15. Juli 2021

Nobelpreisträger und NGOs fordern von Bundeskanzlerin Merkel Freigabe der Impfpatente

 

Friedensnobelpreisträger Professor Mohammad Yunus und 65 führende zivilgesellschaftliche Organisationen der People's Vaccine Alliance fordern anlässlich Bundeskanzlerin Merkels Treffen mit US-Präsident Biden an diesem Donnerstag die deutsche Bundesregierung auf, die Patente auf Covid-19-Impfstoffe auszusetzen. Die gesamte Woche über finden Protestaktionen in Deutschland und den USA statt, um den Druck auf Merkel zu erhöhen, sich der Biden-Administration anzuschließen und einen Verzicht auf Patente bei der Welthandelsorganisation (WTO) zu unterstützen. 

 

Die People's Vaccine Alliance und Yunus weisen die Aussagen von Bundeskanzlerin Merkel zurück, dass die bestehenden Regelungen ausreichen würden, um Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen die Herstellung eigener Impfstoffe zu ermöglichen. Humanitäre Organisationen wie Brot für die Welt, Oxfam, Amnesty International, Avaaz, Action Aid, Global Justice Now und Public Citizen fordern eine Verzichtserklärung für den Schutz geistigen Eigentums. Der Verzicht auf geistiges Eigentum sei die einzige Möglichkeit, die Impfstoffproduktion weltweit auszuweiten, damit auch Menschen in ärmeren Ländern Zugang zu dem lebenswichtigen Schutz gegen COVID-19 haben, so die People's Vaccine Alliance.

 

Die tödliche dritte Covid-19-Welle, ausgelöst durch die Delta-Variante, bricht derzeit über die Welt herein. In Uganda, einem Land mit 45 Millionen Einwohnern sind bisher nur 4.000 Menschen vollständig geimpft worden. In Bangladesch führt die Delta-Variante zur Überlastung des Gesundheitssystems, die Zahl der Todesfälle steigt rapide an. Deutschland hingegen hat mit seinen 83 Millionen Einwohnern bereits 77 Millionen Dosen Impfstoff verabreicht, 24 Millionen mehr als der gesamte afrikanische Kontinent mit 1,4 Milliarden Einwohnern. 

 

Mehr als 130 Länder haben eine Aussetzung der Patente für Covid-19-Impfstoffe und Behandlungen gefordert. Ursprünglich von Indien und Südafrika empfohlen, unterstützen auch die USA und die EU-Staaten Frankreich und Spanien diesen Schritt. Indem die deutsche Regierung auf der Aufrechterhaltung des Patentschutzes beharrt, setzt sie Menschenleben aufs Spiel. 

 

Mit dem mRNA-Impfstoff hat BioNTech/Pfizer einen der wirksamsten Impfstoffe gegen COVID-19 entwickelt und damit einen Erfolg für die Menschheit erzielt. Doch gerade einmal 0,2 % der Dosen des Impfstoffs, den die deutsche Firma BioNTech in Zusammenarbeit mit Pfizer produziert hat, sind an Länder mit niedrigem Einkommen gegangen. Obwohl Studien zeigen, dass die Herstellung des Impfstoffs nur 1,17 US-Dollar kostet, wird der Impfstoff für durchschnittlich 18 US-Dollar pro Dosis verkauft, was ihn zu einem der teuersten COVID-19-Impfstoffe macht. BioNTech hat 556 Mio. € an öffentlicher Finanzierung erhalten. Gerade deshalb sollte sich die deutsche Regierung jetzt für die Freigabe der Patente einsetzen, um weltweit Leben zu retten.

9. Juli 2021

Die G20 muss jetzt handeln, um die Welt zu impfen

Kulisse Venedigs mit Kreuzfahrerschiff
Ein Gastkommentar von Jeffrey D. Sachs und Juliana Bartels

Bei ihrem Treffen am 9. und 10. Juli in Venedig sollten die Finanzminister der G20 einen Plan verabschieden, um die Welt gegen COVID-19 zu immunisieren. Alle impfstoffproduzierenden Länder werden dort vertreten sein: die USA, Großbritannien, die Europäische Union, China, Russland und Indien. Gemeinsam produzieren diese Länder genügend Impfdosen, um den Impfprozess für die gesamte Welt bis Anfang 2022 abzuschließen. Doch fehlt noch immer ein Plan dafür.

