22. Juni 2012

Die Zukunft, die sie sich gekauft haben

Gastblog von Isolda Agazzi*)

Tage- und nächtelang wurde unaufhörlich verhandelt. Hundert Staats- und Regierungschefs und 50‘000 weitere TeilnehmerInnen reisten an. Zehntausende Polizisten patroullierten in der Stadt, Helikopter ratterten unablässig über der Metropole, Schnellboote bewachten die Küste. All das für was? Wie so oft bei solchen UNO-Monsterkonferenzen hat der Elefant ein Mäuslein geboren. Der für die Zukunft des Planeten so dringend notwendige Paradigmenwechsel wurde nicht eingeleitet, die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen nicht anerkannt, und der Versuch wurde nicht gewagt, ein Entwicklungsmodell hinter sich zu lassen, das auf Wachstum basiert.

Vielleicht ist es tatsächlich so, dass das Schlussdokument „Die Zukunft, die wir wollen“, das heute Abend am Rio+20-Gipfel verabschiedet wird, angesichts der Wirtschaftskrise, in der viele Länder stecken, der einzig mögliche Kompromiss war. Aber ich und viele AktivistInnen von NGOs und sozialen Bewegungen sind trotzdem enttäuscht. Man fragt sich, ob diese Riesentreffen tatsächlich der richtige Ort sind, um die Welt zu verändern. Viele haben daran geglaubt. Soziale und religiöse Bewegungen haben sich dafür eingesetzt, dass auch die Rechte der Natur, die kulturellen Rechte, die Ökospiritualität Eingang in den Schlusstext finden. Aber die RegierungsvertreterInnen haben ein ambitionsloses, technokratisches Dokument verabschiedet.

Gewiss, die Entwicklungsländer ließen sich nicht einfach in die Zwangsjacke der Grünen Wirtschaft drängen. Sie haben gerettet, was noch zu retten war. Aber von einem solchen Reiseanlass hätte man etwas mehr erwarten dürfen. In Rio sind Ideale und Realpolitik frontal aufeinandergestoßen. Am Donnerstag wies die „Versammlung der Völker“, von vielen Kameras und Medienleuten beobachtet, die Schlusserklärung als „Die Zukunft, die sie sich gekauft haben“ zurück. Sie? Die multinationalen Konzerne. Die Schlusserklärung gibt ihnen viel Raum, ohne sie im Gegenzug auf einige verbindliche Regeln zu behaften. Petrobras, Vale und andere Großfirmen – waren sie nicht die offiziellen Sponsoren dieser Konferenz?

*) Isolda Agazzi ist Mitarbeiterin von Alliance Sud und Mitglied der Schweizer Verhandlungsdelegation bei der Konferenz Rio+20. Sie bloggt für Rio+20 und mehr von AllianceSud.

21. Juni 2012

Balgerei um ein Konferenzdokument: Warum nur?

Selbst UN-Generalsekretär Ban Ki-moon konnte in seiner Eröffnungsrede zum Rio+20-Gipfel seine Enttäuschung nicht verhehlen, er hätte auf „ein ambitionierteres Outcome-Dokument“ gehofft. Schuld an dem jetzigen mageren Ergebnis seien „all diese widerstreitenden Interessen“. Dabei hatte sein Stellvertreter Sha Zukang, der auch für die Rio+20-Konferenz verantwortlich ist, am Tag zuvor noch gesagt, man hätte jetzt einen Text mit viel Handlungsorientierung, und wenn das umgesetzt werde, sei man ein schönes Stück weiter. Ban Ki-moon steht für den Mehrheitschorus der NGOs, die das vorliegende Abschlussdokument in Bausch und Boden verdammen, und Sha Zukang für Minderheitsmeinungen, wie sie Germanwatch vertritt. Wie das?

