7. Oktober 2016

IWF/Weltbank-Jahrestagung: Erkenntnisse ohne viele Konsequenzen

Wie in vielen Jahren zuvor habe ich dem Neuen Deutschland auch in diesem Jahr ein Interview im Vorfeld der Jahrestagung von IWF und Weltbank gegeben, die derzeit in Washington DJ stattfindet. Das Interview hat folgenden Wortlaut:


ND: Der Schuldenreport 2016 führt 108 Staaten auf, die sich in einer kritischen Schuldensituation befinden. Hat der Internationale Währungsfonds (IWF) diese Problematik auf dem Schirm? Zu hören ist immer nur wieder, dass aus Sicht des IWF für Griechenland ein neuer Schuldenerlass unumgänglich ist.

Rainer Falk: Ja. Der IWF beobachtet das sehr wohl und sieht auch wachsende Probleme auf die Entwicklungsländer – vor allen Dingen auf die Schwellenländer – zukommen. Die Verschuldung ist insbesondere im Bereich des Privatsektors in diesen Ländern enorm gestiegen. Allerdings beschränkt sich der IWF bislang auf eine Problembeschreibung und auf Warnungen. Vor allen Dingen die Hauptanteilseigner des IWF, wie die USA, die EU-Staaten oder Japan, machen keine Anstalten, aus diesen drohenden neuen Risiken politische Konsequenzen ziehen. So fehlt nach wie vor ein praktikables und gerechtes System der Entschuldung bei Fällen von Staateninsolvenz, wie es die Nichtregierungsorganisationen seit Langem fordern, inzwischen aber auch Regierungsorganisationen wie die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) oder die Gruppe der 77 Schwellen- und Entwicklungsländer, die inzwischen 134 Mitglieder hat.

Ein staatliches Insolvenzrecht ist beim IWF kein Thema, obwohl bereits 2001 die damalige stellvertretende Chefin des IWF, Anne Krueger, eine Initiative dafür gestartet hat?

Ja. Die Diskussion darüber ist im Moment zwar nicht ganz tot, aber die damalige Initiative wurde durch die US-Regierung gekippt. Interessanterweise gibt es innerhalb der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) die Diskussion, ob man nicht zu einem staatlichen Insolvenzverfahren kommen muss. Es gab ganz zaghafte Bemühungen auf dem letzten G20-Gipfel in China, das Thema anzusprechen. Aber da ist wohl noch eine lange Strecke des Wegs zu gehen.

Bei vielen kritisch verschuldeten Staaten handelt es sich um rohstoffabhängige Ökonomien. Sie leiden im Moment bereits unter dem Rohstoffpreisverfall. Hinzu kommt, dass ihre Auslandsschulden meist in Dollar denominiert sind und jeder Zinsanstieg in den USA die Schuldenlast damit real aufwerten würde. Ist eine Zinswende bei der US-amerikanischen Notenbank FED in Sicht?

Ob eine richtige Zinswende kommt, ist fraglich. Die FED ist auf der einen Seite sehr vorsichtig, angesichts der schlechten Konjunkturzahlen auch in den USA. Andererseits hat die FED sich inzwischen aber mindestens so weit aus dem Fenster gelehnt, dass gegen Ende des Jahres ein weiterer Zinsschritt erfolgen dürfte: nämlich 0,25 Prozent nach oben. Für die Entwicklungsländer hat allein die Debatte darüber schon negative Folgen: Seit Mitte 2015 ist ein negativer Kapitalfluss bei den großen Schwellenländern zu verzeichnen. Das heißt, es fließt mehr Kapital ab als in diese Länder hinein. Und das verstärkt die Finanzengpässe in diesen Regionen, erhöht das Risiko der Überschuldung.

IWF-Chefin Christine Lagarde hat vor einer zunehmenden Anti-Freihandelsstimmung gewarnt. Seit dem Zweiten Weltkrieg sei der Handel der Motor des globalen Wachstums gewesen und sein Volumen sei bis zur Finanzkrise 2008 doppelt so schnell gewachsen wie die Weltwirtschaft selbst. Seitdem aber bliebe das Wachstum des Handels sogar hinter dem Wirtschaftswachstum zurück. Ist das eine zutreffende Einschätzung?

