18. Juni 2012

Rio+20: Lange Nächte am Zuckerhut

Gastblog von Isolda Agazzi*)

In Rio fanden in den letzten Tagen nochmals Vorverhandlungen über die Abschlusserklärung des UN-Gipfels Rio+20 statt. Auf der eine Seite standen die in Blocks organisierten VertreterInnen der Regierungen, die bis spät in die Nacht versuchten, wenig wahrscheinliche Kompromisse zu finden beim Feilschen um einzelne Wörter und Satzteile. Ihr Einsatz verdient durchaus Respekt. Auf der andern Seite sind hier in Rio viele VertreterInnen aus Staaten des Südens und von NGOs, die dem Gerede von „Grüner Wirtschaft“ sehr skeptisch, ja misstrauisch gegenüberstehen, diesem neuen Mantra, das – wie zuvor die Strukturanpassungsprogramme, die Millenniums-Entwicklungsziele oder andere von der internationalen Gemeinschaft ausgeheckte „Zauberformeln“ – die Entwicklungsländer von der Last der Armut befreien sollen. „Ist denn Afrika nicht fähig, sich selber zu heilen? Muss es immer darauf warten, bis im jemand von aussen ihm ein neues Medikament verschreibt“, fragte ziemlich enerviert der Präsident einer afrikanischen NGO.

Nach drei Tagen intensiver Verhandlungen haben sich die Regierungsvertreter nur über einen Drittel des Schlussdokuments einigen können. Grund ist nach wie vor die riesige Kluft zwischen Nord und Süd, sie scheint grösser denn je. Frau fragt sich mitunter, ob die Regierungen eigentlich diese großen UNO-Familientreffen nutzen, um ihre Messer zu wetzen und alte Rechnungen zu begleichen, um die einzelnen Blöcke, das „Wir“ gegen das „Ihr“ auszuspielen. Oder ob es einfach Rhetorik ist, um im Text vielleicht ein paar schöne Versprechen zu ergattern, die dann doch nicht eingehalten werden. Aber hier geht es um mehr: Hinter dem Streit um Wörter und Kommas stehen sehr unterschiedliche Visionen der Welt und der Verantwortung, die Nord und Süd tragen. Dies beginnt beim Streit um das alte Rio-Prinzip von 1992 der „gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung“ von Nord und Süd, um die Bewertung der „Grünen Wirtschaft“, um den Technologietransfer und zusätzliche Mittel für den Umstieg zur nachhaltigen Entwicklung, ja um das Konzept von „Entwicklung“ selbst.

Die Länder des Südens haben erreicht, dass der Abschlusstext „Green Economy“ lediglich als „ein Mittel, um zu nachhaltiger Entwicklung zu gelangen“ nennt, nicht als das zentrale, wie dies die Industrieländer wollten. In der Nacht auf Samstag aber sind die Verhandlungen gescheitert. Bloß vier Tage vor Beginn des eigentlichen Gipfels, der am 20. Juni beginnt, wird der Gastgeber Brasilien nun einen neuen Text vorlegen, um wenigstens ein paar wenige Resultate zu erreichen. Dazu dürften die Ziele für nachhaltige Entwicklung („Sustainable Development Goals“) gehören, die nach 2015 an die Stelle der Millenniumsziele treten sollen. Aber auch hier sind sich die Regierungen nicht einig, wie und von wem sie erarbeitetet werden sollen. Guter Willen hin oder her – die Verhandlungsnächte in Rio drohen lang zu werden.

*) Isolda Agazzi ist Mitarbeiterin von Alliance Sud und Mitglied der Schweizer Verhandlungsdelegation bei der Konferenz Rio+20. Sie bloggt für Rio+20 und mehr von AllianceSud.


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