Madame Lagardes Paukenschlag
Zwar nicht in der Natur und beim Wetter, aber auf den Finanzmärkten war dies ein heißer August, und zum Schluss haben wir mit der „Jungfernrede“ der IWF-Exekutivdirektorin Christine Lagarde in Jackson Hole noch etwas bekommen, womit so niemand gerechnet hätte, nicht einmal einer, der ihrer Kandidatur wie ich sehr aufgeschlossen gegenüber stand (>>> Warum ich unter diesen Bedingungen für Lagarde bin). Christine Lagarde hat vor den versammelten Zentralbankern Dinge gesagt, die keiner der Herrschaften des offiziellen Politik- und Finanzmanagements so über die Lippen gebracht hätte. Auch vier Tage nach der Rede hallt ihr Paukenschlag nach. Warum?
Erstens hat Lagarde auf unmissverständliche Weise darauf hingewiesen, dass wir uns derzeit in einer „neuen gefährlichen Phase“ der weltwirtschaftlichen Entwicklung befinden. Auch in Europa stehen die Zeichen auf Rückfall in eine erneute Rezession; und – wie der in der nächsten Woche erscheinende Trade & Development Report von UNCTAD deutlich machen wird – auch Schwellen- und Entwicklungsländer werden von dem Double-Dip nicht verschont werden. Zweitens hat die IWF-Chefin etwas gesagt, das keinem europäischen Offiziellen derzeit über die Lippen kommt (und leider auch vielen IWF-Missionen vor Ort nicht), dass es nämlich noch andere Politikoptionen gibt als die verallgemeinerte exzessive Austerität.
Drittens hat Lagarde an das absolute Dogma von der Geldwertstabilität gerührt, das die Zentralbanker wie eine Monstranz vor sich hertragen, indem sie davon sprach, dass gegenwärtig die Rezessionsgefahr höher ist als die Inflationsgefahr. Viertens hat sie darauf aufmerksam gemacht, dass die regulatorische Reform des internationalen Finanzsystems weitgehend unvollendet ist. Als Paradebeispiel wählte sie ausgerechnet die nach wie vor dringend notwendige Rekapitalisierung der europäischen Banken, d.h. ihre bessere Ausstattung mit Eigenkapital. Damit wischte sie implizit die Ergebnisse des sog. Banken-Stresstests vom Tisch, was sogleich die „europäischen Offiziellen“ auf den Plan rief, die meinen, alles wäre in Butter. Doch inzwischen geben mehr und mehr Institutionen, nicht zuletzt die Europäischen Bankenaufsicht, der IWF-Direktorin Recht. Und fünftens hat Lagarde darauf hingewiesen, dass die Überschussländer mehr beitragen müssen, um die Weltwirtschaft aus der Krise zu ziehen. Namen wie Deutschland und Japan sind zwar nicht gefallen. Aber die Debatte ist neu eröffnet.
Lagardes Rede war von erfrischender Offenheit. Sie hat offensichtlich das Talent, den Mut und die Kraft, auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen, was den Herren Finanzministern meistens abgeht, so selbst die Financial Times. Hier passt er ausnahmsweise einmal, der einfallslose Spruch der Konservativen: Weiter so, Madame Lagarde!