„Wenig ambitioniert“ steht in der Diplomatensprache dafür, dass mehr hätte heraus geholt werden können. Die Masse der NGOs formuliert natürlich drastischer. Von einem „epischen Scheitern“ der Konferenz sprach Kumi Naidoo von Greenpeace International, von einem „leisen, aber gigantischen Scheitern“ Lili Fuhr von der Heinrich-Böll-Stiftung. Der BUND forderte gleich, dass die Staats- und Regierungschefs das Dokument ablehnen sollten. Wenig spricht dafür. Jedenfalls regt sich bis jetzt kein ernstzunehmender Widerstand gegen das Dokument. Und es ist auch wirklich fraglich, ob der über eineinhalb Jahre lang ausgehandelte Text oder ein weiteres Feilschen um Minimalkonsense mehr gebracht hätten als das, was die Brasilianer jetzt vorgelegt und durchgedrückt haben.

Sicher – was jetzt vorliegt, ist an vielen Stellen gnadenlos verwässert. In puncto Green Economy heißt es jetzt: „We consider green economy in the context of sustainable development and poverty eradication as one of the important tools abailable for achieving sustainable development.“ Das bestätigt aber nur, dass diejenigen Recht behalten haben, die schon vor über eineinhalb Monaten (z.B. in >>>W&E 05/2012) prognostiziert haben, dass die Rio-Beschlüsse zur Green Economy weder die Befürchtungen noch die Hoffnungen bestätigen würden, die sich mit dem Konzept verbinden.

Woran liegt es, dass der Rio-Prozess nicht vom Fleck kommt oder sogar rückläufig ist? Scheitert Rio+20 daran, dass sich die Politiker lieber um die Finanzmärkte kümmern? Dann hätte der jüngste G20-Gipfel ein besseres Ergebnis bringen müssen. Ist es das mangelnde Vertrauen zwischen Nord und Süd, das im Zuge eine Reihe gescheiterter Klimakonferenzen entstanden ist? Das kommt der Sache schon näher. Ich glaube, niemand hat ernsthaft darüber nachgedacht, warum der Widerstand des Südens (z.B. in Form der Gruppe der 77) im Vorbereitungsprozess auf Rio+20 so stark war. Vielleicht hat ja der ganze Prozess im Süden den Eindruck erzeugt, der Norden setze zu einem neuen Anlauf an, seine „ökologische Schuld“ auf den Süden abzuwälzen. Wer wie Martin Kaiser (Greenpeace) in seinem heutigen Blog davon spricht, dass das für den Süden zentrale Prinzip der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“ für die Umweltkrise „antiquiert“ sei, braucht sich da nicht zu wundern.

Natürlich wäre es auch ein Wunder, wären da nicht diejenigen, die selbst in dem jetzt zur Verabschiedung anstehenden Schussdokument eine Reihe Positives entdecken würden. Die Liste ist zwar eigentlich zu lang für einen Blog-Eintrag, aber zitieren wir sie mal:

„Folgende Fortschritte, auf denen aufgebaut werden muss, sind in dem vorläufig verabschiedeten Dokument enthalten (so Germanwatcch):

Ziele:

  • Ein Verhandlungsprozess für Nachhaltigkeitsziele wurde gestartet. Sie sollen 2015 zeitgleich mit den Millenniumszielen zur Armutsbekämpfung verabschiedet werden. (Para 245ff)
  • Es wurde anerkannt, dass das Bruttosozialprodukt als Wohlstandsindikator nicht ausreicht und ein Prozess zur Erarbeitung für ergänzende Kriterien gestartet. (Para 38)
  • Im Klimabereich wurde das 1,5 bis 2 Grad-Limit bestätigt - und die große Lücke anerkannt, die derzeit zwischen den Verpflichtungen der Staaten und diesem Limit klafft. Dies legt eine gute Grundlage für die kommenden Klimaverhandlungen. (Para 191)
  • Der Bezug zu Menschenrechten, insbesondere auch zum Recht auf Nahrung, wurde bekräftigt. (Para 8)
  • Auch Bundesländer, Städte, Unternehmen und Verbände können ihre freiwilligen Ziele in ein neues Register eintragen. (Para 283) Dies kann zeigen, dass manche Regierungen deutlich mehr tun können, als sie bisher dazu bereit sind.
Grüne und Faire Wirtschaft

