21. Juni 2012

Balgerei um ein Konferenzdokument: Warum nur?

Selbst UN-Generalsekretär Ban Ki-moon konnte in seiner Eröffnungsrede zum Rio+20-Gipfel seine Enttäuschung nicht verhehlen, er hätte auf „ein ambitionierteres Outcome-Dokument“ gehofft. Schuld an dem jetzigen mageren Ergebnis seien „all diese widerstreitenden Interessen“. Dabei hatte sein Stellvertreter Sha Zukang, der auch für die Rio+20-Konferenz verantwortlich ist, am Tag zuvor noch gesagt, man hätte jetzt einen Text mit viel Handlungsorientierung, und wenn das umgesetzt werde, sei man ein schönes Stück weiter. Ban Ki-moon steht für den Mehrheitschorus der NGOs, die das vorliegende Abschlussdokument in Bausch und Boden verdammen, und Sha Zukang für Minderheitsmeinungen, wie sie Germanwatch vertritt. Wie das?

„Wenig ambitioniert“ steht in der Diplomatensprache dafür, dass mehr hätte heraus geholt werden können. Die Masse der NGOs formuliert natürlich drastischer. Von einem „epischen Scheitern“ der Konferenz sprach Kumi Naidoo von Greenpeace International, von einem „leisen, aber gigantischen Scheitern“ Lili Fuhr von der Heinrich-Böll-Stiftung. Der BUND forderte gleich, dass die Staats- und Regierungschefs das Dokument ablehnen sollten. Wenig spricht dafür. Jedenfalls regt sich bis jetzt kein ernstzunehmender Widerstand gegen das Dokument. Und es ist auch wirklich fraglich, ob der über eineinhalb Jahre lang ausgehandelte Text oder ein weiteres Feilschen um Minimalkonsense mehr gebracht hätten als das, was die Brasilianer jetzt vorgelegt und durchgedrückt haben.

Sicher – was jetzt vorliegt, ist an vielen Stellen gnadenlos verwässert. In puncto Green Economy heißt es jetzt: „We consider green economy in the context of sustainable development and poverty eradication as one of the important tools abailable for achieving sustainable development.“ Das bestätigt aber nur, dass diejenigen Recht behalten haben, die schon vor über eineinhalb Monaten (z.B. in >>>W&E 05/2012) prognostiziert haben, dass die Rio-Beschlüsse zur Green Economy weder die Befürchtungen noch die Hoffnungen bestätigen würden, die sich mit dem Konzept verbinden.

Woran liegt es, dass der Rio-Prozess nicht vom Fleck kommt oder sogar rückläufig ist? Scheitert Rio+20 daran, dass sich die Politiker lieber um die Finanzmärkte kümmern? Dann hätte der jüngste G20-Gipfel ein besseres Ergebnis bringen müssen. Ist es das mangelnde Vertrauen zwischen Nord und Süd, das im Zuge eine Reihe gescheiterter Klimakonferenzen entstanden ist? Das kommt der Sache schon näher. Ich glaube, niemand hat ernsthaft darüber nachgedacht, warum der Widerstand des Südens (z.B. in Form der Gruppe der 77) im Vorbereitungsprozess auf Rio+20 so stark war. Vielleicht hat ja der ganze Prozess im Süden den Eindruck erzeugt, der Norden setze zu einem neuen Anlauf an, seine „ökologische Schuld“ auf den Süden abzuwälzen. Wer wie Martin Kaiser (Greenpeace) in seinem heutigen Blog davon spricht, dass das für den Süden zentrale Prinzip der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“ für die Umweltkrise „antiquiert“ sei, braucht sich da nicht zu wundern.

Natürlich wäre es auch ein Wunder, wären da nicht diejenigen, die selbst in dem jetzt zur Verabschiedung anstehenden Schussdokument eine Reihe Positives entdecken würden. Die Liste ist zwar eigentlich zu lang für einen Blog-Eintrag, aber zitieren wir sie mal:

„Folgende Fortschritte, auf denen aufgebaut werden muss, sind in dem vorläufig verabschiedeten Dokument enthalten (so Germanwatcch):

Ziele:

  • Ein Verhandlungsprozess für Nachhaltigkeitsziele wurde gestartet. Sie sollen 2015 zeitgleich mit den Millenniumszielen zur Armutsbekämpfung verabschiedet werden. (Para 245ff)
  • Es wurde anerkannt, dass das Bruttosozialprodukt als Wohlstandsindikator nicht ausreicht und ein Prozess zur Erarbeitung für ergänzende Kriterien gestartet. (Para 38)
  • Im Klimabereich wurde das 1,5 bis 2 Grad-Limit bestätigt - und die große Lücke anerkannt, die derzeit zwischen den Verpflichtungen der Staaten und diesem Limit klafft. Dies legt eine gute Grundlage für die kommenden Klimaverhandlungen. (Para 191)
  • Der Bezug zu Menschenrechten, insbesondere auch zum Recht auf Nahrung, wurde bekräftigt. (Para 8)
  • Auch Bundesländer, Städte, Unternehmen und Verbände können ihre freiwilligen Ziele in ein neues Register eintragen. (Para 283) Dies kann zeigen, dass manche Regierungen deutlich mehr tun können, als sie bisher dazu bereit sind.
Grüne und Faire Wirtschaft

  • Die Wirtschaft wird sich von jetzt an weltweit mehr als bisher rechtfertigen müssen, ob ihr Handeln grün und fair genug ist. Dieser Gipfel hat das Paradigma von der braunen hin zur "green economy" verschoben. Dies kann sich etwa bei Weltbank, OECD, IEA usw. auswirken.
  • Ein neues Zehnjahresprogramm für "Nachhaltige Produktion und nachhaltigen Konsum" wurde beschlossen.
Institutionen:

  • Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) wurde unter anderem durch die Mitgliedschaft aller Staaten und stabilere Finanzierung sowie neue Handlungskompetenzen aufgewertet. Es kann in Zukunft mit mehr Gewicht für die Umweltziele auftreten. (Para 88)
  • Die völlig zahnlose Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD) wird zu einem hochkarätigeren Forum ("High Level") aufgewertet. (Para 84).
  • Der Commission on World Food Security wird der Rücken gestärkt, in den Staaten Assessments über nachhaltige Landwirtschaft und Ernährungssicherung durchzuführen. (Para 115)“

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