Das bisherige globale Bemühen, den armen Ländern einen Impfschutz zu verschaffen – die sogenannte COVAX-Fazilität – bleibt bisher in katastrophaler Weise hinter den Erfordernissen zurück. Die impfstoffproduzierenden Länder haben ihre Produktion bisher dazu genutzt, ihre eigenen Bevölkerungen zu impfen – mit vielen Millionen an überschüssigen Dosen. Und die Impfstoffproduzenten haben geheime Absprachen mit verschiedenen Regierungen getroffen, um Impfstoffe bilateral zu verkaufen statt zu einem geringeren Preis durch COVAX. 

Die Welt leidet unter der Selbstsüchtigkeit der impfstoffproduzierenden Länder, der Gier der Unternehmen und dem Zusammenbruch einer grundlegenden staatlichen Zusammenarbeit zwischen den wichtigen Weltregionen. Wir bezweifeln, dass sich Experten der US-Regierung je (und sei es nur per Zoom) mit ihren Kollegen in China und Russland getroffen haben, um eine globale Impfkampagne zu planen. Die USA waren mehr daran interessiert, Impfstoffe nach Taiwan zu verschiffen (vermutlich, um die Volksrepublik China bloßzustellen), als mit China zusammenzuarbeiten, um die gesamte Welt zu schützen.

Wissenschaftler warnen schon seit langem, dass Verzögerungen beim globalen Impfschutz verheerende Folgen für die gesamte Welt haben könnten, da sich neue Varianten herausbilden, die den bestehenden Impfstoffen ausweichen. Diese verhängnisvolle Entwicklung hat bereits begonnen. Israelische Wissenschaftler vermelden, dass der Pfizer/BioNTech-Impfstoff nur eine 64%ige Wirksamkeit gegenüber der Delta-Variante aufweist, verglichen mit 95% Wirksamkeit gegenüber dem ursprünglichen Virus (obwohl vier andere Studien eine deutlich höhere Wirksamkeit festgestellt haben)…

… den vollständigen Kommentar lesen Sie >>> hier.

 

8. Juli 2021

G20-Finanzminister: Mehr Schuldenerlass ist nötig

Morgen und am Samstag findet der Gipfel der G20-Finanzminister*innen in Venedig statt, das erste Präsenztreffen seit Beginn der Corona-Pandemie. Als Folge der Pandemie steht kritisch verschuldeten Ländern das Wasser bis zum Hals: Echte Schuldenerleichterungen gab es bislang kaum, viele Länder haben keinen Zugang zu den G20-Initiativen. Nach der erlassjahr.de-Kampagne wurden durch die im Vorjahr beschlossenen Initiativen gerade einmal 0,07% der von den Vereinten Nationen zu Beginn der Pandemie geforderten Schuldenerlasse umgesetzt. Diese Erlasse stammen sämtlich aus dem Katastrophenfonds CCRT des Internationalen Währungsfonds. Durch das Schuldenmoratorium DSSI der G20 wurde nur ein Bruchteil der tatsächlichen Schuldendienstzahlungen gestundet. Und bislang haben überhaupt nur drei Länder eine Umschuldung unter dem neuen Umschuldungsrahmenwerk „Common Framework“ der G20 beantragt – von denen bis heute noch keines einen einzigen Dollar an Schuldenerlass gesehen hat.

Damit sind diese Initiativen bislang nur ein sehr kleiner Tropfen auf einem sehr heißen Stein. Mehr als 100 Entwicklungs- und Schwellenländer sind gezwungen, dieses Jahr drastische Sparmaßnahmen zu ergreifen, um ihren Schuldendienst aufrechterhalten zu können (>>> Globaler Austeritätsarlarm). Darüber hinaus bleiben mehr als 40% der kritisch verschuldeten Mitteleinkommensländer weiterhin von der DSSI und dem Common Framework ausgeschlossen. Mehr als die Hälfte der begünstigten Mitteleinkommensländer nehmen nicht teil, aus Angst vor dem Verlust ihres Kapitalmarktzugangs. Dabei leben fast 80% der Menschen, die durch COVID-19 zusätzlich in extreme Armut gerutscht sind, in Mitteleinkommensländern. 

