic Outlooks des IWF, der nicht nur die eigenen Prognosen erhöhte, sondern mit seinen Zahlen deutlich über denen der Weltbank und der UNO liegt. Während die Weltbank kürzlich für 2011 ein weltweites Wachstum von 3,3% voraussagte (>>> W&E-Hintergrund Januar 2011), prophezeit der IWF jetzt 4,4%. Selbst der für seine pessimistischen Prognosen berühmte Nouriel Roubini überraschte in Davos mit seiner Einschätzung, dass sich Abwärtsrisiken und Aufwärtstendenzen in der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Entwicklung in etwa die Waage halten.

Ausdruck des neu gewonnenen Optimismus ist auch, dass jetzt über die Nachhaltigkeit der in Nord und Süd gespaltenen Weltkonjunktur diskutiert und gefragt wird, ob wir eine internationale Konjunktur der zwei oder der drei Geschwindigkeiten haben: Läuft nicht nur das Wachstum der Schwellenländer den Industrieländern davon, sondern wachsen auch die USA in den nächsten Jahren wieder deutlich schneller als Europa und Japan? Letzteres vermutet beispielsweise der IWF-Berater Zhu Min und wird dabei selbstredend von den neuesten Prognosen des Fonds gestützt.

Ein Wehrmutstropfen in dem neuen Stimmungshoch der Davos People ist freilich, dass sich die hohen Werte des PWC-Surveys vor allem auf die individuellen Geschäftsaussichten der Weltkonzerne beziehen, die darauf hoffen, von dem Schwellenländer-Boom nach Kräften profitieren zu können. Wenn es um das Gesamtbild des gegenwärtigen Zustands der Welt geht, fällt der Optimismus deutlich verhaltener aus. Der Gründer des Weltwirtschaftsforum, Klaus Schwab, sprach deshalb in seiner Eröffnungsrede von einem Mikrooptimismus auf der einen und einem Makropessimismus auf der anderen Seite. Nicht nur der alljährliche Risiko-Report des WEF gibt ihm Recht. Auch der Hintergrund, vor dem der diesjährige Eröffnungsredner, der russische Präsident Medvedev, sprach (der jüngste Terroranschlag auf einem Moskauer Flughafen), verweist darauf, dass keineswegs alle dunklen Wolken am Firmament der Globalisierung verzogen haben.

25. Januar 2011

Frankreich präsentiert seine G20-Agenda

Nur zwei Tage vor dem Weltwirtschaftsforum hat der französische Präsident Nicolas Sarkozy in Paris nochmals seine Agenda für die G20- und auch (weniger wichtig) für die G8-Präsidentschaft präsentiert. Sie enthält die zentralen Punkte:

1. Internationale Koordinierung der Wirtschaftspolitik und Reduzierung der weltweiten makroökonomischen Ungleichgewichte
2. Verstärkung der Regulierung des Finanzsektors
3. Reform des Internationalen Währungssystems
4. Kampf gegen die Preisvolatilität bei Rohstoffen
5. Verbesserung der Global Governance
6. Handeln für Entwicklung

Darin inbegriffen sind starke Plädoyers für die Regulierung der internationalen Finanzflüsse, die den Schwellenländern derzeit zu schaffen machen, und für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer – eine „moralischer Imperativ“, der endlich eingelöst werden müsse (>>> Wortlaut der Rede).

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac wertet die Ankündigungen des französischen Präsidenten als Erfolg der weltweiten Kampagnen zur Regulierung der Kapitalmärkte. Die deutsche, von Attac mitgetragene Kampagne "Steuer gegen Armut" habe zudem bewirkt, dass die Bundesregierung Sarkozy bei diesem Bemühen öffentlich unterstütze. Aber damit aus Ankündigungen endlich Taten werden, und die
EU- und G20-Länder doch noch richtige Lehren aus der Finanz- und Wirtschaftskrise ziehen, sei weiter starker öffentlicher Druck nötig, meint Attac.

