22. Juni 2012

Die Zukunft, die sie sich gekauft haben

Gastblog von Isolda Agazzi*)

Tage- und nächtelang wurde unaufhörlich verhandelt. Hundert Staats- und Regierungschefs und 50‘000 weitere TeilnehmerInnen reisten an. Zehntausende Polizisten patroullierten in der Stadt, Helikopter ratterten unablässig über der Metropole, Schnellboote bewachten die Küste. All das für was? Wie so oft bei solchen UNO-Monsterkonferenzen hat der Elefant ein Mäuslein geboren. Der für die Zukunft des Planeten so dringend notwendige Paradigmenwechsel wurde nicht eingeleitet, die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen nicht anerkannt, und der Versuch wurde nicht gewagt, ein Entwicklungsmodell hinter sich zu lassen, das auf Wachstum basiert.

Vielleicht ist es tatsächlich so, dass das Schlussdokument „Die Zukunft, die wir wollen“, das heute Abend am Rio+20-Gipfel verabschiedet wird, angesichts der Wirtschaftskrise, in der viele Länder stecken, der einzig mögliche Kompromiss war. Aber ich und viele AktivistInnen von NGOs und sozialen Bewegungen sind trotzdem enttäuscht. Man fragt sich, ob diese Riesentreffen tatsächlich der richtige Ort sind, um die Welt zu verändern. Viele haben daran geglaubt. Soziale und religiöse Bewegungen haben sich dafür eingesetzt, dass auch die Rechte der Natur, die kulturellen Rechte, die Ökospiritualität Eingang in den Schlusstext finden. Aber die RegierungsvertreterInnen haben ein ambitionsloses, technokratisches Dokument verabschiedet.

Gewiss, die Entwicklungsländer ließen sich nicht einfach in die Zwangsjacke der Grünen Wirtschaft drängen. Sie haben gerettet, was noch zu retten war. Aber von einem solchen Reiseanlass hätte man etwas mehr erwarten dürfen. In Rio sind Ideale und Realpolitik frontal aufeinandergestoßen. Am Donnerstag wies die „Versammlung der Völker“, von vielen Kameras und Medienleuten beobachtet, die Schlusserklärung als „Die Zukunft, die sie sich gekauft haben“ zurück. Sie? Die multinationalen Konzerne. Die Schlusserklärung gibt ihnen viel Raum, ohne sie im Gegenzug auf einige verbindliche Regeln zu behaften. Petrobras, Vale und andere Großfirmen – waren sie nicht die offiziellen Sponsoren dieser Konferenz?

*) Isolda Agazzi ist Mitarbeiterin von Alliance Sud und Mitglied der Schweizer Verhandlungsdelegation bei der Konferenz Rio+20. Sie bloggt für Rio+20 und mehr von AllianceSud.

1 Kommentar:

Hans-Hermann Hirschelmann hat gesagt…

"Gewiss, die Entwicklungsländer ließen sich nicht einfach in die Zwangsjacke der Grünen Wirtschaft drängen. Sie haben gerettet, was noch zu retten war"

Hmmm, klingt, als habe die Welt gerade noch einmal Glück gehabt.

Nur:

Woraus bestand eigentlich genau diese "Zwangsjacke" vor denen uns "die Entwicklungsländer" gerettet haben? Ich meine: Wer sollte mit was zu was gezwungen und was konnte da genau abgewehrt werden?