Auch IWF-Chefin Kristalina Georgieva hatte kurz vor dem Venedig-Gipfel die geringen Fortschritte bei den bisherigen Schuldenerlassmaßnahmen beklagt. Noch beim Vorläufertreffen der G20-Finanzminister*innen im April sprach sich Bundesfinanzminister Scholz für echte Schuldenerlasse aus, Entwicklungsminister Müller folgte beim Gipfel der Außen- und Entwicklungsminister*innen in Matera letzte Woche. „Die Menschen in kritisch verschuldeten Ländern können nicht darauf warten, dass sich das Common Framework irgendwann bewährt hat“, so erlassjahr.de. Die Bundesregierung müsse Worten Taten folgen lassen und sich in Venedig für komplementäre Initiativen einsetzen. Konkrete Vorschläge dafür gebe es genug, so etwa von der Allianz der Kleinen Inselstaaten oder dem UN-Generalsekretär.

Hinweis: >>> W&E 02-03/2021: Italien und die G20-Präsidentschaft

Globale Steuer: Der Teufel steckt im Detail

Ein Gastkommentar von Joseph E. Stiglitz

 

Es scheint, dass die internationale Gemeinschaft auf eine von vielen als historisch bezeichnete Übereinkunft zur Festlegung eines globalen Mindeststeuersatzes für multinationale Konzerne zusteuert. Das wird auch Zeit – aber reicht womöglich nicht aus.

 

Im Rahmen der bestehenden Regeln können es Unternehmen vermeiden, ihren fairen Anteil an Steuern zu bezahlen, indem sie ihre Einnahmen in Niedrigsteuerländern verbuchen. In einigen Fällen haben sie – wenn der Gesetzgeber es ihnen nicht erlaubt, so zu tun, als ob ein ausreichend großer Teil ihrer Einkünfte seinen Ursprung in irgendeiner Steueroase hat – Teile ihres Unternehmens in derartige Länder verlagert.

 

Apple hat sich zum Sinnbild für Steuervermeidung entwickelt, indem es die Gewinne aus seinem Europageschäft in Irland verbucht und dann ein weiteres Steuerschlupfloch nutzt, um auch Irlands notorisch niedrigen Steuersatz von 12,5% größtenteils zu vermeiden. Doch ist Apple durchaus nicht das einzige Unternehmen, das den von uns geliebten Produkten zugrundeliegenden Einfallsreichtum zur Vermeidung von Steuern auf die Gewinne nutzt, die es durch Verkauf dieser Produkte an uns erzielt. Das Unternehmen behauptet zu Recht, dass es jeden Dollar Steuern zahle, den es zahlen muss; es nutzt lediglich die ihm durch das System gebotenen Vorteile vollumfänglich aus.

 

So gesehen ist eine Einigung über die Einrichtung eines globalen Mindeststeuersatzes von mindestens 15% ein wichtiger Fortschritt. Doch steckt der Teufel im Detail. Der aktuelle offizielle Durchschnittssatz ist beträchtlich höher. Es ist also möglich – und sogar wahrscheinlich –, dass sich dieser globale Mindestsatz zum Höchstsatz entwickeln wird. Eine Initiative, die als Versuch begann, die Multis zur Zahlung eines fairen Anteils an Steuern zu zwingen, könnte daher zu sehr begrenzten zusätzlichen Steuereinnahmen führen: viel weniger als den 240 Milliarden Dollar, die jährlich zu wenig bezahlt werden. Und einige Schätzungen legen nahe, dass auch die Entwicklungsländer und Schwellenmärkte nur einen kleinen Bruchteil dieser Einnahmen zu Gesicht bekommen würden.

 

Besonders problematisch ist bei den von der OECD vorgelegten Vorschlägen die erste Säule, bei der es um Besteuerungsrechte geht und die lediglich auf die allergrößten globalen Unternehmen Anwendung findet. Das alte System der Transferpreise war den Herausforderungen der Globalisierung des 21. Jahrhunderts eindeutig nicht gewachsen; die Multis hatten gelernt, wie sie das System manipulieren konnten, um ihre Gewinne in Niedrigsteuerländern zu verbuchen. Die USA verfolgen aus diesem Grund einen Ansatz, bei dem die Gewinne den US-Bundesstaaten gemäß einer Formel zugeordnet werden, die Umsatz, Beschäftigung und Kapital berücksichtigt…

 

… den vollständigen Kommentar finden Sie >>> hier.