  • Die Wirtschaft wird sich von jetzt an weltweit mehr als bisher rechtfertigen müssen, ob ihr Handeln grün und fair genug ist. Dieser Gipfel hat das Paradigma von der braunen hin zur "green economy" verschoben. Dies kann sich etwa bei Weltbank, OECD, IEA usw. auswirken.
  • Ein neues Zehnjahresprogramm für "Nachhaltige Produktion und nachhaltigen Konsum" wurde beschlossen.
Institutionen:

  • Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) wurde unter anderem durch die Mitgliedschaft aller Staaten und stabilere Finanzierung sowie neue Handlungskompetenzen aufgewertet. Es kann in Zukunft mit mehr Gewicht für die Umweltziele auftreten. (Para 88)
  • Die völlig zahnlose Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD) wird zu einem hochkarätigeren Forum ("High Level") aufgewertet. (Para 84).
  • Der Commission on World Food Security wird der Rücken gestärkt, in den Staaten Assessments über nachhaltige Landwirtschaft und Ernährungssicherung durchzuführen. (Para 115)“

Lesestoff fuer Rio+20

20. Juni 2012

Wachsende Legitimitätsprobleme der G20

Bestritten wurde die Legitimität der G20, seit sie sich vor dem Hintergrund der Finanzkrise 2008 auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs gebildet hatte, schon immer. Zwar repräsentieren die 20 Länder ein beachtliches Wirtschafts- und Bevölkerungspotential. Aber die Mehrheit der Staaten (in der UNO die G192) fühlte sich nie vertreten von diesem selbsternannten „ersten Forum der wirtschaftspolitischen Koordinierung“. Das Repräsentationsproblem wurde auf den ersten Gipfeltreffen von Washington, London und Pittsburgh allerdings teilweise dadurch kompensiert, dass die Beschlüsse ein energisches Handeln erkennen ließen. Auch außerhalb der G20 wurde anerkannt, dass die dort geschnürten Stimulus-Pakete ein entscheidender Beitrag dazu waren, die Weltwirtschaft vor dem Abrutschen in eine zweite Große Depression zu bewahren.

Mit den „Ergebnissen“ von Los Cabos dürfte die Zeit definitiv vorbei sein, in der die G20 solcherlei „Output-Legitimität“ für sich reklamieren konnte. Nichts belegt dies mehr als die beiden Hauptdokumente der Konferenz, die Leaders Declaration und der Los Cabos Growth and Jobs Action Plan, die sich gegenüber den entsprechenden Dokumenten des Gipfels von Cannes wie notdürftig modifizierte und fortgeschriebene Recycling-Produkte ausmachen. Dabei hatte die Situation, in der der Los-Cabos-Gipfel stattfand, durchaus Züge jenes „Lehman-Moments“, der 2008 zum Handeln aufrüttelte: „Die düstere Stimmung, die die früheren Gipfel von Washington, London und Cannes umgab, ist zurück“, textete die Financial Times durchaus zutreffend.

Die Beschlüsse von Los Cabos dürften wenig dazu beitragen, dass sich die Stimmung wieder aufhellt. Wohl rang die G20 ihren europäischen Mitgliedern das Bekenntnis ab, „alle notwendigen politischen Maßnahmen“ zu ergreifen, um eine Implosion der Eurozone zu verhindern und weitere Schritte der finanziellen Integration in Europa zu gehen. Aber ob die europäische Schuldenkrise, die derzeit größte Bedrohung für die Weltwirtschaft gelöst wird, hängt eben ganz von den europäischen Regierungen ab. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz hatte den G20 (und vor allem den Europäern) kurz vor dem Gipfel noch einmal zentrale Prinzipien ins Stammbuch geschrieben, die auf dem Weg aus der Krise hilfreich sein können (>>>Eine Alternative Agenda für die G20). Ein Vergleich mit den Beschlüssen von Los Cabos zeigt, wie weit die wirtschaftspolitischen Ansätze inzwischen auseinander liegen. Dabei war Stiglitz immerhin einmal oberster Wirtschaftsberater der US-Regierung und Chefökonom der Weltbank.

