30. Juni 2019

G20: Gipfelmanagement auf Kosten der Substanz

Einheitsshow ohne Substanz
Wenn der G20-Gipfel an diesem Wochenende in Osaka etwas gezeigt hat, dann dass die Paradoxien in der Welt der G20 zunehmen. Da klagte am Samstag der chinesische Präsident Xi die reichen Länder an, dass ihre Zuflucht zum Protektionismus „die globale Handelsordnung zerstört“. Wie als vorausschauende Bestätigung hatte zuvor der russische Präsident Putin den Liberalismus für „obsolet“ erklärt. Hernach trafen sich dann der westliche Oberprotektionist Trump und Xi zu dem heiß erwarteten Treffen, das – ähnlich wie der Waffenstillstand im Handelskrieg am Rande des G20-Gipfels in Argentinien – zu einer Dämpfung der handelspolitischen Spannungen zwischen den beiden größten Ökonomien führen sollte. Es kam zustande; aber die im Mai abgebrochenen Verhandlungen sollen erst wieder aufgenommen und können jederzeit wieder abgebrochen werden, wenn es die Launen eines Trump erfordern.


In ihrer „spontanen“ Reaktion auf den Gipfel schrieben die Civil 20 (C20), die sich als Sprecher der globalen Zivilgesellschaft begreifen, neben vielen Banalitäten, die Entgegensetzung „Protektionismus – Freihandel“ sei falsch, in Wirklichkeit gehe es um „neoliberalen Marktfundamentalismus versus Nachhaltigkeit für die Menschen und den Planeten“. Ungeachtet dieser treffenden Bemerkung ist die zum Ende des Gipfels herausgegebene „Leaders‘ Declaration“ die substanzloseste in der G20-Geschichte. Zum Handel fehlt das frühere Bekenntnis des Kampfes gegen den Protektionismus. Dafür werden Prinzipien aufgelistet, denen kaum jemand widersprechen kann: Freiheit, Fairness, Nichtdiskriminierung, offene Märkte und ein Spielfeld für alle Handelsteilnehmer „auf Augenhöhe“. Selbst das Bekenntnis zur dringenden Reform der WTO ist hohl, da doch erst einmal geklärt werden müsste, was unter einer solchen „Reform“ zu verstehen ist.

Der Klimaschutz ist mit dem Osaka-Gipfel noch mehr ins Hintertreffen geraten. Zum dritten Mal wurde jetzt der Trick angewendet, dass 19 G20-Länder sich zum Pariser Abkommen bekennen, während auch die Sabotage des Abkommens durch die USA ins Kommuniqué geschrieben wird. Die Financial Times hat schon recht mit ihrer Bemerkung, dass die G20 besser geworden sind im Management der Störmanöver durch die USA, aber dies nur auf Kosten der Substanz. Die Zukunft der G20 erscheint nach diesem Gipfel in düsterem Licht denn je: 2020 liegt die Präsidentschaft bei den Klimafeinden in Saudi Arabien, 2021 bei Italien (mit welcher Regierung auch immer) und 2022 bei Indien. Na, letzteres könnte dann doch ein Hoffnungsschimmer sein.

28. Juni 2019

G20 im Schatten bilateraler Kulissentreffen

Dies ist jetzt bereits der zweite G20-Gipfel innerhalb von sieben Monaten, der von einem Treffen des US-Präsidenten Trump und des chinesischen Präsidenten Xi überschattet wird. Die G20 nennen sich in ihren Kommuniqués gerne das „erste Forum der weltwirtschaftlichen Koordinierung“. Doch wenn sich die wichtigsten Entscheidungen in separaten bilateralen Treffen abspielen (wie die Zukunft des Handelskriegs der USA gegen China) ist dies kein gutes Zeichen für ein multilaterales Forum, das einst gegründet wurde, um die globale wirtschaftspolitische Kooperation zu verbessern. Dabei ist die Liste der unerledigten Aufgaben der G20 lang.