Als positiv wertet Attac auch, dass der französische Präsident von der Notwendigkeit spricht, eine neue Währungsordnung zu schaffen und die Spekulation mit Nahrungsmitteln zu bekämpfen. Es sei freilich zu hoffen, dass Sarkozy sich mit dieser Agenda nicht nur für die nächste Präsidentenwahl in Frankreich profilieren will.

24. Januar 2011

WEF 2011: Zwischen Agenda-Setting und Selbsthilfe-Gruppe

Das World Economic Forum (WEF) steht bevor, und wie jedes Jahr werden Beobachter aus aller Welt versuchen, neue Trends aufzuspüren und den Zustand der „Davos people“ zu erkunden – jener Spezies, die für die einen die „globale herrschende Klasse“ (>>> Towards a global ruling class?) bilden, für die anderen eine abgeschmackte Heerschar der Eitelkeiten und der Geldverschwendung. In diesem Jahr schwanken die Einschätzungen zwischen Agenda-Setting und einem Selbsthilfetreffen vereinsamter Topmanager, die nach Vertrauen und Solidarität in einer feindlichen Umwelt suchen. So zartfühlend können Finanzjournalisten schreiben, wenn sie wie die eloquente Gillian Tett von der Financial Times versuchen, neues Interesse für das Schweizer Bergtreffen der Wirtschaftsbosse mit den Politikern zu wecken (>>> Lonely CEOs flee hostile world for self-help group).

Im Zentrum dürfte freilich auch diesmal wieder eine Mischung aus Agenda-Setting (auf der großen öffentlichen Bühne) und der Einfädelung neuer Schritte im internationalen Krisenmanagement (in den eleganten Hinterzimmern der Luxushotels) stehen. Die Liste der erwarteten Prominenten ist kaum kleiner als in den Jahren zuvor. Nach einer gewissen Zurückhaltung sollen diesmal auch einige Top-Banker wieder erscheinen. Man trifft sich unter dem Slogan „Shared norms for the new reality“, nachdem es im letzten Jahr hieß „Rethink, redesign, rebuild“. Es geht um „the new real“, wie ein bekannter Großbanker zu sagen pflegt, um die Zeit nach der Krise, vor die keiner mehr zurück kann, wie der Vater von Davos, der Wirtschaftsprofessor Klaus Schwab, sagt (>>> Video). Das diesjährige Motto reflektiert nach Ansicht der Organisatoren „die Sorge vieler Führungskräfte, dass wir in einer Welt leben, die zunehmend komplex und miteinander verknüpft ist und zugleich eine Erosion gemeinsamer Werte erlebt, die das öffentliche Vertrauen in die Führung untergräbt ebenso wie in das künftige Wirtschaftswachstum und die Stabilität“. So weit – so gut; aber welche Normen den – zumeist – Herrschaften künftig aus der Malaise helfen sollen, geht aus der WEF-Website noch nicht hervor.

Um die konkreten Themen, die im Mittelpunkt der zahlreichen Panels stehen werden, zu identifizieren, bedarf es hingegen keiner allzu großen Phantasie. Da geht es um Wege zur Lösung der Eurokrise und zur Stabilisierung der Peripherie des Euroraums, um die allgemeine Entwicklung der Weltwirtschaft, um das neue Kräfteverhältnis zwischen alten Industrieländern und Emerging Economies. Frankreich wird das Forum zur Profilierung und Durchsetzung seiner G20-Agenda zu nutzen suchen, keine leichte Aufgabe angesichts der starken Widerstände vor allem der USA gegen eine stärkere Regulierung von Währungs- und Rohstoffmärkten und eine solidere Global-Governance-Struktur, einschließlich einer Reformierung des IWF. Insgesamt stehen also keine uninteressanten Tage bevor auf einem Forum, das schon mehrfach für tot gesagt wurde.