19. Juni 2012

Von Los Cabos nach Rio: Fehlanzeige!

Gastblog von Isolda Agazzi*)

Kommt er, kommt sie, oder kommen sie nicht? Am Vorabend des UNO-Gipfels Rio+20 jagen sich die Gerüchte, welche Staats- und Regierungschefs kommen werden und welche nicht. Offensichtlich haben die europäischen Leader besseres zu tun als sich um nachhaltige Entwicklung zu kümmern. Abgesehen von den löblichen Ausnahmen François Hollande (Frankreich), Manuel Barroso (EU) und dem Dimitri Medvedev (Russland) werden sie nicht nach Rio reisen. Angela Merkel, David Cameron und Mario Monti sind zu stark mit der Eurokrise beschäftigt, als dass sie sich noch um die Zukunft des Planeten kümmern könnten. Auch Barack Obama bleibt zu Hause, er schickt stattdessen Außenministerin Hillary Clinton an den Zuckerhut.

Enttäuschend auch die Schweiz, die ursprünglich Bundespräsidentin Widmer-Schlumpf und Umweltministerin Doris Leuthard schicken wollte. Die Bundespräsidentin hat ihre Reise kurzfristig wieder abgesagt, da es nach den zahlreichen Absagen zu wenig ebenbürtige Gesprächspartner gäbe. Als ob die zahlreichen Staats- und Regierungschefs aus Entwicklungs- und Schwellenländern, die teilnehmen werden, keine Reise wert sind. Nun dürften es rund hundert Staats- und Regierungschefs und weitere TeilnehmerInnen sein, für die über Rio schon jetzt unablässig die Helikopter rattern und Tausende von Polizisten patroullieren.

Die Chefs der Industriestaaten glänzen also durch Abwesenheit. Ob sie sich bewusst sind, dass wir nicht nur die schlimmste Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren erleben, sondern auch eine noch nie dagewesene Klima- und eine gravierende Ernährungskrise? Dass es sicher wichtig ist, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, aber dass wir vor allem auch unsere Produktions- und Konsummuster ändern sollten, soll der Planet nicht demnächst vor die Hunde gehen. Dass ihre kurzfristige Politik blind ist gegenüber dem Hilfeschrei, der von den Gängen des Rio-Centro verschluckt wird: Wir leben schon heute so, also hätten wir eineinhalb Planeten zur Verfügung. Und dass wir, wenn wir so weitermachen, bis 2030 zwei Planeten und bis 2050 drei zur Verfügung haben müssen.

Noch bis heute Abend weilen die Chefs und Chefinnen der 20 wichtigsten Staaten in Mexiko, sechs Flugstunden von Rio entfernt. Es hätte nicht viel gebraucht, um auch hier einen Halt zu machen. Einige hoffen noch, die brasilianische Präsidentin Dilma Roussef könnte vom G20 ein „Geschenk“ mitbringen, eine Überraschung. Eine Zusage, die sie in letzter Minute ihren Staatschef-Kollegen abgerungen hat, die sich lieber um Wirtschaft- als um die nachhaltige Entwicklung kümmern.

*) Isolda Agazzi ist Mitarbeiterin von Alliance Sud und Mitglied der Schweizer Verhandlungsdelegation bei der Konferenz Rio+20. Sie bloggt für Rio+20 und mehr von AllianceSud.