Am weitreichendsten waren noch die Beschlüsse zum Thema „Finanzmarktreformen“, ausgehend von dem Gipfel in London vor zehn Jahren, wenngleich auch diese Agenda eine weitgehend unvollendete blieb und entsprechende Maßnahmen – von einer kosmetischen Reform der Governance-Strukturen der Bretton-Woods-Institutionen IWF und Weltbank abgesehen – von der Umsetzung in den jeweiligen Mitgliedsländern abhängig blieben bzw. derzeit bereits wieder zurück gerollt werden. Ein Beispiel ist der Versuch der Reregulierung der Finanzmärkte (z.B. durch eine Aufwertung des bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) angesiedelten Rats für Finanzstabilität, die Verschärfung der Pflichten der Banken zur Rücklagen- und Pufferbildung im Rahmen von Basel III oder die Wiedereinführung des Trennbankensystems in den USA). Ungelöst ist bis heute das sog. Too-big-to-fail-Problem, wonach „systemrelevante“ Banken nicht pleitegehen dürfen, oder die Regulierung des Bereichs der „Schattenbanken“, wo Finanzfirmen praktisch ohne staatliche Kontrolle agieren können. Insgesamt übersteigt das Volumen der Finanzgeschäfte inzwischen wieder die Größenordnung von vor der Finanzkrise, während auch der Handel mit gefährlichen und synthetischen Finanzprodukten, die teilweise für den Ausbruch der Krise verantwortlich waren, auf beängstigende Weise wächst.

Im Nachgang der globalen Finanzkrise haben die G20 auch das ehrgeizige Versprechen abgegeben, eine Beschädigung des Welthandels zu verhindern und sich vor allem protektionistischer Praktiken zu enthalten. Dies hat eine Zeitlang funktioniert, allerdings nur so lange, wie alle Beteiligten den Willen und die Bereitschaft zur Einhaltung multilateraler Regeln aufbrachten. Dieses „Stillhalten“ ist mit dem Amtsantritt der Trump-Administration in den USA („America First“) jäh beendet worden. Seither treten auch in der G20 immer mehr Handelskriege an die Stelle des Bemühens um Stabilisierung und Kooperation. Wie das „Waffenstillstandstreffen“ zwischen Trump und Xi am Rande des G20-Gipfels von Buenos Aires Ende 2018 zeigte, stellen die G20 möglicherweise nur noch ein Forum für fragwürdige Interimslösungen dar, die hernach um eine nur noch gefährlichere Eskalation des Handelskriegs abgelöst werden. Dies verweist vielleicht am deutlichsten auf die Grenzen eines lediglich informellen Multilateralismus und seine Gefährdung durch die Rückkehr zu rein geoökonomischer Machtpolitik.

26. Juni 2019

G20: Klimafeindlicher Kuhhandel in Osaka?

Die japanische Präsidentschaft will aus dem G20-Gipfel, der am kommenden Freitag in Osaka/Japan beginnt, unbedingt einen handelspolitischen Erfolg machen. Was dies – sofern denn ein  Deal zustande kommt – bedeuten könnte, kann man jetzt an dem Gerangel um den Kommuniqué-Entwurf des Gipfels ablesen. Wie jetzt der Financial Times bekannt wurde, sind aus dem Entwurf die Begriffe „global warming“ und „Dekarbonisierung“ gestrichen worden, während die Bedeutung des Pariser Klimagipfels weiter heruntergespielt wird. Hintergrund ist einerseits der Druck der USA und andererseits die Bereitschaft Japans, sich dem zu beugen, um die Trump-Administration für eine Mäßigung ihrer protektionistischen Politik und ihres Handelskriegs zu gewinnen.


Ob ein solcher handelspolitischer Erfolg zustande kommt und was er über einen fragwürdigen Kuhhandel hinaus bedeuten könnte, ist unklar. Viel spricht jedoch dafür, dass Trump, der sich am Rande des Gipfels mit dem chinesischen Präsidenten Xi treffen will, einem neuen „Waffenstillstand“ im Handelskrieg nicht bloß deshalb zustimmen wird, weil das G20-Kommuniqué klimapolitisch verwässert wird. Soeben hat die Welthandelsorganisation (WTO) in einer neuen Studie darauf hingewiesen, dass die von G20-Staaten im letzten halben Jahr verhängten neuen importrestriktiven Maßnahmen 3,5 mal so hoch sind wie im Mai 2012, als mit der Beobachtung des G20-Protektionismus begonnen wurde. Nur im Halbjahr zuvor waren sie höher. Genau genommen waren von Oktober 2018 bis Mai 2019 335 Mrd. Dollar des Welthandels betroffen, das halbe Jahr davor waren es 480,9 Mrd. Dollar. Für den WTO-Generaldirektor Roberto Azevedo geht damit der stabile Trend, indem sich die G20-Mitglieder protektionistischen Maßnahmen weitgehend enthielten, zehn Jahre nach der Finanzkrise definitiv zu Ende. Die Folgen werden wachsende Unsicherheit, weniger Investitionen und eine weitere Abschwächung des Welthandels sein.

