Luxemburg: Finanzlobby vs. Zivilgesellschaft
Die derzeit in England geführte Debatte, ob der Finanzsektor nicht zu groß geworden sei und seine Aktivitäten überhaupt noch von gesellschaftlichem Wert sind (>>> Paukenschlag aus London), ist nicht nur dort von Belang. Auch am Finanzplatz Luxemburg zeigt sich, wie die Machtverhältnisse zwischen Finanzwirtschaft und Politik aus dem Gleichgewicht geraten sind. Die Vorgänge um die vom Dachverband der Luxemburger Entwicklungs-NGOs, dem Cercle de Coopération, in Auftrag gegebene und veröffentlichte Studie „Der Fall Luxemburg. Fragen aus entwicklungspolitischer Sicht“ sind dafür ein bezeichnender Fall (>>> Politischer Sturm im Sommerloch).
Bereits unmittelbar nach Erscheinen der Studie ließ der Direktor der Luxemburger Bankenvereinigung (ABBL), Jean-Jacques Rommes – gar nicht so vornehm und zurückhaltend wie in Bankenkreisen sonst üblich – seiner Wut freien Lauf. Der im Namen des Cercle veröffentlichte Bericht sei „eine bodenlose Schweinerei“. Entgegen der offiziellen Lesart bescheinigt die Studie dem Großherzogtum „deutliche Züge einer Steueroase“ und problematisiert auch seine Rolle im Nord-Süd-Verhältnis. Doch, so Rommes, alles sei „falsch“, „nichts“ sei belegt. Gleich nach der Veröffentlichung gab der oberste Finanzplatz-Lobbyist dem Cercle auch zu verstehen: „Mein Ziel ist es, dass der Blödsinn aus der Öffentlichkeit – und also auch von Ihrer Website – verschwindet.“ Zwei Wochen nach der Pressekonferenz, auf der die Studie vorgestellt worden war, hatte die ABBL ihr Ziel erreicht, und das Papier verschwand – zusammen mit einer anderen Broschüre (>>> Jenseits von Almosen), die der Cercle mit NGO-Verbänden aus Österreich und der Schweiz publiziert hatte – aus dem Netz.*)
Erschreckend daran ist nicht so sehr, wie rüde Finanzplatzlobbyisten ihre Interessen durchsetzen, sondern wie schnell und bereitwillig Luxemburger Medien und Politik dabei mitspielen. Während sich ausgerechnet das („sozialistische“) Tageblatt vom ersten Tag an zum Sprachrohr der Bankenvereinigung machte, berichtete das Luxemburger Wort zunächst neutral über die Studie. Als dann aber auch der neu-alte Premierminister Jean-Claude Junker in seiner Regierungserklärung dem Cercle vorwarf, die Luxemburger Entwicklungshilfe zu diskreditieren, schwenkte das „Wort“ auf Regierungslinie ein. (Die Studie schätzt die jährlichen Steuereinnahmeverluste von Regierungen in Entwicklungsländern aufgrund von in Luxemburg geparktem Kapital ihrer Bürger auf 2,5 Mrd. US-Dollar – beträchtlich mehr als die Höhe der Luxemburger Entwicklungshilfe.)
Der Rest ist dann wohl sehr schnell gegangen: Am Mittwochmorgen, den 5. August, fand erst im Außenministerium, dann bei der ABBL ein Gespräch mit Vorstandsvertretern des Cercle statt. (Den Autor der Studie wollte die ABBL übrigens von Anfang an nicht dabei haben – was mehr über die Bereitschaft zur inhaltlichen Debatte aussagt als alle verbalen Dialogbekundungen.) Am Nachmittag desselben Tages war die Cercle-Website dann von Studie und Broschüre gesäubert. Dem Vernehmen nach war an diesem Tag dem Cercle auch mit dem Entzug von Finanzmitteln gedroht worden. Öffentlich ist das freilich nicht. Aber vorstellbar: Alle Mitgliedsorganisationen des Cercle habe Kooperationsverträge mit dem Außen- bzw. dem Entwicklungsministerium, und der Cercle selbst wird zum 85% aus staatlichen Quellen finanziert.
*) Der Korrektheit halber muss aber erwähnt werden, dass dies nur ein Teilerfolg der ABBL war. Denn während die Studie von der Website des Cercle verschwand, tauchte sie andernorts im Netz wieder auf, so bei der Association Solidarité Tiers Monde (>>> ASTM), der Association de Soutien aux Travailleurs Immigrés (>>> ASTI), der Wochenzeitung WOXX, bei Attac Deutschland, bei Weltwirtschaft & Entwicklung, beim Netzwerk Steuergerechtigkeit usw.
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