Mehr zum G20-Gipfel in Los Cabos

Die G20 ist nicht das einzige Pferd im Stall

Traditionelles Familienfoto des Gipfels
Es läuft wie erwartet in Los Cabos an der Südspitze der mexikanischen Halbinsel Baja California. Während der G20 in seinen zweiten (und letzten) Tag geht, sind die ersten Formulierungen aus dem Kommuniqué durchgesickert. Danach werden die G20 feststellen: “The euro area member states at the G20 will take all necessary policy measures to safeguard the integrity and stability of the euro area, including the functioning of financial markets and breaking the feedback loop between sovereigns and banks.” Und: “We support the intention to consider concrete steps towards a more integrated financial architecture, encompassing banking supervision, resolution, and recapitalisation, and deposit insurance.” Gemeint ist die Finanzarchitektur der Eurozone.

Es lässt sich nicht mehr ermitteln, zum wievielten Male ein Gipfel verkündet, dass “alle notwendigen politischen Maßnahmen” ergriffen werden – und dies von jedermann und jederfrau nach seinem/ihrem Gusto. Immerhin sagen die Europäer zu, weitere Schritte zur finanziellen Integration zu gehen. Ob sie damit die wachsenden Sorgen der anderen G20-Staaten vor einer Anstrengung durch die europäische Schuldenkrise beruhigen können ist allerdings höchst zweifelhaft.

Wer sich in jedem Fall lieber auf sich selbst verlassen will, sind die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika). Nach einem Treffen am Rande des G20-Gipfels verkündeten sie gestern Abend, mit dem Aufbau eines eigenen finanziellen Sicherheitsnetzes beginnen zu wollen. Gedacht ist daran, Währungsreserven in einem gemeinsamen Pool zu sammeln, auf den die einzelnen Länder im Falle einer plötzlichen Kapitalflucht zurückgreifen können. Pate des Projekts ist die Chiang Mai-Initiative der asiatischen Länder, die kürzlich erneut aufgestockt wurde und die eine Art Vorform für einen Asiatischen Währungsfonds ist.

Die neue BRICS-Initiative soll bis 2013 stehen und geht über alles hinaus, was bislang in diesem Rahmen beschlossen wurde, darunter auch eine neue, gemeinsame BRICS-Entwicklungsbank. Auch wenn der finanzielle Umfang erst heute bekannt gegeben werden soll, zeigt sich, dass die G20 keineswegs das einzige Pferd sind, auf das die BRICS setzen. Auf jeden Fall wird es interessant werden, in welchem Verhältnis die Größenordnung des neuen Fonds und die Zusagen der BRICS zur Aufstockung der Finanzmittel des IWF zueinander stehen. Diese sollen ebenfalls heute im Laufe des Tages bekannt gegeben werden.

18. Juni 2012

Heisse Luft in Los Cabos: Mas del mismo (II)

Heiße Luft gibt es in Los Cabos wahrlich genug. Da braucht es den G20-Gipfel eigentlich nicht, um mehr davon („mas del mismo“) zu produzieren. Doch genau darum geht es offensichtlich der mexikanischen Präsidentschaft. Geht es nach ihr, wären schon eine „kraftvolle Sprache“ und „Versprechen“ ein Erfolg. In diesem Sinne passt auch das geplante Recycling des „Aktionsplans von Cannes“ als „Los Cabos Action Plan“ zu der mexikanischen Strategie. Möglicherweise werden sich darin einige modifizierte Formulierungen finden, aus denen die Auguren eine gewisse Verschiebung der Akzente von der fiskalischen Konsolidierung zu einer stärkeren Wachstumsorientierung herauslesen werden.

Da aber beides, Austerität und Wachstum, im Aktionsprogramm zu finden sein wird, werden sich sowohl die Fürsprecher einer entschiedeneren Wachstumspolitik als auch die Apostel einer rigorosen Sparpolitik zufrieden zeigen. Statt seine Rolle als (selbsternanntes) „erstes Forum der wirtschaftspolitischen Koordinierung“ wahrzunehmen, werden die G20 also aller Voraussicht nach wieder nach dem Sinatra-Prinzip („I do it my way“) verfahren. Vor dieser Kulisse wird auch der mit viel öffentlichem Getöse inszenierte Druck auf die deutsche Bundeskanzlerin milder ausfallen, als es den Anschein hat – zumal der knappe Wahlsieg der Konservativen in Griechenland als Freibrief für ein „Weiter so“ betrachtet werden dürfte. An der Dringlichkeit, mit der ein Kurswechsel in Europa auch für den Rest der Welt notwendig wäre, ändert dies freilich nichts.