Dies sind keine beruhigenden Nachrichten. Doch die Folgen waren ja von der Trump-Strategie durchaus gewollt (da können Teile der ebenfalls betroffenen US-Industrie noch so laut protestieren), und eine erneute Aufwertung der WTO ist in den Szenarien der US-Administration ja nicht vorgesehen. – Die Reaktionen aus der klimapolitischen Community auf das Einknicken der Japaner waren eindeutig. „Es ist auffällig, wie Japan jede Führung in Sachen Klima abgegeben hat und nur noch versucht, sehr nett zu den USA zu sein“, sagte Luca Bergamaschi, eine ehemalige Klimaverhandlerin Italiens. Und Jennifer Morgan, die Leiterin von Greenpeace International, pflichtet bei. Die Streichungen im Kommuniqué zeigten einen „vollständigen Mangel an politischer Leadership“.

25. Juni 2019

100 Jahre ILO: Erneuerung des Gesellschaftsvertrags

Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn ein Ereignis der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von den Medien nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit erhält. Das betrifft sogar den 100. Jahrestag, der in der letzten Woche in Genf begangen wurde. Dabei ist die ILO die einzige Organisation der UN-Familie, die eine Tripartite-Struktur aufweist, an der die Vertreter der internationalen Gewerkschaftsbewegung, der Arbeitsgeber und der Staaten gleichberechtigt beteiligt sind. Die Konferenz zum 100. Jahrestag ging mit der Annahme zweier Instrumente zu Ende, einer Jahrhundert-Erklärung zur Zukunft der Arbeit und einer neuen Internationalen Konvention gegen Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz.


Die Jahrhundert-Erklärung enthält die historische Verpflichtung zur Verwirklichung einer Zukunft der Arbeit, in deren Mittelpunkt der Mensch steht und die sich an dem Gesellschaftsvertrag orientiert, der das Gründungsmandat der ILO enthielt. Die Deklaration stellt eine Agenda der Rechte und des Schutzes für alle ArbeiterInnen dar, in einer Zeit mit enormen Herausforderungen wie dem Klimawandel und der digitalen Revolution sowie einen Sockel sozialer Sicherung für alle ArbeiterInnen. Letzteres schließt hunderte von Millionenen Arbeiter ein, die in der informellen Ökonomie arbeiten müssen oder deren Arbeitsplätze unsicher, gefährlich und unterbezahlt sind. Dazu gehören auch ausbeuterische Lieferketten und die wachsende Zahl von Plattform-Unternehmen.

Ein ähnlicher Meilenstein ist die Konvention gegen Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz, die erste Konvention seit der Verabschiedung der Konvention zum Schutz der Hausangestellten vor einigen Jahren. Sie ist der krönende Abschluss einer mehrjährigen Kampagne und rechtlich verbindlich, sobald die Regierungen sie ratifiziert haben. Sie garantiert, dass die Welt frei sein muss von Gewalt und Belästigung und gibt den Forderungen von Millionen Beschäftigten, vor allem Frauen, neuen Schwung. Sie folgt einem inklusiven Ansatz, der den Schutz auf alle Beschäftigten ausdehnt, ungeachtet ihres vertraglichen Status, darunter auch auf Leitungspersonal und Unternehmer sowie Arbeitsplatzsuchende, Auszubildende, Praktikanten, Freiwillige u.a.. Die Konvention stellt ebenfalls klar, dass Gewalt und Belästigung, von denen auch Dritte betroffen sind, wie Kunden, Patienten oder öffentliche Personen, ebenfalls verfolgt werden müssen.

Die Vorsitzende des Internationalen Gewerkschaftsbundes (ITUC), Sheran Burow, kommentiert zu Recht: „Die Jahrhundert-Konferenz hat die Welt daran erinnert, wie wichtig die ILO ist, die älteste und signifikanteste aller multilateralen Institutionen. Angesichts nie dagewesener Einkommensungleichheit, sich verringernder demokratischer Spielräume und einem Zeitalter der Angst, in dem Konzerne zu viel und Menschen zu wenig Macht haben, ist die ILO ein Bollwerk gegen die Verwandlung der Arbeit in einen Rohstoff, der ohne Rücksicht auf die menschliche Würde gehandelt werden kann.“

20. Juni 2019

FDI-Zahlen: Globalisierung en retour?