16. Januar 2011

Tunesien - Zusammenbruch einer Konzern-Plattform

Noch am Mittwoch vergangener Woche erschien in der Financial Times die folgende Anzeige:


Die dazu gehörige Internetseite "Think Tunisia" - eine Werbeplattform zur Anlockung ausländischer Investitionen in das "Euromedvalley for industry and technology" funktionierte schon am Tag des Veröffentlichung der Anzeige nicht mehr. Vielleicht ein Glück für die internationalen Investitionsstrategien. Denn ihre heile Welt des Wachstums, des Exportbooms (für Niedriglohnauslagerungen) und paradiesischer Qualifikationsverhältnisse wirkt nur noch peinlich angesichts der Ereignisse der letzten Tage. Ein Beispiel dafür, wie sich die Wirtschaftspropaganda des abgetretenen Ben-Ali-Regimes gerne sah, haben wir aus dem Cache geholt:


Looking For Growth ! Think Tunisia
envoyé par ClasseExport. - Regardez les dernières vidéos d'actu.

12. Januar 2011

Rodriks Regeln für eine neue Weltwirtschaftsordnung

Nehmen wir an, die führenden Politiker der Welt würden sich erneut in Bretton Woods, New Hampshire, treffen, um eine neue Weltwirtschaftsordnung zu entwerfen. Sie würden sich dabei natürlich in erster Linie mit den heutigen Problemen befassen: der Krise der Eurozone, der globalen Erholung, Finanzregulierung, den internationalen makroökonomischen Ungleichgewichten usw. Doch die Behandlung dieser Fragen würde die versammelten Führer zwingen, darüber hinauszugehen und die Solidität der weltwirtschaftlichen Arrangements insgesamt zu überdenken. In seinem neuen Buch, The Globalization Paradox, diskutiert der Harvard-Wissenschaftler Dani Rodrik sieben Prinzipien einer neuen Weltwirtschaftsordnung. Am interessantesten vielleicht ist Prinzip 2, das sich mit der Überlebensfähigkeit des Nationalstaats beschäftigt:

Auf absehbare Zukunft dürfte eine demokratische Staatsführung weitgehend innerhalb nationaler politischer Gemeinwesen organisiert sein. Der Nationalstaat lebt, auch wenn er etwas schwächeln mag, und bleibt im Wesentlichen das das einzige Spiel am Ort. Das Streben nach einer Weltregierung ist vergebliche Liebesmüh. Dass die nationalen Regierungen erhebliche Kontrollgewalt an die transnationalen Institutionen abgeben, ist kaum zu erwarten; zudem würde eine Regelharmonisierung Gesellschaften mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Präferenzen nichts nutzen. Die Europäische Union könnte die einzige Ausnahme von diesem Axiom sein, obwohl ihre gegenwärtige Krise es eher zu belegen scheint.

Allzu oft verschwenden wir internationale Zusammenarbeit auf übertrieben ehrgeizige Ziele. Dabei kommen letztlich schwache Ergebnisse heraus, die den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den großen Ländern darstellen. Wenn internationale Zusammenarbeit „erfolgreich“ ist, bringt sie Regeln hervor, die entweder zahnlos sind oder die Präferenzen der mächtigeren Länder widerspiegeln. Die Baseler Regeln über die Kapitalanforderungen und die Regeln der Welthandelsorganisation zu Subventionen, geistigem Eigentum und Investitionsmaßnahmen typisieren diese Art von übertriebenem Ehrgeiz. Wir können die Effizienz und Legitimität der Globalisierung stärken, indem wir die demokratischen Verfahren im eigenen Lande unterstützen, statt sie kaputtzumachen.

Eine Übersicht über alle sieben Prinzipien findet sich >>> hier.


11. Januar 2011

Entscheidendes G20-Jahr: Liefern ist angesagt

Für die G20, für Frankreich und speziell für den französischen Präsidenten, Nicolas Sarkozy, steht in diesem Jahr viel auf dem Spiel. Aus französischer Sicht steht oder fällt in 2011 die Fähigkeit der Gruppe der 20 Industrie- und Schwellenländer zur Reform der internationalen Wirtschafts- und Finanzordnung; gelingt hier kein substantieller Fortschritt, wird die Gruppe zu einer Randerscheinung im internationalen Kräftespiel werden. So jedenfalls beschrieb der französische Premierminister François Fillon auf dem diesjährigen Forum „New World-New Capitalism“ in der letzten Woche in Paris die Ausgangslage. Die Doppelpräsidentschaft bei G8 und G20 ist für Frankreich und für seinen Präsidenten vor allem eine Prestigeangelegenheit. Und dieses Prestige wiederum hängt an der Fähigkeit, zentrale Punkte seiner weitreichenden G20-Agenda (>>> Frankreichs Agenda für die G20-Präsidentschaft) in internationale Reformen umzusetzen. „Liefern“ ist also angesagt.