Rio+20: Lange Nächte am Zuckerhut

Gastblog von Isolda Agazzi*)

In Rio fanden in den letzten Tagen nochmals Vorverhandlungen über die Abschlusserklärung des UN-Gipfels Rio+20 statt. Auf der eine Seite standen die in Blocks organisierten VertreterInnen der Regierungen, die bis spät in die Nacht versuchten, wenig wahrscheinliche Kompromisse zu finden beim Feilschen um einzelne Wörter und Satzteile. Ihr Einsatz verdient durchaus Respekt. Auf der andern Seite sind hier in Rio viele VertreterInnen aus Staaten des Südens und von NGOs, die dem Gerede von „Grüner Wirtschaft“ sehr skeptisch, ja misstrauisch gegenüberstehen, diesem neuen Mantra, das – wie zuvor die Strukturanpassungsprogramme, die Millenniums-Entwicklungsziele oder andere von der internationalen Gemeinschaft ausgeheckte „Zauberformeln“ – die Entwicklungsländer von der Last der Armut befreien sollen. „Ist denn Afrika nicht fähig, sich selber zu heilen? Muss es immer darauf warten, bis im jemand von aussen ihm ein neues Medikament verschreibt“, fragte ziemlich enerviert der Präsident einer afrikanischen NGO.

Nach drei Tagen intensiver Verhandlungen haben sich die Regierungsvertreter nur über einen Drittel des Schlussdokuments einigen können. Grund ist nach wie vor die riesige Kluft zwischen Nord und Süd, sie scheint grösser denn je. Frau fragt sich mitunter, ob die Regierungen eigentlich diese großen UNO-Familientreffen nutzen, um ihre Messer zu wetzen und alte Rechnungen zu begleichen, um die einzelnen Blöcke, das „Wir“ gegen das „Ihr“ auszuspielen. Oder ob es einfach Rhetorik ist, um im Text vielleicht ein paar schöne Versprechen zu ergattern, die dann doch nicht eingehalten werden. Aber hier geht es um mehr: Hinter dem Streit um Wörter und Kommas stehen sehr unterschiedliche Visionen der Welt und der Verantwortung, die Nord und Süd tragen. Dies beginnt beim Streit um das alte Rio-Prinzip von 1992 der „gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung“ von Nord und Süd, um die Bewertung der „Grünen Wirtschaft“, um den Technologietransfer und zusätzliche Mittel für den Umstieg zur nachhaltigen Entwicklung, ja um das Konzept von „Entwicklung“ selbst.

Die Länder des Südens haben erreicht, dass der Abschlusstext „Green Economy“ lediglich als „ein Mittel, um zu nachhaltiger Entwicklung zu gelangen“ nennt, nicht als das zentrale, wie dies die Industrieländer wollten. In der Nacht auf Samstag aber sind die Verhandlungen gescheitert. Bloß vier Tage vor Beginn des eigentlichen Gipfels, der am 20. Juni beginnt, wird der Gastgeber Brasilien nun einen neuen Text vorlegen, um wenigstens ein paar wenige Resultate zu erreichen. Dazu dürften die Ziele für nachhaltige Entwicklung („Sustainable Development Goals“) gehören, die nach 2015 an die Stelle der Millenniumsziele treten sollen. Aber auch hier sind sich die Regierungen nicht einig, wie und von wem sie erarbeitetet werden sollen. Guter Willen hin oder her – die Verhandlungsnächte in Rio drohen lang zu werden.

*) Isolda Agazzi ist Mitarbeiterin von Alliance Sud und Mitglied der Schweizer Verhandlungsdelegation bei der Konferenz Rio+20. Sie bloggt für Rio+20 und mehr von AllianceSud.


