Rio+20: Lange Nächte am Zuckerhut
In Rio fanden in
den letzten Tagen nochmals Vorverhandlungen über die Abschlusserklärung des UN-Gipfels
Rio+20 statt. Auf der eine Seite standen die in Blocks organisierten
VertreterInnen der Regierungen, die bis spät in die Nacht versuchten, wenig
wahrscheinliche Kompromisse zu finden beim Feilschen um einzelne Wörter und
Satzteile. Ihr Einsatz verdient durchaus Respekt. Auf der andern Seite sind
hier in Rio viele VertreterInnen aus Staaten des Südens und von NGOs, die dem
Gerede von „Grüner Wirtschaft“ sehr skeptisch, ja misstrauisch gegenüberstehen,
diesem neuen Mantra, das – wie zuvor die Strukturanpassungsprogramme, die
Millenniums-Entwicklungsziele oder andere von der internationalen Gemeinschaft
ausgeheckte „Zauberformeln“ – die Entwicklungsländer von der Last der Armut
befreien sollen. „Ist denn Afrika nicht fähig, sich selber zu heilen? Muss es
immer darauf warten, bis im jemand von aussen ihm ein neues Medikament
verschreibt“, fragte ziemlich enerviert der Präsident einer afrikanischen NGO.
Nach drei Tagen
intensiver Verhandlungen haben sich die Regierungsvertreter nur über einen
Drittel des Schlussdokuments einigen können. Grund ist nach wie vor die riesige
Kluft zwischen Nord und Süd, sie scheint grösser denn je. Frau fragt sich
mitunter, ob die Regierungen eigentlich diese großen UNO-Familientreffen
nutzen, um ihre Messer zu wetzen und alte Rechnungen zu begleichen, um die
einzelnen Blöcke, das „Wir“ gegen das „Ihr“ auszuspielen. Oder ob es einfach
Rhetorik ist, um im Text vielleicht ein paar schöne Versprechen zu ergattern,
die dann doch nicht eingehalten werden. Aber hier geht es um mehr: Hinter dem
Streit um Wörter und Kommas stehen sehr unterschiedliche Visionen der Welt und
der Verantwortung, die Nord und Süd tragen. Dies beginnt beim Streit um das
alte Rio-Prinzip von 1992 der „gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung“ von
Nord und Süd, um die Bewertung der „Grünen Wirtschaft“, um den
Technologietransfer und zusätzliche Mittel für den Umstieg zur nachhaltigen
Entwicklung, ja um das Konzept von „Entwicklung“ selbst.
Die Länder des
Südens haben erreicht, dass der Abschlusstext „Green Economy“ lediglich als
„ein Mittel, um zu nachhaltiger Entwicklung zu gelangen“ nennt, nicht als das
zentrale, wie dies die Industrieländer wollten. In der Nacht auf Samstag aber
sind die Verhandlungen gescheitert. Bloß vier Tage vor Beginn des eigentlichen
Gipfels, der am 20. Juni beginnt, wird der Gastgeber Brasilien nun einen neuen
Text vorlegen, um wenigstens ein paar wenige Resultate zu erreichen. Dazu
dürften die Ziele für nachhaltige Entwicklung („Sustainable Development Goals“)
gehören, die nach 2015 an die Stelle der Millenniumsziele treten sollen. Aber
auch hier sind sich die Regierungen nicht einig, wie und von wem sie
erarbeitetet werden sollen. Guter Willen hin oder her – die Verhandlungsnächte
in Rio drohen lang zu werden.
*) Isolda Agazzi ist Mitarbeiterin von Alliance Sud und
Mitglied der Schweizer Verhandlungsdelegation bei der Konferenz Rio+20. Sie
bloggt für Rio+20 und mehr von AllianceSud.
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