Balgerei um ein Konferenzdokument: Warum nur?
Selbst
UN-Generalsekretär Ban Ki-moon konnte in seiner Eröffnungsrede zum
Rio+20-Gipfel seine Enttäuschung nicht verhehlen, er hätte auf „ein
ambitionierteres Outcome-Dokument“ gehofft. Schuld an dem jetzigen mageren
Ergebnis seien „all diese widerstreitenden Interessen“. Dabei hatte sein
Stellvertreter Sha Zukang, der auch für die Rio+20-Konferenz verantwortlich
ist, am Tag zuvor noch gesagt, man hätte jetzt einen Text mit viel Handlungsorientierung,
und wenn das umgesetzt werde, sei man ein schönes Stück weiter. Ban Ki-moon
steht für den Mehrheitschorus der NGOs, die das vorliegende Abschlussdokument in Bausch und Boden
verdammen, und Sha Zukang für Minderheitsmeinungen, wie sie Germanwatch vertritt.
Wie das?
„Wenig
ambitioniert“ steht in der Diplomatensprache dafür, dass mehr hätte heraus
geholt werden können. Die Masse der NGOs formuliert natürlich drastischer. Von
einem „epischen Scheitern“ der Konferenz sprach Kumi Naidoo von Greenpeace
International, von einem „leisen, aber gigantischen Scheitern“ Lili Fuhr von
der Heinrich-Böll-Stiftung. Der BUND forderte gleich, dass die Staats- und
Regierungschefs das Dokument ablehnen sollten. Wenig spricht dafür. Jedenfalls
regt sich bis jetzt kein ernstzunehmender Widerstand gegen das Dokument. Und es ist auch wirklich fraglich, ob der über
eineinhalb Jahre lang ausgehandelte Text oder ein weiteres Feilschen um
Minimalkonsense mehr gebracht hätten als das, was die Brasilianer jetzt vorgelegt
und durchgedrückt haben.
Sicher
– was jetzt vorliegt, ist an vielen Stellen gnadenlos verwässert. In puncto Green Economy heißt es jetzt: „We consider
green economy in the context of sustainable development and poverty eradication
as one of the important tools abailable for achieving sustainable development.“
Das
bestätigt aber nur, dass diejenigen Recht behalten haben, die schon vor über
eineinhalb Monaten (z.B. in >>>W&E 05/2012) prognostiziert haben, dass die Rio-Beschlüsse zur Green Economy
weder die Befürchtungen noch die Hoffnungen bestätigen würden, die sich mit dem
Konzept verbinden.
Woran
liegt es, dass der Rio-Prozess nicht vom Fleck kommt oder sogar rückläufig ist?
Scheitert Rio+20 daran, dass sich die Politiker lieber um die Finanzmärkte
kümmern? Dann hätte der jüngste G20-Gipfel ein besseres Ergebnis bringen
müssen. Ist es das mangelnde Vertrauen zwischen Nord und Süd, das im Zuge eine
Reihe gescheiterter Klimakonferenzen entstanden ist? Das kommt der Sache schon
näher. Ich glaube, niemand hat ernsthaft darüber nachgedacht, warum der
Widerstand des Südens (z.B. in Form der Gruppe der 77) im Vorbereitungsprozess
auf Rio+20 so stark war. Vielleicht hat ja der ganze Prozess im Süden den
Eindruck erzeugt, der Norden setze zu einem neuen Anlauf an, seine „ökologische
Schuld“ auf den Süden abzuwälzen. Wer wie Martin Kaiser (Greenpeace) in seinem
heutigen Blog davon spricht, dass
das für den Süden zentrale Prinzip der „gemeinsamen, aber differenzierten
Verantwortung“ für die Umweltkrise „antiquiert“ sei, braucht sich da nicht zu
wundern.
Natürlich
wäre es auch ein Wunder, wären da nicht diejenigen, die selbst in dem jetzt zur
Verabschiedung anstehenden Schussdokument eine Reihe Positives entdecken
würden. Die Liste ist zwar eigentlich zu lang für einen Blog-Eintrag, aber
zitieren wir sie mal:
„Folgende Fortschritte, auf denen aufgebaut werden muss,
sind in dem vorläufig verabschiedeten Dokument enthalten (so Germanwatcch):
Ziele:
- Ein Verhandlungsprozess für Nachhaltigkeitsziele wurde gestartet. Sie
sollen 2015 zeitgleich mit den Millenniumszielen zur Armutsbekämpfung
verabschiedet werden. (Para 245ff)
- Es wurde anerkannt, dass das Bruttosozialprodukt als
Wohlstandsindikator nicht ausreicht und ein Prozess zur Erarbeitung für
ergänzende Kriterien gestartet. (Para 38)
- Im Klimabereich wurde das 1,5 bis 2 Grad-Limit bestätigt - und die
große Lücke anerkannt, die derzeit zwischen den Verpflichtungen der
Staaten und diesem Limit klafft. Dies legt eine gute Grundlage für die
kommenden Klimaverhandlungen. (Para 191)
- Der Bezug zu Menschenrechten, insbesondere auch zum Recht auf Nahrung,
wurde bekräftigt. (Para 8)
- Auch Bundesländer, Städte, Unternehmen und Verbände können ihre
freiwilligen Ziele in ein neues Register eintragen. (Para 283) Dies kann
zeigen, dass manche Regierungen deutlich mehr tun können, als sie bisher
dazu bereit sind.
- Die Wirtschaft wird sich von jetzt an weltweit mehr als bisher
rechtfertigen müssen, ob ihr Handeln grün und fair genug ist. Dieser
Gipfel hat das Paradigma von der braunen hin zur "green economy"
verschoben. Dies kann sich etwa bei Weltbank, OECD, IEA usw. auswirken.
- Ein neues Zehnjahresprogramm für "Nachhaltige Produktion und
nachhaltigen Konsum" wurde beschlossen.
- Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) wurde unter anderem
durch die Mitgliedschaft aller Staaten und stabilere Finanzierung sowie
neue Handlungskompetenzen aufgewertet. Es kann in Zukunft mit mehr Gewicht
für die Umweltziele auftreten. (Para 88)
- Die völlig zahnlose Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD) wird
zu einem hochkarätigeren Forum ("High Level") aufgewertet. (Para
84).
- Der Commission on World Food Security wird der Rücken gestärkt, in den Staaten Assessments über nachhaltige Landwirtschaft und Ernährungssicherung durchzuführen. (Para 115)“
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