Entsprechend herunter geschraubt hatte denn auch die französische Diplomatie die Erwartungshaltung für Sarkozys gestrigen Washington-Besuch. Nach den Chinesen sollten jetzt auch die Amerikaner zu G20-Gesprächen über Währungsfragen gewonnen werden. Und glaubt man den Presseberichten, versprachen sich Sarkozy und Obama, in Währungsangelegenheiten und bei anderen globalen Ungleichgewichten zusammenzuarbeiten. Konkrete Reformvorschläge hatte Sarkozy bewusst nicht im Gepäck. Die freilich hatte er ausführlich schon früher gemacht, z.B. bereits beim Weltwirtschaftsforum in Davos vor einem Jahr, als er ein neues Weltwährungssystem, eine „neues Bretton Woods“ (>>> Bravo Sarko!) forderte.

Im Vorfeld und seit Beginn der französischen G20-Präsidentschaft ist dieses Stichwort freilich nicht mehr aufgetaucht. Die Franzosen mögen sich allerdings noch so diplomatisch verhalten – wer immer heute von einem neuen Weltwährungssystem redet, kommt um die Frage nicht herum, wie Währungshegemonie künftig gestaltet werden sollte. Um wie auch immer die Vorschläge aussehen mögen – ohne eine Relativierung der Vormachtstellung des US-Dollars wird es nicht gehen. Das wissen auch die Amerikaner – und deshalb sind sie so vorsichtig im Umgang mit dem Thema.

Glaubt man einigen Finanzauguren mit dem Blick fürs Pragmatische, so dürften die großen französischen Visionen von einer neuen Weltwährungsordnung im Laufe dieses Jahres auf Minilösungen zusammenschmelzen: Einigen könnten sich die G20 vielleicht auf ein Regelwerk zu Kapitalverkehrskontrollen, um „Währungskriege“ einzudämmen. Und wieder einmal steht der Internationale Währungsfonds (IWF) in Warteposition, um eine bessere Kontrolle der grenzüberschreitenden Kapitalbewegungen zu übernehmen. Vorsorglich hat der Fonds in der letzten Woche dafür schon mal seine Dienste angeboten, allerdings „ohne eine klare Vorstellung davon, wie das aussehen sollte“, wie ein ehemaliger hoher IWF-Funktionär sagte. Hoffen wir also, dass die Pragmatiker diesmal nicht Recht behalten.

7. Januar 2011

Nichts dazu gelernt: Weltbank und Agrarmärkte

Auf den Agrarmärkten begann das neue Jahr mit einem Paukenschlag: Kaum hatte der Rohstoffkorrespondent der Financial Times, Javier Blas, in der Silvester-Ausgabe seiner Zeitung für 2011 eine neue Nahrungsmittelkrise vorausgesagt, wartete die FAO mit der Meldung auf, dass ihr Nahrungsmittelpreis-Index (s. Grafik) bereits im Dezember letzten Jahres das Niveau der letzten Nahrungsmittelkrise von 2007/08 überschritten hatte. Er liegt jetzt bei 214,7 Punkten – der Vergleichswert vom Juni 2006 war 213,5. Zwar versuchen die Experten noch zu beschwichtigen, indem sie darauf verweisen, das die Rekordhöhe des Indexes auf die Preise bei Ölsaaten, Milchprodukten oder Zucker zurückzuführen sei, während die für die Ernährungssicherheit vieler Länder im Süden entscheidenden Preise von Reis oder Weizen bislang noch relativ moderat ausfallen – „relativ“ wohlgemerkt. Immerhin ließen erste Meldungen von Brotunruhen, diesmal aus Algerien, nur einen Tag auf sich warten.