Der globale Fluss ausländischer Direktinvestitionen (FDI) fiel 2018 um 13% auf 1,3 Billionen Dollar und war damit bereits im dritten Jahr hintereinander rückläufig. Ein Hauptfaktor für den Rückgang waren die hohen Rückführungen akkumulierter ausländischer Gewinne durch US-Konzerne in den ersten beiden Quartalen von 2018 im Gefolge der Steuerreformen Ende 2017. Auch 2019 könnten „geopolitische Risiken, Handelsspannungen und die Furcht vor stärkerem Protektionismus den Anstieg der FDI bremsen, geht aus dem jüngsten World Investment Report (WIR 2019) der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) hervor.

Nach Ansicht der UNCTAD-Autoren spielte bei den rückläufigen FDI-Flüssen auch eine Rolle, dass verschiedentlich die nationale Investitionspolitik eine kritischere Position gegenüber Direktinvestitionen verfolgte. 2018 ergriffen 55 Volkswirtschaften mindestens 112 Maßnahmen, die FDI betrafen. Mehr als ein Drittel dieser Maßnahmen stellten neue Restriktionen oder Regulierungen von FDI dar – so viele wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr. Laut UNCTAD spiegelten diese Maßnahmen vor allem nationale Sicherheitsbelange in Bezug auf ausländisches Eigentum bei kritischer Infrastruktur, Schlüsseltechnologien oder anderen empfindlichen Wirtschaftsanlagen. Hinzu kommt, dass mindestens 22 große M&A-Projekte (Firmenzusammenschlüsse und –aufkäufe) zurückgezogen oder durch die Politik blockiert wurden – doppelt so viele wie 2017.

Befindet sich die Globalisierung, einer deren wichtigsten Indikatoren die FDI-Entwicklung ist, inzwischen also im Rückwärtsgang? Eine der wichtigsten Erklärungen für den Rückgang der FDI hängt mit dem Handelskrieg der USA, vor allem gegen China zusammen und den dahinter stehenden geopolitischen Faktoren, meint der Generalsekretär der UNCTAD Mukhisa Kituyi. Die Multinationalen Konzerne seien desweiteren dazu übergegangen, in weniger arbeitsintensiven und technologieintensiven Sektoren zu investieren. Der FDI-Rückgang sei deshalb kein kurzfristiger Trend. Der „Kalte Krieg“ in der technologische Konkurrenz, der den Handelskriegen zugrunde liegt, sei nicht schon in den nächsten Jahren vorüber.

Andererseits muss man sich vergegenwärtigen, dass die jetzt vorliegenden FDI-Zahlen zwar eine verlangsamte Dynamik, aber keine Umkehr der ausländischen Expansion oder gar einen absoluten Abbau des ausländischen Investitionsbestands widerspiegeln. Die Investitionsflüsse haben sich zwar reduziert. Expansion und internationale Verflechtung nehmen aber weiter zu, wenn auch mit etwas gedrosseltem Tempo. Auch dies freilich muss nicht in alle Ewigkeit weitergehen.

4. Juni 2019

Was kommt nach dem Neoliberalismus?

Gastblog von Joseph E. Stiglitz

Welche Art von Wirtschaftssystem trägt am besten zum menschlichen Wohlergehen bei? Die heutige Zeit wird zunehmend von dieser Frage geprägt, da wir nach vierzig Jahren Neoliberalismus in den Vereinigten Staaten und anderen Industrieländern wissen, was nicht funktioniert.

Das neoliberale Experiment – also niedrigere Steuern für die Reichen sowie Deregulierung der Arbeits- und Produktmärkte, Finanzialisierung und Globalisierung – ist spektakulär gescheitert. Das Wachstum ist geringer als in den 25 Jahren nach den Zweiten Weltkrieg, und der größte Teil davon hat sich ganz oben an der Einkommenspyramide angesammelt. Weiter unten stagnieren oder fallen die Einkommen seit Jahrzehnten, und deshalb muss der Neoliberalismus für tot und begraben erklärt werden.

Um seine Nachfolge konkurrieren mindestens drei politische Alternativen: der rechtsextreme Nationalismus, der gemäßigt-linke Reformismus und die progressive Linke (die gemäßigte Rechte steht für das neoliberale Scheitern). Trotzdem aber halten diese Alternativen mit Ausnahme der progressiven Linken an einer Form der Ideologie fest, deren Verfallsdatum überschritten ist (oder sein sollte) ...

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