17. Juni 2012

G20-Gipfel in Mexiko: Mas del mismo

Mexikos Präsident Calderon
“Mas del mismo” (mehr vom Gleichen) ist eine in Mexiko sattsam bekannte Floskel. Sie erinnert an die Zeit der Tequila-Krise 1994/95, als der IWF und die interne Elite die Krise mit derselben Medizin bekämpfen wollten, die dem Mexikanern die Krise beschert hatte. “Mas del mismo” kommt einem auch unweigerlich in den Sinn, wenn man am Vorabend des G20-Treffens in Los Cabos danach sucht, welche konkrete Initiative wohl von dem bevorstehenden Gipfel ausgehen könnte. Wie der mexikanische Präsident Calderon deutlich machte, sei es erste Priorität seiner G20-Präsidentschaft, dass die im Frühjahr im Grundsatz beschlossene Aufstockung der “Kriegskasse” des Internationalen Währungsfonds um mindestens 430 Mrd. Dollar in Los Cabos in trockene Tücher kommt.

Der Hintergrund: Obwohl im Grundsatz beschlossen, haben Länder wie Brasilien, China, Russland und Mexiko bislang offen gelassen, mit wieviel Geld sie sich an der Aufstockung beteiligen wollen. Brasilien hat im Vorfeld von Los Cabos sogar damit gedroht, feste Finanzzusagen davon abhängig zu machen, ob die Industrieländer garantieren, dass die Schwellenländer bei der anstehenden Quotenerhöhung im IWF besser repräsentiert werden. Dieser Teil der IWF-Reform soll jedoch erst zum Jahresende abgeschlossen sein, weshalb etliche Länder derzeit noch mit definitiven Entscheidungen zögern.

Das sich die mexikanische Präsidentschaft ausgerechnet auf die Stärkung des IWF kapriziert, ist angesichts der neoliberalen Ausrichtung seiner politischen Klasse kein Wunder, angesichts der schlechten Erfahrungen tausender MexikanerInnen mit der Auflagenpolitik der IWF aber schon. Und in Bezug auf die Ausrichtung seiner Konditionalitäten wird immer deutlicher, dass der IWF sich auch unter Cristine Lagarde bis heute um kein Yota geändert hat (>>> IWF. The same procedure as every year). Das letzte traurige Beispiel war Lagardes Lobpreisung für das IWF-Programm in Lettland, das dem Land einen Wirtschaftsrückgang bescherte, gegenüber dem selbst die Rezession Griechenlands ein Kinderspiel ist (>>> Wrong lessons from Latvia for the Eurozone).

15. Juni 2012

Zwischen Illusion und Affirmation: Die NGOs vor Los Cabos

Ein „starkes Signal nach Rio“, bei dem „nicht das Wirtschaftswachstum, sondern die soziale und ökologische Gerechtigkeit“ im Vordergrund steht, fordert der Dachverband entwicklungspolitischer NGOs VENRO vom G20-Gipfel, der am Montag in Los Cabos beginnt. Das ist wohlmeinend, aber eine glatte Illusion, hat doch die mexikanische Präsidentschaft bewusst „grünes Wachstum“ auf die Tagesordnung gesetzt. Damit setzt sie die G20 in direkten Gegensatz zu Rio+20, wo wenigstens noch um die Definition des Green-Economy-Konzepts gerungen wird.

Die G20 sollten kräftig Druck auf die deutsche Kanzlerin und ihr ihren Austeritätskurs austreiben, fordert WEED. Das ist schon realistischer, könnte die internationale Isolierung Merkels inzwischen doch kaum größer sein. Doch wenn die G20 ihre Sinatra-Linie des „I do it my way“ fortsetzen, ermöglichen sie ihr, weiter zu machen, was sie will. Eine Lösung der Eurokrise wäre allerdings auch im Interesse der Entwicklungsländer, worauf Oxfam heute in seinem „Curtain raiser“ für Los Cabos hinweist: Ein Auseinanderbrechen der Eurozone würde die armen Länder mindestens 30 Mrd. Dollar kosten, 20 Mrd. aufgrund rückläufiger Exporteinnahmen und 10 Mrd. Dollar aufgrund rückläufiger Investitionszuflüsse – wobei die öffentliche Entwicklungshilfe schon im letzten Jahr um 2,4 Mrd. Dollar gesunken ist.