Ungeachtet ob die Meldungen aus Algerien das Menetekel für eine neue Serie von Brotaufständen sind – dass die Nahrungsmittelpreise in diesem Jahr weiter steigen werden, ist so gut wie sicher. Da ist es keine große Überraschung, dass sich sogleich die potentiellen Krisenmanager zu Wort melden, z.B. Robert Zoellick, der Präsident der Weltbank. In einem Gastkommentar für die Financial Times würdigt er die Weisheit der französischen G20-Präsidentschaft, das Thema Nahrungsmittelpreisvolatilität ganz oben auf die Agenda zu setzen. Die Vorschläge des Weltbank-Präsidenten beschränken sich allerdings strikt auf technische Maßnahmen. So will er die Information über den Zustand der Getreidelager erhöhen, die Wettervorhersage vor allem für Afrika verbessern, das Verständnis über das Verhältnis von internationalen und lokalen Nahrungsmittelpreisen verbessern oder Nahrungsmittelhilfe von Exportverboten ausnehmen.

Das Problem der Spekulation mit Nahrungsmittelpreisen, die jetzt wieder grassiert, kommt bei Zoellick überhaupt nicht vor. Ebenso wenig wie der Trend zur „Finanzialisierung“ des Nahrungsmittelhandels, vor der die französische Finanzministerin Christine Lagarde so gerne warnt, also das Eindringen des Finanzsektor in den Nahrungsmittelsektor mit dem Ziel, aus Lebensmitteln profitable „assets“ zu machen. Zwar sollte sich auch in Bezug auf die französische G20-Präsidentschaft niemand der Illusion hingeben, dass es schnelle Fortschritte bei der Regulierung der Food-Märkte geben wird. Aber so primitiv wie in Washington denkt man in Paris nicht. Zoellicks Botschaft lautet schlicht: „Die freien Märkte können bislang noch die Welt ernähren.“ Was sollte man dazu anderes sagen als: Nichts dazu gelernt, Mr. Zoellick!

3. Januar 2011

Herzlich willkommen im Neuen Jahr!

Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern ein erfolgreiches Neues Jahr 2011!

Auch 2011 werden wir die wesentlichen Entwicklungen auf den Baustellen der Globalisierung kritisch kommentieren, z.B. das Weltwirtschaftsforum in Davos und das Weltsozialforum in Dakar/Senegal, die Diskussionen innerhalb der G20, aber auch Entwicklungen, die die dort nicht vertretenen kleineren Länder betreffen, bespielsweise die 4. LDC-Konferenz der UNCTAD in Istanbul.

Besonders freuen wir uns darüber, dass die Zugriffe auf diesen Blog im letzten Jahr signifikant zugenommen haben. Interessant auch, was am meisten angeklickt wurde, im letzten Monat des Jahres z.B.

>>> Sao-Paulo-Runde überholt Doha-Runde
>>> Deutsche Solidaritätsverweigerung
>>> Jackson Hole: Angst, Konfusion, Ratlosigkeit
>>> An meine Freunde in den PIGS-Ländern

Zum Jahresbeginn noch ein Lesetipp: Das zurückliegende Jahr war ein Jahr äusserst gemischter Entwicklungen, mit gravierenden politische Rückschritten vor allem in Europa, wo die Politik der fiskalischen Konsolidierung, wie die Austeritätsprogramme jetzt genannt werden, voll zuschlug. Es gab aber auch bemerkenswerte Innovationen auf der globalen Agenda der Armutsbekämpfung. Darüber schreiben Gabriele Köhler und Timo Voipio in einem W&E-Kommentar zum Jahresauftakt. Ihr Fazit:

2010 war ein Jahr bemerkenswerter konzeptioneller Einsichten und Innovationen auf der globalen Agenda der Armutsbekämpfung. 2011 muss das Jahr werden, in dem diese in spürbare Ergebnisse im Sinne sozialer Gerechtigkeit umgesetzt werden.