Teils, teils. Es ist richtig, dass sich das Verhältnis zwischen Wachstum des Sozialprodukts weltweit und Wachstum des Welthandels mindestens angeglichen, wenn nicht umgedreht hat seit der Finanzkrise. Seither wächst der Welthandel teilweise weniger schnell als das globale Bruttoinlandsprodukt. Richtig ist auch, dass in letzter Zeit immer mehr Attacken auf die internationale Handelsintegration von rechts erfolgen, seien es die Tiraden von Donald Trump oder Marine Le Pen oder das Votum für den Brexit, das eine Kritik an Art und Weise der EU-Integration darstellt. Traditionell werden die Auswüchse der Globalisierung ja eher von links kritisiert.

Lagarde liegt jedoch nicht richtig, dass der Welthandel per se ein Motor für die weltweite Konjunktur ist oder war. Der Welthandel ist vielmehr Ausdruck einer starken Konjunktur in den einzelnen Ökonomien, und sein Rückgang hat sehr viel mit mangelnder aggregierter Nachfrage im Weltmaßstab zu tun. Es käme also darauf an, die Konjunkturen international koordiniert zu stimulieren, dann würde es auch wieder zu stärkerem Welthandelswachstum kommen. So herum wird ein Schuh daraus. Welthandel entsteht ja nicht aus dem Nichts.

Eine Stimulierung der dümpelnden Weltwirtschaft hat auch Lagarde im Sinn. Sie fordert öffentliche Investitionen von Ländern, die fiskalischen Spielraum haben. Sie nennt ausdrücklich Deutschland, Kanada und Südkorea. Andere Länder könnten ihre öffentlichen Haushalte umwidmen, um mehr Geld für Investitionen freizubekommen. Solche Programme würden umso stärker wirken, wenn sie von einer lockeren Geldpolitik begleitet würden. Sinnvolle Vorschläge?

Richtig ist, dass die internationale Geldpolitik der Zentralbanken inzwischen an ihre Grenzen gestoßen ist. Das Fluten der Märkte mit billigem Geld war jedoch nur ein Platzhalter für die politische Unfähigkeit der Staaten, die Konjunktur koordiniert anzukurbeln. Insofern ist es interessant, dass jetzt beim IWF immer mehr kritische Stimmen laut werden, die die Austeritätspolitik infrage stellen und eine aktive Fiskalpolitik fordern. Das läuft völlig dem Dogma der Schwarzen Null zuwider, wie es allen voran von Deutschland gepredigt wird.

Was macht die kleine Schwester des Internationalen Währungsfonds, die Weltbank? Der Chef Jim Yong Kim wurde gerade wiedergewählt.

Die Weltbank wird immer bedeutungsloser, weil es zunehmend alternative Institutionen wie die Asiatische Investitionsbank oder die BRICS-Bank gibt, hinter der Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika stehen. Aus ihrem Bedeutungsverlust ziehen die Eigner der Weltbank keine politischen Konsequenzen. Bestes Beispiel – und insofern steht diese Jahrestagung auch unter keinem guten Stern – ist die jüngste Wahl von Kim für eine zweite Amtszeit. Es wären noch acht Monate Zeit gewesen, um die Wahlen für die Präsidentschaft vorzubereiten. Aber Kim und die USA im Hintergrund haben diese Bewerbungsfrist radikal zusammengekürzt auf knapp zwei Wochen, sodass sich überhaupt kein Gegenkandidat fand. Die Weltbank predigt überall »Good Governance«, praktiziert aber in ihren eigenen Reihen alles andere als »Gute Regierungsführung«. Stattdessen wahrt sie das Monopolrecht der USA, den Weltbankpräsidenten immer wieder selbst zu bestimmen. Die Weltbank hat die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt.

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