Völlig auf die Linie der G20 scheint dagegen Bonos NGO ONE eingeschwenkt zu sein. Die G20 sollten den Kampf gegen die Korruption fortsetzen, den mehrjährigen Aktionsplan von Cannes zur Landwirtschaftsförderung fortsetzen und „eng mit den afrikanischen Regierungen, multilateralen Entwicklungsbanken und dem Privatsektor kooperieren, um Hindernisse für Investitionen in Infrastruktur zu beseitigen“, heißt es in einer Presseerklärung –  als seien die G20 überall im Süden auf dem besten Weg und als gebe es keine Zielkonflikte zwischen den Interessen des Privatsektors und einer vernünftigen Infrastrukturentwicklung oder der Sicherung der Welternährung. Hier scheint es so, als sei man definitiv auf den Weg der affirmativen Verstärkung der Vorgaben von oben übergegangen und habe selbst rhetorisch jedwede Graswurzelorientierung aus dem Auge verloren.

G20 in Mexiko: Oxfam-Proteste vorab



Vor dem Revolutionsdenkmal: Nahrungssicherheit oder Preisvolatilität

6. Juni 2012

Afrikanische Entwicklungsbank im Fahrwasser der G8


Die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) hat auf ihrer Jahrestagung letzte Woche in Arusha/Tansania bewiesen, dass sie die Vorgaben der Gruppe der 8 (>>> G8: Kampf gegen den Hungeroder Doing Business?) buchstabengetreu umzusetzen weiß. Getreu der Losung ihres Präsidenten Donald Kaberuka „Der (G8-)Gipfel handelte vom Wachstum, und Wachstum beginnt in Afrika mit der Landwirtschaft“ hat sie einen auf Agribusiness-Investitionen zugeschnittenen „Fonds der Fonds“ ins Leben gerufen. Die Initiative soll private Investitionen in nie dagewesener Größenordnung auf dem afrikanischen Kontinent mobilisieren.

Der „Fonds der Fonds“ versteht sich als „transformative Initiative“, die die Ernährungssicherheit des Kontinents durch die Entfesselung des bislang unberührten Potentials der afrikanischen Landwirtschaft für das Agribusiness verbessern will. Er soll im Einklang mit einem ökologischen und sozialen Managementsystem arbeiten, das die AfDB derzeit in Zusammenarbeit mit dem WWF entwickelt. Gleichzeitig betont die Bank jedoch, dass sich die Initiative auf gemeinsamer Linie mit der AfDB-Strategie zur Unterstützung der Privatsektor-Entwicklung befindet und die „African Agribusiness and Agro-industries Development Initiative“ (3ADI) ergänzen soll, in der die AfDB mit der FAO und UNIDO zusammenarbeitet.

Das alles klingt allzu sehr nach agroindustrieller Großwirtschaft, als dass man daran glauben könnte, hier würde der Weg zu einer angepassten und nachhaltigen Landwirtschaft beschritten, in deren Mittelpunkt die Interessen von Kleinbauern und LandarbeiterInnen stehen. Wie die auf dem jüngsten G8-Gipfel verabschiedete New Alliance for Food Security and Nutrition ist der „Fonds der Fonds“ nicht nur privatsektorlastig, sondern auf die Zusammenarbeit mit den internationalen Agrarkonzernen aus. Wessen Interessen sich dabei wohl letztlich durchsetzen werden? Nach Aussagen der Initiatoren geht es um die „Förderung innovativer, ökologisch nachhaltiger Ansätze in der Wertschöpfungskette des Agribusiness“. Vielleicht geht es aber auch nur um die bessere Einordnung des afrikanischen Agrarpotentials in diese Kette. Inwertsetzung wird dies auch genannt.